Schilling & Graebner

Schilling & Graebner

Das Dresdner Unternehmen Schilling & Graebner war ein gemeinsames Architekturbüro der miteinander assoziierten Geschäftspartner Rudolf Schilling (1859–1933) und Julius Graebner (1858–1917). Unter der Führung dieser beiden Architekten existierte es zwischen 1889 und 1917, bestand aber anschließend noch bis 1947, zuletzt unter Graebners Sohn Erwin (1895–1945)[1], weiter. In dem Büro, das sich zunächst vorwiegend dem Historismus und später dem Jugendstil und der frühen Moderne verschrieb, entstanden Pläne für viele hauptsächlich sächsische Bauwerke, so mehrere erwähnenswerte Kirchen, Dresdner Villen, Verwaltungsbauten und ganze Siedlungen. Eines der bedeutendsten Werke der Architekten ist die Christuskirche in Dresden-Strehlen, die als erster moderner Kirchenbau Deutschlands in der Nachfolge des architektonischen Historismus gilt.

Die Dresdner Christuskirche

Inhaltsverzeichnis

Kennenlernen und Zusammenwirken

Das Architekturbüro Schilling & Graebner wurde im Jahre 1889 von Rudolf Schilling und Julius Graebner gemeinsam gegründet. Beide hatten sich im Alter von jeweils etwas mehr als 20 Jahren um 1881 während ihres Architekturstudiums am Dresdner Polytechnikum kennengelernt. Auch, als sie nach dem Abschluss ihrer Ausbildungen zunächst wieder getrennte Wege gingen, verloren sie sich nicht aus den Augen, zumal sie Mitte der 1880er Jahre beide in Berlin bei zwei verschiedenen Büros arbeiteten.[2]

Die Villa Muttersegen in Dresden-Blasewitz

Die beiden etwa gleichaltrigen Architekten ergänzten sich sehr gut.[3] Zusammen waren sie leistungsfähig und sehr flexibel. Dies äußerte sich in der Tatsache, dass sie nicht nur vielschichtige Bauaufgaben wahrnahmen, sondern dass diese auch große stilistische Unterschiede aufwiesen.[4] Schilling als Sohn des bekannten Bildhauers Johannes Schilling brachte dabei das notwendige Startkapital sowie Kontakte zu zahlreichen potentiellen Auftraggebern ein. Die Stärke Graebners war hingegen eher das künstlerische Gestalten. Gemeinsam stellten sie in ihrem Unternehmen mehrere ausgebildete Architekten an, so unter anderem vorübergehend auch Oswald Bieber, Heino Otto und Johannes Rascher. Ihre größten Konkurrenten waren William Lossow und Fritz Schumacher. In der damaligen Zeit standen Schilling und Graebner als führende Bauräte der fünftgrößten Stadt des Deutschen Reichs in der ersten Riege der deutschen Architekten und galten besonders als Experten für den zeitgenössischen protestantischen Kirchenbau. Angeregt wurden sie in ihrer Arbeit auch durch Vorschläge von Franz Wilhelm Dibelius und Cornelius Gurlitt.[2]

Stilistischer Werdegang

Der Dresdner Kaiserpalast im Jahre 1905
Die Villa Würzburger in Dresden

Zuerst vertraten Schilling & Graebner den Späthistorismus in Dresden. Ihr erster Bauauftrag, das 1891 fertiggestellte Rathaus der damals selbstständigen Gemeinde Pieschen, zeigt deutliche Züge der Deutschen Renaissance,[5] ebenso wie die ab 1891 errichtete Villa Muttersegen in Blasewitz [6] oder die Lutherkirche in Radebeul.[7] In den letzten Jahren vor der Jahrhundertwende entwarfen Schilling & Graebner dann auch neobarocke Gebäude,[3] wie für Hermann Ilgen im Jahre 1896 das 1945 zerstörte Geschäftshaus Kaiserpalast am Pirnaischen Platz.[8] Ebenfalls neobarock gestalteten sie im Jahre 1895 die Innenräume der nach einem Brand zerstörten Schellenberger Stadtkirche St. Petri [9] sowie um 1900 die der Dresdner Kreuzkirche.[10] Bei Letzterer zeigte sich aber auch ein großer Jugendstileinfluss. Schilling & Graebner vertraten lange Zeit die Ansichten der Heimatschutzarchitektur.

1899 kauften Schilling & Graebner im heutigen Radebeuler Stadtteil Niederlößnitz das große Weinguts-Anwesen Altfriedstein auf und entwickelten das Gelände unter Anlage von Straßen und Parzellierung der aufgelassenen Weinrebflächen zur Villenkolonie Altfriedstein. Dazu rissen sie den Westflügel des Herrenhauses sowie alle Nebengebäude des Weinguts ab und gestalteten den Westgiebel des stehengebliebenen Ostflügels um. Unter anderem bauten sie dort einen Fußgängerdurchgang durch die Gebäudeecke des Erdgeschosses. Ab 1902 bis zum Ersten Weltkrieg errichteten sie dort zahlreiche Villen und Landhäuser, etliche davon im Stil der Reformarchitektur.

Schilling & Graebner versuchten nach einer Zäsur um das Jahr 1902, den Historismus zu überwinden, und wendeten sich mehr der Moderne zu, was aber besonders im Kirchenbau durch den dort gültigen Eisenacher Regulativ schwierig war. Erste Anzeichen der Moderne sind die in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts für den Dresdner Spar- und Bauverein errichteten Wohnhäuser mit ihrer sparsamen Fassadenausstattung und hohen Funktionalität. Die Christuskirche in Strehlen,[11] erbaut 1903–1905, geht bereits weit über den Jugendstil hinaus und weist den Weg zum modernen Kirchenbau des 20. Jahrhunderts,[12] der ebenfalls sehr deutlich am Beispiel der 1945 zerstörten Zionskirche in der Dresdner Südvorstadt, errichtet zwischen 1912 und 1914, zum Ausdruck kommt.[13] Allerdings experimentierten Schilling & Graebner auch gern mit Stilgemischen.

Fortbestand nach 1917

Kriegersiedlung Trachau

Nachdem Julius Graebner im Jahre 1917 verstorben war, wurde das Architekturbüro gemeinsam von seinem Sohn Erwin Graebner, der im Oktober 1918 nach dem Ersten Weltkrieg von der Front zurückkehrte, und Rudolf Schilling weitergeführt. In dieser Zeit kamen weitere Pläne für größere Bauwerke wie die Kriegersiedlung in Trachau und die zur Großsiedlung Trachau gehörende Bebauung der Westseite der Aachener Straße zur Ausführung.[14] Rudolf Schilling starb im Jahre 1933 und Erwin Graebner führte das Büro, dessen Gründer nun beide nicht mehr am Leben waren, fortan allein. Er entwickelte in dieser Zeit unter anderem die Pläne für mehrere Gebäude der Leipziger Kammgarnspinnerei, die 2007 gesprengt wurden.[15] Im Jahre 1947 wurde das Architekturbüro Schilling & Graebner geschlossen.[2]

Ausgewählte Werke

Das Büro Schilling & Graebner hinterließ ein recht breitgefächertes Werk, was sich sowohl in den verschiedenen von ihnen entworfenen oder errichteten Gebäudetypen als auch in den unterschiedlichen historisierenden bis modernen Baustilen niederschlägt.

Villen

Villa Goetheallee 43 in Blasewitz
Villa Rautendelein
Signet der Villenkolonie Altfriedstein in Radebeul

Stadthäuser in Dresden

  • Kaiserpalast, 1896, Neobarock, am Pirnaischen Platz in Dresden, 1945 zerstört (Bauherr: Hermann Ilgen)
  • Leipziger Straße 32/34, Leipziger Vorstadt, Wohnhäuser für den Dresdner Spar- und Bauverein, 1901, sparsam dekoriert und funktionalistisch
  • Coschützer Straße 54/56, Plauen, Wohnhäuser für den Dresdner Spar- und Bauverein, 1902, sparsam dekoriert und funktionalistisch

Kirchen

Die Radebeuler Lutherkirche
Innenansicht der Dresdner Christuskirche

Großwohnsiedlungen in Dresden

Die Häuserzeile an der Aachener Straße in Trachau
Gedenkstein in der Kriegersiedlung Trachau
  • Kriegersiedlung Dresden-Trachau, 1921–1926,[28]
  • Großsiedlung Trachau, gemeinsam mit Hans Richter, Hans Waloschek und Weiteren, 1928–1939, insbesondere Häuserzeile Aachener Straße [29]
  • Rudolf-Schilling-Häuser an der Holbeinstraße und der Tittmannstraße, heute Wohnungsgenossenschaft Johannstadt [30]
  • Siedlung Reick, gemeinsam mit Rudolf Bitzan und Weiteren [28]

Andere Bauten und Entwürfe

Gesundheitspark in Bad Gottleuba (1909–1913)
  • Alte Friedhofskapelle Friedhof Radebeul-Ost, 1890
  • Rathaus Pieschen, 1890–1891
  • Rathaus Löbtau, 1896–1898, zerstört [31]
  • Deutsche Kunstausstellung 1897 in Dresden: Entwurf eines Restaurationsgebäudes in Form eines japanisierenden Rococo-Pavillons
  • Deutsche Kunstausstellung 1899: Entwurf für das Portal zur Abteilung Kunstgewerbe und Großer Saal, nicht erhalten
  • Weinsalon Stadt Gotha, Schloßstraße 11, 1900, Dresden-Altstadt, zerstört
  • Sächsische Handelsbank, Ringstraße 10/12, Dresden-Altstadt, 1900
  • Kaffeeladen Max Thürmer, im Victoriahaus, Waisenhausstraße, Dresden-Altstadt, 1901, zerstört [32]
  • AOK-Verwaltungsgebäude am Sternplatz, Wilsdruffer Vorstadt, 1912/13 [33]
  • St.-Pauli-Friedhof Dresden, Einsegnungs-, Leichenhalle, Gärtnerhaus, Toranlage, 1909
  • Ausstellungsstand für die Rother'sche Kunstziegeleien GmbH / Keramische Kunstwerkstätten Richard Mutz & Rother GmbH aus Liegnitz (Niederschlesien) auf der „II. Deutschen Ton-, Zement- und Kalkindustrie-Ausstellung“ in Berlin[34]
  • Kurzentrum Bad Gottleuba, 1909–1913, 34 Jugendstilgebäude [35]
  • einige Gebäude des Sanatoriums von Heinrich Lahmann, Weißer Hirsch, 1912 [28]
  • Färberei und Sortierungsgebäude der Kammgarnspinnerei Leipzig, 1934–1936
  • Wettinbrunnen in Waldheim (Sachsen)[36]

Literatur

  • Schilling und Graebner, Architekten BDA, Dresden. Eine Auswahl. Bauten von 1918–1928. Maximilian Maul, Berlin 1928.
  • Ricarda Kube: Schilling und Graebner (1889–1917). Das Werk einer Dresdner Architektenfirma. Dissertation, Technische Universität Dresden 1988, 2 Bände.
  • Volker Helas (Bearb.); Landesamt für Denkmalpflege Sachsen und Stadt Radebeul (Hrsg.): Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Denkmale in Sachsen: Stadt Radebeul. SAX-Verlag, Beucha 2007, ISBN 978-3-86729-004-3. 
  • verein für denkmalpflege und neues bauen radebeul (Hrsg.): Beiträge zur Stadtkultur der Stadt Radebeul. (1997 ff.)
    - insbesondere der Beitrag Die Villenkolonie am Altfriedstein von Tobias Michael Wolf, ebd., 2006.
  • Tobias Michael Wolf: Die Villenkolonie Altfriedstein in Niederlößnitz / Radebeul. Werk der Dresdner Architektenfirma Schilling & Graebner. Saarbrücken 2008.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Architektenliste: Götz – Gravert
  2. a b c malcomess.com (PDF)
  3. a b c R. Kube: Schilling und Graebner (1889–1917) – Das Werk einer Dresdner Architektenfirma, Dresden, 1988
  4. waloschek.de
  5. dresdner-stadtteile.de
  6. architekturmuseum.ub.tu-berlin.de
  7. lutherkirche-radebeul.de
  8. dresden.stadtwiki.de
  9. a b kirche-augustusburg.de
  10. engr.psu.edu
  11. hjhaupt.de
  12. Fritz Löffler: Das alte Dresden. Leipzig, 1981.
  13. dresden.de
  14. das-neue-dresden.de
  15. youtube.com
  16. deutschefotothek.de
  17. dresdner-stadtteile.de
  18. dresdner-stadtteile.de
  19. Ulrich Hübner, Ulrike Grötzsch et al. (Hrsg.): Symbol und Wahrhaftigkeit. Reformbaukunst in Dresden. Husum 2005, ISBN 3-86530-068-5, S. 21f. (dort datiert auf 1900, Adresse mit Hochuferstraße 14 angegeben)
  20. hohenfichte.de
  21. aussig.mysteria.cz
  22. husum-verlag.de
  23. kultourz.de
  24. kirche-chemnitz.de
  25. diathek.kunstgesch.uni-halle.de
  26. Ernst Kühn: Ländliche Bauten. Berlin und Leipzig: Göschen, 1915. Band 1: Kultus- und Gemeinde-Bauten, S. 20-31.
  27. Ernst Kühn: Ländliche Bauten. Berlin und Leipzig: Göschen, 1915. Band 1: Kultus- und Gemeinde-Bauten, S. 11-18.
  28. a b c M. Wörner, G. Lupfer, J. Paul, B. Sterra: Architekturführer Dresden, Dietrich-Reimer-Verlag, 1997
  29. Siedlung Dresden-Trachau. In: archINFORM. Abgerufen am 14. Dezember 2009
  30. dresden.de
  31. dresdner-stadtteile.de
  32. Volker Helas, Gudrun Peltz: Jugendstilarchitektur in Dresden. Knop, Dresden 1999, ISBN 3-934363-00-8.
  33. deutschefotothek.de
  34. Ulrich Bücholdt: II. Ton-, Zement- und Kalkindustrie-Ausstellung Berlin 1910. private Internetseite (Bautenübersicht der Ausstellung), abgerufen am 30. Januar 2010
  35. medizinhistorische-ausstellung-bad-gottleuba.de
  36. Wettinbrunnen auf waldheim-sachsen.de

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