Rezeption (Recht)

Rezeption (Recht)

Unter Rezeption wird in der Rechtswissenschaft die ganze oder teilweise Auf-, An- oder Übernahme von Rechtsvorschriften und/oder Rechtsvorstellungen (zum Beispiel von Werten) aus einer anderen Rechtsgemeinschaft verstanden.

Inhaltsverzeichnis

Historische Rezeption

Die bekannteste und wohl wichtigste Rezeption von Rechtsvorschriften bildete für den europäischen Bereich die Rezeption des römischen Rechts, insbesondere des Corpus iuris civilis bzw. die Anpassung der Stammesrechte (zum Beispiel: Germanische Stammesrechte) und Landrechte an das Römische Recht im Mittelalter.

Die Rezeption des Römischen Rechtes ist in allen europäischen Rechtsordnungen mehr oder weniger direkt oder indirekt nachweisbar.

Rezeptionsvorgang

einseitige - zweiseitige - mehrseitige Rezeption

Die Rezeption kann ein einseitiger Prozess (Übernahme von Rechtsvorschriften oder Rechtsvorstellungen durch eine andere Rechtsgemeinschaft ohne Rückwirkung)[1] oder ein zweiseitiger Prozess sein (Übernahme einer Rechtsvorschrift oder von Rechtsvorstellungen durch eine Rechtsgemeinschaft und Rückwirkung der übernommenen Rechtsvorschrift oder Rechtsvorstellung auf das Ursprungsland/Ursprungsgemeinschaft)[2]

Im Rahmen einer größeren Gemeinschaft (zum Beispiel der Europäische Union) oder im Umfeld einer Hegemonialmacht findet eine Rezeption auch mehrseitig statt. Die Rezeption im Rahmen einer supranationalen Gemeinschaft wie der EU erfolgt wechselseitig und weitgehend gleichberechtigt (Rechtsharmonisierung - horizontale Rezeption). Die Rezeption im Umfeld einer Hegemonialmacht hingegen findet meist in eine Richtung statt (vertikale Rezeption), indem mehrere in Abhängigkeit befindliche Rechtsgemeinschaften die Rechtsnormen oder Wertvorstellungen der Hegemonialmacht übernehmen und nur ausnahmsweise eine Rückwirkung auf die Hegemonialmacht stattfindet.

freiwillige - unfreiwillige Rezeption

Die Rezeption von Rechtsvorschriften oder Rechtsvorstellungen findet freiwillig statt, wenn

  • die übernehmende Rechtsgemeinschaft (Rezipient) die Rechtsvorschrift oder Rechtsvorstellung aus eigenem Antrieb übernimmt und
  • wieder rückgängig machen kann.

Die Rezeption von Rechtsvorschriften oder Rechtsvorstellungen findet unfreiwillig statt, wenn

  • die übernehmende Rechtsgemeinschaft die Rechtsvorschrift oder Rechtsvorstellung nicht aus eigenem Antrieb übernimmt oder
  • nicht wieder selbständig rückgängig machen kann.

bewusste - unbewusste (schleichende) Rezeption

Die Rezeption von Rechtsvorschriften oder Rechtsvorstellungen findet bewusst statt, wenn der Rezipient die Übernahme anstrebt und dauerhaft durchführt.

Eine unbewusste Rezeption von Rechtsvorschriften oder Rechtsvorstellungen findet statt, wenn es zu einer schleichenden Änderung vor allem der Rechtsvorstellungen und in weiterer Folge der Rechtsvorschriften kommt.

dauerhafte - temporäre Rezeption

Eine Rezeption kann als dauerhafte Übernahme von Rechtsvorschriften oder Rechtsvorstellungen angesehen werden, wenn

  • die Übernahme über einen längeren Zeitraum im Rechtsbestand des Rezipienten verbleibt und
  • wesentliche Einwirkungen auf andere Rechtsnormen und Rechtsvorstellungen des Rezipienten nachweisbar sind.

Nur eine temporäre Rezeption liegt jedenfalls vor, wenn die Übernahme von Rechtsvorschriften oder Rechtsvorstellungen keine wesentlichen Auswirkungen auf den Rechtsbestand des Rezipienten hat.

Der nach Außen sichtbare Wille, eine Rechtsvorschriften oder Rechtsvorstellungen dauerhaft oder nicht zu übernehmen, hat auf die Einteilung als dauerhafte oder temporäre Rezeption keinen Einfluss.

direkte - indirekte Rezeption

Die Rezeption von Rechtsvorschriften oder Rechtsvorstellungen kann auf verschiedene Arten erfolgen:

  • direkt
    • direkte Übernahme einer Rechtsvorschrift oder Rechtsvorstellungen ohne Veränderung (Rezeption en bloc)
    • direkte Übernahme einer Rechtsvorschrift oder Rechtsvorstellungen ohne wesentliche inhaltliche Veränderung,
    • direkte Übernahme einer Rechtsvorschrift oder Rechtsvorstellungen mit wesentlicher inhaltlicher Veränderung
  • indirekt
    • offene Übernahme von Rechtsvorschrift oder Begriffen, Inhalten, Gedanken oder Wertvorstellungen aus einer anderen Rechtsgemeinschaft. Diese werden in einem eigenen Kontexte adaptiert und zu einem eigenständigen Neuen transformiert, wobei die Rezeptionsvorlage sichtbar bleibt.
    • verstecke Übernahme von Rechtsvorschrift oder Begriffen, Inhalten, Gedanken oder Wertvorstellungen. Diese werden in einem eigenen Kontexte adaptiert und zu einem eigenständigen Neuen transformiert, wobei die Rezeptionsvorlage auf den ersten Blick nicht sichtbar bleibt.

Bei der direkten Rezeption handelt es sich immer auch um eine offene Rezeption bei welcher die Quelle leicht erkennbar bleibt[3]. Der Übergang zwischen der direkten Rezeption mit wesentlicher inhaltlicher Veränderung und der offenen indirekten Rezeption ist fließend und muss anhand des Einzelfalles festgestellt werden.

Die Rezeption im Recht ist ein evolutionärer Vorgang, bei dem sich unter optimalen Umständen die besten Gedanken und Wertvorstellungen durchsetzen und nachvollzogen werden.

Aktuelle Rezeption (Beispiel)

Supranationale Ebene

Im Rahmen der Europäischen Union wird im Rahmen der Harmonisierung über das Europarecht mehr oder weniger in das nationale Recht direkt oder indirekt Einfluss genommen (direkt zum Beispiel über umzusetzende europäische Rechtsakte, indirekt zum Beispiel durch die sich gemeinsam herausbildenden Vorstellungen eines gemeinsamen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, durch den zum Beispiel die eigenen Staatsbürger gegenüber den Unionsbürgern nicht benachteiligt werden sollen (Vergleich zum Beispiel die Inländerdiskriminierung).

Völkerrechtliche Ebene

Auf völkerrechtlicher Ebene hat sich vor allem im Bereich des Kriegsvölkerrechtes, des Strafrechtes und der Grundrechte (Menschenrechte, Bürgerrecht, Freiheitsrechte) eine gegenseitige Beeinflussung und auch Rezeption, vor allem von Wertvorstellungen, ergeben.

Rezeption im Rahmen privater Akteure

Im Rahmen der zunehmenden weltweiten Verflechtung in allen Bereichen (zum Beispiel der Wirtschaft, Politik, Kultur, Umwelt, Kommunikation etc.) findet auch eine Rezeption rechtlicher Rahmenbedingungen im Bereich privater Akteure (vor allem Wirtschaftstreibender / Konzerne) statt. Dies wird teilweise durch nationales, supranationales Recht und Völkerrecht unterstützt.

Urheberrecht und Rezeption

Rechtsvorschriften unterliegen grundsätzlich nicht dem Urheberrecht.[4]

Die Übernahme einer Rechtsnorm in eine andere Rechtsgemeinschaft wird in der Regel in der Rechtswissenschaft auch als Auszeichnung für den/die Schöpfer der Ursprungsrechtsnorm angesehen. Rechtsgemeinschaften werden an der Übernahme von Rechtsvorschriften und Rechtsvorstellungen daher nicht gehindert.

Völkerrechtlich besteht kein Verbot oder eine Bewilligungspflicht für die Rezeption von Rechtsvorschriften aus einer anderen Rechtsgemeinschaft.

Siehe auch

Literatur

  • Helen Keller: Rezeption des Völkerrechts. Eine rechtsvergleichende Studie zur Praxis des U.S. Supreme Court, des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften und des schweizerischen Bundesgerichts in ausgewählten Bereichen. 1. Auflage. Springer, Berlin (u.a.) 2003, ISBN 3-540-00396-7.

Anmerkungen

  1. Beispiel: Übernahme des schweizerischen Zivilgesetzbuches in der Türkei
  2. Beispiel: Übernahme des Privatstiftungsrechtes durch Österreich aus Liechtenstein 1990 und Rückwirkung dieses Privatstiftungsrechtes auf die Reform des Stiftungsrechtes in Liechtenstein rund fünfzehn Jahre später).
  3. Zum Beispiel, weil aus der übernommenen Rechtsnorm ganze Sätze und spezifische Wortgruppen in das nationale Recht (Rechtsnorm) transformiert werden.
  4. Vergleich zum Beispiel § 5 Abs. 1 deutsches Urheberrechtsgesetz (UrhG): Gesetze, Verordnungen, amtliche Erlasse und Bekanntmachungen sowie Entscheidungen und amtlich verfaßte Leitsätze zu Entscheidungen genießen keinen urheberrechtlichen Schutz.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Rezeption — (lat. recipere „aufnehmen“) steht für: im Alltagsleben Rezeption (Betreuung), den Empfang (Personal, Funktion, Einrichtung) im Vorraum eines Gebäudes oder Raumes Aufnahme in eine Studentenverbindung, siehe Burschung in der Biologie Wahrnehmung,… …   Deutsch Wikipedia

  • Rezeption — (lat.), Annahme, Aufnahme; z. B. die Annahme des römischen Rechts als geltenden Rechts in Deutschland (s. Deutsches Recht, Gemeines Recht, Römisches Recht); dann die Aufnahme in eine Gesellschaft oder Verbindung; das dabei gezahlte Geld heißt… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Rezeption des römischen Rechts — Mit der Rezeption des römischen Rechts ist der Vorgang gemeint, der schließlich zur Anerkennung des Corpus Iuris Civilis als im Heiligen Römischen Reich geltenden Reichsrecht geführt hat. Die Rezeption minderte den bestehenden Charakter des… …   Deutsch Wikipedia

  • Rezeption — Eingang; Aufnahme; Empfang; Kognition; Wahrnehmung * * * Re|zep|ti|on [rets̮ɛp ts̮i̯o:n], die; , en: 1. Empfangsraum im Foyer eines Hotels: an der Rezeption nach dem Schlüssel fragen; bitte bei der Rezeption melden! Syn.: ↑ Anmeldung. 2 …   Universal-Lexikon

  • Recht Schottlands — Das Recht Schottlands (engl. Scots Law) ist die Gesamtheit gerichtlich durchsetzbarer gesellschaftlicher Normen in Schottland. Inhaltsverzeichnis 1 Rechtsgeschichte 1.1 Lehnsrecht (1018 bis 13. Jahrhundert) 1.2 14. bis 16. Jahrhundert …   Deutsch Wikipedia

  • Recht Chinas — Das Recht Chinas bezeichnet die Gesamtheit gerichtlich durchsetzbarer gesellschaftlicher Normen in China. Inhaltsverzeichnis 1 Rechtsgeschichte 1.1 Traditionelle chinesische Rechtskultur 1.2 Kulturrevolution …   Deutsch Wikipedia

  • Recht Italiens — Das Recht Italiens bezeichnet die Gesamtheit gerichtlich durchsetzbarer gesellschaftlicher Normen in Italien. Inhaltsverzeichnis 1 Rechtsgeschichte 2 Privatrecht 2.1 Gesellschaftsrecht 3 …   Deutsch Wikipedia

  • Recht Dänemarks — Das Recht Dänemarks bezeichnet die Gesamtheit gerichtlich durchsetzbarer gesellschaftlicher Normen in Dänemark. Inhaltsverzeichnis 1 Rechtsgeschichte 2 Rechtsquellen 3 Gerichtsorganisation 4 …   Deutsch Wikipedia

  • Recht Japans — Das Recht Japans bezeichnet die Gesamtheit gerichtlich durchsetzbarer gesellschaftlicher Normen in Japan. Inhaltsverzeichnis 1 Rechtsgeschichte 1.1 Vormodernes Recht 1.2 Meiji Zeit (1868–1912) …   Deutsch Wikipedia

  • Recht auf Faulheit — Das Recht auf Faulheit (Im Original: »Le droit à la paresse«) ist eine literarisches Werk von Paul Lafargue aus dem Jahre 1880 zur Widerlegung des »Rechts auf Arbeit« von 1848. Es handelt sich um die bekannteste Schrift Lafargues. Sie erschien… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”