Märtyrer von Córdoba

Märtyrer von Córdoba

Unter der Bezeichnung Märtyrer von Córdoba werden 49 Personen zusammengefasst, welche in den Jahren 851 bis 859 n. Chr. wegen der öffentlichen Schmähung des Islams und seines Propheten sowie wegen ihres provokativen Bekenntnisses zum Christentum in Córdoba hingerichtet wurden. Dokumentiert wurden die Ereignisse von den zeitgenössischen Autoren Eulogius von Córdoba und Paulus Alvarus, die in ihren Schriften das Bild einer regelrechten Märtyrerbewegung entwerfen. Da unabhängige Parallelüberlieferungen fehlen, ist die Bewertung der tatsächlichen Geschehnisse jedoch umstritten.

Inhaltsverzeichnis

Die Quellen und ihre Autoren

Überlieferungs- und Editionslage

Über die angeblichen Geschehnisse berichten vornehmlich die beiden genannten zeitgenössischen Autoren. Eulogius von Córdoba verfasste drei Schriften über die „Märtyrer“: Das Documentum martiriale, das Memoriale Sanctorum sowie den Liber apologeticus sanctorum martyrum. Diese Texte waren bis ins 16. Jahrhundert in einer einzigen Handschrift in Oviedo überliefert, welche Ambrosio Morales seinem Erstdruck zugrundelegte. Seit dieser editio princeps von 1574 ist das Manuskript jedoch verschollen. Der gedruckte Text weist deutliche sprachliche Korrekturen von humanistischer Hand auf, die offenkundig tief in den eigentümlichen Stil des ursprünglichen Textes eingreifen. Von Eulogius existieren zudem einige Briefe an Empfänger in Córdoba, wie auch im christlich beherrschten Norden der Iberischen Halbinsel, in denen vereinzelt Details über die cordobenser Geschehnisse der 850er-Jahre berichtet werden.

Paulus Alvarus befasste sich zu Beginn der 860er-Jahre vor allem in seinem Indiculus luminosus mit der „Märtyrerbewegung“. Auch dieser Text ist lediglich in einer einzigen mittelalterlichen Handschrift aus dem 10. oder 11. Jahrhundert überliefert. Der Erstdruck erfolgte 1753 im Rahmen der España Sagrada des Enrique Florez. In der Vita sancti Eulogii schließlich berichtet Alvarus über das Leben und das Martyrium seines Freundes Eulogius von Córdoba, welcher 859 selbst wegen der Förderung von Apostasie durch die muslimische Obrigkeit in Córdoba hingerichtet wurde.

Eine von diesen Zentralquellen unabhängige Parallelüberlieferung fehlt. Aus der zeitgenössischen arabischen Tradition sind die Darstellungen des Eulogius und des Alvarus nicht zu verifizieren. Vereinzelte Hinweise in lateinischen Quellen auf „Märtyrer von Córdoba“, wie z.B. im Translationsbericht des Usuard oder in dessen Vita aus der Feder Aimons aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts, erweisen sich als inhaltlich abhängig von den hagiographischen Schriften des Eulogius. Die spärlichen Quellenbelege aus dem Frankenreich bestätigen damit lediglich die (eingeschränkte) Wirksamkeit einer Kultpropaganda um die „Märtyrer“ – zur Rekonstruktion und Prüfung ereignisgeschichtlicher Details des cordobeser Geschehens selbst sind sie hingegen ungeeignet.

Die Autoren

Eulogius

Eulogius wurde Anfang des 9. Jahrhunderts geboren. Er entstammte einer vornehmen hispano-romanischen Familie. Nach seiner geistlichen Ausbildung durch den Abt Speraindeo im Kloster St. Zoilus wurde er vom Bischof Recafred von Córdoba zuerst zum Diakon, später zum Priester geweiht. Wohl um 850 unternahm er eine Reise in den Norden der iberischen Halbinsel, von welcher er wichtige, bis dahin unbekannte Schriften des kirchlichen Überlieferungskanons nach Córdoba brachte. Eulogius ermahnte die cordobenser Christen trotz ihres Lebens unter muslimischer Herrschaft zum offenen Bekenntnis ihres Glaubens. 851 wurden er und weitere Geistliche auf Geheiß des Sevillaner Erzbischofs vorübergehend eingekerkert. Vermutlich ist hierin bereits eine frühe Reaktion des Emirats auf die ersten Fälle provozierter Märtyrerschaft unter Cordobeser Christen zu sehen, für die der Einfluss des Eulogius und seiner Gesinnungsgenossen verantwortlich gemacht wurde.

Eulogius verfasste mehrere Schriften, die sich mit den Märtyrern von Córdoba beschäftigen. Ebenso sind zahlreiche Briefe an Zeitgenossen überliefert, die Details zu den Ereignissen berichten. Sein frühestes Werk Memoriale Sanctorum begann Eulogius schon vor seinem Haftantritt; er vollendete es während seiner Haftzeit. In dieser Schrift verherrlicht er die hingerichteten Christen als Märtyrer und rechtfertigt sie als Heilige. Im Kerker verfasste er auch seine Schrift Documentum Martyriale. Er wollte damit die mit ihm inhaftierten Jungfrauen Flora und Maria in ihrem Entschluss zum Märtyrertod bestärken. Nachdem die „Märtyrerbewegung“ im Juli 852 erneut aufflammte, begann der islamische Herrschaftsapparat über eine radikale Lösung des Problems nachzudenken; Eulogius versteckte sich daher zwischenzeitlich. 857 verfasste er sein letztes Werk mit dem Titel Liber Apologeticus Sanctorum Martyrum. 858 wurde Eulogius zum Erzbischof von Toledo gewählt, konnte jedoch wohl aufgrund des Vetos von Emir Muhammad I. das Amt nie antreten. Als er eine christliche Konvertitin aus muslimischem Elternhaus namens Leocritia in ihrem neuen Glauben unterwies und bestärkte und mit ihr gemeinsam vor muslimischem Zugriff floh, wurde Eulogius 859 verhaftet und hingerichtet. Der 11. März ist sein Gedenktag.

Paulus Alvarus

Paulus Alvarus/Albarus wurde etwa um 800 geboren und starb am 7. November 861 oder 862. Seine Abstammung ist unklar, doch beruft er sich selbst auf jüdische und gotische Wurzeln. Er bekannte sich zum Christentum. Gemeinsam mit seinem Freund und Zeitgenossen Eulogius wurde er von Abt Speraindeo erzogen. Im Gegensatz zu Eulogius bekleidete er nach dieser Ausbildung kein kirchliches Amt. Von Alvarus sind zwei Schriften überliefert, die Informationen zur „Märtyrerbewegung“ enthalten: der Indiculus Luminosus, in welchem er 854 die „Märtyrer von Córdoba“ verteidigte und Mohammed als den Antichristen darstellte, sowie die Vita Eulogii, in der er das Leben und Sterben seines Freundes, der nach seiner Vorstellung ebenfalls zum „Märtyrer“ geworden war, nacherzählt. Außerdem sind einige Briefe von ihm erhalten, die jedoch nicht auf das Märtyrer-Geschehen Bezug nehmen. Paulus Alvarus selbst war kein Märtyrer. Nach dem Kalendarium des Bischofs Recemund von Elvira aus dem Jahr 961 wurde er dennoch im christlichen Andalus als Heiliger verehrt, wobei sein Fest auf den 7. November fiel.

Quellenwert

Der Quellenwert der Schriften des Eulogius und des Alvarus wird kontrovers beurteilt. Zu unterscheiden ist dabei einerseits ein Aussagewert für die berichteten Geschehnisse im Rahmen einer angeblichen „Märtyrerbewegung“ im Córdoba des 9. Jahrhunderts, sowie andererseits ein Aussagewert der Quellen hinsichtlich innergesellschaftlicher Diskurse und Konflikte in der cordobenser Gemeinde jener Zeit.

Der Quellenwert der Texte für das (vermeintliche) historische Geschehen in Córdoba wurde in jüngerer Zeit mehrfach grundsätzlich in Frage gestellt. Einige Historiker und Philologen, wie z.B. Ann Christys oder Juan Pedro Monferrer Sala, beurteilen die „Märtyrerbewegung“ als rein literarische Fiktion des Eulogius: eine kohärente „Bewegung“ habe es zu keinem Zeitpunkt gegeben, Eulogius habe eine solche aus unzusammenhängenden Einzelfällen – deren Historizität oftmals nicht zu prüfen sei – konstruiert. Das so entworfene fiktive Szenario richte sich nicht an ein zeitgenössisches Publikum, sondern intendiere eine mit den cordobenser Gegebenheiten nicht vertraute Leserschaft in nachfolgenden Generationen. Eine solche radikale Beurteilung des Quellenwertes der einschlägigen Überlieferung wird verständlich vor dem Hintergrund einer langen Forschungsgeschichte, in der die propagandistisch-tendenzhaften Aspekte der Quellen oft zu sorglos übergangen wurden: Die Berichte des Eulogius und des Alvarus über angebliche Christenverfolgungen im umayyadischen Córdoba bestimmten lange einseitig auch die wissenschaftliche Einschätzung der Lebensumstände von Christen in Al-Andalus.

Einen Quellenwert für den innergesellschaftlichen Diskurs zeigen die Briefe des Eulogius, oder die Translatio Georgii. Hinweise darauf, dass das Aufbegehren der radikalen Christen auch von der muslimischen Öffentlichkeit als Bewegung wahrgenommen wurde, bieten Textstellen bei Eulogius, welche dahingehend interpretiert werden können. So wurden die Leichname von Petrus und Walabonsus verbrannt – ein Akt, der einen zukünftigen Reliquienkult um ihre Gebeine unmöglich machte.

Absicht und Methode der cordobeser Autoren

Alvarus und Eulogius verfolgten mit ihren Schriften das Ziel, die Gemeinschaft der Christen in Córdoba zusammenzuführen und zu festigen. Sie versuchten die christlich-lateinische Kultur aufzuwerten, den Glauben in der Gemeinde zu stärken und sich dadurch vom Islam abzugrenzen, was angesichts starker Akkulturationstendenzen der Christen an die muslimische Herrschaft im Andalus nötig schien. Ihr Anliegen verfolgten die Autoren über verschiedene Teilstrategien:

Stilisierung neuer „Märtyrerheiliger“ als Integrationsfiguren für die cordobenser Gemeinde

Zur Stärkung des Zusammenhalts stilisierte Eulogius die Hingerichteten als Märtyrerheilige. Die „Märtyrer“ sollten als Identifikationsfiguren dienen, um die christliche Gemeinschaft wieder zu festigen. Die Autoren rechtfertigen die „Märtyrer“ durch die Schilderung einer regelrechten Christenverfolgung nach antikem Muster durch die Muslime. Auch wenn es den Christen erlaubt war weiterhin ihrer Religion anzugehören, so war ihnen doch ein öffentliches Bekenntnis zu ihrem Glauben verwehrt und auch die Mission, ein wichtiger Bestandteil des Christentums, konnte nicht vorgenommen werden. Beide Autoren beschreiben massive gewalttätige Angriffe auf Christen sowie die Zerstörung von Kirchen durch die muslimische Obrigkeit. Zeitgenössische Kritiker, deren Positionen indirekt aus den Texten zu ersehen sind, wandten ein, dass die Christenverfolgung im antiken Rom nicht mit der Situation der Christen in Córdoba vergleichbar sei, da das Bekenntnis zum Christentum in Córdoba nicht zwangsläufig die Hinrichtung nach sich zog. Alvarus ging auf diesen Vorwurf ein, indem er die Freiwilligkeit des Märtyrertums hervorhob. Erst die Freiwilligkeit verleihe dem Bekenntnis des Glaubens seine volle Verdienstlichkeit. Da sich ein Kult um die „neuen“ Heiligen in der cordobenser Gemeinde nicht nachweisen lässt, scheint den beiden Autoren kein Erfolg beschieden gewesen zu sein.

Polemischer Kampf gegen den Islam

Eulogius und Alvarus stellen den Islam polemisch als den Wegbereiter für den Antichristen und seine Gläubigen als Anhänger des Teufels dar. Sie beschreiben Moslems als Häretiker und den Islam als eine diabolische Sekte. Eulogius übernahm in seinen Text eine fiktive Vita des Propheten Mohammed, mit der er zu zeigen versuchte, dass dieser ein falscher Prophet und der Islam eine Irrlehre sei. Ebenso wie Alvarus betont er die Fehler des Islam, der auf das Diesseits ausgerichtet sei und Gotteslästerung betreibe. Die polemischen Ausführungen beider Autoren lassen relativ gute Kenntnisse der islamischen Glaubenslehre erkennen, die angesichts zahlreicher Andeutungen und Anspielungen im Text offenkundig auch bei der intendierten Leserschaft vorausgesetzt werden.

Stärkung kultureller und religiöser Identität angesichts starker Akkulturationstendenzen unter den Christen in Córdoba

Alvarus beklagt in seinem Indiculus Luminosus die Akkulturation der christlichen cordobenser Jugend an die arabische Kultur und Sprache, sowie die gleichzeitige Abwendung von der eigenen kulturellen Tradition. Das Verhalten der Jugend sieht er als symptomatisch für den Verfall des Christentums und seiner Kultur im Andalus und warnt vor der Vermischung. Die beiden Autoren versuchen diesen Wandel aufzuhalten und sich vom Islam abzugrenzen, indem sie in ihren lateinischen Texten einen kunstvollen und anspruchsvollen Stil verwenden um so die Attraktivität der christlichen Tradition zu steigern und den drohenden Identitätsverlust aufzuhalten.[1] Der komplizierte Schreibstil der Autoren und die gewählte Polemik setzen einen hohen Bildungsgrad bei der intendierten Leserschaft voraus. Nach Igor Pochoshajew[2] richten sich die Darstellungen von Eulogius und Alvarus an die gebildete christliche Oberschicht und im Besonderen an den führenden cordobenser Klerus. Dieser hätte, so der explizite Vorwurf, eine Stärkung der christlichen Gemeinde in Zeiten der muslimischen Herrschaft versäumt.

Erklärungsmodelle und Zugriffe der Forschung

In der Forschungsgeschichte wurde lange Zeit nicht zwischen den Motiven der Märtyrer und denen der Autoren unterschieden. Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass für die Märtyrerbewegung von Córdoba nur Eulogius’ und Alvarus’ Schriften überliefert sind. Jenseits der von den beiden Autoren Alvarus präsentierten religiösen Erklärungsmodelle für das Handeln der freiwilligen „Märtyrer“ werden in der neueren Forschung seit den späten 1980er-Jahren weitere Handlungsmotive diskutiert. Diese betrachten das „Märtyrerphänomen“ aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln, wobei auch diese neueren Ansätze selbstverständlich nur auf die vorhandenen Quellen zurückgreifen können:

Sozialpsychologisch: Reaktion auf soziale, religiöse und kulturelle Identitätskrisen

Jessica A. Coope[3] beleuchtet das Geschehen in Córdoba beispielsweise aus einer sozialpsychologischen Sicht; sie stellt sich also die Frage, wie die Menschen auf religiöse, soziale und kulturelle Identitätskrisen reagierten. Hierbei ist einmal der allgemeine Umgang der christlichen Bevölkerung mit der Problematik der Vermischung von sozialen, kulturellen und religiösen Aspekten zu beachten und die Reaktion der „Märtyrer“ auf die Identitätsdiffusion. Aus den Quellen wird deutlich, dass es unterschiedliche Einstellungen von Christen zur islamischen Religion und zur arabischen Kultur und Gesellschaft gab. Einerseits gab es eine Gruppe, die zwischen ihrer kulturellen und ihrer religiösen Identität unterschied, also im Alltag die arabische Sprache und Kultur übernahm, in ihrem privaten Lebensbereich aber meist weiter den christlichen Traditionen folgte. Eine solche Differenzierung der Identitäten barg in unterschiedlichen Kontexten Konfliktpotential: in mischreligiösen Familien ebenso wie in öffentlichen Funktionsbereichen z.B. der Verwaltung. Andererseits gab es auch solche Christen, welche sich von der ständigen Präsenz der islamischen Religion und ihrer gesellschaftlichen Dominanz bedroht fühlten und diese mitsamt der damit verbundenen Lebensweise kategorisch ablehnten. Bekannteste Vertreter dieser Haltung waren die „Märtyrer“ und ihre Chronisten im 9. Jahrhundert. Für sie war religiöse und kulturelle Identität nicht trennbar. Der gesellschaftliche Druck zur kulturellen Anpassung in einem muslimisch dominierten Umfeld löste daher bei vielen Identitätskrisen aus. Wie das Beispiel der „Märtyrer“ zeigt, reagierten viele Betroffene darauf mit einer ausschließlichen Selbstdefinition über ihr Christentum und der kategorischen Verweigerung jeglicher kulturellen Anpassungen, trotz daraus erwachsender negativer sozialer Folgen. Der Rückzug aus der Welt ins Kloster bot dazu eine Möglichkeit, die aber von vielen „Märtyrern“ offensichtlich als nicht ausreichend empfunden wurde. Die durch die öffentliche Schmähung des Islam provozierten Hinrichtungen können so letztlich als radikalste Form einer solchen Akkulturationsverweigerung zur Sicherung und Stabilisierung einer christlichen Identität verstanden werden.

Frömmigkeitsgeschichtlich: Perfektion des Bußwerkes, Selbstheiligung durch ultimative Askese und Selbstentsagung

Kenneth Baxter Wolf[4] betrachtet das Geschehen im Córdoba des 9. Jahrhunderts zum Beispiel aus dem Blickwinkel der Frömmigkeitsgeschichte. In diesem Sinne sieht Wolf im Tod der „Märtyrer“ einen zielgerichteten Akt – in Erwartung des Seelenheils – und einen radikalen Ausdruck der Körperfeindlichkeit dieser Christen, der vor dem Hintergrund zeitgenössischer und regional üblicher Bußrituale und -ideale betrachtet werden muss. Die Ablehnung des Islam war für die „Märtyrer“ nur eine zusätzliche Dimension der Abkehr von ihrer säkularen Umwelt – ein Schritt, der oft mit dem Rückzug in ein Kloster begann. Der Märtyrertod schloss jegliche Gefahr aus, nach Abschluss des reinigenden Bußwerkes noch einmal zu „sündigen“, da man nicht mehr den Versuchungen des Diesseits erliegen konnte, welche im speziellen Fall der cordobenser „Märtyrer“ vor allem von dem so bedrohlich wirkenden Islam auszugehen schienen. Wolf sieht also die Beweggründe der „Märtyrer“ auf einer viel individuelleren Ebene und damit weniger als Rebellion gegen den Islam als vielmehr eine Absicherung des eigenen Seelenheils, welches durch diesen in Gefahr schien.

Tiefenpsychologisch/psychopathologisch: Martyrien als auto-aggressiver Akt des Selbstmords in psychischen Krisensituationen

Clayton J. Drees[5] interpretiert die Provokationen der Hinrichtung als selbstmörderischen Akt. Als Ursache für dieses pathologische Verhalten vermutet er psychische Störungen, ausgelöst von permanenten Gefühlen der Angst, Anspannung und tiefer Abneigung gegenüber der muslimischen Herrschaft und Kultur. Diese nicht zu bewältigenden Aggressionen hätten die „Märtyrer“ schließlich gegen sich selbst gerichtet, so argumentiert Drees mit Verweis auf moderne psychoanalytische Suizidtheorien (Freud, Favazza, Menninger). Was Drees nicht berücksichtigt, ist der religiöse Hintergrund der damaligen Zeit, der mit der altkirchlichen Konzeption des Märtyrertums ein positiv besetztes Modell mit Vorbildcharakter verband. Das Streben nach dem Märtyrertod musste damit für Christen des 9. Jahrhunderts keine Verzweiflungstat sein, sondern kann als Verwirklichung eines christlichen Ideals gedeutet werden.

Rechts- und sozialgeschichtlich: Rebellion gegen zunehmende Diskriminierung und gesellschaftliche Marginalisierung

Verschiedene Autoren erwägen eine Interpretation des „Märtyrer“-Geschehens als Akt der sozial-politischen Rebellion gegen eine gesellschaftliche Unterdrückung der christlichen Minderheit im Andalus, wie sie Eulogius und Alvarus in ihren Schriften beschreiben. Eine genauere Betrachtung der Lebensbedingungen von Christen im muslimischen Spanien macht hier jedoch Differenzierungen notwendig: Tatsächlich war der rechtliche Status der christlichen Minderheit im Andalus nach dem islamischen Dhimma-Recht von einer bewussten Schlechterstellung und gesellschaftlichen Diskriminierung geprägt. Diese äußerten sich z.B. sich in erhöhten Sondersteuern (Dschizya), im Ausschluss der Christen von politischer Macht oder in Einschränkungen hinsichtlich der öffentlichen Ausübung der christlichen Religion. Im Einzelfall aber ist aus den Quellen – so insbesondere auch aus den Schriften des Eulogius und des Alvarus – immer wieder zu erkennen, dass theoretische diskriminierende Bestimmungen des allgemeinen Minderheitenrechts im Alltag des Andalus nicht zur Anwendung kamen. Gegen das von den genannten Quellenautoren gezeichnete Szenario einer regelrechten Christenverfolgung spricht zudem die grundsätzliche Toleranz des Islam gegenüber Angehörigen der monotheistischen Offenbarungsreligionen, denen Kultusfreiheit gewährt wird. Die Verschärfung der Repressionen gegen Christen von Seiten der muslimischen Obrigkeit in Córdoba erfolgte als Reaktion auf die Anfänge der ersten „Märtyrerbewegung“. Die insbesondere von Eulogius als Argument ins Feld geführte Zerstörung von Kirchen und die Säuberung des Beamtenapparats von Christen kann daher nicht ursprünglicher Auslöser der „Bewegung“ gewesen sein. Parallele Entwicklungen im Orient[6] aber lassen insgesamt ein gesellschaftliches Klima vermuten, in dem die islamische Obrigkeit angesichts einer fortschreitenden Akkulturation der christlichen Minderheit auf eine schärfere Segregation der Religionsgruppen drang.

Rezeptionsgeschichte und Nachleben

Die wiederholten öffentlichen Schmähungen und darauf folgenden Hinrichtungen schwächten das Ansehen der Mozaraber. Die kirchlich-christliche wie weltlich-islamische Obrigkeit reagierte unter anderem mit einem vom Emir veranlassten christlichen Konzil in Sevilla, bei dem die Verhaftung der Wortführer, unter anderem Eulogius wie auch ein Verbot für Christen, ein Martyrium anzustreben beschlossen wurde.[7]

Die Nachwirkungen der „Märtyrer von Córdoba“ und ihrer Hagiographen sind sehr gering. Für das muslimische Spanien selbst belegt lediglich der sogenannte Kalender von Córdoba in seiner lateinischen Fassung wohl aus dem Jahr 961 die liturgische Verehrung des Eulogius, des Alvarus sowie des Speraindeo. Weitere Zeugnisse sind hier nicht bekannt. Auch außerhalb des Andalus ist ein Kult um cordobenser Märtyrer nur spärlich nachzuweisen: Noch in den 850er-Jahren erfolgte die Translation der Reliquien dreier Märtyrer nach St-Germain-de-Près, in deren Zuge auch Auszüge aus den hagiographischen Schriften des Eulogius ins Frankenreich gelangten. Die Translation wird in fränkischen Passionaren erwähnt, zur Etablierung eines dauerhaften Kultes scheint es aber nicht gekommen zu sein. 883 wurden auf Veranlassung Alfons’ III. von Asturien-León die Gebeine des Eulogius sowie der „Märtyrerin“ Leocritia nach Oviedo überführt und hier in der Kathedralkirche beigesetzt.

Auch die apologetisch-polemischen Schriften des Eulogius und des Alvarus zeitigten kaum Nachwirkungen. Aus dem Mittelalter ist lediglich eine unikale Handschrift der Eulogius-Schriften bekannt, die nach der Edition des Textes jedoch noch im 16. Jahrhundert verschollen ist. Erst eine christlich-nationalspanische Geschichtsschreibung der Neuzeit rekurrierte seit dem 17. Jahrhundert verstärkt auf die „Märtyrer von Córdoba“ und ihre vermeintlichen „Chronisten“.

Einzelnachweise

  1. Roger Wright: The end of written ladino in Al-Andalus. In: Maribel Fierro, Julio Samsó (eds.): The Formation of Al-Andalus, Part 2: Language, Religion, Culture and the Sciences. London 1998, S. 19–36.
  2. Igor Pochoshajew: Die Märtyrer von Córdoba. Christen im muslimischen Spanien des 9. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 2007.
  3. Jessica A. Coope: The Martyrs of Córdoba. Community and Family Conflict in an Age of Mass Conversion. Lincoln (Nebraska) 1995.
  4. Kenneth Baxter Wolf: Christian martyrs in Muslim Spain. Cambridge Iberian and Latin American studies. History and social theory. Cambridge 1988.
  5. Clayton J. Drees: Sainthood and Suicide: The Motives of the Martyrs of Cordoba 850-859. In: The Journal of Medieval and Renaissance Studies 20 (1990), S. 59–90.
  6. Eva Lapiedra Gutiérrez: Los mártires de Córdoba y la política anticristiana contemporanea en Oriente. In: Al-Qantara 15 (1994), S. 453–462.
  7. Scheel a.a.O, zitiert Arnold Hottinger: Die Mauren – arabische Kultur in Spanien. Fink, München 2005, ISBN 3-7705-3075-6. S. 63–64

Quellen

  • Alvarus von Córdoba: Indiculus luminosus. ed. Juan Gil. In: Corpus Scriptorum Muzarabicorum. Consejo superior de investigaciones científicas: Manuales y anejos de Emerita, 28, vol. II. Madrid 1973, S. 270–315.
  • Alvarus von Córdoba: Vita Eulogii. ed. Juan Gil. In: Corpus Scriptorum Muzarabicorum. Consejo superior de investigaciones científicas: Manuales y anejos de Emerita, 28. Madrid 1973, 330-343.
  • Eulogius von Córdoba: Memoriale sanctorum sive libri III de martyribus Cordubensibus. ed. Juan Gil. In: Corpus Scriptorum Muzarabicorum. Consejo superior de investigaciones científicas: Manuales y anejos de Emerita, 28, vol. II. Madrid 1973, S. 363–459.
  • Eulogius von Córdoba: Documentum martyriale. ed. Juan Gil. In: Corpus Scriptorum Muzarabicorum. Consejo superior de investigaciones científicas: Manuales y anejos de Emerita, 28. Madrid 1973, S. 459–475.
  • Eulogius von Córdoba: Apologeticus sanctorum martyrum. ed. Juan Gil. In: Corpus Scriptorum Muzarabicorum. Consejo superior de investigaciones científicas: Manuales y anejos de Emerita, 28. Madrid 1973, S. 475–495.
  • Eulogius von Córdoba: Epistolae. ed. Juan Gil. In: Corpus Scriptorum Muzarabicorum. Consejo superior de investigaciones científicas: Manuales y anejos de Emerita, 28. Madrid 1973, S. 495–503.

Literatur

  • Ann Christys: St-Germain des Prés, St-Vincent and the Martyrs of Córdoba. In: Early Medieval Europe 7 (1998), S. 199–217.
  • Ann Christys: Christians in al-Andalus (711-1000). Culture and Civilization in the Middle East. Richmond 2002, S. 52–79.
  • Edward P. Colbert: The Martyrs of Córdoba. Washington, DC 1962.
  • Jessica A. Coope: The Martyrs of Córdoba. Community and Family Conflict in an Age of Mass Conversion. Lincoln (Nebraska) 1995.
  • A. Cutler: The Ninth-Century Spanish Martyrs’ Movement and the Origins of Western Christian Missions to the Muslims. In: Muslim World 55 (1965), S. 321–339.
  • Clayton J. Drees: Sainthood and Suicide: The Motives of the Martyrs of Cordoba 850-859. In: The Journal of Medieval and Renaissance Studies 20 (1990), S. 59–90.
  • Franz Richard Franke: Die freiwilligen Märtyrer von Cordova und das Verhältnis der Mozaraber zum Islam. Nach den Schriften des Speraindeo, Eulogius und Alvar. In: Spanische Forschungen der Görresgesellschaft, Reihe 1 13 (1958), S. 1–170.
  • Eva Lapiedra Gutiérrez: Los mártires de Córdoba y la política anticristiana contemporanea en Oriente. In: Al-Qantara 15 (1994), S. 453–462.
  • Lucas Francisco Matéo-Seco: Paulo Álvaro de Córdoba. Un personaje símbolo de la cultura mozárabe. In: Enrique de la Lama Cereceda (Hrsg.): Dos mil años de evangelización. Los grandes ciclos evangelizadores. XXI Simposio Internacional de la Teología de la Universidad de Navarra (Pamplona, 3-5 mayo de 2000). Pamplona 2001, S. 209–234.
  • Juan Pedro Monferrer Sala: Mitografía hagiomartirial. De nuevo sobre los supuestos mártires cordobeses del siglo XI. In: Maribel Fierro (Hrsg.): De muerte violenta. Política, religión y violencia en al-Andalus. Estudios onomástico-biográficos de al-Andalus, 14. Madrid 2004, S. 415–450.
  • Igor Pochoshajew: Die Märtyrer von Córdoba. Christen im muslimischen Spanien des 9. Jahrhunderts. Lembeck, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-8747-6540-4 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
  • Jesús Miguel Sáez Castán: El movimiento martirial de Córdoba. Notas sobre la bibliografía. Alicante 2008 (abgerufen am 15. September 2009).
  • Carlton M. Sage: Paul Albar of Córdoba: Studies on his Life and Writings. Washington D.C. 1943.
  • Kyrill Scheel: Die Märtyrer von Córdoba: Der Kampf des Paulus Albarus gegen den Islam. GRIN, München 2007, ISBN 978-3-638-91287-7.
  • Kenneth Baxter Wolf: Christian martyrs in Muslim Spain. Cambridge Iberian and Latin American studies. History and social theory. Cambridge 1988 (online).
  • Roger Wright: The end of written ladino in Al-Andalus. In: Maribel Fierro, Julio Samsó (eds.): The Formation of Al-Andalus, Part 2: Language, Religion, Culture and the Sciences. London 1998, S. 19–36.

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