KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne

KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne
Häftlingsleichen auf dem Gelände der Boelcke-Kaserne. Aufgenommen am 13. April 1945.

Das KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne war ein vom 8. Januar 1945 bis zum 11. April 1945 bestehendes Außenlager des KZ Mittelbau für männliche KZ-Häftlinge.[1] Es befand sich auf dem Gelände einer 1936 errichteten Kaserne der Luftwaffe mit riesigen Hangars im südöstlichen Nordhausen.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Bereits ab 1943 war an dem Ort ein Zwangsarbeiterlager, in dem sowjetische und französische Zwangsarbeiter untergebracht waren. Diese arbeiteten in einem ortsansässigen Maschinenbauunternehmen. Im Juni 1944 kamen weitere Zwangsarbeiter hinzu, die bei den Junkerswerken arbeiten mussten. Bis Anfang Januar 1945 war das Lager mit bis zu 10.000 Zwangsarbeitern belegt. Zudem gab es auf dem Areal noch ein Straflager für Gestapo-Häftlinge.[2]

KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne

Unbekannter Häftling sitzt mit Krückstock nach der Befreiung am 12. April 1945 in einem Sessel vor der Boelcke-Kaserne.

Das KZ-Außenlager befand sich in einem separaten Lagerabschnitt, der mit einem elektrisch geladenen Stacheldraht umzäunt war. In diesem Lagerabschnitt befanden sich in zwei wiederum voneinander isolierten Hallen die Häftlingsunterkünfte sowie das Krankenrevier und die Häftlingsküche.[2] Die Anzahl der Häftlinge stieg von wenigen hundert im Januar 1945 auf etwa 6.000 Häftlinge im April 1945 an. Darunter befanden sich etwa ein Drittel jüdische Häftlinge.[3] Zunächst waren in dem Außenlager Häftlinge untergebracht, die in ortsansässigen Rüstungsbetrieben arbeiteten oder beim Bauvorhaben B11 Stollen in den Kohnstein treiben mussten.[2]

Aus dem mit „Evakuierungstransporten“ aus dem KZ Auschwitz und dem KZ Groß-Rosen vollkommen überfüllten KZ Mittelbau wurden ab Ende Januar nicht mehr arbeitsfähige kranke Häftlinge in das Außenlager Boelcke-Kaserne überstellt. Es wurde so zu einem zentralen „Kranken- und Sterbelager des Mittelbau-Komplexes“.[2] Etwa 3.000 teilweise sterbenskranke Häftlinge waren unter inhumanen Bedingungen in zwei Blöcken der isolierten Halle mit dem Krankenrevier untergebracht, in dem ab März 1945 wiederum 800 an TBC erkrankte Häftlinge ohne medizinische Versorgung abgeschottet waren. Aufgrund von Mangelernährung, Vernachlässigung und den absolut unhygienischen Zuständen im Außenlager starben ab März 1945 bis zu hundert Häftlinge täglich.[2] Durch britische Bomberangriffe am 3. und 4. April 1945 auf Nordhausen wurde auch die Boelckekaserne zum Teil zerstört, wobei 1.300 KZ-Häftlinge zu Tode kamen. Anschließend verließ die Lager-SS die Boelcke-Kaserne.[3] Mehreren Häftlingen gelang es während der Bombardierung zu fliehen und sich in der näheren Umgebung zu verstecken. Viele von ihnen wurden jedoch aufgespürt und durch Angehörige der Polizei und Wehrmacht erschossen.[4]

Befreiung des Lagers

Am 11. April 1945 befreiten Angehörige der US-Army das Lager und fanden neben mehreren hundert entkräfteten Überlebenden über 1.300 Leichen im Verwesungszustand vor.[3] Während des zwölfwöchigen Lagerbestehens verstarben im KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne etwa 3.000 KZ-Häftlinge, daher wurde dieses Außenlager im Häftlingsjargon auch als „lebendes Krematorium“ bezeichnet. In die Todeszahlen nicht eingerechnet sind die am 8. März 1945 in das KZ Bergen-Belsen überstellten 2.250 KZ-Häftlinge der Boelcke-Kaserne und des Außenlagers Ellrich-Juliushütte, von denen wahrscheinlich niemand überlebte.[5][6] Trotz umgehend eingeleiteter medizinischer Hilfsmaßnahmen verstarben auch noch nach der Befreiung weitere KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter.[2]

Einwohner Nordhausens tragen am 12. April 1945 unter Beaufsichtigung von Soldaten der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab.

Nachdem die ortsansässige Bevölkerung gezwungenermaßen durch das befreite Lager geführt wurde, mussten am 16. April 1945 Männer aus Nordhausen, insbesondere NS-Funktionäre, die Häftlingsleichname in Massengräbern auf einem Ehrenfriedhof des städtischen Friedhofes Nordhausen beisetzen. Die grauenhaften Aufnahmen, die Angehörige des Signal Corps nach der Befreiung des Lagers machten, wurden in den Wochenschauen der USA als auch Großbritannien gezeigt.[7]

Lagerpersonal

Lagerleiter war der SS-Obersturmführer Heinrich Josten.[2] Josten, der zuvor im KZ Auschwitz eingesetzt war, erhielt im Krakauer Auschwitzprozess das Todesurteil und wurde 1948 hingerichtet. Als stellvertretender Lagerleiter fungierte der SS-Hauptscharführer Josef Kestel.[2] Kestel erhielt im Buchenwald-Hauptprozess die Todesstrafe und wurde im November 1948 im Kriegsverbrechergefängnis Landsberg gehängt. Der zuständige Lagerarzt SS-Hauptsturmführer Heinrich Schmidt[2] war lediglich Zeuge im Bergen-Belsen-Prozess[8] und wurde 1947 im Nordhausen-Hauptprozess als auch 1979 im Majdanek-Prozess aufgrund von Beweismangel freigesprochen.[9]

Gedenkort

Die Hangars für die Flugzeuge, in denen die Häftlinge untergebracht waren, wurden nach Kriegsende abgerissen. In den 1960er Jahren wurden auf dem Gelände Neubauten errichtet. Seit den 1970er Jahren erinnert in der Rothenburgstraße ein Gedenkstein an die Opfer des Außenlagers Boelcke-Kaserne.[10]

Literatur

  • Andrè Sellier: Zwangsarbeit im Raketentunnel – Geschichte des Lagers Dora, zu Klampen, Lüneburg 2000, ISBN 3-924245-95-9.
  • Jens-Christian Wagner (Hg.): Konzentrationslager Mittelbau-Dora 1943-1945 Begleitband zur ständigen Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Wallstein, Göttingen, 2007.[11] ISBN 978-3-8353-0118-4.
  • Jens Christian Wagner: Nordhausen (Boelcke-Kaserne), in: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors – Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Band 7, Verlag C. H. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-52967-2.
  • Jens-Christian Wagner: Produktion des Todes: Das KZ Mittelbau-Dora, Wallstein Verlag, Göttingen 2001, ISBN 3-89244-439-0.

Einzelnachweise

  1. Bundesministerium der Justiz: Verzeichnis der Konzentrationslager und ihrer Außenkommandos gemäß § 42 Abs. 2 BEG, Nr. 1071, Nordhausen/Sachsen-Anhalt, Boelcke-Kaserne, Dora-Mittelbau, 8. Januar 1945 bis 11. April 1945
  2. a b c d e f g h i Jens Christian Wagner: Nordhausen (Boelcke-Kaserne), in: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors – Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Band 7, München 2008, S. 320f.
  3. a b c Jens-Christian Wagner (Hg.): Konzentrationslager Mittelbau-Dora 1943-1945, Göttingen 2007, S. 185f.
  4. Jens-Christian Wagner: Produktion des Todes: Das KZ Mittelbau-Dora, Göttingen 2001, S. 284f.
  5. Jens-Christian Wagner: Produktion des Todes: Das KZ Mittelbau-Dora, Göttingen 2001, S. 495f.
  6. Jens Christian Wagner: Außenlager Ellrich-Juliushütte, in: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors – Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Band 7, München 2008, S. 316ff.
  7. Jens-Christian Wagner (Hg.): Konzentrationslager Mittelbau-Dora 1943-1945, Göttingen 2007, S. 146f.
  8. Zeugenaussage von Heinrich Schmidt im Bergen-Belsen-Prozess am 25. Oktober 1945 auf www.mazal.org
  9. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich: Wer war was vor und nach 1945., Frankfurt am Main 2007, S. 545
    Nach Freispruch Flucht in das Richterzimmer - Tumulte im Düsseldorfer Majdanek-Prozeß, in: Hamburger Abendblatt, Ausgabe 92 vom 20. April 1979, S. 2.
  10. Gedenkorte Außenlager des KZ Mittelbau (pdf) auf www.dora.de
  11. Bernhard M. Hoppe: Rezension der Ausstellung bei hsozkult.geschichte.hu-berlin.de
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