Momotarō: Umi no Shimpei

Momotarō: Umi no Shimpei
Filmdaten
Originaltitel Momotarō: Umi no Shimpei
Produktionsland Japan
Originalsprache Japanisch
Erscheinungsjahr 1945
Länge 74 Minuten
Stab
Regie Mitsuyo Seo
Drehbuch Mitsuyo Seo
Produktion Tadahito Mochinaga
Musik Yūji Koseki

Momotarō: Umi no Shimpei (jap. 桃太郎 海の神兵, dt. „Momotarō: Göttlicher Krieger des Meeres“) ist ein Anime-Propagandafilm aus dem Jahr 1945. Er war der erste japanische Trickfilm in Spielfilmlänge.[1] Zielgruppe des Films waren Kinder, wie auch die Protagonisten Kinder beziehungsweise junge Tiere sind.[2][3]

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Der Film beginnt mit einem majestätischen Anblick des Fujiyama im Morgenlicht. Das Bild schwenkt zunächst in einen Wald und zu einem plätschernden Bach, dann in die freie Landschaft, wo ein Bärenjunges, ein Affe, ein Welpe und ein Fasan in Marineuniform unterwegs sind. Die Tiere haben ihre militärische Ausbildung abgeschlossen und wollen sich vor dem Ausschiffen verabschieden. Der kleine Affe spielt mit der Barettmütze des Bruders, die weggeweht wird und in einen Fluss fällt. Bei dem Versuch, sie wiederzuholen, droht der kleine Affe einen Wasserfall hinuntergeschwemmt zu werden. Durch eine gemeinsame Aktion aller Tiere gelingt seine Rettung. In einem Intermezzo beobachtet der Affe im Wind fliegende Löwenzahnsamen, die in ihm den bevorstehenden Einsatz wachrufen. Die lyrische musikalische Untermalung dieser Szene – hier mit scharf kontrastierenden Signaltönen und militärischen Befehlen – kehrt später beim Absprung der Fallschirmjäger wieder. Nun erfolgt ein Wechsel des Schauplatzes: Auf einer Pazifikinsel, einer Mischung aus Borneo, Indonesien und Neuguinea, erbauen Marinesoldaten, die als Hasen dargestellt sind, einen Flugplatz. Dazu werden auch allerlei „einheimische“ Tiere, etwa Elefanten, Nashörner, Hirsche, Kängurus und Eichhörnchen, eingesetzt. Unmittelbar nach Fertigstellung der Startbahn und Hangars treffen Transportflugzeuge unter Führung des Kommandanten Momotarō ein. Unter den Truppen sind auch die vier Tiere vom Beginn des Films, dessen Darsteller sich nach durchaus rassistisch motivierten Merkmalen unterscheiden. So sind die Tiere, welche Japaner verkörpern, durchweg aufgeweckte, intelligente und gutaussehende Wesen, während die Insulaner, darunter ein grotesker Nasenaffe, ein Gibbon und ein schwarzer Affe mit wulstigen Lippen, zwar als freundlich, aber doch etwas beschränkt und einfältig dargestellt werden. Die offenbar notwendige „Kulturmission“ folgt denn auch auf dem Fuße: Ein uniformierter Hund versucht, den „unzivilisierten“ Tieren Japanisch beizubringen. Das Ganze geht jedoch in Grunzen, Wiehern und Schnattern unter, bis der Bär seine Mundharmonika hervorholt und der Affe das Kindergartenlied „A-I-U-E-O“ anstimmt. Mit jeder Strophe kommt ein neues Instrument hinzu, bis schließlich die ganze Insel von dem Lied widerhallt. Es folgt eine musikalisch unterlegte Darstellung des Lagerlebens in aller Breite: Waschtag, Essenkochen, Empfang von Post aus der Heimat, sowie athletisch-militärische Übungen. Plötzlich schlägt die Stimmung des Films ins Dramatische um: Ein Aufklärungsflugzeug bringt Luftaufnahmen einer britischen Basis mit. Nun wird ein Angriff vorbereitet und die Ausrüstung vorbereitet; der Affe, das Bärenjunge und der Welpe gesellen sich zu den Fallschirmjägern, während der Fasan einen Begleitjäger des Geschwaders fliegen wird. Ein sich anschließender, von Kenzō Masaoka gestalteter „historischer Einschub“ zur Begründung der Notwendigkeit der „Befreiung“ Niederländisch-Indiens zeigt in eindrucksvollen Schattenrissen, wie verschlagene Europäer, die in Wahrheit Piraten sind, sich in die Gunst eines ostindischen Herrschers einschmeicheln und sein Land mit Waffengewalt unter ihr Joch zwingen. Im Epilog wird eine alte Steintafel im Dschungel mit folgender Prophezeiung gezeigt: „In einer mondbeschienenen Nacht wird unser Retter rittlings auf einem weißen Pferd aus dem Norden kommen. Göttliche Waffen handhabend, kommt er gewiss, unsere Rasse zu befreien“. Die Sequenz sollte den Zuschauern verdeutlichen, dass – ganz im Sinne der Parole von der „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“ – der Feldzug Japans gegen die Briten, Amerikaner und Niederländer auch der Kampf der Völker Ostindiens war und in ihrem eigenen Interesse stattfand.

In der Morgendämmerung werden die Flugzeuge startklar gemacht und heben zum Angriff ab. Nachdem ein Taifun mit heftigem Regen überstanden ist, kommt die feindliche Militärbasis in Sicht. Zu den geradezu lyrischen Klängen von Streichern und Harfe springen die Fallschirmjäger ab. Nach kurzem, heftigem Kampf wird die britische Festung genommen und Momotarōs Truppen erobern ein riesiges Waffenarsenal. In den anschließenden Verhandlungen versuchen sich die mit Hörnern auf dem Kopf als Dämonen (Oni) gekennzeichneten britischen Offiziere um die Verantwortung für die Unterzeichnung der Kapitulation herumzudrücken, bis Momotarō, die Rechte auf sein Samuraischwert gelegt, sie in gebieterischem Ton zur bedingungslosen Anerkennung ihrer Niederlage zwingt. Der Dialog wird zweisprachig geführt, wobei die englischen Passagen mit japanischen Untertiteln versehen sind. Der Film endet mit dem Eintreffen der Siegesmeldung in der Heimat. Nun trainieren die Tierkinder spielerisch für künftige Militäreinsätze, und der kleine Bruder des Affen wagt es, wie ein Fallschirmspringer vom Baum zu hüpfen. Er landet auf einer Karte Amerikas und stampft siegesgewiss mit dem Fuß auf.

Produktion und Veröffentlichung

Szene aus dem Film

Der Erfolg von Seos Zeichentrickfilm Momotarō no Umiwashi (桃太郎の海鷲), der am 25. März 1943 Premiere hatte,[3] [4] bewog die Kaiserliche Marine Japans, einen weiteren, doppelt so langen Zeichentrickfilm in Auftrag zu geben, der die Luftlandeoperationen im Zuge der Invasion von Niederländisch-Indien zum Thema haben sollte. Bei den Luftlandeoperationen waren zwar erhebliche Verluste zu verzeichnen, doch wurden sie von der Kriegspropaganda als große militärische Erfolge gefeiert. Die Filmfirma Shōchiku Dōga Kenkyūsho begann die Produktion des Films unter der Regie von Mitsuyo Seo mit 50 Personen und erhielt ein Budget von 270.000 Yen. Es wurde ein Jahr und zwei Monate an dem Film gearbeitet,[5] der Stab teilte sich dabei in drei Gruppen, von denen eine für den Anfangsteil des Films verantwortlich war, eine andere für die Inselszenen und eine für den Schlussteil des Films.[1] Zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Films im März 1945 hatte sich die Mitarbeiterzahl allerdings auf die Hälfte reduziert, da die Männer zur Armee und die Frauen in die Munitionsproduktion abkommandiert worden waren. Unmittelbar darauf musste Shōchiku wegen Rohstoffmangels schließen, und das Studio brannte bei einem Luftangriff im Mai 1945 vollständig aus.[6] Neben der üblichen Cel-Animation enthält der Film auch eine Szene, die mit Scherenschnitten animiert wurde.[3] Die Premiere in Japan war am 12. März 1945. 1984 erschien der Film in Japan bei Shōchiku auf VHS.[3] Laut Daniel Kothenschulte war die Produktion auch durch den abendfüllenden, chinesischen Trickfilm Tieshan Gongzhu (chinesisch 鐵扇公主 / 铁扇公主 ‚Kaiserliche Prinzessin Eisenfächer‘) von 1941 motiviert.[2]

Die Kopien des Films wurden auf Anweisung des Direktors zusammen mit anderen Kriegsfilmen vernichtet. Momotarō Umi no Shimpei wurde auf diese Weise zu einem „Geisterfilm“, den nach der Uraufführung am 12. April 1945 kaum jemand gesehen hatte, denn die Städte Japans lagen unter dem Dauerbombardement der Amerikaner, und die meisten Kinder waren aufs Land evakuiert. Erst 1983 entdeckte man eine Negativkopie, die im folgenden Jahr[5] von Shōchiku als Videokassette auf den Markt gebracht wurde.

Analyse und Bewertung

Trotz propagandistischer Unsäglichkeiten besitzt der Film gewisse künstlerische Qualitäten, und Seo hat das Genre des japanischen Animefilms weiterentwickelt. Dank der Bereitstellung erheblicher finanzieller und personeller Mittel konnte es sich Seo leisten, mit modernster Technik zu experimentieren. Er verwendete als erster japanischer Filmregisseur die 1933 von Ub Iwerks (1901-1971) entwickelte und von Walt Disney (1901–1966) in verfeinerter Form ab 1937 verwendete Multiplancamera. Tadahito Mochinaga (1919–1999) hatte bereits 1941 für Seos Film „Ameisenjunge“ (Ari-chan) die erste japanische Multiplancamera mit vier Ebenen konstruiert und bereits bei „Momotarō no Umiwashi“ mitgewirkt. Die Bildhintergründe wurden auf Glasplatten gemalt und in die Tiefe gestaffelt aufgenommen. Durch unterschiedliche zeitliche Verschiebung der Bilder in verschiedenen Ebenen ließ sich der Eindruck von Räumlichkeit erzielen, und mit der Multiplancamera gelang eine besonders realistische und effektvolle Darstellung von Landschaften und Flugszenen in Wolkenbänken. Auf die genaue Wiedergabe technischer Details legte Seo offensichtlich großen Wert, und der zur Landeoperation verwendete Flugzeugtyp (Mitsubishi G3M Chukou Typ 96) ist eindeutig identifizierbar. Auch wurde für eine qualitativ hochwertige, der Handlung angepaßten Filmmusik gesorgt, die bis heute anspruchsvolle Animefilme kennzeichnet. Als Komponist wurde Yuji Koseki (1909–1989) verpflichtet, der seit 1931 für Nippon Columbia Records in Tōkyō tätig war. Koseki gelangte nach dem Krieg zu internationalem Ruhm; er schrieb unter anderem die Musik für den Monsterfilm „Mosura“ (1961) und den Marsch für die Olympischen Spiele in Tōkyō 1964.[7]

Nach Daniel Kothenschulte diente der Film vor allem der Werbung für den Kriegseinsatz. Stilistisch falle der Film in zwei Teile, die Handlung auf dem Land und die Vorbereitung und Durchführung des Angriffs auf die britischen Stützpunkt. Dabei komme der Film jedoch nicht an vergleichbare Disney-Filme aus dieser Zeit oder das chinesische Vorbild Tieshan Gongzhu heran. Die Animationen, teils naturalistisch, teils anatomisch inkorrekt, passten nicht zueinander. Dennoch zeige der Film eine für die Anforderungen des Propagandafilms gelungene Steigerung des Tempos zum Schluss hin.[2]

Auswirkungen

Der Film war nach eigener Aussage von Osamu Tezuka eine der wesentlichen Inspirationen, die ihn dazu führten, Mangaka zu werden und später auch Trickfilme zu produzieren.[3]

Literatur

  • Günther Oestmann: Der Pfirsichjunge und der Krieg: Die Anfänge des japanischen Anime-Films. In: Kultur und Technik, 33, 2009, H. 3, S. 48–52.
  • Fred Patten: „Momotaro’s Gods-Blessed Sea Warriors: Japan’s Unknown Wartime Feature“. In: Ders., Watching Anime, Reading Manga: 25 years of Essays and Reviews, Berkeley 2004, S. 325–328
  • Katsunori Yamaguchi und Yasushi Watanabe: The History of Japanese Animation: Nihon Animēshon Eigashi, Ōsaka 1977.
  • John W. Dower: War without Mercy: Race and Power in the Pacific War, New York 1986, S. 251–257.
  • Yukio Fukushima und Abé Mark Nornes (Hrg.). The Japan/America Film Wars: World War II Propaganda and its Cultural Contexts (= Studies in Film and Video, Bd. 1). Chur u. a. 1991.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Helen McCarthy, Jonathan Clements: The Anime Encyclopedia. Revised & Expanded Edition. Stone Bridge Press, Berkeley 2006, ISBN 978-1-933330-10-5, S. 424–425.
  2. a b c Daniel Kothenschulte: Opulenz und Beschränkung – Stile des frühen Anime in ga-netchû! Das Manga Anime Syndrom, S. 60. Henschel Verlag, 2008.
  3. a b c d e Fred Patten: Watching Anime, Reading Manga - 25 Years of Essays and Reviews. Stone Bridge Press, 2004.
  4. Yukio Fukushima und Abé Mark Nornes (Hg.), The Japan/America Film Wars: World War II Propaganda and its Cultural Contexts (= Studies in Film and Video, Bd. 1), Chur u. a. 1991, S. 191–195.
  5. a b 桃太郎海の神兵(VHSビデオテープ). In: 松竹DVD倶楽部 (Shochiku DVD Club). Shōchiku, abgerufen am 22. Juli 2009 (japanisch).
  6. Katsunori Yamaguchi und Yasushi Watanabe: The History of Japanese Animation. Nihon Animēshon Eigashi, Ōsaka 1977, S. 229-233
  7. Günther Oestmann: Der Pfirsichjunge und der Krieg: Die Anfänge des japanischen Anime-Films. In: Kultur und Technik, 33, 2009, H. 3, S. 52.

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