Karl Loewenstein (Jurist)

Karl Loewenstein (Jurist)

Karl Loewenstein, auch: Karl Löwenstein (* 9. November 1891 in München; † 10. Juli 1973 in Heidelberg) war ein US-amerikanischer Staats- und Verfassungsrechtler und Politologe deutscher Herkunft. Er galt als einer der profiliertesten Vertreter des Öffentlichen Rechts, der auch für die Politikwissenschaft von Bedeutung ist.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Der Sohn des Fabrikanten Otto Löwenstein und der Mathilde, geb. Oppenheimer studierte nach dem Abitur 1910 am Wilhelmsgymnasium München Jura in Paris, Heidelberg, Berlin und München, wo er 1922 auch promovierte. Im Ersten Weltkrieg war er bis 1919 für das Kriegswucheramt in Bayern tätig. Danach arbeitete er als Anwalt und trat der Deutschen Demokratischen Partei bei. 1931 wurde er habilitiert und Privatdozent an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Münchener Universität.

Durch den nationalsozialistischen Kultminister Hans Schemm wurde Löwenstein am 11. Oktober aus dem Staatsdienst entfernt, weil Staatslehre und Staatsrecht im nationalsozialistischen Staat von enem Nichtarier nicht gelehrt werden können[1] und flüchtete in die USA. Seine Dissertationsschrift wurde 1936 auf die Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums gesetzt, der Doktortitel wurde ihm 1941 entzogen.

Von 1934 bis 1936 arbeitete er (nunmehr Loewenstein) an der Yale University in New Haven (Connecticut) und ging anschließend zum Amherst College nach Massachusetts. Zwischen 1942 und 1944 war er als Berater für den amerikanischen Generalstaatsanwalt tätig. In dieser Funktion war er mit Fragen der Staatsschutzgesetzgebung der amerikanischen Staaten betraut.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er kurzzeitig als US-amerikanischer juristischer Berater im Alliierten Kontrollrat nach Deutschland zurück und hielt 1946 eine Gastvorlesung in der Münchener Universität. 1956 erhielt er in München als Wiedergutmachung für die Vertreibung aus Deutschland eine Professur für Politische Wissenschaften und Rechtspolitik - unter der Bedingung, dass er sich für das laufende Wintersemester beurlauben ließe und gleich anschließend seine Emeritierung einreichte. Das Wiedergutmachungsverfahren war belastet von Konflikten zwischen dem Emigranten und einigen aus der Zeit des Nationalsozialismus stark belasteten Mitgliedern des Lehrkörpers.

Nach der Emeritierung luden ihn Universitäten in Berlin, Kyoto, Mexiko-Stadt und Basel zu Gastprofessuren ein. Bei der Feier des Goldenen Doktorjubiläums, das die Universität München eigenmächtig auf das Jahr 1969 vorverlegt hatte, wurde der Titelentzug von 1941 verschwiegen, weil den Mitgliedern der Juristischen Fakultät „zum ehrlichen Umgang mit der jüngsten Geschichte der Mut fehlte“[2].

Verfassungslehre

Karl Loewenstein schrieb Zeit seines Lebens an einem vergleichenden Verfassungsrecht, das er als Werk unter dem Namen „Verfassungslehre“ (im Original: "Political Power and the Governmental Process") veröffentlichte.

Das Buch beinhaltet die Unterscheidung zwischen autokratischen Staaten und konstitutionellen Demokratien. Für Letztere standen der Gebrauch von Macht und die Vermeidung von Machtmissbrauch als Leitmotive der Gültigkeitsnormen. Das Verhältnis zwischen Macht und Recht ist Loewensteins Meinung nach problematisch und führt zu einer zwanggemäßen Struktur im Staat selbst.

Der autokratische Staat definiert das Verhältnis zwischen Macht und Recht als unproblematisch. Dies ergibt sich aufgrund der Struktur, dass beiden Gewalten (Recht, Macht) in solch einem System ausschließlich an den absoluten Herrscher gebunden sind.

Karl Loewenstein untersuchte die Verfassungssysteme nicht nach Werte- sondern nach Strukturgesichtspunkten. Loewenstein unterscheidet sechs Regierungstypen der konstitutionellen Demokratie:

  • die unmittelbare Demokratie (zum Beispiel griechische Stadtstaaten)
  • die Versammlungsregierung (zum Beispiel Langes Parlament in England; Frankreich 1793)
  • die parlamentarische Regierung,
  • die Kabinettsregierung (in Großbritannien),
  • den Präsidentialismus (in den USA),
  • die Direktorialregierung in der Schweiz.

Von besonderer Bedeutung war für Karl Loewenstein die parlamentarische Regierung, da er ihr eine ausgleichende Wirkung zwischen Versammlung und Regierung zuschreibt. Durch diese Regierungsform findet der Versuch eines Machtausgleichs statt, so soll keiner eine hervorgehobene Rolle einnehmen, sie kontrollieren sich gegenseitig. Loewenstein beschreibt, dass sich in diesem Dualismus die beiden Machtträger in die beiden Funktionen der Gestaltung der politischen Grundsatzentscheidung und der Ausführung dieser Entscheidung im Wege der Gesetzgebung teilen. Als „Idealtypus“ verstünde Loewenstein das vollkommende Gleichgewicht, indem Regierung und Parlament über symmetrische, gleichwertige Machtressourcen verfügen, und periodisch durch Wahlen vom Souverän, dem Volk, kontrolliert werden. Löwenstein greift auf die Historie, die der französischen Revolution, zurück, wenn er behauptet, dass seit 1789 die Geschichte der konstitutionellen Regierung nichts anderes sei, als die Suche nach der Zauberformel für die Schaffung und Erhaltung eines Gleichgewichts zwischen Regierung und Parlament. Loewenstein definiert die parlamentarische Regierung folgendermaßen:

  • Mitglieder der Regierung sind auch Mitglieder des Parlaments
  • Kabinett ist wie ein Ausschuss des Parlaments
  • Pyramidenförmiger Aufbau der Regierung mit Premierminister bzw. Ministerpräsident an der Spitze,
  • Regierung ist solange im Amt, wie sie von der Parlamentsmehrheit gestützt wird,
  • Politische Grundsatzentscheidungen und Gesetzgebung sind grundsätzlich auf Regierung und Parlament

aufgeteilt,

  • Gegenseitige politische Kontrolle von Regierung und Parlament durch die Instrumente Parlamentsauflösung und Misstrauensvotum

Den letzten Punkt hält Loewenstein als besonders wichtig für das parlamentarische System, fehlen die Instrumente Parlamentsauflösung und Misstrauensvotum, so kommt dies einer ernsthaften Beschneidung eines authentischen parlamentarischen Systems gleich. Das parlamentarische System kann so nur schwer funktionieren, oder hat in diesem Falle eventuell schon gänzlich aufgehört zu funktionieren. Karl Loewenstein unterteilt den Typ der parlamentarischen Regierung in vier Formen:

  • den klassischen Parlamentarismus (dualistische Exekutive; Frankreichs 3. und 4. Republik),
  • den unechten Parlamentarismus (zweigeteilte Exekutive; Weimarer Republik),
  • den kontrollierten Parlamentarismus (Bundesrepublik Deutschland; Bonner Republik)
  • den gebändigten Parlamentarismus (Frankreichs 5. Republik)

Karl Loewenstein sieht Frankreichs 3. und 4. Republik als klassischen Parlamentarismus an, in der sich Präsident und Regierung in einer dualistischen Exekutive gegenüberstehen, die eigentliche Macht liegt beim Premierminister, im Gegensatz zum „unechten“ Parlamentarismus der Weimarer Republik, in der es eine zweigeteilte Exekutive gibt, die den Premierminister von Parlament und Präsident doppelt abhängig macht. Das westdeutsche System betrachtet er kritisch als „demoautär“, dass zwar demokratisch gewählt wird, dann aber während der Legislaturperiode autoritär und ohne parlamentarische Begrenzung und Wählerwillen Macht ausübt.

Frankreichs 5. Republik, die er als gebändigten Parlamentarismus beschreibt, übergibt die politische Macht vom Parlament auf die Regierung und den Präsidenten. Den Bedeutungsverlust des Parlaments sieht Loewenstein sowohl positiv als auch negativ: Zum einen entspricht die Stärkung von Präsident und Regierung dem damaligen (1969) Bedürfnis der Zeit, auf der anderen Seite ist die Entmachtung des Parlaments aber auch eine reaktionäre Rückwärtsentwicklung.

Das politische System Großbritanniens, welches Loewenstein Kabinettsregierung nennt, beschreibt er, im Gegensatz zu den parlamentarischen System, durchweg positiv; es zeichnet sich durch sechs Züge aus:

  • Zweiparteiensystem
  • Kabinettsmitglieder sind auch Parlamentsmitglieder,
  • Premierminister ist gleichzeitig Führer der Mehrheitspartei und mit herausragender Stellung gegenüber dem Kabinett,
  • Regierung mit voller Kontrolle über Gesetzgebung, Unterhaus (House of Commons) oft auf Bestätigung der Regierungs-Gesetzinitiativen beschränkt,
  • Politische Kontrolle durch beide Häuser des Parlaments und durch die Wählerschaft,
  • Fraktions und Parteidisziplin.

Die Verschmelzung der zwei Machtträger Parlament und Regierung zu einem Machtmechanismus, sowie das von Loewenstein positiv hervorgehobene Zweiparteiensystem, macht die Kabinettsregierung in Loewensteins Augen zum erfolgreichsten Regierungssystem der heutigen Zeit. Der für das System des Präsidentialismus unverzichtbare Faktor der Kooperation zwischen den de facto unabhängigen, geteilten Machtträgern Präsident und Kongress, im besonderen wirken zum Beispiel in den USA die Parteien als Vermittler zwischen den Machtträgern, sorgt für das Gelingen und die Legitimation des präsidentiellen Systems. Die dem US-amerikanischen Präsidentialismus nahe stehenden politischen Systeme Lateinamerikas klassifiziert Loewenstein dagegen als neopräsidentiell, und ordnet sie der Autokratie zu. Da in diesen Systemen der Präsident über allen anderen Staatsorganen steht, hat dieser Typus einen autoritären Charakter, und ist mit dem eigentlichen Präsidentialismus nicht zu vergleichen.

Politikwissenschaftliche Ansätze

Karl Loewenstein beeinflusste maßgeblich die Parlamentarismusdebatte im Nachkriegsdeutschland mit seiner an Max Weber orientierten Verfassungs- und Parlamentarismusforschung, sowie der Auseinandersetzung mit dem pebliszitären Führerstaat. Er galt als einer der großen Kenner des ausländischen Verfassungsrechts. Nebenbei veröffentlichte er Studien zur englischen sowie US-amerikanischen Verfassungsgeschichte und Struktur bzw. entfaltete die Dialektik von Institutionen und der Ideologie. Seiner Sage nach gilt das größte Risiko der Massengesellschaft und dem Schatten Leviathans.

Werke

  • Erscheinungsformen der Verfassungsänderung, Habil.-Schrift, Univ. München 1931.
  • Verfassungslehre (1959) Rezension von Jurawelt.com
  • Verfassungsrecht und Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten (1959)
  • Staatsrecht und Staatspraxis Großbritanniens (1967, in zwei Bänden).

Literatur

  • Peter Schneider: Löwenstein, Karl. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 15, Duncker & Humblot, Berlin 1987, S. 103 f.
  • Lerche, Peter: Karl Loewenstein zum 80. Geburtstag. In: AöR 96 (1971), 4, S. 574–575.
  • Lang, Markus: Karl Loewenstein. Transatlantischer Denker der Politik, Stuttgart 2007.
  • Ooyen, Robert Chr. van: Ein moderner Klassiker der Verfassungstheorie. Karl Loewenstein - Eine Skizze. In: ZfP 51 (2004), S. 68-86.
  • Ooyen, Robert Chr. van (Hrsg.): Verfassungsrealismus. Das Staatsverständnis von Karl Loewenstein, Baden-Baden 2007. ISBN 978-3-8329-3055-4
  • Stefanie Harrecker : Degradierte Doktoren  : die Aberkennung der Doktorwürde an der Ludwig-Maximilians-Universität München während der Zeit des Nationalsozialismus, München  : Utz, 2007 ISBN 978-3-8316-0691-7. Kurzbio S. 319-322

Weblinks

Einzelnachweise

  1. zitiert bei: Stefanie Harrecker: Degradierte Doktoren, S. 320
  2. Stefanie Harrecker: Degradierte Doktoren, S. 197

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