Nieder-Seemen

Nieder-Seemen
Nieder-Seemen
Stadt Gedern
Koordinaten: 50° 53′ N, 9° 12′ O50.8852777777789.1969444444445324Koordinaten: 50° 53′ 7″ N, 9° 11′ 49″ O
Höhe: 324–331 m ü. NN
Einwohner: 240
Eingemeindung: 1972
Postleitzahl: 63688
Vorwahl: 06045

Nieder-Seemen ist der kleinste Stadtteil von Gedern im Wetteraukreis in Hessen.

Der Ort liegt südöstlich von Gedern am Südhang des Vogelsbergs am Seemenbach. Durch Nieder-Seemen verlaufen die Landesstraßen 3010 und 3193.

Nieder-Seemen besteht vermutlich seit 786. Der Ortsname wird von Binsen (Symen oder Send) und Wasser (Aqua) abgeleitet. Erstmals urkundlich erwähnt wird Nieder-Seemen im Jahre 1339. Um 1840 wanderten etwa 20 Familien wegen der großen Armut nach Amerika aus. 1972 wird der Ort im Rahmen der Gebietsreform in Hessen nach Gedern eingemeindet.

Bereits um 700 soll es eine Holzkirche im Dorf gegeben haben. Die heutige Kirche wurde um die Jahrhundertwende des 13. und 14. Jahrhunderts erbaut.

Eine Schule gab es bereits im Jahre 1756. Sie bestand bis 1970.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Entstehung, erste urkundliche Erwähnung

Der Ober-Seemer Lehrer Karl Seipp schreibt in der von ihm erstellten Chronik des Ortes 1950, dass von der Wetterau aus fluss- bzw. bachaufwärts Rodungen erfolgten. Die ältesten Ortsnamen endeten auf „affa“ oder „aha“. Seipp vermutet schon vor dem 4. Jahrhundert Einzelsiedlungen, aus denen später die drei Seemen im oberen Tal des Seemenbaches entstanden. In einem Aufsatz aus den 1920er oder 30er Jahren wird Nieder-Seemen auf das Jahr 786 datiert. Im Hessischen Staatsarchiv in Darmstadt gibt es Quellen, die im 9. oder 10. Jahrhundert „Siemena“ erwähnen, man vermutet dass unter diesem Namen die Einzelsiedlungen, aus denen unsere Dörfer entstanden, geführt wurden. Die Herkunft des Namens, es taucht auch der Begriff Seemenaha auf, wird mit Binsen (Symen oder Semd) und Wasser (Aqua) erklärt.

Für Nieder-Seemen findet sich 1339 erstmals eine urkundliche Erwähnung: Der Junge von Breitenbach und seine Ehefrau Kune bekunden, dass sie dem Konrad von Trimberg versprochen haben, ihm ihre Dörfer Pferdsbach und Nieder-Seemen zur Wiedereinlösung anzubieten.

Herrschaft, politische Gemeinde

Zu Zeiten Karls des Großen, also um 800, gehört das Seemental wie auch Gedern zum Bannforst Büdingen, der im Nordwesten durch die Nidder und im Osten durch die Salz begrenzt wurde. Das Gericht Gedern umfasste neben den drei Seemen auch Kirchbracht, Mauswinkel, Illnhausen, Bös-Gesäß und Burgbracht. Mit Gedern dürften auch wir Besitz der Herren von Ortenberg gewesen sein und dann an die Büdinger, später an die Breuberger, Trimberger, Eppstein-Königsteiner und schließlich an Stolberg-Wernigerode gegangen sein. Mit der Teilung 1602 gingen die drei Seemen an Ortenberg. 1730 kauft jedoch Stolberg-Gedern die drei Dörfer, Ortenberg löst sie aufgrund Wiederkaufsrecht 1786 wieder ein.

Der dreißigjährige Krieg 1618 bis 1648 hat nach den spärlichen Informationen auch die Bevölkerung Nieder-Seemens mehr als halbiert. Das Stadtarchiv beinhaltet eine „Hochgräflich Stolbergische Zehntordnung“ von 1794, „wonach sich die Zehnder und Untherthanen des Gerichts Seemen zu richten“ haben und die teilweise sehr genaue Anweisungen über die Abführung des Zehnten gibt. Nach unruhigen Zeiten werden Stolberg-Ortenberg und Stolberg-Gedern mit 16 anderen Kleinstaaten 1806 zum Großherzogtum Hessen-Darmstadt zusammengefasst. Mit der neuen hessischen Verfassung von 1848 wurden die politischen und bürgerlichen Rechte erweitert und weitgehende Pressefreiheit gewährt. Trotzdem führte die große Armut in den Dörfern dazu, dass um 1840 ungefähr 20 Familien aus dem Seemengrund nach Amerika auswanderten.

Die beiden Weltkriege gingen nicht spurlos an Nieder-Seemen vorbei. Im Ersten Weltkrieg sind fünf Gefallene, im zweiten 27 Gefallene und Vermisste zu beklagen. Zu deren Gedenken und zur Mahnung wurde 1930 und 1953 jeweils ein Ehrenmal im Heimgarten am Seemenbach errichtet. Mit dem Durchmarsch der Amerikanischen 11th Armored Division endete am 31. März 1945 für Nieder-Seemen der Zweiten Weltkrieg. Außer durch Luftminen zerborstenen Fernstern ist Nieder-Seemen von Kriegsschäden verschont geblieben.

1972 endet die Selbständigkeit Nieder-Seemens im Rahmen der Hessischen Gebietsreform. Die Gemeindevertretung entscheidet sich nach einigem Überlegen gegen Kefenrod, sodass wir seitdem der kleinste Stadtteil Gederns sind.

Kirche und Glaube, Gesundbrunnen

Von Historikern wird vermutet, dass das Christentum schon vor Bonifatius Einzug in unserer Gegend hielt. Dafür spricht, dass die erste Büdinger Remigiuskapelle, ein Holzbau, um 700 errichtet worden sein soll. Die Gederner Chronik Geriwarda berichtet, dass 797 die Gederner Marienkirche dem Kloster Lorsch geschenkt wurde. Sie war Pfarrkirche auch für das Seemental bis Ende des 16. Jahrhunderts; ab dann gab es eine eigenständige Pfarrei Ober-Seemen. 1724 trennte sich Mittel-Seemen von Ober-Seemen und bildete mit Nieder-Seemen ein eigenes Kirchspiel.

Die Nieder-Seemer Kirche stammt vermutlich aus dem Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts, wie dendrochronologische Untersuchungen eines Balkens bei der letzten bis 2004 dauernden Renovierung ergaben. Eine eindeutige Datierung trägt die Wetterfahne des Kirchturms mit der Inschrift „Anno 1675 Kaspar Birkenstock macht mich“. Dieser Kaspar Birkenstock wohnte auf der Harzmühle einige Hundert Meter Seemenbach-abwärts, die seit rd. 100 Jahren nicht mehr besteht, und war Zimmermann und Schmied.

Eine Erneuerung 1752 hing eng mit der Wiederentdeckung des „guten Born“ zusammen, der schon 1602, 1651 und 1701 für kurze Zeit heilendes Wasser spendete. 1701 wird u.a. in der „Europäischen Zeitung“ über Wunderheilungen berichtet. Fast 50 Jahre später ereignet sich nach verschiedenen Berichten folgendes:

Ein junger Bursche mit Namen Konrad Götz (in einigen Berichten wird er mit seinem Vater Jakob Götz verwechselt) hatte in der Nacht zum 20. Oktober 1749 einen merkwürdigen Traum. Er sah ihm unbekannte Männer, die rieten ihm, er solle an den guten Born gehen und graben. Von der Erde solle er einen Brei bereiten, auf Leinwand streichen und auf die Augen Leidender legen oder in Form eines Kegels in die Ohren Schwerhöriger stopfen, so würden diese wieder sehen oder hören. Das Wasser aus dem guten Born solle er an seiner leiblichen Mutter probieren, und auf das Haupt tropfen lassen, so werde diese eine wunderbare Wirkung verspüren. Unruhige Tage und Nächte folgten, bis dieser am 16. Februar des kommenden Jahres wirklich zu graben begann.

Am 1. März 1750 hatte er einen zweiten Traum. Er sah wiederum ihm unbekannte Männer, die ihm sagten, er solle den Herrn Jesu bitten, so würde das Wasser zu fließen beginnen. Kaum hatte er diesen Rat befolgt so füllte sich der Graben mit Wasser und aus dem Wasser krochen Kröten, Frösche und Eidechsen und verschwanden in den Wiesen, dann war das Wasser rein und gut.

Dann hatte er noch einen dritten Traum. Die unbekannten Männer gaben ihm Anordnungen, wie es mit dem Wasser zu halten sei. Sie verkündeten, das Wasser werde zwei Jahre seine Kraft behalten und geboten, dass ein Geistlicher die Leute dort zur Buße mahnen solle. Er selbst solle, wenn der Pfarrer nicht da sei, aus der Bibel lesen. Weitere Anweisungen, Gräben zu ziehen und Krüge mit auf das Heilwasser hinweisender Aufschrift zu besorgen, folgten und Konrad Götz hielt sich daran. Am 16. März kam Fürst Friedrich Karl aus Gedern herüber und verschaffte sich einen Eindruck von der Wunderquelle. Er ließ das Wasser durch den Medikus Dr. Graf aus Freienseen untersuchen, der seine heilsame Wirkung bestätigte.

Die Quelle wurde am 25. März geweiht und viele Kranke, die bis aus den Gegenden von Gotha, Fulda, Heidelberg, Speyer und Mainz kamen, wurden nach Genuss des Wassers und Auflegung der Erde geheilt. Die Krücken, Stöcke und Kleider hängten diese an eine dabei stehende Eiche. Diese Sachen wurden später auf den Speicher der Kirche gebracht, wo sich die Kranken die Krücken und Stöcke für ihren Bedarf holten, so dass heute keine mehr davon vorhanden sind. An dem guten Born wurde nun ein Opferstock aufgestellt und das gesammelte Geld in Höhe von 530 Gulden zur Reparatur der Kirche verwandt. Von verschiedenen Seite wurde versucht, aus der Quelle ein Geschäft zu machen. Man missachtete die gegebenen Anordnungen, eine Wirtschaft wurde errichtet, dem Geistlichen wurde bei 10 Gulden Strafe verboten, bei dem Brunnen zu predigen und das Wasser wurde nicht mehr frei gegeben, sondern verkauft. So versiegte schon im gleichen Jahre die Quelle, zeigte sich noch einmal im Jahre 1794/95 und dann nicht mehr.

Gemäß einer Urkunde vom 28. April 1855, die zusammen mit der über die vorgenannte Renovierung im Kanzeldeckel gefunden wurde, kaufte man eine Orgel aus Rossdorf bei Hanau; dabei wurde aus Platzgründen die Kanzel von der Mitte zur Seite verschoben. Weitere Restaurierungen sind 1902, 1949 und 2004 verzeichnet. In beiden Weltkriegen musste jeweils eine Glocke abgeliefert werden. 1920 wurde Ersatz beschafft, während die im Zweiten Weltkrieg abgelieferte Glocke 1947 von Hamburg nach Nieder-Seemen zurück kehrte und anlässlich des Einweihungsgottesdienstes nach der Renovierung am 26. Juni 1949 „zum ersten Male uns zum festlichen Gottesdienst gerufen hat“, wie im Heimatbuch zu lesen ist.

Da die Kirche direkt am Seemenbach steht, hatte sie in ihrer Geschichte des öfteren unter eindringendem Hochwasser zu leiden, genauso wie einige benachbarte Gehöfte. Viel schlimmer traf aber das ganze Dorf ein Hagelschlag am 27. Juni 1767. Hierüber ist nachzulesen:

„Dieses Wetter ist gezogen mit Sturm und Donner, Kiesel und Schloßen von Michelnau her in der Ausdehnung von Lißberg über Hirzenhain, Steinberg, Laiß, Gedern, Ober-, Mittel- und Nieder-Seemen über die Rödern und nach Volkartshain zu über den Vogelsberg nach dem Fuldischen hin. Es war auf einen Sonntag, abends zwischen 5 und 6 Uhr. An Häusern, Bäumen, in Wäldern und Feldern hat es großen Schaden angerichtet. In Gedern schlug der Blitz in ein Haus; zu Ober-Seemen wurde der Kirchturm von der erneuerten Kirche mit den Glocken heruntergerissen und zu Boden geworfen, und auf der Rödern oben nach Illnhausen zu standen große, starke Buchbäume, welche aus der Erde entwurzelt wurden.“

Im Jahr 1768 wurde auf Befehl der Herrschaft Gedern der Tag zum ersten Mal als Feiertag begangen. Andere Feste sind: Kirchweihfest zu Mittel- und Nieder- Seemen innerhalb 14 Tagen vor und nach Michaeli; das Erntedankfest, Reformations-, Toten- und das Epiphaniasfest. Ebenfalls gefeiert wurde der Tag nach Himmelfahrt. An diesem Tag wurde zusammen mit dem Vieh gefeiert, mit welchem an diesem Tag auch nicht gearbeitet und gefahren werden sollte, während die Menschen aber arbeiten. Dem voraus ging eine schwere Viehseuche.

Die Schule von Nieder-Seemen

Eine Schule ist in unserem Dörfchen seit der Zeit des Siebenjährigen Krieges, also ab 1756 nachgewiesen. Die Lehrer wurden auch oft zu Kirchenaufgaben herangezogen, als Vorsänger, Organisten oder zum Läuten der Glocken. Kirchen- und Schulvisitationen vom Anfang des 19. Jahrhunderts berichten von schlechtem Unterricht. 1827 wird bei 34 Schülern (22 Knaben und 12 Mädchen) jedoch von deutlichen Besserungen berichtet, die neben Pfarrer Georg Koch vor allem dem 20-jährigen Lehrer Georg Heinrich Ruckel zu verdanken seien. Allerdings wird Ruckel wegen körperlichen Züchtigungen, bei denen er „auf eine ungehörige Art zu weit gegangen“ sei, in ernster Form zurecht gewiesen. 1911 wird ein neues Schulhaus, das heutige Dorfgemeinschaftshaus, errichtet. Die alte Schule ist das heutige Wohnhaus der Familie und Metzgerei Schnell. 1970 endet das Schulleben in Nieder-Seemen durch den Wechsel der Schüler in die Mittelpunktschule Gedern.

Wege und Straßen, Flurbereinigungen, technischer Fortschritt

Für Nieder- wie auch für Mittel-Seemen sind Wege, die zu den alten Handelsstraßen führten, im Mittelalter und bis ins 19. Jhdt. nicht nachweisbar. K. Th. Chr. Müller („Straßenmüller“) schreibt jedoch 1928 in den Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins in einer Fußnote zur Beschreibung der linken Nidderstraße bei Schönhausen:

„Hier wird die Straße von der Kreisstraße Niederseemen - Gedern geschnitten. Ihr dürfte eine frühmittelalterliche Verbindung, die in derselben Richtung zog und sich über Gedern nach Burkhards fortsetzte, entsprochen haben. Da schon 786 dem Kloster Lorsch eine Kirche zu Gedern geschenkt wird und die 3 Seemen dahin eingepfarrt waren, ergibt sich, abgesehen von einem alten Weg, der von Oberseemen her kam, diese Verbindung von selbst (Vgl. meinen Aufsatz Fuld. Gesch. Bl. XIX, S. 110).“

Damit war eine Anbindung an die linke Nidderstraße wie auch an die Bettenstraße vorhanden. Allerdings handelte es sich bei der über Schönhausen gehenden Verbindung auch 1928 wohl, wie heute, um keine Kreisstraße. Weiterhin ist als sicher anzusehen, dass zumindest zwischen Nieder- und Mittel- und auch nach Ober-Seemen ein sowohl begeh- als auch befahrbarer Weg vorhanden war.

Erste wesentliche Verbesserungen der Infrastruktur ergaben sich durch den Straßenbau Ende des 19. Jahrhunderts. So berichtet die Weningser Chronik zum 650-jährigen Stadtjubiläum 1986 noch von einer Jagd im Herbst 1877, zu der Großherzog Ludwig IV. von Hessen und bei Rhein zusammen mit Fürst Karl von Isenburg-Birstein über Hitzkirchen nach Wenings kam und nach der Fahrt auf holprigen „Vizinalwegen“ im Jagdwagen den schlechten Straßenzustand beklagte. Es gab noch keine Straßen von Kefenrod nach Wenings bzw. Nieder-Seemen, ebenso wenig wie von Wenings nach Nieder-Seemen, „kurzum das Straßenbauwesen im südlichen Teile des Vogelsberges lag noch sehr im Argen“. Doch bereits 1882 waren die Straßen von Wenings nach Hitzkirchen, Kefenrod, Gelnhaar und auch nach Nieder-Seemen ausgebaut. Am 28. Februar 1889 schreibt der Kreisausschuss des Kreises Büdingen an das Großherzogliche Kreisamt Schotten, betreffend:

„Die Erbauung einer Kreisstraße von Kefenrod über Allenrod nach Niederseemen: Nach der nunmehr erfolgten und angeschlossenen Schlussabrechnung über die Baukosten der nach Art. 21 des Gesetzes vom 27. April 1881 zum Ausbau gelangten Kreisstraße entfallen von der restlichen Staatsunterstützung im Betrag von 33163,88 M nach dem Verhältnis 33163,88 x 5733,49 ./. 83587,33 auf die Gemarkung Nieder-Seemen = 2274,80 M. Auf diese Summe sind nach unserem ergebenen Schreiben vom 11. März 1886 an die Gemeinde Nieder-Seemen bezahlt worden 1200,- M, sodaß derselben noch zu Gut kommen 1074,80 nebst den entsprechenden Zinsen vom 1. März 1886 an. Wir werden die Kreiskasse mit Ausgabe Deiretur(?) hierüber versehen, sobald der Kreisausschuß demnächst bezüglichen Beschluß gefasst hat. Wir beehren uns Sie auf das gefällige Schreiben vom 22. v. Mts. hiervon ergebenst in Kenntniß zu setzen.

Etwa seit 1960 wurden die Schotterstraßen durch geteerte, dem zunehmenden Autoverkehr entsprechende Straßen abgelöst. Vor rd. zehn Jahren bekam unser Ort entlang der Kreisstraßen Bürgersteige aus rotem Verbundpflaster, was zu einem schmucken Ortsbild beitrug.

Tiefgreifende Veränderungen brachte die Flurbereinigung, die für Nieder-Seemen 1910 beschlossen wurde. Infolge des Ersten Weltkrieges musste sie jedoch zunächst zurück gestellt werden, wurde dann aber 1919 begonnen. 1925 erfolgte die Neuzuteilung der stark veränderten Flurstücke. Verschiedene Hutweiden, die Gemeindeeigentum gewesen waren, wurden aufgeteilt und an die Bauern verkauft. Das Bachbett des Seemenbaches wurde stark begradigt. Eine zweite Flurbereinigung folgte im Seemental in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Eine „Quellwasserleitung“, wie die Wasserversorgung in den Dokumenten bezeichnet wird, wurde 1911 verlegt. Am 25. Febr. 1911 gestattet das großherzogliche Kreisamt Schotten die Verlegung der Rohre in den Kreisstraßen unter sehr ausführlich dargelegten Bedingungen; Bürgermeister und Gemeinderat anerkennen die Bestimmungen am 4. März 1911 und der Kreisausschuss genehmigt abschließend am 24. Mai 1911.

Wie aus Dokumenten der „Elektrische Überland-Anlage der Provinz Oberhessen“ in Friedberg zu entnehmen ist, wurde am 24. März 1921 mittags 1 Uhr die Fernleitung (20.000 Volt) von Mittel-Seemen nach Nieder-Seemen und 1.30 Uhr die Transformatoren-Station und das Ortsnetz Nieder-Seemen eingeschaltet. Gleichzeitig wurde die Straßenbeleuchtung in Betrieb gesetzt. Sie bestand aus 9 Lampen, davon 4 Wandarme und 5 Überspannungen.

Mensch und Vieh, Häuser und Hofreiten

Die Größe beziehungsweise die Einwohnerzahl von Nieder-Seemen hat sich in den letzten 200 Jahren nicht wesentlich verändert. Hierzu ist überliefert:

„Zu Anfang des 19. Jahrhunderts betrug die Ortsbürgerzahl ca. 70; Zahl der Häuser zu derselben Zeit ca. 56. 1857 sind Ortsbürger 56. Seelenzahl 268. Wohnhäuser 37, dazu Kirche, Schule, Gemeindehaus und 3 sonstige gemeinhaitliche Häuser. Viehstand in 1857: 1 Pferd, 1 Fohlen, 6 Ochsen, 160 Kühe, 150 Rinder, 30 Kälber, 46 Schweine, 259 Schafe, 10 Ziegen, 1 Esel.“

Nach diesen Aufzeichnungen waren die meisten Einwohner keine Ortsbürger; welche Kriterien für diese Einstufung maßgebend waren, ist uns nicht bekannt. Vielleicht wurde nur der Haushaltsvorstand (das „Familienoberhaupt“) als Ortsbürger geführt. Die höchste Einwohnerzahl hat unser Dorf wohl in den 1950er Jahren gehabt, denn am 20 Januar 1955 zählte man 318 Einwohner, davon 95 Flüchtlinge aus dem Sudetenland und Ungarn. Inzwischen ist die Einwohnerzahl unter 250 gesunken.

Interessant ist auch der „Viehstand“, zeigt er doch, dass noch kaum mit Pferden, sondern mit Ochsen und Kühen gefahren wurde. Bedenkt man, dass heutzutage Traktoren mit mehr als 100 PS und daran angebaute bzw. angehängte weitgehend automatisierte Maschinen die meiste Arbeit verrichten, so verdeutlicht das den Wandel in den letzten beiden Jahrhunderten. Auch in den Kuhställen hat sich ein Wandel von kleinen, engen Anbindeställen zu großen und luftigen Laufställen mit modernsten Melkständen vollzogen; die Milchleistung hat sich von weniger als 1000 auf oft mehr als 10.000 Liter pro Kuh und Jahr gesteigert! Allerdings lebt heutzutage auch nur noch ein kleiner Teil der Einwohnerschaft unseres Dorfes von der Landwirtschaft. Meist wird das Einkommen in Industrie-, Handwerks- oder Dienstleistungsbetrieben bzw. als Lkw-Fahrer usw. verdient.

So stehen inzwischen auch viele Scheunen und Ställe leer oder dienen nur noch als Abstell- oder Lagerraum für alte Geräte, Brennholz u. ä. Schaut man sich alte Ortspläne an, so fällt auf, dass es vor gut 100 Jahren noch einige Häuser und Hofreiten gab, die heute nicht mehr existieren. Auch das Backhaus wurde bei einer Straßenverbreiterung abgebrochen und nicht mehr neu aufgebaut, weil man das Brot heutzutage beim Bäcker kauft.

Vereine und Brauchtum

Als älteste Nieder-Seemer Vereine sind der Gesangverein „Eintracht“ und die Feuerwehr zu nennen. Die Sangeslust ist in den letzten Jahren so stark zurückgegangen, dass der Männergesangverein sich vor ein paar Jahren zu einem gemischten Chor veränderte, aber auch dieser inzwischen eingestellt wurde.

Der Sportverein „Edelweiß“ wie auch der Landfrauenverein sind gemeinsame Vereine von Mittel- und Nieder-Seemen. Der Sportverein schaffte es in den letzten Jahrzehnten mehrfach, für einige Jahre in der Bezirksoberliga Fußball zu spielen, eine beachtliche Leistung für die beiden kleinen Dörfer. Herbert Beyer, aus dem Sudetenland als Flüchtling durch Einheirat nach Mittel-Seemen gekommen, gründete vor über 30 Jahren die Seementaler Musikanten, die Blasmusik, vor allem nach Egerländer Art, spielen. Auch nach seinem Tod vor einigen Jahren macht die Kapelle erfolgreich weiter und probt regelmäßig im Nieder-Seemer Dorfgemeinschaftshaus.

Spinnstuben und Strickkränzchen gibt es seit langem nicht mehr. Auch von den beiden Wirtshäusern, die Nieder-Seemen einst hatte, ist keines übrig geblieben. So treffen sich einige Junge und Ältere nun am Freitagabend im zum Aufenthaltsraum ausgebauten Dachgeschoss des Feuerwehrhauses, das neben der Schule an der Stelle der ehemaligen Hofreite Otto Herröder vor rund 30 Jahren neu gebaut wurde, zum Karten spielen. Ansonsten hat sich die Dorfgemeinschaft durch die verschiedenen Berufe, denen man in nah und fern nachgeht, sowie durch Auto, Fernseher und Internet doch sehr stark gewandelt und vor allem individualisiert. Der Gottesdienst mit Krippenspiel am Heiligen Abend, die Grillfeste der Vereine und neuerdings Veranstaltungen des Arbeitskreises Dorfchronik, wie zum Beispiel zwei Diaabende des letzten Lehrers Walter Wagner, sind die wenigen Gelegenheiten, bei denen sich noch einmal ein größerer...<?>



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