Paul Ludwig Landsberg

Paul Ludwig Landsberg

Paul Ludwig Landsberg (* 3. Dezember 1901 in Bonn; † 2. April 1944 im KZ Sachsenhausen in Oranienburg) war ein deutscher Philosoph.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Landsberg war der Sohn des Rechtsprofessors Ernst Landsberg in Bonn und von Anna, geb. Silverberg, Tochter eines Industriellen aus Bedburg/Erft, von denen er religiös, protestantisch erzogen wurde. Wie sein Großonkel Ludwig Bamberger war die Familie nationalliberal orientiert. Nach dem humanistischen Abitur 1919 studierte Landsberg zunächst in Freiburg bei Edmund Husserl und im weiteren bei Max Scheler in Köln Philosophie. Noch vor Abschluss des Studiums veröffentlichte er 1922 den Essay „Die Welt des Mittelalters und wir. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über den Sinn eines Zeitalters.“ In dieser Wesensschau zur Geschichte versuchte Landsberg zu zeigen, das das Mittelalter im Sinne von Ordnung und Stabilität Orientierung geben kann.

„Die Geschichte des Abendlandes wiederholt in eherner Gesetzlichkeit eine Abfolge von menschlichen Wesensmöglichkeiten überhaupt, indem sie von der Ordnung zur Gewohnheit und von der Gewohnheit zur Anarchie hinabsteigt, um dann von der Anarchie zur Ordnung wieder zu gelangen.“[1]

Im gleichen Jahr wurde er mit der Arbeit „Wesen und Bedeutung der Platonischen Akademie“ promoviert. Hier thematisiert er die Gegnerschaft von Sokrates und den Sophisten als Gegnerschaft von Gemeinschaft und Gesellschaft.

„Sophistik ist die Aufstellung des Gegenbildes zum leitenden Vorbild einer Kultur als Vorbild. Diese Umkehrung pflegt in einem bestimmten Augenblick des kulturellen Verfalls zu geschehen. Es ist wirklich nur eine Umkehrung. Der Sophist bringt durchaus nichts Neues, ist nicht der Beginner einer neuen Kultur, sondern das Zersetzungsprodukt einer alten. Das Gegenbild zu dem griechischen Vorbilde mußte das des Tieres sein.[2]

Anschließend ging Landsberg für zwei Jahre als Privatgelehrter nach Berlin und hörte Vorlesungen aus dem Bereich Sozialwissenschaften und Psychologie, unter anderem bei Werner Sombart und Max Wertheimer. Nach weiteren Studien in Freiburg und Bonn reichte er im Sommer 1928 seine Habilitationsschrift „Augustinus. Studien zur Geschichte seiner Philosophie“ bei Adolf Dyroff als Hauptgutachter in Bonn ein. Dyroff bemängelte zwar die philologische Qualität der Arbeit („Textkritik scheint dem Autor nicht am Herzen zu liegen“[3]), gab aber ein positives Gutachten ab. Mit der Probevorlesung „Über die Bedeutung der Phänomenologie in der modernen Philosophie“ und der Antrittsvorlesung „Pascals religionsphilosophische Begründung“ wurde Landsberg schließlich im Dezember 1928 habilitiert.

In einem Aufsatz von 1922 hatte sich Landsberg gegen die neuzeitlich-säkularisierte und liberalistisch-individualistische Kultur seiner Zeit gewandt und zu einer „konservativen Revolution“ aufgerufen und dabei zu einer Rückbesinnung auf die Wertorientierung einer Ständegesellschaft aufgefordert.[4] Die Welt müsse sich an einem „Christlichen Gottesbild“ orientieren. Zugleich äußerte er Kritik am Kapitalismus und warnte vor einer Amerikanisierung Europas. Seine pessimistische Weltsicht verstärkte sich im Laufe der Zeit und 1930 beklagte er das „Ameisenleben sinnloser Tätigkeit in einem großen Staat der Zwecke“ sowie die „Wiedervertierung des Menschen.“[5]. In Anknüpfung an seinen Lehrer Max Scheler verfasste Landsberg bis 1932 eine „Einführung in die philosophische Anthropologie.“ Hier vertrat er programmatisch die Auffassung, dass die Anthropologie keine Einzeldisziplin ist, sondern den „heutigen Aspekt der philosophischen Grundproblematik selbst“ erfasst. Es geht um die „Selbstauffassung des Menschen“ aus seiner erlebten „inneren Erfahrung“, die er nicht aus den Einzelwissenschaften gewinnen kann.

Bereits in der Anthropologie setzte sich Landsberg mit der Frage nach dem Tod als der Urfrage des Menschen auseinander, die „die Auseinandersetzung mit dem den Sinn des Lebens bedrohenden menschlichen Todesbewußtsein und die Suche nach einer Überwindung der Vergänglichkeit“ ist. (63)

„Es wird sich uns zeigen, daß der Mensch nie ein fertiges Etwas ist, sondern, daß recht eigentlich immer nur Menschwerdung geschieht“ (64)

In der Auseinandersetzung mit dem Tod erfährt der Mensch nicht nur seine individuelle Vergänglichkeit, sondern auch seine Zugehörigkeit zur Gattung Mensch und kommt so zu der Frage nach dem Wesen des Menschen und nach dem Sein überhaupt.

Mit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten ging Landsberg nach Frankreich ins Exil. Die Lehrbefugnis wurde ihm im September 1933 nach § 3 BBG aufgrund „nicht-arischer Abstammung“ entzogen. Im Exil schloss er sich dem Widerstand der Exilanten an und veröffentlichte unter anderem in der Zeitschrift für Sozialforschung. 1934 erhielt er Lehraufträge an den Universitäten in Barcelona und Santander. Bei Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges ging er zurück nach Frankreich, wo er ab 1937 an der Sorbonne lehrte. In Frankreich machte er die Gedanken Schelers bekannt und setzte sich weiter mit der Frage der Bedeutung des Todes („Die Erfahrung des Todes“ und „Das moralische Problem des Selbstmordes“) auseinander. Dabei schuf er das Bild des Gestorbenen als „anwesend in Abwesenheit“. In Frankreich hatte er engen Kontakt zu Emmanuel Mounier, in dessen Zeitschrift „Esprit“ auch die beiden vorgenannten Essays erschienen. Nach Einmarsch der deutschen Truppen in Frankreich hielt er sich unter dem Namen Paul Richert versteckt, wurde aber verraten und im März 1943 durch die Gestapo verhaftet. Am 2. April 1944 verstarb Landsberg an Hunger, Erschöpfung und Krankheit im KZ Sachsenhausen.

Schriften

  • Die Welt des Mittelalters und wir. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über den Sinn eines Zeitalters, Bonn 1922 (2. Aufl. 1923)
  • Wesen und Bedeutung der Platonischen Akademie. Eine erkenntnissoziologische Untersuchung, Bonn 1923
  • Einführung in die philosophische Anthropologie, Frankfurt 1934
  • Die Erfahrung des Todes, Luzern 1937

Literatur

  • Karl Albert: Philosophie im Schatten von Auschwitz, Röll, Dettelbach 1994
  • Andreas Lischewski: Person und Bildung. Überlegungen im Grenzgebiet von Philosophischer Anthropologie und Bildungstheorie im Anschluss an Paul Ludwig Landsberg, Röll, Dettelbach/Amsterdam 1998
  • Stephan Moebius: Paul Ludwig Landsberg - ein vergessener Soziologe? Zu Leben, Werk, Wissens- und Kultursoziologie Paul Ludwig Landsbergs. In "Sociologia Internationalis. Internationale Zeitschrift für Soziologie, Kommunikations- und Kulturforschung", 41. Band, Heft 1, 2003, S. 77-112. (Leicht verändert wieder abgedruckt in: Ders. Die Zauberlehrlinge. Soziologiegeschichte des Collège de Sociologie, Konstanz: UVK, S. 389-429.)
  • Eduard Zwierlein: Die Idee einer philosophischen Anthropologie bei Paul Ludwig Landsberg. Zur Frage nach dem Wesen des Menschen zwischen Selbstauffassung und Selbstgestaltung, Könighausen & Neumann 1989

Einzelnachweise

  1. Die Welt des Mittelalters, Bonn 1922, 114, zitiert nach: Hartmut Lehrmann, Otto Gerhard Oexle: Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften, Band 2, Vandenhoeck & Rupprecht, Göttingen 2004, 147
  2. Wesen und Bedeutung der platonischen Akademie, 1923, 98, zitiert nach: Hartmut Lehrmann, Otto Gerhard Oexle: Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften, Band 2, Vandenhoeck & Rupprecht, Göttingen 2004, 146
  3. zitiert nach Christian Tilitzki: Die Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Akademie 2002, 309
  4. Max Scheler und der homo capitalisticus, in: Die Tat 14, 1922/1923, 468-469
  5. Philosophie und Kulturkrise. Eine Rede, in: Die Schildgenossen 10 (1930), 308-319, zitiert nach Christian Tilitzki: Die Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Akademie 2002, 310

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