Abraham Geiger

Abraham Geiger
Abraham Geiger
Berliner Gedenktafel am Haus Rosenthaler Straße 40, in Berlin-Mitte

Abraham Geiger (* 24. Mai 1810 in Frankfurt am Main; † 23. Oktober 1874 in Berlin) war ein deutscher Rabbiner. Er war einer der ersten und wichtigsten Vordenker des Reformjudentums sowie ein bedeutender jüdischer Gelehrter im Bereich der Wissenschaft des Judentums.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Abraham Geiger wurde in Frankfurt am Main als Sohn des Rabbi Michael Lazarus Geiger (geb. 1755; † 1823) und der Roeschen Wallau (geb. 1768, † August 1856) [1] in eine orthodoxe Familie geboren und erhielt eine traditionelle religiöse Erziehung. Schon als Kind führten ihn Studien in den Altertumswissenschaften dazu, die orthodoxe Interpretation des Judentums zu hinterfragen, in der sowohl die Offenbarung am Berg Sinai als auch die später verfassten Kommentare auf göttlichen Ursprung zurückgeführt werden. Mit 17 begann er Arbeiten an seinem ersten Werk, einem Vergleich der Rechtssysteme von Mischna, Bibel und Talmud. Weiter erarbeitete er ein Wörterbuch zum mischnischen (rabbinischen) Hebräisch. Im Jahr 1823 starb sein Vater. Abraham Geiger musste nun auch die religiöse Erziehung seines jüngeren Halbbruders Salomon übernehmen. [2]

Finanziert von Freunden und gegen den Willen seiner Familie begann er sein Studium im April 1829 an der Universität Heidelberg. Dort befasste er sich mit philologischen Studien, Geschichte, den alten Sprachen, Philosophie und Archäologie. Nach einem Semester wechselte er an die Universität Bonn. Hier verkehrte er in einem Kreis von jüdischen Studenten, die sich auf eine spätere Tätigkeit als Rabbiner vorbereiteten, darunter Salomon Munk und Samson Raphael Hirsch, sein späterer Gegner. Mit ihm organisierte er eine jüdische Studiengesellschaft. In diesem Rahmen hielt er am 2. Januar 1830 seine erste Predigt als Rabbiner. In Bonn studierte Geiger bei dem Orientalisten Georg Wilhelm Friedrich Freytag Arabistik und den Koran. Dank seiner preisgekrönten Abhandlung „Was hat Mohammed aus dem Judenthume übernommen?“, die 1833 in Buchform publiziert wurde, erhielt er ein Doktorat der Universität Marburg.

Da jedoch zu jener Zeit Juden in Deutschland nicht als Professoren an Universitäten tätig sein konnten, übernahm Geiger eine Stelle als Rabbiner in Wiesbaden (1832–1837). Seine akademischen Tätigkeiten setzte er als Gründer und Redakteur von zwei wissenschaftlichen Zeitschriften fort: Wissenschaftliche Zeitschrift für Jüdische Theologie (1835–1839) und Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben (1862–1875).

Aufgrund starken Widerstandes der jüdischen Gemeinde Breslau wurde er dort nach seiner Bewerbung zum Rabbiner 1838 erst 1840 zunächst stellvertretender Rabbiner. 1843, nach dem Tode von Salomo Tiktin, erhielt er dann die Stelle des Oberrabiners, was zum Austritt der Anhänger der Orthodoxie unter Tiktins Sohn Gedalja führte. Die Spannungen in Breslau bestanden jedoch weiterhin, und als 1854 in Breslau das Jüdisch-Theologische Seminar eröffnet wurde, an dessen Aufbau Geiger mitgewirkt hatte, erhielt er dort keine Anstellung, weil konservative jüdische Kreise seine theologische Position als zu liberal einstuften.

Geiger verließ Breslau 1863 und war bis 1870 Rabbiner der Reformgemeinde in Frankfurt am Main. 1870 gehörte er zu den Gründern der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin, an der er von 1872 bis zu seinem Tod 1874 lehrte.

Abraham Geiger plädierte für eine Anpassung historisch bedingter religiöser Ritualgesetze (im Gegensatz zu universalen religiösen Werten) an die Gegenwart, was ihm den Widerspruch der jüdischen Orthodoxie einbrachte. Als sein Hauptwerk gilt Urschrift und Übersetzungen der Bibel (1857), in dem er postulierte, dass die Pharisäer und frühen Rabbiner der Mischna sich um eine Liberalisierung und Demokratisierung des jüdischen Gesetzes bemüht hätten, im Gegensatz zu den aristokratischen, konservativ eingestellten Sadduzäern, unter deren Kontrolle das Priestertum und der Tempel zu Jerusalem standen.

Innerhalb der Reformbewegung vertrat Geiger eine gemäßigte Position und versuchte zwischen den radikaleren Auffassungen von Samuel Holdheim und Kaufmann Kohler sowie den konservativen Vertretern wie Zacharias Frankel und Heinrich Graetz zu vermitteln. Geiger setzte sich für den Gebrauch des Deutschen in der jüdischen Liturgie ein und empfand die meisten Speisegesetze als unangemessen. Er bezeichnete die Beschneidung als einen „barbarischen, blutigen Akt“, stellte sich jedoch gegen einen Aufruf des Frankfurter Reformvereins zu deren Abschaffung und sprach sich auch dagegen aus, den Schabbat auf den Sonntag zu verlegen.

Sein Sohn Ludwig Geiger widmete sich insbesondere der Goethe-Forschung.

Das Abraham-Geiger-Kolleg an der Universität Potsdam ist nach ihm benannt. Es verleiht alle zwei Jahre den Abraham-Geiger-Preis.

Am 25. Mai 2010 enthüllte die Historische Kommission des Landes Berlin eine Gedenktafel zum 200. Geburtstag Abraham Geigers in den Hackeschen Höfen, Rosenthaler Str. 40, seinem Sterbeort.

Geigers Grab in der Ehrenreihe des Jüdischen Friedhofs an der Schönhauser Allee ist ein Ehrengrab des Landes Berlin.

Werke (Auswahl)

Abraham Geiger[3]
Maler: Lesser Ury
  • Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen?. Dissertation, Bonn 1833. Google Buchsuche
  • Das Judenthum und seine Geschichte von der Zerstörung des zweiten Tempels bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts. In zwölf Vorlesungen. Nebst einem Anhange: Offenes Sendschreiben an Herrn Professor Dr. Holtzmann. Breslau: Schletter, 1865–1871.
    • Judaism and its history: in 2 parts (Das Judenthum und seine Geschichte, englisch). Lanham [u.a.]: Univ. Press of America, 1985. ISBN 0-8191-4491-6.
  • Urschrift und Übersetzungen der Bibel in ihrer Abhängigkeit von der inneren Entwicklung des Judenthums, 1857
  • Nachgelassene Schriften. Reprint of the 1875–1878 ed., published in Berlin by L. Gerschel. Bd 1–5. New York: Arno Press, 1980. ISBN 0-405-12255-1
  • Seine Schriften in der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft

Literatur

  • Max Wiener: Abraham Geiger and liberal Judaism. The challenge of the 19. century. Compiled with a biographical introduction. Übers. Ernst J. Schlochauer. Jewish Publication Society of America, Philadelphia.
  • Susannah Heschel: Abraham Geiger and the Jewish Jesus. Chicago UP 1998. (Chicago studies in the history of Judaism). ISBN 0-226-32959-3
    • Deutsch: Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie. Übers. Christian Wiese. Jüdische Verlagsanstalt, Berlin 2001, ISBN 3-934658-04-0.
  • Ludwig Geiger: Abraham Geiger. Leben und Werk für ein Judentum in der Moderne. Jüdische Verlagsanstalt, Berlin 2001, ISBN 3-934658-20-2.
  • Hartmut Bomhoff: Abraham Geiger: Durch Wissen zum Glauben. Through reason to faith: reform and the science of Judaicum. (dt. und engl.). Stiftung Neue Synagoge Berlin, Centrum Judaicum. Reihe: Jüdische Miniaturen; Bd. 45. Hentrich, Berlin 2006. ISBN 3-938485-27-2
  • Jobst Paul (2006): Das ‚Konvergenz’-Projekt. Humanitätsreligion und Judentum im 19. Jahrhundert. In: Margarete Jäger, Jürgen Link (Hgg.): Macht – Religion – Politik. Zur Renaissance religiöser Praktiken und Mentalitäten. Münster 2006. ISBN 3-89771-740-9
  • Jakob Auerbach: Geiger, Abraham. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 8, Duncker & Humblot, Leipzig 1878, S. 786–793.
  • Deutsche Reformjuden vor 60 Jahren. Raphael Straus kritisiert 1935 den "Schulmeister" Geiger. Jüd. Rundschau vom 21. Juni 1935, S. 11f.; wieder in: Zs. Kalonymos, 13. Jg. 2010, H. 1, S. 7f. ISSN 1436-1213

Weblinks

 Wikisource: Abraham Geiger – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Ludwig Geiger: Abraham Geiger's Leben in Briefen, 1878, S. 8
  2. Abraham Geiger und Max Wiener: Abraham Geiger and liberal Judaism / The challenge of the nineteenth century, Reprint 1962, S. 4
  3. Aufgrund des Herstellungsdatums 1905 wird dieses Porträt oft fälschlicherweise seinem Sohn Ludwig Geiger zugeschrieben. Doch dieser hat selbst richtig gestellt, dass der Maler Lesser Ury das Gemälde nach Fotos seines Vaters Abraham gemalt und diesen recht gut getroffen habe (siehe hier).

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