St.-Georgs-Kapelle (Heidesheim)

St.-Georgs-Kapelle (Heidesheim)

Die St.-Georgs-Kapelle in Heidesheim am Rhein ist ein gotischer Kirchenbau.

Kapelle St. Georg

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Antike und Mittelalter

Die St.-Georgs-Kapelle – im Norden von Heidesheim zwischen Bahnlinie und Autobahn von Rüsselsheim nach Bingen in Obstfeldern gelegen – ist „in dem vollständig erhaltenen Raum einer römischen“ villa rustica „eingerichtet..., von dem heute noch ... zwei Wände bis unters Dach, zum Teil mit originaler Fugenbemalung außen und Wandputz innen, erhalten sind.”[1] Ihre rund 1500 Jahre umfassende Baugeschichte brachte es mit sich, dass man die Anfänge nur sehr allmählich aufdeckte: Lange suchte man sie – nicht zuletzt wegen des Patroziniums des Bischofs Sidonius – in fränkischer Zeit.[2] Neueren Untersuchungen zufolge darf man „in ihr eine spätantike Landkirche“ des Bischofs von Mainz vermuten, das sich nicht zuletzt ihretwegen „als ein besonders lebendiges Zentrum römisch-christlicher Tradition“ zu erkennen gibt.[3] „Die Kapelle kann ... als ältester überkommener Sakralbau Rheinhessens gelten.“[4]

Nach 650 ließen sich um die St.-Georgs-Kapelle fränkische Siedler nieder. Ihre Nachfahren erweiterten die Kapelle an der Wende vom 10. zum 11. Jahrhundert um eine Apsis; damals wurden die erhaltenen Triumphbogenkämpfer eingebaut. Weitere Umbauten erfolgten um 1200 – aus dieser Zeit dürfte die Weiheinschrift im Sturz über der zugemauerten Türe in der Südfassade stammen: + GEWEIHT AM 23. APRIL +,[5] dem Tag des heiligen Georg. Zu dieser Zeit war Sankt Georg Pfarrkirche der Gemeinde.

Sankt Georg und seine Pfarrer hatten Anspruch auf ein Viertel aller in Heidesheim anfallenden Zehnten. Aus dem Mittelalter sind zwei Urkunden bekannt, in denen die St.-Georgs-Kapelle erwähnt wird. Beide stammen aus der Überlieferung von Kloster Eberbach; in beiden geht es darum, ob der Sandhof dem Pfarrer ebendiesen Zehnten schuldete. Während Propst Otto von Mariengreden zwischen April und Juni der Jahre 1185 und 1196 als Pfarrer von Heidesheim seinen Anspruch behaupten konnte,[6] hält ein Schiedsspruch vom 23. Dezember 1278 unter Berufung auf Papst Alexander III. fest, dass Eberbach dem Erkenbold – Pfarrer der Kirche des heiligen Georg in Heisensheim – keinen Zehnten vom Sandhof schuldet.[7]

Mit der Umsiedlung der Gemeinde aus der Rheinebene an den Hang des Dinkbergs und der Errichtung der Kirche Sankt Philipp und Jakob büßte die St.-Georgs-Kapelle ihre Stellung als Pfarrkirche ein; aufgegeben wurde sie deswegen nicht. Vielmehr ersetzte man annähernd gleichzeitig die Apsis durch einen gerade geschlossenen Chor. Im 15. Jahrhundert folgten weitere aufwendige Umbauten.[8] Dass bereits im Mittelalter Wallfahrten einsetzten, legen spätere Nachrichten nahe.

Neuzeit

Nach dem Dreißigjährigen Krieg war die St-Georgs-Kapelle im Besitz des Reichsfreiherrn Philipp Erwein von Schönborn († 1668), der den Grundbesitz seiner Familie aus dem Taunus an den mittleren Rhein und Main verlagerte. Er erwarb sie wegen des an sie gebundenen Viertels des Zehnten von Kloster Altmünster, das dieses zuvor – die genaueren Umstände bleiben zu klären – dem Pfarrer von Heidesheim entzogen hatten und gegen Ende des oder kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg – wie fast immer – in Geldnöten war. Der Unterhalt des Pfarrers wurde zum Ausgleich später vom Kloster bestritten, was seine finanzielle Lage alles andere als aufbesserte.

In einer Beschreibung der Gemeinde, die ein Heidesheimer Pfarrer zwischen 1667 und 1677 verfasst hat und die sich in der Dioecesis Moguntina des Johann Sebastian Severus († 1797) befindet, heißt es über die St.-Georgs-Kapelle: „Auch steht auf dem Feld von Heidesheim eine Kapelle des heiligen Georg, zu Anfang als ein Bau mit armseligem Mauerwerk errichtet, später wegen der Menge der dorthin strömenden Pilger erweitert und offenbar geweiht. ... Nachdem das Fest des heiligen Georg hier im Dorf stets festlich begangen wird, zieht die Ortsgemeinde in feierlicher Bittprozession dorthin und wohnt der festlichen Messe und Predigt bei. In gleicher Weise kommen die Bewohner von Budenheim und Finthen an den Bittagen hierher.“[9]

„Als Ausstattung erfreut diese Kapelle sich des vierten Teils aller Zehnten. Und im Jahr 1665 wurde sie vom Freiherrn Philipp Erwein von Schönborn wiederaufgebaut, der als ihr Besitzer gehalten ist, dem Pfarrer von Heidesheim alljährlich zum Fest des heiligen Georg für Messe und Predigt zwei, den Chorsängern bei der Messe aber drei Gulden zu entrichten. Aus diesem Almosen ist auch die erste Vesper in der Kapelle zu bestreiten.“[10]

Die Heidesheimer bewahrten der St.-Georgs-Kapelle über die Jahrhunderte hinweg Treue: Beim Wiederaufbau im Jahr 1665 transportierten sie „aus tragender affection des gottesdienstes“ das Bauholz vom Rhein zur Kapelle und schlugen es dort auf. Und als die Kapelle 1776 erneut abbrannte, drängte Pfarrer Michael Priester das Erzbischöfliche General-Vikariat, darauf hinzuwirken, dass der Graf von Schönborn sie ein weiteres Mal aufbaute.[11] Von der barocken Ausstattung der Kirche zeugt eine Statue des heiligen Georg, die heute im katholischen Pfarrhaus von Heidesheim aufbewahrt wird.

Als Frankreich 1797 das linke Rheinufer annektierte, fiel die St.-Georgs-Kapelle an den Staat. Die Zehnten wurden aufgehoben, die Wallfahrten eingestellt. Als das Gebäude 1806 auf Abbruch zur Versteigerung ausgeschrieben wurde, setzten die Heidesheimer sich zur Wehr: Der Präsident des Kirchenvorstands, der Bürgermeister und der Pfarrer baten den Präfekten des Départements Donnersberg Jeanbon St. André darum, die St.-Georgs-Kapelle der Kirche zu überlassen. Dem Gesuch wurde stattgegeben.[12]

Danach wurde es still um die St.-Georgs-Kapelle. Im Handbuch von Georg Dehio sucht man sie vergebens.[13] Und 1934 schrieb Ernst Krebs: „So steht nun das Heiligtum des St. Georg immer noch so einsam und verlassen da unten wie vor hunderten von Jahren und betritt man das bescheidene Innere der Kirche, so fühlt man sich in diesem Raume in eine längst untergegangene Zeit versetzt und nur ein jäh vorbeibrausender Eisenbahnzug zerstört die Täuschung und erinnert an die Kluft, welche den Beginn der alten Kultstätte von der Gegenwart scheidet.”[12]

Auch in der von Ernst Gall besorgten Neubearbeitung von Dehios Handbuch fehlt die St.-Georgs-Kapelle.[14] Erst in der dritten Ausgabe aus dem Jahr 1972 findet man eine Würdigung: „Einsam im Feld nördlich Heidesheim, nahe der ehemaligen Römerstraße Mainz-Bingen: Saalbau mit gerade geschlossenem Chor und profilierten Triumphbogenpfeilern, wahrscheinlich 10. Jahrhundert (vgl. die Kämpfer der Saalkirche in Nieder-Ingelheim). In der Südwand vermauertes Portal mit Weiheinschrift auf dem Sturz. Westportal und Fenster im 15. Jahrhundert verändert. Reste einer barocken Ausstattung.”[15]

Dass die öffentliche Wertschätzung für das älteste und bedeutendste Gebäude in Heidesheim seither beständig wächst, ist vor allem dem Förderverein St. Georgskapelle Heidesheim e.V. zu danken. Er setzt sich seit 1984 für die Wiederherstellung des Baus ein, wodurch sich die Kapelle heute innen und außen in einem ihrer Bedeutung angemessenen Zustand befindet. Sie wird wieder für Gottesdienste genutzt. Für die kommenden Jahre hat der Verein sich vorgenommen, Ausgrabungen in ihrem Umfeld und damit die wissenschaftliche Erschließung der römischen villa rustica und der an sie anknüpfenden fränkischen Siedlung voranzubringen.

Weblinks

 Commons: St. Georg (Heidesheim) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Franz Staab, Heidentum und Christentum in der Germania prima zwischen Antike und Mittelalter, in: Drs., Hrsg., Zur Kontinuität zwischen Antike und Mittelalter am Oberrhein, Sigmaringen 1994 (= Oberrheinische Studien, Bd. 11), S. 117-152 bes. S.143.
  2. Fritz Arens, Heidesheimer Kunstdenkmäler, in: Mitteilungsblatt zur rheinhessischen Landeskunde 4 (1955) S. 128; Rita Otto, Zur Datierung der Kirche des heiligen Georg in Heidesheim, in: Heimat-Jahrbuch Landkreis Bingen 13 (1969) S. 36-39.
  3. Staab (wie Anm. 4) S. 143. Die dort in Anm. 92 angekündigte Publikation von Gerd Rupprecht ist - soweit ich sehe - nicht erschienen.
  4. Dieter Krienke, Bearb., Kreis Mainz-Bingen. Städte Bingen und Ingelheim, Gemeinde Budenheim, Verbandsgemeinden Gau-Algesheim, Heidesheim, Rhein-Nahe und Sprendlingen-Gensingen, Worms 2007 (= Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz, Bd. 18.1) S. 323 f. bes. S. 323.
  5. + VIIII KAL<endas> MAII DEDIC<atur> +. Die Datierung um 1200 bei Krienke (wie Anm. 4) S. 324.
  6. Peter Acht, Bearb., Mainzer Urkundenbuch, Bd. 2 Teil 2: 1176-1200. Darmstadt 1971, S. 782 ff. Nr. 477
  7. Ludwig Baur, Hrsg., Hessische Urkunden, Bd. 3: Rheinhessen 1326-1399. Nachträge zu allen 3 Provinzen 1133-1335, Darmstadt 1863 (Nachdruck Aalen 1979), S. 618 f. Nr. 1554.
  8. Krenke (wie Anm. 4) S. 324.
  9. Die drei Tage vor Himmelfahrt, auch auf die ganze Woche angewendet.
  10. Johann Sebastian Severus, Dioecesis Moguntina, im Stadtarchiv Mainz, Signatur H.B.A. I 50, vol. III: Capitula ruralia Algesheim bis Lohr, fol. 1r: Est et in agro Heydesheimensi capella sancti Georgii, in prima fundatione parvo muro constructa, exinde ob peregrinantium huc venientium copia ampliata et ut videtur consecrata, ... Festo sancti Georgii hic oppidi festive semper habito, communitas loci solenni eo processione supplicatum vadit, sacroque et concioni solenniter habitis interest. In feriis Rogationum Budenheimenses et Findenses pariter huc veniunt. - Pro dote capella haec gaudet 4ta decimarum in omnibus. Annoque 1665 a Libero Domino Erwino de Schoenborn denuo fuit aedificata, qui ceu loci possessor parocho Heydesheimensi annue pro sacro et concione in festo sancti Georgii duos, choralibus vero ad sacrum cantantibus tres florenos porrigere tenetur; qua de eleemosyna et 1mae vesperae in sacello peragendae sunt.
  11. Ernst Krebs, Beiträge zur Geschichte der Heidesheimer Kirchen und Kapellen und ihrer Pfarrer a) St. Georgskirche, in: Nachrichtenblatt der Gemeinden Heidesheim und Wackernheim 9. Jg. Nr. 26 vom 29. März 1934.
  12. a b Krebs (wie Anm. 11)
  13. Georg Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Bd. 4: Südwestdeutschland. Im Anhang Elsaß-Lothringen und die Deutsche Schweiz, 2. Aufl. Berlin 1926, S. 133.
  14. Georg Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, neu bearb. v. Ernst Gall, Pfalz und Rheinhessen, bearb. unter Mitwirkung von Fritz Arens u.a., 2. Auflage München und Berlin 1961, S. 57 f.
  15. Georg Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Rheinland-Pfalz/Saarland, bearb. von Hans Caspary, Wolfgang Götz und Ekkart Klinge, München und Berlin 1972, S. 295.
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