Prunkgräber von Lübsow

Prunkgräber von Lübsow

Die frühkaiserzeitlichen (1–375 n. Chr.) Prunkgräber von Lübsow (auch Lübsow-Gräber) in Pommern (heute Lubieszewo, Woiwodschaft Westpommern, Polen) sind eine Quelle zur Untersuchung gesellschaftlicher Strukturen während der älteren Römischen Kaiserzeit im germanischen Raum.

Bei der Sammlung von Feldsteinen zum Straßenbau wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Laien insgesamt sechs Gräber auf den benachbarten Fundplätzen „Sandberg“ und „Tunnehult“ entdeckt und geöffnet. Die abnormen Inventare fügen die Bestattungen des 1. und 2. nachchristlichen Jahrhunderts in eine Gruppe von Gräbern ein, die nach heutigem Kenntnisstand Ruhestätten von Angehörigen überregionaler Eliten waren. Der Fundort wurde namengebend für die Prunkgräber der älteren Römischen Kaiserzeit in Nord- und Mitteleuropa. Die Auswertung der Fürstengräber war Grundlage für eine zusammenfassende Beschreibung durch Hans Jürgen Eggers im Jahr 1953.

Inhaltsverzeichnis

Geschichtlicher Kontext

Die in Teilen des germanischen Siedlungsgebietes praktizierte Körpergrabsitte mit exklusiv ausgestatteten Grablegen steht in Gegensatz zur wesentlich geläufigeren Brandbestattung, die allerdings ebenfalls so genannte „Prunkgräber“ aufweist. Inwieweit die in verschiedenen Regionen nachweisbaren frühkaiserzeitlichen Körpergräber an keltische Tradition anknüpfen bzw. auf römische Einflüsse zurückzuführen sind, wird kontrovers beurteilt. Zur Zeit bietet die Annahme, dass die Anregung zur Einführung der Körpergrabsitte sowohl in Mitteldeutschland als auch in Nordwestdeutschland aus den römischen Provinzen kam, eine gut ins Gesamtbild der kulturellen Veränderungen passende Erklärung. Während der jüngeren Römischen Kaiserzeit lassen sich Körperbestattungen in größerer Zahl in Vorpommern sowie in Mitteldeutschland, Nordwestböhmen und Südwestdeutschland nachweisen. Neben der Sippenstruktur der germanischen Stämme bestand in dieser Epoche eine politische Kraft im Gefolgschaftswesen. Waffenfähige Männer jeglicher Herkunft scharten sich um einen Gefolgschaftsführer und stellten sich außerhalb der gewachsenen gesellschaftlichen Strukturen. Beispielsweise kämpfte der Cherusker Inguiomerus als Gefolgschaftsführer auf der Seite der Markomannen gegen den eigenen Stamm. In erster Linie waren die Gefolgschaften auf Beute aus, erhielten aber auch Abgaben oder Tribute vom eigenen oder von fremden Stämmen. Für den Archäologen staffeln sich Gräber nach Reichtum der Ausstattung und nach Art des Grabbrauchs. Sie geben ein gesellschaftliches Abbild, das sich in Arme und Reiche, Waffenträger und Waffenlose, Männer und Frauen sowie in Alt und Jung gliedern lässt.

Beschreibung

Einige Grabfunde die in Apensen, Darzau, Marwedel, Hankenbostel und Putensen in Niedersachsen an der unteren Eibe zutage kamen, waren besonders reich ausgestattet, so dass sie einer Oberschicht zugeschrieben werden. Weil es sich um Körpergräber mit aufwendigem Grabbau handelt, können die Funde aus Marwedel den „Lübsow-Grabern“ zugerechnet werden. Gräber dieser Art, die sich auch östlich der Elbe und Oder und im skandinavischen Ostseegebiet finden, zeichnen sich nicht nur durch die Sitte der Körperbestattung, Römisches Importgut, Beigabenreichtum und Waffenlosigkeit aus, sondern auch durch die aufwendig gestalteten Beisetzungen auf isolierten kleinen Friedhöfen.

Als unstreitige Lübsow-Gräber (17) gelten neben den eponymen Anlagen die Gräber von Apensen, Dollerupgaard, Hagenow, Juellinge 1 + 4, Leg Pekarsji, Marwedel 1 + 2, Repow, Schladitzsch, Schönwitz, Skröbeshave, Store-Dal und Wichulla.

Beispiele

Die beiden Toten in Hitzacker-Marwedel erhielten als Grabausstattung u. a. römische Bronzeeimer und Trinkgeschirr für Wein, bestehend aus Kasserolle, Kelle und Sieb, außerdem Becher aus Glas und Silber sowie Trinkhörner. An Trachtzubehör oder Schmuck fanden sich Fibeln aus Bronze und Silber, ein goldener Fingerring, silberne Beschläge für Lederschuhe und Gürtel, sowie bronzene Sporen, aber keine Waffen. Ein ähnlich reich ausgestattetes Grab in Apensen, Landkreis Stade, kann nur mit Vorbehalt den „Lübsow-Gräbern“ zugeordnet werden, weil es sich nicht um eine Körperbestattung handelt. Der Leichenbrand lag in einem römischen Bronzeeimer, in dem sich Reste von römischem Trinkgeschirr, silbernen Bechern und Trinkhornbeschlägen fanden. Außerdem hatte man dem Toten einen Sporn mitgegeben. Die reichen Gräber von Darzau, Hankenbostel und Putensen unterscheiden sich nicht nur aufgrund der Bestattungsart, sondern auch aufgrund der Ausrüstung mit Waffen von denen in Marwedel und Apensen.

Literatur

  • Hans Jürgen Eggers: Lübzow. Ein germanischer Fürstensitz der älteren Kaiserzeit. In: Prähistorische Zeitschrift 34/35 II 1953 S. 58-111
  • Rolf Hachmann: Zur Gesellschaftsordnung der Germanen in der Zeit um Christi Geburt In: Archeologica Geographica 1957 S. 7-24
  • Michael Gebühr: Zur Definition älterkaiserzeitlicher Fürstengräber vom Lübzow-Typ. In: Prähistorische Zeitschrift 49 1974 S. 82-128 Beilage 1-4

Weblinks


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