Marcellianus dux

Marcellianus dux

Marcellianus (* 4. Jahrhundert n. Chr. in Pannonien), war der Sohn des Prätorianerpräfekten Flavius Maximinus und ein hoher Stabsoffizier der spätrömischen Armee. Als dux (Heerführer) war er unter Kaiser Valentinian I. (364–375) mit dem Amt des militärischen Oberbefehlshabers über die in der pannonischen Provinz Valeria stationierten Einheiten betraut (Dux Valeriae ripensis).[1]

Der schwerbefestigte spätantike Limes im Großraum des Donauknies mit dem Kastell Göd-Bócsaújtelep

Marcellianus war, wie der in Valerias Hauptstadt Sopianae (Pécs) geborene, einflussreiche Maximinus (376 hingerichtet),[2] der auch höhere Ämter bekleidet hatte, in Pannonien geboren worden und erhielt als junger Mann in Folge einer Intrige seines als jähzornig und menschlich roh geltendenen Vaters die Möglichkeit, im Militärdienst rasch Karriere zu machen. In Valeria hatte die anmaßende und vertragsbrüchige Grenzpolitik des Kaisers Valentinians I. (364–375) dazu geführt, dass sich die nördlich und nordöstlich der Donau siedelnden Quaden gegen die Römer erhoben. In der Folge hatte der erfahrene und vorsichtig agierende valerische dux Frigeridus in Absprache mit seinem Vorgesetzten die militärischen Baumaßnahmen auf dem annektierten Quadengebiet, darunter die geplante Großfestung Göd-Bócsaújtelep, 373 wieder einstellen lassen. Ein Bericht über diese Maßnahme war an Kaiser Valentinian und Maximinus abgegangen. Der ergriff die Gelegenheit, um seinen Sohn in den Vordergrund zu spielen.[3] Er bezichtigte Equitius, den Vorgesetzten des Frigeridus, als unfähig mit der Gefahrensituation fertig zu werden und empfahl, das Dukat stattdessen an seinem Sohn zu übertragen, sodass dieser sich so rasch wie möglich dem leidigen Barbarenproblem annehmen könnte. 373/374 wurde Frigeridus daher abgesetzt. Sein als arrogant beschriebener Nachfolger Marcellianus ließ die Baumaßnahmen im Quadengebiet im Frühjahr bzw. Frühsommer 374 umgehend wiederaufnehmen. Gleichzeitig wurde der Quadenkönig Gabinius zu Scheinverhandlungen eingeladen und schon bald nach seiner Ankunft unter grober Missachtung des Gastrechts am Ende eines Banketts niedergestochen.[4] Je nach Quelle (Zosimos und Ammianus Marcellinus) war für diese Tat ein Celestius oder Marcellianus selbst dafür verantwortlich.

Nach diesem heimtückischen Verrat starteten die empörten Quaden umgehend einen Rachefeldzug. Es gelang ihnen offenbar ohne Schwierigkeiten, die südlich ihrer Gebiete, hinter dem sarmatischen Limes lebenden und mit Rom verbündeten Jazygen sowie die östlich der Quaden und im Banat siedelnden Argaraganten als Kampfgefährten gewinnen. Für die Römer völlig unerwartet überquerten Germanen und Sarmaten zur Erntezeit die Donau und fielen in die offensichtlich nur schwach oder nachlässig verteidigten Provinzen Pannonia Secunda und Moesia prima ein, da es dort – im Gegensatz zur Valeria – noch keine neuen und stark befestigen Grenzanlagen gab.[5] Insbesondere an der dichten valerianischen Festungskette westlich der umstrittenen Teile der quadischen Stammesgebiete, auf der Höhe des Donauknies, wäre für die Angreifer wahrscheinlich kein Durchkommen gewesen.

Die sich gerade auf der Durchreise durch dieses Gebiet befindliche Tochter des Kaisers Constantius II. entkam nur in letzter Sekunde den rasch vorankommenden Invasoren und rettete sich mit ihrem Gefolge in das nahegelegene Sirmium.[6] Die Angreifer verzichteten jedoch auf eine Belagerung der Stadt und wandten sich stattdessen der Valeria zu.[7] Nachdem Quaden und Sarmaten die Militäranlagen an der dortigen Donaugrenze geschickt umgangen hatten, waren Marcellianus und seine Offiziere offensichtlich nicht in der Lage, den marodierenden Gegner wieder aus Pannonien zu vertreiben. Stattdessen musste der Augustus des Westens, Valentinian I., im Juni 374 persönlich mit einer schlagkräftigen Armee in Pannonien intervenieren und - nach einem erfolgreichen Brückenschlag über die Donau auf sarmatisches Gebiet - die Gegner mit einer mit äußerster Härte geführten Strafexpedition niederwerfen und zu einem Föderatenvertrag zwingen. Während der Friedensverhandlungen im Legionslager von Brigetio verstarb der Kaiser am 17. November 375 nach einem offenbar durch einen Wutausbruch ausgelösten Schlaganfall.

Die Folgen des quadisch-sarmatischen Angriffs waren, dass die wiederaufgenomenen Arbeiten am Kastell Göd-Bócsaújtelep endgültig gestoppt werden mussten und die römische Expansion östlich und nördlich der Donau zum Stillstand kam.[8] Mit dem kurze Zeit später auf dem Balkan tobenden Zweiten Gotenkrieg des Ostkaisers Valens (364–378) und der daraus resultierenden verheerenden Niederlage für Rom bei der Schlacht von Adrianopel (378) mussten alle römischen Kontrollstationen östlich und nördlich der pannonischen Donau – und auch der Limes Sarmatiae – endgültig aufgegeben werden.

Bekannte Oberkommandeure der Provinz Valeria

Name Amtsbezeichnung Zeitstellung Bemerkung
Augustianus[9] viro clarissimo comite ordinis primi et duce Valeriae limitis[10] 364/365–367 Erwähnt in einer Bauinschrift aus Esztergom. Nach Sándor Soproni könnte sie zum Kastell Esztergom–Hideglelőskereszt gehört haben.
Terentius dux Valeriae 367/368 bis spätestens 371 Ausbau an Binnenfestungen und Limesanlagen sind erkennbar.
Frigeridus vir perfectissimus, dux Valeriae ab spätestens 371 bis 373/374[8] Frigeridus ist wahrscheinlich germanischer Abstammung. Ausbau von Binnenfestungen und Limesanlagen werden in einem bisher unbekanntem Maß vorangetrieben.
Marcellianus dux Valeriae ab 373/374 Marcellianus ist aus Pannonien gebürtig. Aufgrund der Kriegswirren 374–375 und der anschließenden Ereignisse gegen germanische und sarmatische Feinde (u.a. Zusammenbruch des Limes Sarmatiae) stocken die Arbeiten am Limes und werden teilweise ganz aufgegeben.

Einzelnachweise

  1. Notitia Dignitatum, IN PARTIBUS OCCIDENTIS, XXXIII.
  2. Karlheinz Deschner: Kriminalgeschichte des Christentums. Band 2. Rowohlt Verlag, 1986, ISBN 3498012770, S. 118.
  3. Zsolt Mráv: Archäologische Forschungen 2000–2001 im Gebiet der spätrömischen Festung von Göd-Bócsaújtelep (Vorbericht) 2002. In: Communicationes archeologicae Hungariae 2003. Népművelési Propaganda Iroda, Budapest 2003, S. 99.
  4. Konrad Bund: Thronsturz und Herrscherabsetzung im Frühmittelalter. Bonner Historische Forschungen 44. Bonn 1979, ISBN 3792804174, S. 127.
  5. Maria R.-Alföldi: Gloria Romanorum. Schriften zur Spätantike. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 3-515-07918-1 (Historia. Einzelschriften, 153), S. 320.
  6. Maria R.-Alföldi: Gloria Romanorum. Schriften zur Spätantike. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 3-515-07918-1 (Historia. Einzelschriften, 153), S. 319.
  7. Maria R.-Alföldi: Gloria Romanorum. Schriften zur Spätantike. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 3-515-07918-1 (Historia. Einzelschriften, 153), S. 321.
  8. a b Zsolt Mráv: Archäologische Forschungen 2000–2001 im Gebiet der spätrömischen Festung von Göd-Bócsaújtelep (Vorbericht) 2002. In: Communicationes archeologicae Hungariae 2003. Népművelési Propaganda Iroda, Budapest 2003, S. 101.
  9. Klaus Wachtel: Frigeridus dux, in: Chiron, Bd. 30 (2000), S. 905–914, hier: S. 913.
  10. CIL 03, 10596.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Marcellianus — ist der Name folgender Personen: Marcellianus dux, spätantiker Oberbefehlshaber der Provinzarmee von Valeria hl. Marcellianus, starb als Märtyrer im Jahre 286 in Rom hl. Marcellianus, Martertod in Frankreich, Gedenktag 29 Juni hl. Marcellianus,… …   Deutsch Wikipedia

  • MARCELLIANUS — Dux poten tissimus, in Dalmatia, post Aetii mortem, rerum potitus est. Inde tamen ab Imperat, Leone abstractus, eius hortatu, Vandalos Sardiniâ feliciter pepulit. Ceterum Marcelliani dicti sunt, saeculô 4. Marcelli Ancyrani errores sectati,… …   Hofmann J. Lexicon universale

  • Terentius dux — Terentius war der Name von ein oder zwei Persönlichkeiten, die als hohe Stabsoffiziere in der spätrömischen Armee dienten. Als duces hatten sie unter Kaiser Valentinian I. (364–375) bzw. Valens (364–378) den militärischen Oberbefehl über die… …   Deutsch Wikipedia

  • Frigeridus — (* vor der Mitte des 4. Jahrhunderts; † im ausgehenden 4. Jahrhundert) war ein wahrscheinlich germanischstämmiger, hoher ritterlicher Stabsoffizier der spätrömischen Armee. Als dux (Anführer) hatte er unter Kaiser Valentinian I. (364–375) den… …   Deutsch Wikipedia

  • Kastell Nagytétény —  Karte mit allen Koordinaten: OSM, Google oder …   Deutsch Wikipedia

  • Kastell Göd-Bócsaújtelep —  Karte mit allen Koordinaten: OSM, Google oder …   Deutsch Wikipedia

  • Legio X Gemina — Die Legio X war eine Legion der römischen Armee. Weil Caesar der X. Legion einmal Pferde gab und sie als Kavallerie einsetzte, da er den verbündeten gallischen Reitern nicht traute, wurde sie auch Legio X Equestris („zehnte berittene Legion“)… …   Deutsch Wikipedia

  • Jazygen — Die Jazygen, auch Jazygier, (lat. Iazyges) waren ein Stamm der Sarmaten, einem Volk von Reiterkriegern, das zwischen dem 6. Jahrhundert v. Chr. und dem 4. Jahrhundert n. Chr. im südrussischen und ukrainischen Steppengebiet von …   Deutsch Wikipedia

  • Limes Sarmatiae — Der pannonische Limes mit dem Wallsystem des Limes Sarmatiae Als Limes Sarmatiae wird ein römisches Erdwall und Grabenliniensystem (ungarisch: Ördögárok = Teufelsgraben) im heutigen Zentralungarn östlich der Donau bezeichnet. Die Ursprünge der… …   Deutsch Wikipedia

  • Valentinian I. — Valentinian I. Valentinian I. (Flavius Valentinianus; * 321 in Cibalae [wahrscheinlich Mikanovici], Pannonien; † 17. November 375 in Brigetio bei Komárom im heutigen Ungarn) war von 364 bis 375 römischer Kaiser im Westen des Imperiums. Als sein… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”