Leben und Zeit des Michael K.

Leben und Zeit des Michael K.

Leben und Zeit des Michael K. (engl. Life & Times of Michael K) ist ein Roman des südafrikanischen Literaturnobelpreisträgers J. M. Coetzee, der 1983 erschien und im gleichen Jahr mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde. Er beschreibt aus der Perspektive vor dem Ende der Apartheid ein stark fiktionalisiertes Südafrika der Zukunft, das sich in einem Bürgerkrieg befindet, und zählt zu Coetzees meistrezipierten Büchern.

Landschaft bei Stellenbosch in der Provinz Westkap, durch die Michael K. im Roman seine Mutter zieht

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Titel und Name der Hauptfigur

Der Titel Life & Times of Michael K (im englischen Original, anders als in der deutschen Übersetzung, ohne Abkürzungspunkt) wurde auf verschiedene Weise interpretiert. Der Name der Hauptfigur stellt einerseits einen Bezug zu den Hauptfiguren von Franz Kafkas Romanen Der Process und Das Schloss her, die das Initial K mit Coetzees Hauptfigur teilen. Die direkte Bezugnahme von Coetzee auf Kafka ist in der Forschung um den Roman praktisch Konsens. Andererseits ergibt sich durch den Vornamen Michael eine autobiografische Lesart: Michael ist Coetzees eigener zweiter Vorname, gleichzeitig tritt sein Familienname teilweise auch in Varianten wie „Kotze“ oder „Koekemor“ auf, von denen sich das K herleiten lässt, worauf Nadine Gordimer hinwies (die gleichzeitig als praktisch einzige Interpretin einen Bezug zu Kafka abstritt).[1] Coetzee selbst hat mehrfach die Ansicht geäußert, dass sich autobiografische Elemente aus der Literatur nicht verbannen ließen und jeder Text bis zu einem gewissen Grad autobiografisch sei. In mehreren seiner Werke werden autobiografische Erzählungen mit Fiktion vermengt, was Interpretationen hervorrief, auch der Name Michael K sei eine Anspielung, die in dieser Hinsicht Unklarheit schaffen solle.[2]

(The) Life and Times of... wiederum ist eine Formel, die im Titel von Biografien, Bildungsromanen und historischen Romanen seit dem 18. Jahrhundert gebräuchlich ist und damit eine Verbindung zu diesen Genres herstellt. Diese Traditionen zielten in der Regel darauf ab, ein Individuum im Kontext seiner Gesellschaft darzustellen; in Coetzees Roman wird dies ironisch gebrochen, als die Hauptfigur Michael K. jede Verbindung zur Außenwelt und zu anderen Menschen gerade abzuschneiden versucht. Durch die fiktive Epoche, in der der Roman spielt, lässt sich Times auch nicht eindeutig zuordnen.[3]

Handlungsort

Der Roman spielt an teilweise realen Orten in Südafrika. Elf Jahre vor dem Ende der Apartheid erschienen beschreibt er ein Zukunftsszenario, in dem die Rassentrennung andauert und Bürgerkrieg herrscht. Wer genau die Konfliktparteien sind, wird aber nicht deutlich. Genaue Zeitangaben werden ebenfalls nicht gemacht; es lässt sich aus den Beschreibungen technischer Errungenschaften, die durchgehend dem Stand zur Zeit der Romanpublikation entsprechen, jedoch ableiten, dass es sich um eine nicht ferne Zukunft handelt. Teilweise wird auch auf südafrikanische Ereignisse der Vergangenheit angespielt, etwa den Aufstand in Soweto von 1976 und die anschließenden Unruhen. Konflikte aus dieser Zeit sowie die damit einhergehenden Sorgen und Ängste der Bevölkerung werden von Coetzee so in die Zukunft projiziert.[3]

Handlung

Ein nicht näher bestimmter Vorort von Kapstadt (im Bild Woodstock) ist der Ausgangs- und Endpunkt von Michael K.s Reise.

Die Hauptfigur Michael K. ist ein einfacher und ungebildeter Gärtner in einem Vorort von Kapstadt, der im ersten Satz des Romans durch seine Hasenscharte charakterisiert wird. Seine ethnische Zugehörigkeit wird im Roman nie direkt erwähnt; anhand der Eintragungen einer Karteikarte, die auf der Polizeistation über ihn angelegt ist, lässt sich aber indirekt schlussfolgern, dass er farbig ist.[4] Die Romanhandlung beginnt mit der Geburt K.s. Er hat eine starke Bindung zu seiner Mutter, einer Putzfrau, die ihn jedoch wegen seiner körperlichen Entstellung schon hier abweisend behandelt. Als der Bürgerkrieg eskaliert und seine Mutter schwer erkrankt, gibt Michael K. seine Stelle auf, um die Mutter aufs Land zu ihrer Heimatfarm zu bringen. Da er die nötigen Papiere für die Reise nicht bekommen kann, schiebt er sie in einem Handkarren. Unterwegs stirbt die Mutter in einem Krankenhaus in Stellenbosch. Michael K. will ihre Asche in einer Plastiktüte zur Farm bringen, wird auf seinem Weg aber von Regierungsbeamten aufgegriffen und in ein Arbeitslager gebracht. Nachdem ihm die Flucht gelungen ist, versteckt er sich auf einer verlassenen Farm (es ist unklar, ob es sich dabei wirklich um die Geburtsfarm seiner Mutter handelt) und baut Kürbisse an. Von dort aus beobachtet er mehrfach Widerstandskämpfer, die vorüberziehen und teilweise seinen Garten benutzen. Obwohl ihn das verärgert, verlässt er sein Versteck nicht.

Nachdem er erneut von Soldaten aufgegriffen wurde, wird er in ein Wiedereingliederungslager in der Kapregion geschickt. Dort beginnt sich ein Arzt für ihn zu interessieren. Michael K. verweigert das Essen und wird schwer krank. Der Arzt versucht vergeblich, die Motivation hinter seinem Verhalten zu verstehen, und setzt sich für seine Freilassung ein. Schließlich gelingt Michael K. jedoch wieder selbst die Flucht. Eine Weile lebt er bei Nomaden, kehrt dann jedoch zurück in seine alte Wohnung in Kapstadt. Am Schluss des Romans schöpft Michael K. mit einem Teelöffel Wasser aus einem Brunnen und nimmt sich vor, diese Lebensweise – das Schöpfen einer winzigen Portion nach der anderen – zu einem Prinzip zu erheben.

Erzählweise

Der Roman ist in drei Abschnitte gegliedert. Der erste und mit Abstand längste beschreibt Michael K.s Geschichte vor seiner Einweisung in das Lager in der dritten Person. Dialoge sind dabei aufgrund seiner unkommunikativen Art relativ selten. Die Erzählung beschränkt sich größtenteils auf Handlungsbeschreibungen und einige Gedanken Michael K.s. Die Figur wird dabei nicht völlig kohärent dargestellt: während viele seiner Gedanken auf einem naiven, teilweise kindlichen Niveau angesiedelt sind, erreichen einige Reflexionen auch ein relativ hohes Niveau, das als widersprüchlich zu seinem sonstigen Verhalten gelesen wurde.[5] Derek Attridge sah in dieser Erzählweise einen Versuch, die Erzählung selbst von Michael K. zu distanzieren: seiner Meinung nach soll deutlich gemacht werden, dass die Erzählung nicht wirklich Michael K.s Innenleben erfasst (wie es etwa in Erlebter Rede suggeriert würde), sondern stets eine künstliche Position außerhalb der wirklichen Gedankenwelt beibehält.[6]

Der zweite Teil des Romans beschreibt Michael K.s Zeit im Wiedereingliederungslager und bringt einen radikalen Perspektivwechsel mit. Er besteht aus Tagebucheinträgen des Arztes, die in der ersten Person verfasst sind und seine Versuche reflektieren, Michael K. zu verstehen. Von dessen Innenleben wird in diesem Teil nichts erzählt: der Leser erlebt nur das Scheitern des Arztes mit, Michael K.s Persönlichkeit zu verstehen. Der Arzt spricht ihn dabei durchgängig mit einem falschen Namen an, nämlich „Michaels“.

Der dritte und kürzeste Teil befasst sich mit der Zeit nach Michaels Flucht und ist, wie der erste Teil, wieder in der dritten Person erzählt.

Bezüge zu anderen Werken

Wie viele von Coetzees Romanen ist Leben und Zeit des Michael K. reich an intertextuellen Bezügen zu verschiedenartigen anderen Werken. Prominente Vergleiche, die wiederholt gezogen werden, betreffen Werke von Franz Kafka und Samuel Beckett. Hier finden sich viele offensichtliche Parallelen. Das Initial K teilt Michael sowohl mit den Hauptfiguren von Kafkas Romanen Der Process und Das Schloss als auch mit Kafka selbst. Coetzee selbst hat mehrere Essays über Kafka veröffentlicht und auch in seinem Roman Elizabeth Costello eine eindeutig an das Schloss angelehnte Episode geschrieben. Nach der Namensgebung von Michael K. befragt, äußerte er: „[I]ch bedaure es nicht, den Buchstaben K in Michael K. benutzt zu haben, wenngleich das nach Selbstüberschätzung aussieht. Es gibt kein Monopol auf den Buchstaben K; oder, um es anders auszudrücken, es ist genauso gut möglich, das Universum um die Stadt Prince Albert in der Kap-Provinz kreisen zu lassen wie um Prag.“[7] Neben den Protagonisten der beiden Romane weist Michael K. auch signifikante Ähnlichkeiten zu Kafkas Hungerkünstler auf, der durch das Verweigern der Nahrungsaufnahme nach und nach verschwindet. Während Kafkas Hungerkünstler dies jedoch als öffentliche Vorführung betreibt, ist für Coetzees Michael K gerade der Rückzug aus der Gesellschaft und die Verweigerung ihrer Anforderungen entscheidend. Anders als der Hungerkünstler trägt Michael K. keine heroischen Züge. Deutliche Parallelen zu Kafka finden sich auch in Coetzees Beschreibungen endlos lange andauernder und aussichtsloser bürokratischer Mechanismen, etwa bei Michael K.s Antrag um eine Reiseerlaubnis bei den Behörden, die letztlich nie ausgestellt wird, bis er sich illegaler weise eigenständig auf den Weg macht.[8][9]

Szene aus einer Inszenierung von Warten auf Godot. In seiner Außenseiterthematik ist Coetzees Roman an verschiedene Werke Becketts angelehnt.

Ein weiterer Autor, mit dessen Werk der Roman wiederholt in Bezug gesetzt wurde, ist Samuel Beckett. Einer der Literaturwissenschaftler, die sich mit diesem Bezug intensiv beschäftigt haben, ist Gilbert Yeoh. Yeohs Ansicht nach bedient sich Coetzee in seinem Gesamtwerk, in besonderem Maße aber in Michael K., gezielt Erzählstrategien Becketts, um sie in Wechselwirkung mit den konkreten politischen Implikationen für die Situation Südafrikas zu setzen. Er bezieht sich dabei insbesondere auf Becketts Romane, vor allem auf Molloy; die zu Grunde liegende Außenseiter-Thematik ist jedoch in Becketts Gesamtwerk, etwa auch in seinem bekanntesten Theaterstück Warten auf Godot, nachweisbar. Für Yeoh werden Becketts Außenseiterfiguren durch allgemeine Entfremdung in ihre Positionen gedrängt, während Coetzee daraus ein konkretes Problem der sozialen Ausgrenzung macht. Er weist zwischen Beckett und Coetzee verschiedene direkte Bezugnahmen auf sprachlicher und ideologischer Ebene nach, wobei die Unfähigkeit, die eigene Geschichte zu erzählen, eine besondere Rolle einnimmt. Während Becketts Charaktere dieses Problem oft selbst thematisieren, wird es von Michael K jedoch in der Regel nur durch seine Mitmenschen (etwa den Arzt im Wiedereingliederungslager) wahrgenommen. Anhand dieser Ausgangslange kommt Yeoh zu der Ansicht, Coetzee fühle sich in diesem Roman offenkundig nicht in der Lage, eine Geschichte aus „schwarzer“ Sicht zu erzählen, gleichzeitig jedoch in gewisser Weise dazu verpflichtet – und der weißen Bevölkerung unwiederbringlich entfremdet.[10]

Manfred Loimeier erkannte darüber hinaus ein Gedicht des brasilianischen Dichters João Cabral de Melo Neto als Bezugspunkt, das in der englischen Übersetzung von Elizabeth Bishop The Death and Life of a Severino heißt und damit schon im Titel Parallelen aufweist. Severino, ein in Brasilien gängiger Name, steht seiner Meinung nach in ähnlicher Weise stellvertretend für den Durchschnittsmenschen wie der Name Michael K. Ähnlich wie Michael K. stammt Severino aus kleinen Verhältnissen und ist mit Problemen wie Hunger und Krankheit konfrontiert. Das Gedicht beschreibt seinen Weg vom Landesinneren an die Küste, wobei er unter anderem zwei Männern begegnet, die einen Leichnam in einer Hängematte tragen. Loimeier sieht hierin ein literarisches Vorbild für Coetzees Roman.[11]

Interpretationen

Ein typisches Motiv, das Leben und Zeit des Michael K. mit vielen anderen Romanen Coetzees teilt, ist das Erzählen einer Handlung, die sich historisch nicht eindeutig zuordnen lässt. Ein Problem, das sich daraus ergibt, ist die Frage, ob der Roman allegorisch zu lesen ist. Das Problem der Allegorie wird im Roman auch konkret angesprochen: der behandelnde Arzt bezeichnet Michael K.s Aufenthalt im Wiedereingliederungslager als Allegorie, die es zu durchschauen gilt.[12] Mit der Frage, ob der Roman selbst als Allegorie zu lesen ist (also in seiner wörtlichen Bedeutung eine andere impliziert), haben sich verschiedene Kritiker beschäftigt, darunter etwa David Attwell, der Coetzee die Frage auch direkt stellte. Coetzee verweigerte die Antwort jedoch mit der Begründung, seine eigenen Werke nicht kommentieren zu wollen.[13] Allegorische Lesarten haben zu verschiedenen Vorwürfen an Coetzee geführt (siehe Abschnitt Rezeption) und stellen ein Problem dar, das in verschiedenen anderen Werken Coetzees ebenfalls thematisiert wird. Ausgiebig hat sich Derek Attridge mit dieser Fragestellung beschäftigt. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass der Roman die Frage zwar bewusst aufwirft und auch selbst thematisiert, letztlich aber in seiner wörtlichen Bedeutung gelesen werden muss und zu starke Verallgemeinerungen mit erzählerischen Strategien gezielt ausschließt. Ein Beispiel ist für ihn die Erzählsituation, die eine Nähe zur Gedankenwelt Michael K.s zu suggerieren scheint, letztlich aber durch Strategien wie den Verzicht auf erlebte Rede und verschiedene philosophische Überlegungen, die der Figur Michael K. nicht zuzutrauen sind, gerade wieder eine Distanz erzeugt. Die Stimme Michael K.s und des Erzählers werden so miteinander verwoben und lassen sich für den Leser nicht mehr eindeutig trennen; der Erzähler greift in Michaels Gedankengänge ein. Weil dadurch die erzählerische Ausgangssituation nicht klar definierbar ist, muss der Roman für Attridge unbedingt mit konkretem Bezug auf den Wortlaut seiner Sprache gelesen werden: verallgemeinernde oder allegorische Interpretationen würden ein Wissen darüber voraussetzen, wer die Geschichte eigentlich erzählt, welches aber systematisch untergraben wird. Auch die systematischen Beschreibungen von scheinbar unwichtigen Details, Michaels grundsätzliche Überlegungen und die Schilderung körperlicher Erlebnisse lenken für Attridge den Fokus eher auf den Wortlaut der Sprache als auf eine mögliche allegorische Bedeutung.[14]

Der Versuch der politischen Einordnung des Romans hat zu verschiedenartigen Interpretationen geführt. Eine besondere Rolle nimmt dabei Michaels Rolle als Gärtner ein. Derek Wright sieht ihn als Helden der Ökologiebewegung der achtziger Jahre,[15] andere Interpreten gingen eher von einem Bezug zur südafrikanischen Situation der siebziger Jahre aus. So wurde der Anbau von Kürbissen in dem Boden, auf den Michael die Asche seiner Mutter verstreut hatte, wahlweise als Propagierung eines symbolischen gesellschaftlichen Neuanfangs oder als ritueller Reinigungsprozess gelesen. Dem Anbau von Nahrungsmitteln steht auf der anderen Seite Michaels Verweigerung der Nahrungsaufnahme im Wiedereingliederungslager entgegen. Postkoloniale Ansätze sehen hier einen subversiven Akt – die Weigerung, sich in die Abhängigkeit der herrschenden Kräfte zu begeben, die andernorts als Unterdrücker auftreten. Das Unverständnis, das der behandelnde Arzt Michaels Verhaltensweise entgegenbringt, wurde infolge dieser Interpretation als Gelingen der Subversion gelesen. Andere Kritiker neigen jedoch eher dazu, die Figur Michael K. als von Grund auf unpolitisch zu sehen und seinen Hungerstreik gerade als Versuch zu interpretieren, sich aus allen politischen und ideologischen Diskursen herauszuhalten. Ähnliche Debatten erstrecken sich um zwei weitere Figuren aus Coetzees Romanen, das Barbarenmädchen aus Warten auf die Barbaren und Friday aus der Robinson-Crusoe--Adaption Foe.[16]

Ein Kind mit „Hasenscharte“ (Lippen-Kiefer-Gaumenspalte)

Derek Attridge sieht Michaels hervorstechendstes körperliches Merkmal, die Hasenscharte, als Beleg dafür an, dass er als Figur außerhalb ideologischer Diskurse steht: die psychische Prägung, die er durch diese Deformation (und die daraus folgende Zurückweisung durch seine Mutter) erfahren hat, beruht nicht auf seiner Einordnung in eine gesellschaftliche Gruppe, sondern auf einer individuellen Eigenschaft. Die Figur des Michael K. ist für ihn daher nicht als Stellvertreter einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zu lesen, sondern als Individuum, das in gewisser Weise außerhalb aller möglichen Kategorisierungen steht – und diesen Status auch anstrebt, indem er sich allen zwischenmenschlichen Verpflichtungen zu entziehen versucht. Michael K. erklärt ausdrücklich den Wunsch, keine Kinder zu haben, denen gegenüber er Verantwortung hätte, und nach seinem Tod möglichst spurlos zu verschwinden.[14]

Rezeption

Die Auszeichnung mit dem Booker Prize war die bis dahin hochrangigste, die Coetzee erhalten hatte. Der Roman wurde von der Kritik fast durchgehend positiv aufgenommen und zählt neben Warten auf die Barbaren und Schande bis heute zu Coetzees bekanntesten und meistrezipierten Werken, sowohl im Feuilleton als auch in der Literaturwissenschaft. Quasi vom Zeitpunkt seines Erscheinens an war er Gegenstand großer Mengen an Forschungsliteratur. Teilweise kamen dabei auch ablehnende Positionen auf. Der impliziten Parallelen des Wiedereingliederungslagers, in dem Michael K. interniert wird, zu einem Konzentrationslager wurde von einigen Kritikern als unangemessen wahrgenommen. Durch derartige offensichtlich unzutreffende Einordnungen entstünde die Gefahr, dass der Blick auf das in Südafrika tatsächlich begangene Unrecht verstellt würde. Der Mythos burischer Leidensfähigkeit und Unbeugsamkeit würde dadurch in Mitleidenschaft gezogen. Es herrscht in der Sekundärliteratur allerdings Uneinigkeit darüber, ob Coetzee an diesem Punkt angreifbar ist oder „bewusst blasphemisch“ vorgeht, was etwa Susan VanZanten Gallagher annimmt.[17][18] Ein weiterer Vorwurf lautete, Coetzee vernachlässige die Belange der unterdrückten schwarzen Bevölkerung, indem er weiße Klischees bediene: Michael K. sei der Inbegriff des naturverbundenen, unkultivierten Schwarzen, der außerhalb der Geschichte stehe und damit ein Stereotyp der weißen ökologischen Bewegungen der Achtziger Jahre. Durch diese Figur würden Mythen und Vorurteile der weißen Unterdrücker unter einem sympathischen Deckmantel letztlich fortgeschrieben. Ulrich Horstmann hielt dem entgegen, dass Michael K. gerade keine Kontinuität burischer Lebensart anstrebe und sich außerdem selbst als „Gärtner“ begreife, der die Landschaft zu kultivieren habe.[19] Christopher Lehmann-Haupt kritisierte in der New York Times die seiner Meinung nach zu aufdringlichen Anspielungen auf Kafka.

Literatur

Ausgaben

  • J. M. Coetzee: Life & Times of Michael K, Secker & Warburg: London (1983) ISBN 0-436-10297-8
  • J. M. Coetzee: Leben und Zeit des Michael K. (dt. von Wulf Teichmann), Fischer: Frankfurt (2003) ISBN 3-596-13252-5

Sekundärliteratur

  • Gardening as Resistance: Life and Times of Michael K in: Dominic Head: J. M. Coetzee, Cambridge University Press: Cambridge (1997) ISBN 0-521-48232-1
  • In der Strafkolonie. Leben und Zeit des Michael K. in: Manfred Loimeier: J. M. Coetzee, edition text + kritik: München (2008) ISBN 978-3-88377-916-4
  • Tamlyn Monson: An Infinite Question: The Paradox of Representation in „Life & Times of Michael K“, in Journal of Commonwealth Literature 38 (2003), 87–106
  • Derek Wright: Chthonic Man: Landscape, History and Myth in Coetzee's „Life & Times of Michael K“, in New Literatures Review 21 (1991), 1–15
  • Derek Wright: Black Earth, White Myth: Coetzee's „Michael K“, in Modern Fiction Studies 38 (1992), 435–444
  • Gilbert Yeoh: J. M. Coetzee and Samuel Beckett, in: Ariel 41/4 (2004)

Fußnoten

  1. Derek Attridge: J. M. Coetzee and the Ethics of Reading, University of Chicago Press: Chicago / London (2004), S. 51
  2. Gilbert Yeoh: J. M. Coetzee and Samuel Beckett, in: Ariel (41/4, 2004), S. 126
  3. a b Dominic Head: J. M. Coetzee, Cambridge University Press: Cambridge (1997), S. 93
  4. Ulrich Horstmann: J. M. Coetzee. Vorhaltungen, Peter Lang: Frankfurt am Main (2005), S. 96
  5. Manfred Loimeier: J. M. Coetzee, edition text + kritik: München (2008), S.126
  6. Derek Attridge: J. M. Coetzee and the Ethics of Reading, University of Chicago Press: Chicago / London (2004), S. 49f.
  7. zitiert nach Manfred Loimeier: J. M. Coetzee, edition text + kritik: München (2008), S. 134
  8. Gilbert Yeoh: J. M. Coetzee and Samuel Beckett, in: Ariel (41/4, 2004), S. 121
  9. Ulrich Horstmann: J. M. Coetzee. Vorhaltungen, Peter Lang: Frankfurt am Main (2005), S. 97
  10. Gilbert Yeoh: J. M. Coetzee: Nothingness, Minimalism and Indeterminacy, in: Ariel: A Review of International English Literature 31:4, Oktober 2000, S. 117ff.
  11. Manfred Loimeier: J. M. Coetzee, edition text + kritik: München (2008), S. 127ff.
  12. J. M. Coetzee: Life & Times of Michael K, Vintage: London (2004), S. 166
  13. David Atwell (Hrsg.): Doubling the Point. Essays and Interviews, Harvard University Press (1992), S. 204
  14. a b Derek Attridge: J. M. Coetzee and the Ethics of Reading, University of Chicago Press: Chicago / London (2004), S. 53ff.
  15. Derek Wright: Black Earth, White Myth: Coetzee's Michael K, Modern Fiction Studies 38.2 (1992), S. 440
  16. Laura Wright: Writing "Out of All the Camps", Routledge: New York / London (2006), S. 83ff.
  17. Susan VanZanten Gallagher: A Story of South Africa. J. M. Coetzee's Fiction in Context, Harvard University Press: Cambridge, Mass. (1991), S. 154f.
  18. Ulrich Horstmann: J. M. Coetzee. Vorhaltungen, Peter Lang: Frankfurt am Main (2005), S. 99f.
  19. Ulrich Horstmann: J. M. Coetzee. Vorhaltungen, Peter Lang: Frankfurt am Main (2005), S. 101f.

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