Telarium

Telarium

Die Telarium Corporation (früher: Trillium) war ein US-amerikanischer Softwareverlag (Spieleverlag), der von 1984 bis 1987 existierte und seinen Sitz in Cambridge, Massachusetts, einem Vorort von Boston, hatte. Telarium publizierte Computerspiele die zum Genre der Adventures (Interactive Fiction with Graphics) gehörten und auf literarischen Vorlagen beruhten. Neben englischsprachigen Versionen wurden teilweise auch Spielversionen in spanischer Sprache veröffentlicht.

Inhaltsverzeichnis

Verlagsgeschichte (1984 bis 1987)

Überblick

Telarium, ein Tochterunternehmen von Spinnaker Software, hatte die Rechtsform einer US-amerikanischen Corporation. Bei der Corporation, einer Kapitalgesellschaft, ernennt in der Regel ein Board of Directors die Geschäftsführung (Officers), zu der üblicherweise ein President, ein Chief Executive Officer und ein Corporate Secretary gehören.[1] President von Telarium war C. David Seuss,[2] der auch Gründer und CEO des Mutterhauses Spinnaker Software war.[3] Die Gründung der Telarium Corporation im Jahr 1984 war Teil einer Marketingstrategie von Spinnaker Software zur Erschließung neuer Marktsegmente: Während die Windham Classics Corporation, ebenfalls ein Tochterunternehmen von Spinnaker, die Zielgruppe der jüngeren Adventure-Spieler ansprechen sollte, wandte sich Telarium an erwachsene Adventure-Spieler.[4] Zunächst führte die Firma den Namen Trillium, den sie dann aber, möglicherweise wegen markenrechtlicher Probleme, in Telarium umänderte.[5]

Als juristische Person hatte die Telarium Corporation z.B. formal die Möglichkeit, in eigenem Namen Lizenzverträge für die Spieladaption der Romanvorlagen sowie Entwicklerverträge mit den Game Designern abzuschließen. Faktisch gab es in Teilen der Geschäftstätigkeit eine enge Zusammenarbeit mit dem Mutterhaus, insbesondere beim Vertrieb.[6]

Nach drei Jahren Geschäftsbetrieb erlosch die Telarium Corporation im Jahr 1987.[7] Ende der 1980er Jahre geriet das gesamte Marktsegment der textbasierten Adventurespiele in eine Krise; so stellte z.B. auch die Firma Infocom im Jahr 1989 ihren Geschäftsbetrieb ein. In der Folgezeit wurden Point-and-Click-Adventures von Lucas Arts und anderen Firmen populärer, bis auch sie in den 1990er Jahren an Bedeutung verloren.[8]

Adventure-Entwicklung

Eine Besonderheit der Produktentwicklung war die Zusammenarbeit mit etablierten Schriftstellern. Der für die Entwicklung zuständige Telarium/Trillium-Produktmanager äußerte sich dazu im Rahmen eines Adventure-Features einer Computerzeitschrift. Danach stammen die Texte in Dragonworld und Amazon komplett von den Autoren ("Byron Preiss and Michael Crichton wrote every word of the game"), während in anderen Fällen eine enge Textabstimmung mit den Autoren erfolgte ("In the case of Fahrenheit 451 and Rendezvous With Rama, we worked with the authors on the editings and the way it worked. We didn't just buy their names").[9]

Der inhaltliche Fokus der Adventures lag weniger auf der Lösung von Rätseln, als auf der Qualität der Handlung und der Beschreibungstexte sowie den Interaktionsmöglichkeiten des Spielers mit anderen fiktiven Spielecharakteren. Das selbst gesteckte Ziel von Telarium war es dabei "to build in real plots and characters" (President C. David Seuss).[10]

Ein Entwicklungsschwerpunkt lag auf der Leistungsfähigkeit des Text-Parsers, der – ähnlich wie der Parser des Konkurrenten Infocom – die Fähigkeit aufweisen sollte, komplexe Sätze und nicht nur einzelne Worte oder Kurzsätze zu verarbeiten. Bereits die ersten Telarium-Spiele wie Dragonworld und Fahrenheit 451 erfüllten dieses Kriterium; bei Folge-Adventures wie Nine Princes in Amber konzentrierten sich die Programmierer auf Verbesserungen in den Bereichen Schnelligkeit, Wortschatz und Grammatik.[11]

Technisch wurden die Spiele für typische Plattformen der 1980er Jahre wie C 64, DOS, ZX Spectrum, Atari ST, MSX, Mac OS und Apple II umgesetzt. Die MSX-Versionen erschienen auf spanisch. Die Steuerung erfolgte mit Tastatureingaben, die in einem Text-Parser verarbeitet wurden; teilweise erfolgte auch eine Steuerung über Joystick bzw. Maus. Die Telarium-Adventures hatten zweidimensionale Grafiken, Titelmelodien und Soundeffekte. Die Grafiken der meisten Spiele dienten überwiegend illustrativen Zwecken, waren aber zum Teil auch funktional (so wurden z.B. Gegenstände abgebildet, die die Spielerfigur an sich nehmen konnte; Nicht-Spieler-Charaktere konnten nach abgebildeten Gegenständen befragt werden). Das Adventure Shadowkeep war ein Point-and-Click-Adventure und Rollenspiel.

Verlagsprogramm (Adventure-Titel)

Telarium publizierte seine Adventures auf der Basis literarischer Vorlagen, die vorwiegend den Genres Krimi, Science-Fiction und Fantasy entstammten. Teilweise erfolgte die Spielentwicklung in Zusammenarbeit mit bekannten Schriftstellern. Folgende Titel wurden veröffentlicht:

1984

1985

1986

  • The Scoop (entwickelt auf Basis des gleichnamigen Kriminalromans von Agatha Christie u.a.)

Zwei weitere Titel – Starman Jones, die Adaption des gleichnamigen Science Fiction-Romans von Robert A. Heinlein und The Great Adventure, basierend auf einem Science Fiction-Roman von Philip Jose Farmer – waren geplant und in der Programmvorschau angekündigt, wurden aber nicht mehr publiziert. [12]

Bedeutung und Nachwirkung

Telarium in journalistischen Beiträgen zu Computerspielen

In den 1980er Jahren wurden die Telarium-Adventures in Spielerezensionen von Computerspielzeitschriften für Ihre hohe Textqualität, die detaillierten Grafiken und die vielseitigen Dialogmöglichkeiten mit Nicht-Spieler-Charakteren gewürdigt. [13]

Anfang der 2000er Jahre betonte ein Beitrag im Online-Magazin Telepolis die Wegbereiterrolle "legendärer Firmen der Textzeit wie Infocom und Telarium" für später nachfolgende Point-and-Click-Adventures von Lucas Arts und anderen Firmen.[14]

Das Online-Magazin Gamespy sah im Rahmen eines Schriftsteller-Interviews zum Thema Literatur und Computerspiele das Telarium-Spiel Shadowkeep ("a groundbreaking product at the time") rückblickend als Wegbereiter späterer Computer-Rollenspiele wie der Reihe Eye of the Beholder von Westwood Studios und Strategic Simulations.[15]

Telarium in Untersuchungen zur Geschichte und Theorie des Computerspiels

Die Telarium Corporation und ihre Adventures wurden in mehreren Untersuchungen zur Geschichte und Theorie des Computerspiels mitbehandelt.

Werner Faulstich (1993) zählte Telarium zu den wichtigen Firmen des Adventurespiel-Genres ("Als wichtige Hersteller gelten die Firmen Infocom, Mindscape, Telarium und Broderbund Software").[16] Adventures wie Dragonworld charakterisierte er als "´Computer-Comics´, also Text-Bild-Computerspiele".[17] Das Adventure Fahrenheit 451 sei ein hochkomplexes, interaktives Computermärchen[18] und "gleichsam Literaturliteratur, ein Spiel mit Klassikern und zugleich mit dem Erzähler, dem Spieler selbst".[19]

Konrad Lischka (2002 und 2005) stellte fest, dass Telarium einer der ersten kommerziellen Anbieter von Computerspielen gewesen sei. Er charakterisierte Telarium als Spielefirma, die die Nähe zur Literatur betonte, z.B. durch die Entwicklung von Titeln, die auf Werken von Schriftstellern wie Arthur C. Clarke und Agatha Christie beruhten und durch die Mitwirkung des Schriftstellers Ray Bradbury bei der Entwicklung von Fahrenheit 451. Dieser direkte Literaturbezug führe allerdings dazu, dass - anders als von manchen Spielern gewünscht - erzählerische Aspekte stärker im Vordergrund stünden als die Spielerfahrung in einer virtuellen Realität mit vielfältigen Handlungsoptionen.[20]

Graham Nelson (2001) zählte Michael Crichtons Amazon und die Adaptionen der Science Fiction - Klassiker Rendezvous with Rama und Fahrenheit 451 zu den erwähnenswerten Spielen aus der Vielzahl der Adventure-Titel, die im „golden age of text adventures“ der 1980er Jahre publiziert wurden.[21]

Die Einbindung von Schriftstellern in die Spieleentwicklung wurde bereits von William V. Costanzo (1989) als Besonderheit der Firma Telarium hervorgehoben. Als Beispiele benannte er Michael Crichton, der Amazon selbst entwickelte, sowie Ray Bradbury und Arthur C. Clarke, die Sequels zu Ihren Bücher Fahrenheit 451 und Rendezvous with Rama lizenzierten.[22]

Nick Montfort (2003) sah dagegen mit Ausnahme von Ray Bradbury nur wenige Hinweise auf eine aktive Beteiligung der Buchautoren an der Spielentwicklung. Telarium habe allerdings im Vergleich mit anderen Firmen vielleicht den intensivsten Aufwand bei der Adventure-Adaption bekannter literarischer Vorlagen betrieben.[23]

Jimmy Maher (2006) kam zu einer differenzierten Gesamtbeurteilung von Telarium: Positiv bewertet wurden die sorgfältige Auswahl der Romanvorlagen und die teilweise innovativen Interaktionsmöglichkeiten, beispielsweise in dem Adventure Perry Mason – The Case of the Mandarin Murder. Auf der anderen Seite sei der Anspruch häufig höher gewesen als das, was letztlich realisiert wurde ("Telarium’s reach often exceeded its grasp"). Dem Spielablauf der Adventures mangele es nicht selten an Flexibilität, was einerseits auf die damaligen Hardware-Restriktionen, andererseits aber auch auf generelle Strukturprobleme der Interactive Fiction zurückzuführen sei. Trotzdem seien die meisten Telarium-Adventures aus heutiger Sicht als gut zu bewerten ("most of its games nevertheless stand up fairly well today").[5]

Literatur

Weblinks

  • Trillium/Telarium bei MobyGames (englisch)
  • Telarium auf der Website Adventureland von Hans Persson und Stefan Meier
  • Telarium auf der Website The Interactive Fiction Collector´s Guide von Manuel Schulz
  • Trillium, Telarium auf der Website Museum of Computer Adventure Game History von Howard Feldman

Einzelnachweise

  1. Vgl. zu Rechtsfähigkeit, Struktur und Organen einer Corporation im Gesellschaftsrecht der USA z.B. Andreas Spahlinger, Gerhard Wegen: Internationales Gesellschaftsrecht in der Praxis. München 2005, ISBN 3-406-52621-7 (Kapitel Corporation, Rn. 1302 – 1318).
  2. Vgl. C. David Seuss: Welcome to Telarium, Herbst 1984 (Telarium-Newsletter auf der Website Manuel Schulz: The Interactive Fiction Collector´s Guide - Telarium).
  3. Vgl. die Angaben auf der Firmen-Website Northern Light – CEO C. David Seuss.
  4. Vgl. zur Marketingstrategie von Spinnaker Software Marguerite Zientara: Inside Spinnaker Software. In: InfoWorld, Jahrgang 6, Nummer 33, 13. August 1984. ISSN 0199-6649. S.43-48.
  5. a b Vgl. Jimmy Maher: Let's Tell a Story Together. A History of Interactive Fiction. Senior Honor's Thesis, University of Texas, Dallas 2006 (Kapitel 6 The Rest of commercial IF - Trillium/Telarium).
  6. Vgl. Marguerite Zientara: Inside Spinnaker Software. In: InfoWorld, Jahrgang 6, Nummer 33, 13. August 1984. ISSN 0199-6649. S.45 ("There's one sales call and one invoice").
  7. Vgl. Jimmy Maher: Let's Tell a Story Together. A History of Interactive Fiction. Senior Honor's Thesis, University of Texas, Dallas 2006 (Kapitel 6 The Rest of commercial IF - Trillium/Telarium).
  8. Vgl. Jimmy Maher: Let's Tell a Story Together. A History of Interactive Fiction. Senior Honor's Thesis, University of Texas, Dallas 2006 (Kapitel 7 The End of an Era).
  9. Vgl. Selby Bateman: Is A Picture Worth A Thousand Words? In: Compute! Issue 53, October 1984, S. 32.
  10. Vgl. C. David Seuss: Welcome to Telarium, Herbst 1984 (Telarium-Newsletter auf der Website Manuel Schulz: The Interactive Fiction Collector´s Guide - Telarium).
  11. Vgl. Shay Addams: if yr cmptr cn rd ths.. . In: Computer Entertainment, August 1985, S. 24-27, 76-77.
  12. Siehe Boris Schneider-Johne, Heinrich Lenhardt: Science Fiction-Adventures. In: Happy Computer 5/1985, S.147 und die Website Hans Persson/Stefan Meier: Adventureland (Companies – Telarium Corporation).
  13. Siehe z.B. Boris Schneider-Johne, Heinrich Lenhardt: Science Fiction-Adventures. In: Happy Computer 5/1985, S.145ff.; Gil Merciez: Fahrenheit 451. In: Antic Amiga Magazine, Vol. 5 Nr.1, 05/1985, S.81
  14. Vgl. Konrad Lischka: Wo das Benzin ist. Die Geschichte der Computerspiele von Literatur zum Sport und wieder zurück. In: Telepolis, 28. Januar 2001.
  15. Vgl. David Cuciz: Gamespy Interviews – Alan Dean Foster. The Writing Game, August 2000.
  16. Vgl. Werner Faulstich: Von Trollen, Zauberern, der Macht und anderen wundersamen Abenteuern. Kleine Einführung in interaktive Computer-Märchen. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik Band 92 (1993), S.96-125 (S 97 Fn.7)
  17. Vgl. Werner Faulstich: Von Trollen, Zauberern, der Macht und anderen wundersamen Abenteuern. Kleine Einführung in interaktive Computer-Märchen. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik Band 92 (1993), S. 96-125 (S.98)
  18. Vgl. Werner Faulstich: Von Trollen, Zauberern, der Macht und anderen wundersamen Abenteuern. Kleine Einführung in interaktive Computer-Märchen. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik Band 92 (1993), S. 96-125 (S. 114)
  19. Vgl. Werner Faulstich: Von Trollen, Zauberern, der Macht und anderen wundersamen Abenteuern. Kleine Einführung in interaktive Computer-Märchen. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik Band 92 (1993), S.96-125 (S.117)
  20. Vgl. Konrad Lischka: Spielplatz Computer: Kultur, Geschichte und Ästhetik des Computerspiels. Verlag Heinz Heise 2002, S.76; ders., Junge Technik mit alter Tradition. Betrachtungen zur Kulturgeschichte des Computerspiels. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2005 (Kapitel Entwicklung - Vom Wort zum Bild virtueller Realitäten)
  21. Vgl. Graham Nelson: Inform Designer´s Manual. Dan Sanderson, 4. Ed. 2001, Hardcover: ISBN 0-9713119-3-5, Paperback: ISBN 0-9713119-0-0 (§ 46: A brief history of interactive fiction Online-Ausgabe).
  22. Vgl. William V. Costanzo: The electronic Text: Learning to write, read and reason with computers. Educational Technology Publications 1989 (Kapitel A brief History of Interactive Fiction, S.67f.).
  23. Vgl. Nick Montfort: Twisty Little Passages. An Approach to Interactive Fiction. The MIT Press 2003, ISBN 0-262-13436-5, S.172.

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