Prostitution in der Deutschen Demokratischen Republik

Prostitution in der Deutschen Demokratischen Republik

Prostitution in der Deutschen Demokratischen Republik beschreibt die Vornahme sexueller Handlungen gegen Entgelt oder Geschenke in der DDR. Obwohl die Prostitution seit 1968 gesetzlich verboten war, wurde sie teilweise geduldet und von der Staatssicherheit abgeschöpft.

Ein Zitat von Uta Falck fasst die Umstände der Prostitution wie folgt zusammen: „Von der Prostitution haben in der DDR alle Beteiligten profitiert: die reichen Frauen, die zufriedenen Freier, der informierte Staat. So viel Zufriedenheit wird es in diesem Gewerbe wohl kaum jemals mehr geben.“[1]

Inhaltsverzeichnis

Prostitution im Wandel der Zeit

1945 bis 1955

Nach dem Zweiten Weltkrieg diente die Prostitution primär der Existenzsicherung. Das Hauptaugenmerk des Staates lag in dieser Zeit in der Eindämmung von Infektionskrankheiten. Die Inzidenz von Geschlechtskrankheiten lag bei 100 pro 10.000 Einwohner. Erkrankte Prostituierte wurden in Fürsorgeheime und geschlossene Krankenhausabteilungen zur Behandlung und zum Lebenswandel eingewiesen. Zwangsreihenuntersuchungen von (vor allem weiblichen) Gästen von Vergnügungslokalen sowie Gesundheitsstreifen von Mitarbeitern der Landesgesundheitsämter sowie der Polizei wurden zur Eindämmung der Übertragung von Geschlechtskrankheiten durchgeführt.[2]

1955 bis 1968

Ab Mitte der 1950er Jahre wurde die Prostitution als unvereinbar mit dem sozialistischen Frauenbild angesehen. Es wurde versucht, Prostituierte durch Agitation bzw. durch Einweisung in „Heime für soziale Betreuung" zur Aufnahme einer regulären Tätigkeit zu überzeugen. Prostitution wurde entsprechend nebenberuflich ausgeübt. 1968 wurde die Prostitution strafbar und verschwand damit aus dem öffentlichen Raum.

1968 bis 1990

Die Prostitution war verboten, wurde aber, insbesondere in Devisenhotels, vor allem in Leipzig (Leipziger Messe) und Rostock (Rostocker Hafen) geduldet. Seit 1970 wurde ein Teil der Prostitutierten vom Ministerium für Staatssicherheit zur Informationsbeschaffung eingesetzt.

Nach 1990

Im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung wurde auch die Prostitution legalisiert. Prostituierte aus den neuen Bundesländern wanderten in die alten Bundesländer und Prostituierte aus den alten Bundesländern und dem Ausland ließen sich in den neuen Bundesländern nieder.

Gesetzeslage

1945 bis 1968

Bis 1968 war gemäß § 361 Ziff. 6 des Strafgesetzbuches die Prostitution nur in der Nähe von Kirchen, Schulen sowie Kinder- und Jugendeinrichtungen verboten. Außerdem war die vorsätzliche Verbreitung von Geschlechtskrankheiten mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren sanktioniert. Verboten war allerdings der Betrieb von Bordellen (§§ 180 und 181 des Strafgesetzbuches).

1968 bis 1990

Mit dem 12. Januar 1968 wurde die Prostitution in der DDR verboten (§ 249 (1) StGB (DDR) „Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten“) und konnte mit Gefängnis bis zu zwei (bei bereits Vorbestraften: fünf) Jahren bestraft werden. Außerdem wurde die Förderung und Ausnutzung der Prostitution strafrechtlich bewehrt.

HWG-Kategorisierung

Prostituierte und Frauen, die eine Vielzahl von Partnern aufwiesen, wurden im Amtsdeutsch als Personen mit „häufig wechselndem Geschlechtsverkehr“ (HWG) bezeichnet und besonders überwacht.

Prostitution und Staatssicherheit

Durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wurden ab ca. 1970 sowohl männliche als auch weibliche Prostituierte zur Informationsgewinnung eingesetzt.

Ziel war es,

  • Details über das Leben des Freiers zu erfahren
  • Informationen über die sexuelle Deviationen der Freier zu erhalten, um sie später damit zu erpressen
  • Beziehungen aufzubauen

Der Umstand, dass die Prostitution verboten war, wurde von der Staatssicherheit ausgenutzt, um Frauen mit erotischen Beziehungen zu Gästen aus dem Westen zu einer Zusammenarbeit zu bewegen. Es wurden zudem gezielt Studentinnen angeworben, um Kontakt mit Personen aus dem nichtsozialistischen Ausland aufzunehmen. Der Anforderungskatalog der Staatssicherheit war dabei: „Zwischen 20 und 30, unverheiratet, keine Kinder, Fremdsprachenkenntnisse, gut aussehend, gebildet, analytische Fähigkeiten, vaterländische Gesinnung“.[3]

Prostitution und internationale Gäste

Palasthotel Berlin
Hallenschwimmbad des Hotels Merkur, Leipzig

Ein offizielles Rotlichtmilieu im Sinne ausgewiesener Viertel gab es nicht. Geduldet wurde Prostitution insbesondere während der Leipziger Messe, in Devisenhotels (Interhotel) und den internationalen Seehäfen (insbesondere Rostock). Die folgenden Hotels und Bars waren bekannt dafür, Prostituierte zu beherbergen:[4][5]

  • Palasthotel (Berlin)
  • Hotel Metropol (Berlin)
  • Hotel Stadt Berlin (Berlin)
  • Yucca-Bar (Berlin)
  • Alibi-Bar (Berlin)
  • Hotel Merkur (Leipzig)
  • Hotel Astoria (Leipzig)
  • Hotel International (Leipzig)
  • Storchenbar (Rostock)

Die Hotelzimmer waren teilweise durch die Staatssicherheit mit Ton- und Videoüberwachungsanlagen ausgerüstet.

In Ost-Berlin erleichterten die tagesweisen Einreisemöglichkeiten Kontaktmöglichkeiten. Umgekehrt bestand für Freier aus dem Westen bis zur Maueröffnung nicht die Gefahr, von der „Beziehung“ im Osten zu Hause behelligt zu werden.

Motivation und Demographie

Leipziger Messe

Frauen in der DDR wurden ab den 1960er Jahren nicht aus materieller Not in die Prostitution getrieben. Motivation war vielmehr die Aussicht auf Westgeld (Deutsche Mark), Lust an der Sexualität oder am Abenteuer. Die Entlohnung erfolgte nicht unbedingt in Geld, sondern auch mit Geschenken („Geschenke-Sex“). Soweit die Vergütung in Deutscher Mark erfolgte, lag das erzielbare Einkommen weit über dem eines Angestellten und erlaubte den Kauf von Luxusgütern aus Intershop-, Delikat- und Exquisit-Läden.

Während in der Nachkriegszeit der Anteil der Prostituierten aus der Unterschicht hoch war und auch viele Heimatvertriebene sich als Prostituierte verdingen mussten, so entstammten die Prostituierten ab den 1970er Jahren allen Gesellschaftsschichten (mit einem Schwerpunkt der Unter- und Mittelklasse). Der Anteil der Prostituierten mit einer Berufsausbildung bzw. mit Fach- und Hochschulabschluss war zumindest überdurchschnittlich hoch.[6]

Die Gesamtzahl der Prostituierten bzw. Freier war im Vergleich zur Bundesrepublik deutlich geringer. Eine Schätzung spricht von 3000 Prostituierten.[7] Hinzu kamen allerdings Frauen, die mit Geschenken vergütet wurden und sich selbst nicht als Prostitutierte sahen.

Zugang zur Prostitution

Prostitution fand seit den 1960er Jahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Der Zugang der Frauen erfolgte entsprechend zufällig oder über Bekannte und informelle Kontakte.[8] Zuhälter waren nicht Teil des Systems.

Literatur

  • Uta Falck: VEB Bordell. Geschichte der Prostitution in der DDR. Christoph Links Verlag, Berlin 1998.
  • Benjamin Wellner: Prostitution in der DDR – „Von der ‚Gefahr für die Volksgesundheit‘ zum Werkzeug der Stasi-Spionage“, Seminararbeit, 2008.
  • Thomas Lemmer Ost-Sex für West-Geld. Prostitution in der DDR. Strassenfeger 14/2007, S. 7–8. online
  • Kerstin Mauersberger Leipzig – Sex and the City”, mdr 2007. online

Einzelnachweise

  1. Uta Falck: Das unsichtbare Treiben. Prostitution in der DDR. In: Elisabeth von Dücker; Museum der Arbeit Hamburg (Hrsg.). Sexarbeit. Prostitution – Lebenswelten und Mythen, Bremen 2005, S. 94. Zitiert nach Benjamin Wellner: Prostitution in der DDR – „Von der ‚Gefahr für die Volksgesundheit‘ zum Werkzeug der Stasi-Spionage“, Seminararbeit, 2008. S. 19
  2. Uta Falck: VEB Bordell. Geschichte der Prostitution in der DDR. Christoph Links Verlag, Berlin 1998. S. 21–36
  3. Kerstin Mauersberger: Leipzig – Sex and the City”, mdr 2007. [1]
  4. Benjamin Wellner: Prostitution in der DDR – „Von der ‚Gefahr für die Volksgesundheit‘ zum Werkzeug der Stasi-Spionage“, Seminararbeit, 2008. S. 16–18
  5. Uta Falck: VEB Bordell. Geschichte der Prostitution in der DDR. Christoph Links Verlag, Berlin 1998. S. 11
  6. Uta Falck: VEB Bordell. Geschichte der Prostitution in der DDR. Christoph Links Verlag, Berlin 1998. S. 16
  7. Uta Falck: VEB Bordell. Geschichte der Prostitution in der DDR. Christoph Links Verlag, Berlin 1998. S. 19
  8. Uta Falck: VEB Bordell. Geschichte der Prostitution in der DDR. Christoph Links Verlag, Berlin 1998.

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