microRNA

microRNA
Haarnadelstruktur einer pri-microRNA

microRNA (micros = griech. klein), abgekürzt miRNA oder miR, sind kurze, hoch konservierte, nicht kodierende RNAs, die eine wichtige Rolle in dem komplexen Netzwerk der Genregulation, insbesondere beim Gen-Silencing spielen. MicroRNAs regulieren die Genexpression hochspezifisch auf der post-transkriptionalen Ebene.[1] microRNAs weisen im Allgemeinen eine Größe von 21 bis 23 Nukleotiden (nt) auf.

Inhaltsverzeichnis

Mechanismus der Genregulation

Die Genregulation erfolgt bei Tieren durch Bindung der microRNAs an die 3’ untranslatierte Region (3’-UTR) der mRNA von Zielgenen, welche je nach Komplementärität der Bindesequenz und der beteiligten Proteine entweder an der Translation gehemmt, oder durch Zerschneiden abgebaut werden.[2] Partielle Komplementärität führt zur Translationshemmung, während perfekte Basenpaarung zur Degradation der Ziel-mRNA führt. Während lange Zeit davon ausgegangen wurde, dass von diesen beiden Mechanismen die Translationshemmung dominiert, ergaben neuere Studien, dass die Degradation von Ziel-mRNA relativ gesehen für einen größeren Anteil der Inhibition der Proteinproduktion verantwortlich ist.[3]

Geschichte

microRNAs wurden 1993 erstmals beschrieben[4], der Name microRNA wurde jedoch erst 2001 geprägt.[5][6] Im Nematoden Caenorhabditis elegans codierte das Gen lin-4 überraschenderweise nicht für ein Protein, sondern für zwei kleine RNA-Moleküle mit einer Länge von ungefähr 60 nt und ca. 20 nt. Das längere Molekül stellt nach heutigem Kenntnisstand die pre-microRNA dar. Bei dem Molekül mit ca. 20 Nukleotiden handelt es sich um die reife microRNA. Die kleinere RNA lin-4 reguliert das Gen lin-14, indem es sich durch Basenpaarung komplementär an die 3’-UTR der lin-14-mRNA bindet und die Translation der mRNA vermindert. Mit der Entdeckung einer weiteren miRNA (let-7) konnte gezeigt werden, dass es sich vermutlich nicht um ein seltenes Phänomen bei C. elegans handelt. Let-7 reguliert das Gen lin-41.[7] Da es sich bei let-7 und lin-41 um evolutionär konservierte Gene handelte, wurde deutlich, dass der Mechanismus der microRNA-Regulation auch auf andere multizelluläre Organismen angewendet werden könnte.[2] In den letzten Jahren sind die Erkenntnisse über microRNAs stetig gewachsen. Die Datenbank miRBase zeigt einen Zuwachs von über 4000 Sequenzen in den letzten zwei Jahren. Auch verzeichnet die Datenbank Pubmed einen starken Anstieg der Veröffentlichungen zum Thema microRNAs. Die biologischen Funktionen der meisten microRNAs sind noch unbekannt. Nach computerbasierten Vorhersagen könnten etwa 20–30 % der Gene im menschlichen Genom durch microRNAs reguliert sein.[8][9] Es kann angenommen werden, dass mehrere hundert bis wenige tausend unterschiedliche microRNAs kodiert werden.[2]

Biogenese

Die Transkription und Wirkung ist am Beispiel der Säugetiere beschrieben. Mit Abweichungen, z.B. bei den beteiligten Proteinkomponenten ist der Wirk-Mechanismus in den verschiedenen Spezies vergleichbar. Die Gene für die miRNAs befinden sich im Genom, sie werden von einer RNA-Polymerase II oder III transkribiert. Das entstandene Primärtranskript hat eine Länge von 500 bis 3000 Nukleotiden und trägt den üblichen Poly-A-Schwanz am 3'-Ende sowie ein 7-Methylguanosin-Cap am 5'-Ende. Das Primärtranskript heißt primary microRNA (pri-miRNA) und lagert sich zu einer Schleife zusammen. Die RNase III (Drosha) und das dsRNA-Bindeprotein DGCR8 (entspricht Pasha bei Drosophila melanogaster) formen einen Mikroprozessor-Komplex, durch den im Kern einer Zelle die pri-miRNA zu einer etwa 70–80 Nukleotide großen precursor microRNA (pre-miRNA) prozessiert wird. Die pre-miRNA formt dabei eine charakteristische Haarnadelstruktur (hairpin). Die pre-miRNA wird durch Exportin-5 in Anwesenheit von Ran-GTP als Kofaktor über die Kernporen der Kernmembran aktiv in das Cytoplasma exportiert. Im Zytoplasma werden die pre-miRNAs durch das RNAse-III-Enzym Dicer in 17–24 nt lange ds-miRNAs geschnitten. Dicer interagiert mit dem ds-RNA-Bindeprotein TRBP (RDE-4 in C. elegans und Loquacious in Drosophila melanogaster), wodurch die miRNA-Duplex entwunden und einzelsträngig wird. Dabei wird an dem Ende mit der geringeren thermodynamischen Stabilität begonnen. Abhängig davon bildet der miRNA-Strang mit dem 5’ Terminus an seinem Ende die reife miRNA, die auch guide RNA genannt wird. Der Gegenstrang wird in Annotation mit einem Stern markiert. Diese miRNA* kann möglicherweise in wenigen Fällen auch regulatorisch wirken. Die reife miRNA wird in einen Ribonukleoproteinkomplex aufgenommen (miRNP), der eine große Ähnlichkeit zum RISC-Komplex des RNAi-Pathways aufweist. Durch diesen miRISC Komplex kann die Aktivität der Zielgene durch zwei Methoden herunterreguliert werden.[10] Dies ist abhängig vom Grad der Komplementarität zwischen der microRNA und der mRNA des Ziel-Gens, sowie von RNA-Bindeproteinen der Argonaut-Familie. Bei teilweiser Übereinstimmung der Bindesequenz wird die Translation durch Bindung gehemmt. Bei hoher Komplementarität wird die Ziel-mRNA zerschnitten.[2] Die Wirkmechanismen der microRNAs und der sogenannten small interfering RNAs (siRNAs) weisen deutliche Parallelen auf. siRNAs werden von der RNase III Dicer aus langen doppelsträngigen RNAs (dsRNAs) prozessiert und als 21-28 nt lange einzelsträngige RNAs in den siRISC-Komplex aufgenommen. Dieser Komplex vermittelt die mRNA-Degradation.[11] Einen Durchbruch in der Wissenschaft stellt die Entdeckung dar, dass auch künstlich induzierte doppelsträngige RNA in C. elegans zu einem effizienten und spezifischen Gen-Knockdown führt. Dieser Mechanismus wird als RNA Interferenz (RNAi) bezeichnet. Für die Entdeckung des Mechanismus der RNA-Interferenz erhielten die beiden US-Wissenschaftler Andrew Z. Fire und Craig C. Mello im Jahr 2006 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.[12]

Expression

MicroRNAs haben sehr unterschiedliche Expressionsmuster und werden in der Entwicklung und in physiologischen Prozessen unterschiedlich reguliert. [1] Die Expression ist meist gewebespezifisch zusammen mit nahegelegen Genen organisiert. MicroRNAs können innerhalb von Exons oder Introns proteinkodierender Gene, oder in nicht-kodierenden Regionen lokalisiert sein. Manche microRNAs besitzen eigene Promotoren. Wenige microRNAs liegen in einem Cluster vor und werden gemeinsam transkribiert.

Aktuelle Forschung

Die Untersuchung der microRNA ist ein neues und sehr aktuelles Thema in der Molekular- und Zellbiologie. In den vergangenen Jahren wurde festgestellt, dass die miRNAs als bedeutende Regulatoren der Genübersetzung (Translation) nach der Genüberschreibung (Transkription) fungieren.[13] Dies geschieht über die spezifische Anhaftung an mRNA-Moleküle, deren Übersetzung in Proteine somit erschwert, völlig verhindert oder auch erleichtert wird.[14][15]

In Säugetierzellen konnten bislang über 800 unterschiedliche miRNAs nachgewiesen werden. Der Vergleich von Wirbellosen- und Wirbeltierzellen zeigt, dass die Struktur einiger dieser Moleküle hochgradig konserviert ist, was auf eine wichtige gemeinsame evolutionäre Funktion in sehr unterschiedlichen Spezies schließen lässt. [14]

Experimentelle und informatische Studien legen den Schluss nahe, dass jede miRNA einige mRNA-Moleküle regulieren kann, und dass 20–30 % aller menschlichen Gene von miRNAs mitgesteuert werden. [8][16]

Die Art und Anzahl im Zellkern hergestellter miRNA-Moleküle zeigt oft eine enge Korrelation mit dem Entwicklungsstand der Zelle (Zellteilung, Differenzierung in bestimmte Zelltypen, Apoptose (programmierter Zelltod bei Fehlern)). Die miRNAs wirken dabei in einem regulatorischen Netzwerk mit Transkriptionsfaktoren (TFn) zusammen. So belegen aktuelle Studien die kritische Funktion von miRNAs bei frühen Entwicklungsprozessen von Tieren, zum Beispiel Neurogenese [17], Myogenese (Muskelbildung) [18], Kardiogenese (Herzbildung,[19]) und Hämatopoese (Blutbildung)[20]. Obwohl wahrscheinlich unabhängig entstanden, spielen miRNAs auch bei Pflanzen eine wichtige Rolle.[21]

Weiterhin wurde vorgeschlagen, dass miRNAs sehr wichtig für die Unterdrückung von zellulären Transformationen wie Tumorbildung sind, da eine fehlerhafte Bildung von miRNA-Molekülen in Zellen diese unerwünschten Prozesse verstärkt.[22] Der Einfluss des als Tumorsuppressor bekannten p53-Proteins auf die Reifung verschiedener miRNAs, die das Zellwachstum hemmen, legt diesen Schluss ebenfalls nahe.[23]

Neuere Forschungen zeigen, dass bestimmte miRNAs für die Aufrechterhaltung der Pluripotenz und der Selbsterneuerung von embryonalen Stammzellen wichtig sind. microRNAs könnten daher in Zukunft nützliche molekularbiologische Werkzeuge für die Manipulation von Stammzellen darstellen.[14]

Zu Forschungszwecken können zelluläre microRNA-Moleküle mit Hilfe komplementärer Antagomire inhibiert werden.

Neuste Ergebnisse deuten darauf hin, dass miRNA durch Nahrung aufgenommen wird und Prozesse im Körper beeinflusst. [24]

Einzelnachweise

  1. a b He, L. & Hannon, G.J. (2004): MicroRNAs: small RNAs with a big role in gene regulation. In: Nat. Rev. Genet. 5(7):522-531. PMID 15211354
  2. a b c d Wienholds, E. & Plasterk, R.H. (2005): MicroRNA function in animal development. In: FEBS Lett. 579(26):5911-5922. PMID 16111679
  3. Guo, H. et al. (2010): Mammalian microRNAs predominantly act to decrease target mRNA levels. In: Nature. 466, 835–840.
  4. Lee et al. (1993): The C. elegans heterochronic gene lin-4 encodes small RNAs with antisense complementarity to lin-14. In: Cell. 75(5):843-854 PMID 8252621
  5. Ruvkun (2001): Molecular biology. Glimpses of a tiny RNA world. In: Science. 294(5543):797-799. PMID 11679654
  6. Lee et al. (2004): A short history of a short RNA. In: Cell. 116:S89-92. PMID 15055592
  7. Reinhart, B. J. et al (2000): The 21-nucleotide let-7 RNA regulates developmental timing in Caenorhabditis elegans. Nature. 403(6772):901-906. PMID 10706289
  8. a b Lewis, B. P. et al. (2005): Conserved seed pairing, often flanked by adenosines, indicates that thousands of human genes are microRNA targets. In: Cell. 120(1):15-20. PMID 15652477
  9. Xie, X. et al. (2005): Systematic discovery of regulatory motifs in human promoters and 3' UTRs by comparison of several mammals. In: Nature. 434(7031):338-345. PMID 15735639
  10. Kim, V.N. & Nam, J.W. (2006): Genomics of microRNA. In: Trends Genet. 22(3):165-173 PMID 16446010
  11. Okamura, K. & Lai, E.C. (2008): Endogenous small interfering RNAs in animals. In: Nat. Rev. Mol. Cell. Biol. 9(9):673-678. PMID 18719707
  12. Fire, A. et al. (1998): Potent and specific genetic interference by double-stranded RNA in Caenorhabditis elegans. In: Nature. 391(6669):806-811 PMID 9486653
  13. Bartel, D.P. (2004) MicroRNAs: genomics, biogenesis, mechanism, and function. In: Cell. 116, 281–297. PMID 14744438
  14. a b c Kye-Seong Kim (2009): A study of microRNAs in silico and in vivo: emerging regulators of embryonic stem cells. In: FEBS J. 276(8):2140-2149
  15. Gangaraju, V.K. & Lin, H. (2009): MicroRNAs: key regulators of stem cells. In: Nat. Rev. Mol. Cell Biol. 10(2):116-125.
  16. Yeom, K.H. et al.(2006): Characterization of DGCR8⁄Pasha, the essential cofactor for Drosha in primary miRNA processing. In: Nucleic Acids Res. 34, 4622–4629.
  17. Makeyev, E.V. et al. (2007): The MicroRNA miR-124 promotes neuronal differentiation by triggering brain-specific alternative pre-mRNA splicing. In: Mol. Cell 27, 435–448.
  18. Rao, P.K. et al (2006): Myogenic factors that regulate expression of muscle-specific microRNAs. In: Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 103, 8721–8726.
  19. Zhao, Y. et al. (2005): Serum response factor regulates a muscle-specific microRNA that targets Hand2 during cardiogenesis. In: Nature 436, 214–220.
  20. Chen, C.Z. et al. (2004): Micro-RNAs modulate hematopoietic lineage differentiation. In: Science. 303, 83–86.
  21. Palatnik, J.F. et al. (2003): Control of leaf morphogenesis by microRNAs. In: Nature. 425, 257-263.
  22. Ventura, A. et al. (2008): Targeted deletion reveals essential and overlapping functions of the miR-17 through 92 family of miRNA clusters. In: Cell. 132, 875–886.
  23. Suzuki, H. et al. (2009): Modulation of microRNA processing by p53. In: Nature. 460, 529–533.
  24. Lin Zhang et al. Exogenous plant MIR168a specifically targets mammalian LDLRAP1: evidence of cross-kingdom regulation by microRNA, Cell Research 2011

Siehe auch

Weblinks

"Sand et al. : MicroRNAs and the skin: tiny players in the body's largest organ.J Dermatol Sci. 2009 Mar;53(3):169-75.".


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