Indentur

Indentur

Indentur (engl. indenture) ist eine vor allem im englischen Rechtssystem des 16.-18. Jahrhunderts vorkommende Form der Vertragsknechtschaft. Der indentured servant (wörtlich "gezahnter" Knecht; Bedeutung: Knecht mit gezahntem Zeitvertrag oder Vertragsknecht auf Zeit) war ein unter Vertrag stehender Arbeiter, der für eine bestimmte Zeit für eine andere Person oder ein anderes Unternehmen arbeitete, oft ohne dafür Lohn zu erhalten. Im Gegenzug erhielt er dafür Unterkunft, Lebensmittel, Ausbildung oder Transport in ein anderes Land (z. B. in die Kolonien). Nachdem der Arbeiter die im Vertrag bestimmte Zeit - traditionell sieben Jahre - gearbeitet hatte, war er frei, selbst eine Farm zu gründen oder sein eigenes Gewerbe auszuüben. Viele mittellose Kolonisten aus Europa schlossen solche Verträge ab, um die teure Passage von Europa in die Neue Welt finanziert zu bekommen.

Inhaltsverzeichnis

Begriff

Der Begriff Indentur leitet sich vom mittelenglischen/lateinischen Begriff indenture of retainer ab - ein Vertrag in doppelter Ausführung auf demselben Blatt Papier, wobei die beiden Kopien im Zickzackmuster auseinandergeschnitten wurden. Wegen des daraus entstehenden Zahnmuster (inDENTure) konnten die beiden Teile später zusammengelegt werden. Mit der Übereinstimmung sollte die Echtheit der Urkunden bestätigt werden können.

Die Vertragsknechtschaft oder Indentur (Indentured Servitude) ist in einigen Aspekten vergleichbar mit der Schuldknechtschaft und der Sklaverei. In der Kolonialzeit entartete die Indentur als Lehr- oder Dienstvertrag zu einer spezifisch kolonialen Rechtsform - genauer gesagt zu einer Form der Schuldknechtschaft, die Plantageneignern über eine Laufzeit von vielen Jahren nahezu unbeschränkte Verfügungsgewalt über den Vertragspartner verlieh. Es gab Fälle, in denen Schuldknechte während ihres Dienstes von ihrem Arbeitgeber ausgebeutet wurden. Solch eine Möglichkeit konnte sich zum Beispiel ergeben, wenn der indentured servant dringend bestimmte Waren oder Dienstleistungen benötigte. Falls sie sich diese Waren wegen ihrer fortgesetzten Mittellosigkeit oder wegen Überteuerung nicht leisten konnten, wurde ihnen dann vom Arbeitgeber das Benötigte gegen Verlängerung der Vertragsdauer angeboten. Solche Waren konnten zum Beispiel Medikamente und Dienstleistungen, beispielsweise Arztbehandlungen, sein.

Karibik

Die meisten europäischen Siedler, die im 16. und 17. Jahrhundert in die Karibik auswanderten, kamen als indentured servants. Leute aus dem gemeinen Volk, in der Mehrzahl junge Männer mit Träumen von Landbesitz und schnellem Wohlstand, verkauften faktisch Jahre ihrer Freiheit im Austausch gegen die Überfahrt auf die Inseln. Die Landbesitzer auf den Inseln bezahlten die Überfahrt der Knechte (servants) und sorgten während der Dienstzeit für Unterkunft und Verpflegung. Der Knecht musste dann auf den Feldern des Landbesitzers (Master, Herr) für die Zeit des Vertrags, meist sieben Jahre, arbeiten. Während der Vertragslaufzeit wurde der Knecht als Eigentum des Herrn angesehen. Er konnte verkauft oder weggegeben werden, und durfte nicht ohne die Erlaubnis des Herrn heiraten. Ein Knecht durfte normalerweise keine Waren kaufen oder verkaufen. Im Gegensatz zu einem afrikanischen Sklaven durfte er jedoch persönliches Eigentum besitzen. Außerdem durfte er sich an einen örtlichen Richter wenden, wenn er von seinem Herrn misshandelt wurde. Nach dem Ablauf der vertraglich bestimmten Dienstzeit wurde der Knecht freigelassen, und es wurde ihm ein Handgeld (freedom dues) gezahlt. Anstelle von Geld konnte ihm auch ein Stück Land oder eine gewisse Menge Zucker gegeben werden. Dies gab dem Knecht die Möglichkeit, ein unabhängiger Bauer oder freier Arbeiter zu werden.

Diese Form der Knechtschaft war ein normaler Bestandteil der englischen und irischen Gesellschaft im 17. Jahrhundert. Viele Iren wurde auch als Geiseln genommen und nach Barbados verschleppt. Daraus entstand dann der Begriff barbadosed, der solche Aktionen umschrieb. Menschen, denen solches widerfuhr, wurden Redlegs (Rotbeine) genannt. Viele indentured servants wurden zwischen 1649 und 1655 von den Engländern während der Feldzüge Oliver Cromwells in Irland und Schottland in die Karibik verschleppt.

Nach 1660 kamen immer weniger indentured servants aus Europa in die Karibik. Stattdessen mussten nun schwarze Sklaven die harte Feldarbeit erledigen. Entlassene Knechte, denen einige Morgen (acres) Land gegeben wurde, konnten im Wettbewerb nicht gegen die großen Zuckerplantagen bestehen. Um profitabel zu wirtschaften, waren viele hundert Morgen erforderlich. Zudem wurden viele potenzielle Knechte durch die Gerüchte über die Gräueltaten der Herren an den schwarzen Sklaven abgeschreckt. Auch die Inseln selbst wurden wegen vieler ansteckender Krankheiten für die weißen Knechte zu Todesfallen. Gelbfieber, Malaria und Krankheiten, die die afrikanischen Sklaven mitbrachten, führten dazu, dass während des 17. Jahrhunderts zwischen 33 und 50 Prozent der Knechte starben, bevor sie freigelassen wurden.

Als die Sklaverei im britischen Empire 1838 verboten wurde, wandten sich die Plantagenbesitzer erneut der Schuldknechtschaft zu, um ihren Bedarf an billigen Arbeitskräften zu decken. Diese Knechte stammten aus verschiedenen Weltgegenden, darunter China und Portugal. Die meisten kamen aus Indien. Das Institut der Indentured Servitude wurde erst 1917 verboten. Als Ergebnis bilden heute Einwohner mit indischen Vorfahren in Guyana die absolute Bevölkerungsmehrheit, in Trinidad und Tobago und Suriname die relative Mehrheit und auf Jamaika eine bedeutende Minderheit.

Nordamerika

In der nordamerikanischen Geschichte bezahlten Arbeitgeber für die Überfahrt der europäischen Arbeiter über den atlantischen Ozean. Dafür kauften sie den Schiffseignern die von diesen gehaltenen Arbeitskontrakte ab. Auch hier hatten sich die Knechte für eine bestimmte Zahl Jahre zur Arbeit verpflichtet. Auch konnte die Leistung des Arbeitgebers in einer Berufsausbildung bestehen, zum Beispiel die Ausbildung zum Schmied. Während des 17. Jahrhunderts kamen die meisten weißen Arbeiter in Maryland und Virginia als Vertragsknechte auf Zeit aus England. Ihre Herren waren verpflichtet, sie zu verpflegen, einzukleiden und unterzubringen. Die Arbeitsbedingungen des Knechtes entsprachen häufig denen eines Lehrlings, der ebenfalls durch einen Vertrag an seinen Herrn gebunden war und harte, unbezahlte Arbeit schuldete, während er seine Zeit leistete. Nach dem Ablauf der Vertragszeit bekam der Schuldknecht einen Satz neuer Kleidung und wurde freigesprochen.

Die Knechtschaft auf Zeit (indentured servitude) war eine Methode, um rasch die Zahl der Einwohner und Einwanderer in den britischen Kolonien zu erhöhen, zumal immer nur eine begrenzte Menge verurteilter Zwangsarbeiter zur Verschiffung zur Verfügung stand. Auch die gefährliche Überfahrt über den Atlantik kostete viele durch Havarien und Krankheiten das Leben. Die Vertragsknechte auf Zeit bildeten solch eine bedeutende Bevölkerungsgruppe, dass sie sogar in der Verfassung der Vereinigten Staaten erwähnt wurden. Somit war das Institut der Knechtschaft auf Zeit um 1780 noch immer wohl etabliert. Nach einer kurzen Unterbrechung während der amerikanischen Revolution gewann es rasch wieder an Fahrt.

So konnten die Schiffseigner und Kapitäne große Gewinne erzielen, indem sie:

den Auswanderern in Dublin oder einem anderen irischen Hafen ihre Bedingungen präsentierten. Diejenigen, die für ihre Überfahrt bezahlen konnten, üblicherweise 100 oder 80 Livres tournois, konnten nach Amerika fahren und dort jede Tätigkeit aufnehmen, die ihnen passte. Diejenigen, die nicht bezahlen konnten, wurden auf Kosten der Schiffseigner transportiert, die, um ihre Auslagen mit Gewinn wieder hereinzuholen, bei der Ankunft bekanntgaben, dass sie Handwerker, Arbeiter und Hausdiener herübergebracht hatten, mit denen er auf eigene Rechnung vereinbart hatte, ihre Dienste bei Männern und Frauen normalerweise 3, 4 oder 5 Jahre und bei Kindern 6 oder 8 Jahre in Anspruch nehmen zu können. - (Braudel)

Mit modernen Maßstäben gemessen handelte der Schiffseigner als Zeitvertragsunternehmer (contractor), der seine Arbeiter auslieh. Solche Umstände beeinflussten die Behandlung, die der Kapitän seiner wertvollen menschlichen Fracht zukommen ließ. Nachdem die Knechtschaft auf Zeit verboten wurde, musste die Überfahrt im Voraus bezahlt werden. Dies soll mit dazu beigetragen haben, dass sich die Bedingungen bei der Überfahrt während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts derart verschlechterten, dass man sogar von den irischen „Sargschiffen" (coffin ships) sprach.

Siehe auch

Literatur

  • Braudel, Fernand: The Perspective of the World, 1984, (S. 405f).
  • Northrup, David: Indentured labor in the age of imperialism, 1834–1922. Cambridge 1995.

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