Christliche Werte

Christliche Werte
Allegorie der Tugend von Raffael in der Stanza della Segnatura des Vatikan

Der Begriff „Christliche Werte“ wird auf Wertvorstellungen angewendet, denen ein Bezug zum Christentum unterstellt werden sollte. Dies kann im Rahmen der theologischen Ethik zu begründen versucht werden (damit ist auch die Forderung verbunden, dass der christliche Glaube die Grundlage für soziales Handeln und soziale Normen bilden sollte), aber es wird auch in der politischen Rhetorik als Schlagwort gebraucht, oftmals ohne tiefergehende theologische Analyse.[1] Wie auch im Christentum selbst unterschiedliche theologische, ethische und exegetische Schwerpunktsetzungen vorhanden sind, so gibt es auch unterschiedliche ethische, moralische und religiöse Aspekte eines im christlichen Glauben verankerten oder in diesen integrierbaren Werteverständnisses. Ein allgemein akzeptiertes, in heutiger Terminologie genau konkretisiertes Verzeichnis christlicher individueller oder sozialer Normen ist daher kaum dingfest zu machen.

Inhaltsverzeichnis

Biblische Wertvorstellungen und Normen

Mose mit den Zehn Geboten, Rembrandt, 1659

Maßgebliche Grundlage für die theologische Ethik ist der Text der Bibel, insbesondere das Neue Testament. Im Zusammenhang mit „christlichen Werten“ werden insbesondere die folgenden biblischen Gebote und Textstellen genannt:

Für manche sind schon diese Gebote gleichbedeutend mit „christlichen Werten“. Bekanntestes Beispiel ist die Nächstenliebe, die von vielen als wesentlicher christlicher Wert verstanden wird.

Gegenstand der theologischen Ethik ist es, im Rahmen der biblischen Exegese aus dem Bibeltext Wertvorstellungen abzuleiten bzw. bestimmte Wertvorstellungen anhand des Bibeltextes zu begründen. Manche christliche Fundamentalisten und Evangelikale halten diesen Schritt für evident und beanspruchen für sich „Bibeltreue“. Die Bibel sei als Anleitung für moralisches Handeln wörtlich zu nehmen, „christliche Werte“ seien „biblische Werte“. Andere betrachten Jesus als persönliches Vorbild und fragen sich bei ethischen Konflikten „Was würde Jesus tun?“ Dazwischen gibt es eine Vielzahl unterschiedlichster Interpretationen, welche Werte sich aus dem christlichen Glauben ergeben.

Beispielsweise werden mit dem Gebot des Nicht-Tötens unterschiedlichste Wertvorstellungen begründet, vom Pazifismus bis zum Lebensrecht oder dem Verbot der Todesstrafe. Inwiefern es sich dabei um allgemein verbindliche „christliche Werte“ handelt, oder ob Ausnahmen zulässig sind, ist Gegenstand zahlreicher Wertediskussionen.

Verzeichnisse christlicher Werte

Julius Schnorr von Carolsfeld: Glaube, Liebe, Hoffnung

Christliche Werte im Sinne eines Verzeichnisses von moralischen und religiösen Vorschriften existieren etwa in Form der Katechismen der großen christlichen Kirchen.

Häufig genannte und als „christliche Werte“ bezeichnete Tugendbegriffe sind etwa:

Gottesbezug

Kruzifix im Ratssaal der Stadt Biberach an der Riß

In zahlreichen Diskussionen über die Bedeutung des Christentums für Staat und Gesellschaft wird mit dem Schlagwort „christliche Werte“ ein Gottesbezug gefordert. In diesem Sinne ist der wichtigste christliche Wert der Glaube an Gott, von dem aus alle weiteren Werte abgeleitet werden. Je nach Zusammenhang ist dabei der Schöpfergott, der dreieinige Gott oder Jesus Christus gemeint.

Mit der Begründung ihres Menschenbildes im Gottesglauben unterscheidet sich das christliche Wertesystem wesentlich von anderen Wertesystemen. So steht etwa bei Humanismus und Buddhismus der einzelne leidensfähige und mitfühlende Mensch im Zentrum des Wertesystems, der zur Autonomie befähigt ist. Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn: „Die sogenannten autonomen Werte, die wir aus unserem Menschsein deduzieren, sind keine christlichen Werte.“[2]

Aus dem christlichen Menschenbild ergibt sich die politische Forderung, den Glauben an Gott und Christus auch in Gesetzen als zentralen Wert der Gesellschaftsordnung zu verankern. So bewertete Papst Benedikt XVI. etwa den fehlenden Gottesbezug in der EU-Verfassung als „einmalige Form der Apostasie“, Europa scheine „mehr und mehr die Existenz universeller und absoluter Werte in Frage zu stellen“[3], doch „Christliche Werte sind grundlegend für das Überleben unserer Nationen und Gesellschaften“[4]. Aber auch bei den Diskussionen um Schulgebet, Kruzifix-Beschluss und Religionsunterricht wird das Schlagwort „christliche Werte“ in diesem Sinne verwendet, oder wenn die Bundeskanzlerin Angela Merkel betont, ihre Partei werde „keinen Gedanken daran verschwenden, das C aus unserem Namen zu streichen.“[5]

Die Gegenposition findet sich in den Werten der Aufklärung, die eine Trennung von Religion und Staat anstreben, und den Werten des Liberalismus, insbesondere der Religionsfreiheit (Wobei die Trennung von Staat und Kirche und das Prinzip der Glaubensfreiheit auch schon zu den Grundforderungen der reformatorischen Täuferbewegung zählte und auch heute noch konstituierendes Prinzip vieler evangelischer Freikirchen wie der Mennoniten und Baptisten ist).

Siehe auch: Kulturkampf, Leitkultur, Gegenaufklärung, Mission

Christdemokratie

Gedenkmünze: Ludwig Erhard Die Soziale Marktwirtschaft

Die deutsche Christdemokratie vereint christliche und liberale Wertvorstellungen. So beziehen sich CDU und CSU auf ein „christliches Menschenbild“ als Orientierungsmaßstab.[6] Christliche Werte beinhalten für die CDU die Wertschätzung der Familie als Grundlage der Gesellschaft, sowie die soziale Verantwortung des Einzelnen für die Gesellschaft (christliche Soziallehre), die sich wirtschaftspolitisch im Modell der Sozialen Marktwirtschaft manifestiert.

In einem Diskussionspapier[7] gibt die CDU-Wertekommission eine ausführliche religiöse Begründung ihres christlichen Menschenbildes, die eine Verbindung zwischen den liberalen Menschenrechten und dem christlichen Glauben herstellt.

Manche Christdemokraten verknüpfen mit christlichen Werten "ein klares Bekenntnis zum Vorrang des privaten Unternehmertums vor der Übernahme von Aufgaben durch die Stadt" (bzw. den Staat).[8] Diese Haltung kommt auch im Diskussionspapier der Wertekommission der CDU zum Ausdruck: "in erster Linie sind es in einer Sozialen Marktwirtschaft die Unternehmer, die die neuen Arbeitsplätze schaffen. [...] Von staatlicher Seite sollte die Regulierungsdichte abgebaut, Überregulierung vermieden werden."[9]

Häufig werden christliche Werte von der CDU in Verbindung zum Abendland gesetzt. Dies geschieht meist in einem Kontext der Abgrenzung, entweder von kommunistischen Wertvorstellungen (als zum Zeitpunkt des Kalten Kriegs Osteuropa kommunistisch dominiert war) oder in jüngerer Zeit von „islamischen Wertvorstellungen“ des Morgenlands.

Familienwerte

W.H. Shumard family, circa 1955.jpg

In manchen Diskussionen steht das politische Schlagwort „christliche Werte“ weniger für spezifisch christliche Glaubensinhalte, sondern allgemeiner für konservative Wertvorstellungen, insbesondere für ein traditionelles Verständnis von Familie und Geschlechterrollen. In den USA ist dafür der Begriff „Familienwerte“ (engl. family values) gebräuchlich, der fast deckungsgleich mit „christlichen Werten“ verwendet wird.

In diesem Sinne kann sich etwa der Muslim Bülent Arslan mit den christlichen Werten seiner Partei einverstanden erklären: „Und wenn man sich die Werte ansieht, die im CDU-Grundsatzprogramm enthalten sind, dann sind das alles Werte, die man als aufgeklärter Muslim auch im Islam wieder finden kann: Gerechtigkeit, Freiheit, die Bedeutung der Familie beispielsweise, …“[10]

Einzelnachweise

  1. http://diepresse.com/home/meinung/quergeschrieben/andreaskhol/477980/index.do
  2. Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn: Der Liberalismus ist das politische Übel unserer Zeit in: Michaela Schlögl (Hg.) Woran glaubt, wer glaubt? 16 Gespräche über Gott und die Welt, Wien 1999,S. 117–129, Paul Zsolnay Verlag, ISBN 3-552-04937-1 (online)
  3. Süddeutsche Zeitung, 24. März 2007, Papst: EU vergisst christliche Wurzeln
  4. Die Welt, 13. September 2008 Papst stellt sich hinter Sarkozys „positiven Laizismus“
  5. Artikel in der Hamburger Morgenpost von 11. Juni 2005
  6. Grundsatzprogramm der CDU http://www.grundsatzprogramm.cdu.de/
  7. Wertekommission der CDU Deutschlands: Christliche Werte – Die neue Aktualität des christlichen Menschenbildes. 11. Dezember 2001 (PDF)
  8. So der CDU-Vorsitzender von Mainz-Neustadt, Karsten Lange, zitiert nach "Abendländisches Menschenbild: Chef der Neustadt-CDU Lange fordert ein stärkeres konservatives Profil" in Mainzer Rhein-Zeitung von 12. Januar 2009, S. 16.
  9. Christliche Werte:Die neue Aktualität des christlichen Menschenbildes, S. 15
  10. Interview mit Bülent Arslan in Quantara, am 20. Oktober 2004

Literatur

Zur systematischen und historischen allgemeinen Axiologie und Tugendsystematik, sowie zu den sog. christlichen Tugenden siehe dort. Vgl. auch die allgemeine Literatur zur theologischen Ethik.
  • Zeitschrift Concilium 23, Heft 3 (1987): Werte und Tugenden im Wandel
  • G. Fohrer / E. L. Dietrich / W. G. Kümmel / W. Trillhaas: Art. Sittlichkeit, III.-VI., in: Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. A., Bd. 6, 66-92. (Überblicke zu alttestamentlichen, jüdischen, neutestamentlichen und christlichen sittlichen Auffassungen im historischen Wandel.)
  • Franz Furger: Christliche Sozialethik in pluraler Gesellschaft, LIT Verlag Berlin-Hamburg-Münster 1997, ISBN 3825835278, 165ff.
  • Eberhard Jüngel: Wertlose Wahrheit. Christliche Wahrheitserfahrung im Streit gegen die ‚Tyrannei der Werte‘ in: Ders.: Wertlose Wahrheit. Zur Identität und Relevanz des christlichen Glaubens. Theologische Erörterungen III. Chr. Kaiser, München 1990, 90-109.
  • Wolfgang Kluxen: Christliche Werte in einer pluralistischen Gesellschaft, in: H. Flothkötter, B. Nacke (Hgg.): Zeichen der Zeit, Münster 1990, 153-166.
  • Christoph Mandry, Dietmar Mieth: Europa als Wertegemeinschaft, in: W. Fürst, J. Drumm, W.M. Schröder (Hgg.): Ideen für Europa, Münster 2004, 121-145.
  • Michael Mertes: Haben christliche Werte in Deutschland noch eine Zukunft?, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft 1 (2006). Bericht demoskopischer Befunde und Erklärung des zugrundegelegten Begriffs von "Werten".
  • Reinhold Mokrosch (Hg.): Christliche Werterziehung angesichts des Wertwandels, Osnabrück 1987, darin u.a. G. R. Schmidt: Was sind "christliche Werte"?, 75-106.
  • Christoph Stückelberger, Frank Mathwig: Grundwerte - eine theologisch-ethische Orientierung. TVZ, Zürich 2007. ISBN 329017378X.
  • Folke Werner: Vom Wert der Werte - die Tauglichkeit des Wertbegriffs als Orientierung gebende Kategorie menschlicher Lebensführung; eine Studie aus evangelischer Perspektive. Lit, Münster 2002, ISBN 3825855945.

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