Winnebago (Volk)

Winnebago (Volk)
Winnebago-Wigwam (Chipoteke), ca. 1852

Die Winnebago oder Ho-Chunk (Eigenbezeichnung) bzw. Hotchangara ("Volk mit der richtigen Sprache") sind ein Indianerstamm der Sioux-Sprachfamilie, der in historischer Zeit in einer Enklave unter Algonkin sprechenden Völkern im Gebiet des Nordöstlichen Waldlands lebte.

Den Stammesnamen "Winnebago" bekamen sie von den benachbarten Völkern zugelegt. Er bedeutet so viel wie "Volk des stinkenden Wassers", allerdings ist die genaue Bedeutung umstritten. Ihre Heimat lag an der Green Bay des Michigansees in Wisconsin, die für ihr sauberes Wasser bekannt war. Indianische Namen drücken nicht selten eine positive Eigenschaft durch ihre Entgegensetzung aus. [1]

Die Winnebago wohnten in Wigwams (sog. Chipoteke), kuppelförmigen Holzgerüsten, die mit Birkenrinde gedeckt waren, bauten Kanus aus Birkenrinde und machten Jagd auf Wildtiere wie den Waldbison. Trotz reicher Ernten des wilden Wasserreises betrieben sie auch Feldbau, insbesondere Mais.

Die Winnebago waren mit den Sauk und Fox in einer politischen Allianz verbündet. Ihr Gemeinwesen bestand aus patrilinearen Clans, die Tiere zum Symbol hatten. Sie pflegten zeremonielle Tänze, magische Riten und Geheimkulte und besaßen eine reiche Mythologie.

1863 ließ die US-Regierung 1900 Winnebago-Indianer von Minnesota nach Missouri zwangsumsiedeln. Grund für diese Umsiedlungsmaßnahme war ihre Teilnahme am Dakota-Aufstand von Little Crow.

Zwei Stämme der Winnebago, die in etwa 600 Kilometer Entfernung voneinander leben, werden zur Zeit (2003) von der US-Regierung offiziell anerkannt:

  • der Wisconsin Winnebago Tribe, der sich 1994 den Namen Ho-Chunk Sovereign Nation zugelegt hat, und
  • der Winnebago Tribe of Nebraska mit Stammesland in den US-Bundesstaaten Nebraska und Iowa.

Während der längsten Zeit ihrer Geschichte und in offiziellen und wissenschaftlichen Dokumenten wird diese indianische Nation als Winnebago bezeichnet, so dass es sinnvoll ist, diesen Namen für die gesamte Ethnie beizubehalten, insbesondere als die Bezeichnung Ho-chunk nur von einem Teilstamm angenommen wurde.

Inhaltsverzeichnis

Sprache

Die Winnebago-Sprache gehört zum südöstlichen Chiwere-Zweig der Sioux-Sprachfamilie und ist am nächsten mit dem Iowa, Missouri und Oto verwandt, in größerer Entfernung auch mit dem Dakota-Sioux und dem Ponca. Eine grammatische Besonderheit der Winnebago-Sprache ist die Verfeinerung der Ortsklassifikatoren zur Bezeichnung der Lage der Dinge im Raum, während die grammatikalische Unterscheidung zwischen Vergangenheit und Gegenwart vernachlässigt wird. In phonetischer Hinsicht fällt der häufige Einschub von Vokalen in Konsonantencluster auf. Die Phoneme t, d und m im Dakota und Omaha werden im Winnebago als tc, dj und w ausgesprochen. Die Sioux-Sprachen Winnebago, Iowa, Oto und Missouri erlauben eine gegenseitige sprachliche Verständigung. Andererseits gab es eine größere kulturelle Gemeinsamkeit der Winnebago mit den benachbarten Algonkin-Völkern. [2]

Wirtschaftsweise

Winnebago-Frau beim Gerben, ca. 1880

Die traditionelle Wirtschaftsform der Winnebago stellt eine Mischökonomie dar, die vom Feldbau der Frauen abhängig war. Mit Hilfe der Männer wurden alle paar Jahre neue Felder gerodet, auf denen die Frauen vor allem Mais, Bohnen und Kürbisse anbauten. Der zeremonielle Tabak-Anbau lag in den Händen der Männer, die im Spätsommer auf gemeinsamen Jagdzügen in Einbäumen auf die Hirsch- und Bisonjagd gingen. Eine zusätzliche Bedeutung hatte der Fischfang mit Speeren und Pfeil und Bogen, besonders auf den Stör. Familiengruppen sammelten außerdem Wildpflanzen, Beeren und Saatkörner, die für den Winter eingetrocknet wurden. Im Spätherbst zogen viele Familien die Flussläufe entlang zur Jagd auf Pelztiere. Der Pelzhandel und das Sammeln von Blaubeeren und Cranberries ermöglichte den Übergang in eine Geldwirtschaft. [3]

Gesellschaftsorganisation

Bis zum Britisch-Amerikanischen Krieg von 1812, an dem die Winnebago auf Seiten der Engländer teilgenommen hatten, war der Stamm in einer Dualorganisation politisch organisiert, die seither nur noch zeremonielle Bedeutung hatte. Je sechs patrilineare Clans gehörten einer von zwei Stammeshälften (Moiety) an. Die Ehepartner mussten aus der jeweils anderen Heiratsklasse gewählt werden (Exogamie). Der Donnervogel-Clan der Oberen oder Himmels-Moiety stellte den Friedenshäuptling, der Streitigkeiten schlichtete und verfolgten Stammesmitgliedern Asyl gewährte. Der Bären-Clan der Unteren oder Erd-Moiety war dagegen für die organisierte Durchführung von Jagd- und Kriegszügen und die Bestrafung von Verbrechern zuständig. Jeder der zwölf totemistischen Clans leitete sich von mythischen Vorfahren her und verfügte über eigene Zeremonien, Mythen, Lieder und Gebräuche. Die Verwandtschaftsnamen lassen außerdem vermuten, dass in alter Zeit eine matrilineare Organisation bestanden haben könnte. So gehörten Kinder, die keinen Winnebago-Vater hatten, der Abstammungslinie der Mutter an.[4]

Religion

Winnebago-Frauen in einem Chipoteke (Wigwam), ca. 1908

Die traditionellen religiösen Anschauungen der Winnebago gleichen weitgehend denen anderer Sioux-Stämme. Die Gestalt des Man'una ("Schöpfer der Erde", Earth-Maker) entspricht dem Kitchi Manitu der Zentral-Algonkin-Völker. In der Mythologie sind große epischen Zyklen bemerkenswert, in denen die Taten von fünf Kulturheroen berichtet werden, die der "Schöpfer der Erde" ausgesandt hatte, um die Erde von Riesen und bösen Geistern zu befreien, darunter besonders die Gestalt eines Tricksters.

Das Zeremonialleben konzentrierte sich um den Medizintanz (Mankáni), der nur im Sommer abgehalten werden durfte, und das Winterfest (Wagigó), das sich von Clan zu Clan unterschied. Bei diesem Winterfest wurden Zeremonialbündel verehrt, in denen die besonderen Kräfte des Clan-Ahnen verkörpert waren. Der Medizintanz gleicht dagegen der Midewiwin-Zeremonie der Algonkin-Völker und wurde von einer Geheimgesellschaft ausgeführt, die hierbei neue Mitglieder initiierte.

Im Frühjahr traf sich außerdem der ganze Stamm zum Büffeltanz, der die magische Vermehrung der Bisons bezweckte. Daneben gab es weitere Tänze, die von den Prärieindianern übernommen worden waren.[4]

Geschichte

Frühgeschichte

Entsprechend ihrer Zugehörigkeit zur Sioux-Sprachfamilie dürften die Winnebago zur Zeitenwende im Kerngebiet der Sioux-Völker entlang des Mississippi südlich und östlich vom heutigen Saint Louis gelebt haben, wo Stadtkulturen unter dem kulturellen Einfluss der zentralamerikanischen Zivilisationen entstanden (Mississippi-Kultur). [5]

Nach linguistischen und archäologischen Belegen, die durch mündliche Erzählungen unterstützt werden, zogen die Völker des Chiwere-Zweigs der Sioux-Sprachfamilie (Winnebago, Iowa, Missouri, Oto) um 200 n. Chr. nach Norden, wo sie zwischen 700 und 1000 n. Chr. im heutigen US-Bundesstaat Wisconsin eintrafen. Um 1400 trennte sich die Mehrzahl der Chiwere-Völker von den Winnebago, die isoliert inmitten des Gebiets der Algonkin zurück blieben, und zogen nach Westen und Süden.

1614 begegneten die Winnebagos erstmals französischen Siedlern am Ostufer des Lake Superior. Der französische Missionar Jean Nicolet (1598-1642) gibt ihre Bevölkerungszahl 1634 mit etwa 25.000 Menschen an. Durch drei Pocken-Epidemien und Kämpfe mit den benachbarten Algonkin-Völkern wurden die Winnebagos bis zum Ende des 17. Jahrhunderts auf wenige hundert Menschen dezimiert. Die Winnebagos erholten sich jedoch bald von diesem drastischen Bevölkerungsrückgang, so dass sie im 18. Jahrhundert eine aktive Rolle in den verschiedenen Kolonialkriegen spielten.[6]

Zwangsumsiedlungen

Gelber Donnervogel, Winnebago-Häuptling, ca. 1880

Zwischen 1840 und 1863 wurden die Winnebago in mehreren Etappen immer weiter westlich umgesiedelt. Durch diese Zwangsumsiedlung verloren sie nicht nur ihr Land und ihre traditionelle Wirtschaftsbasis, sondern auch etwa 700 Stammesmitglieder. 1865 wurde die Nebraska Winnebago Reservation auf Land eingerichtet, das die Winnebago vom Omaha-Volk gekauft hatten.

Unter den Bestimmungen des General-Allotment-Gesetzes (Dawes Act) verloren die Winnebagos zwischen 1887 und 1934 drei Viertel ihres Stammeslands an weiße Siedler. Vernichtend wirkte sich auch die Politik der Internierung der Indianerkinder aus, die in Internate und christliche Adoptivfamilien im ganzen Land geschickt wurden, wo sie ihre indianische Sprache und Lebensweise unterdrücken mussten. Seit 1934 besitzt der Winnebago Tribe of Nebraska den offiziellen Status eines bundesstaatlich anerkannten Stammes (federally recognized tribe).

Um 1880 war etwa die Hälfte der Stammesmitglieder auf eigene Faust aus Nebraska nach Wisconsin zurück gekehrt, wo sie 1963 eine eigene Stammesregierung gründeten, die sich seit 1994 als Ho-Chunk Sovereign Nation bezeichnet. Sie verfügt über mehrere Ländereien, die kein geschlossenes Stammesgebiet bilden, und betreibt verschiedene Wirtschaftsunternehmen wie Spielbanken.[6]

Gegenwart

1975 erhielten die beiden Abteilungen der Winnebago-Nation in Nebraska und Wisconsin von der amerikanischen Bundesregierung eine Entschädigungszahlung in Höhe von 4,6 Millionen US-Dollar für Land, das sie 1837 abtreten mussten. Den größten Teil des Geldes verwendeten die Winnebagos zum Ankauf von Land, zur Gewährung von Krediten an Stammesmitglieder und zur Finanzierung von Gemeinschaftsunternehmen. Durch die Gründung mehrerer Spielbanken, die z.B. in Nebraska 30 Prozent der Stammesmitglieder Beschäftigung bieten, versuchen die Winnebagos, im amerikanischen Wirtschaftssystem subsistent zu werden.

Die Gesamtzahl der Winnebago-Indianer, die auf dem Reservat in Nebraska leben, wird nach der Volkszählung von 2000 mit 2.588 Menschen angegeben. Der Ho-chunk-Stamm in Wisconsin wies 2001 6.159 eingetragene Mitglieder auf. Eine noch größere Anzahl von Winnebago-Indianern dürfte darüber hinaus in den Städten leben. Obwohl die Verkehrssprache Englisch ist, bestehen Bestrebungen, die Winnebago-Sprache fortzuführen.

Literatur

  • Hartmut Krech (Hrsg.): Autobiografie eines Winnebago-Indianers. In: IndianerLeben. Indianische Frauen und Männer erzählen ihr Leben. Norderstedt: Books on Demand 2009, Seite 135-174. ISBN 978-3-8391-1047-8
  • Nancy O. Lurie: Winnebago. In: Handbook of North American Indians, ed. William C. Sturtevant, Bd. 15, Northeast. Washington, DC: Smithsonian Institution 1978
  • Barry Pritzker: A Native American Encyclopedia: History, Culture, and Peoples, Oxford: Oxford University Press, 2000, Seite 475 ff., ISBN 0-19-513897-X
  • Paul Radin: The Winnebago Tribe (Erstausgabe 1913). Reprint: Lincoln, NE: University of Nebraska Press 1970, ISBN 0-8032-5710-4
  • Paul Radin: The Culture of the Winnebago, as Described by Themselves. Indiana University Publications in Anthropology and Linguistics, Memoir no. 1. Bloomington, IN: University of Indiana Press 1949

Einzelnachweise

  1. Frederick W. Hodge: Indian Naming. In: Handbook of American Indians North of Mexico. Washington, DC: GPO 1906 ff. Online. Abgerufen 25. September 2009
  2. Frederick W. Hodge: Winnebago. In: Handbook of American Indians North of Mexico. Washington, DC: GPO 1906 ff. Online. Abgerufen am 25. September 2009
  3. Nancy Oestreich Lurie: Winnebago Economy. In: World Culture Encyclopedia. New York, NY, Thomson Gale 2006 Online. Abgerufen 25. September 2009
  4. a b Frederick W. Hodge: Winnebago Indian Social Organization. In: Handbook of American Indians North of Mexico. Washington, DC: GPO 1906 ff. Online. Abgerufen 25. September 2009
  5. Paul Radin: Winnebago History and Culture. In: The Trickster: A Study in American Indian Mythology. New York, NY; Philosophical Library 1956, Seite 112-118. Online. Abgerufen 25. September 2009.
  6. a b David Lee Smith: Winnebago. In: Frederick E. Hoxie (Hrsg.): Encyclopedia of North American Indians. New York, NY: Houghton Mifflin 1996, 682-683

Siehe auch

Liste nordamerikanischer Indianerstämme

Weblinks

 Commons: Winnebago – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Winnebago — bezeichnet: einen Indianerstamm der Sioux Sprachfamilie, siehe Winnebago (Volk) einen Wohnwagen Hersteller, siehe Winnebago (Wohnwagen) einen See in Wisconsin, siehe Lake Winnebago folgende Countys in den Vereinigten Staaten: Winnebago County… …   Deutsch Wikipedia

  • Winnebago County (Illinois) — Verwaltung US Bundesstaat: Illinois Verwaltungssitz: Rockford Adresse des Verwaltungssitzes: Winnebago County Court 401 Elm Street Rockford, IL 61101 Gründung: 16. Januar …   Deutsch Wikipedia

  • Winnebago County (Wisconsin) — Das Winnebago County Courthouse in Oshkosh, seit 1982 im NRHP gelistet[1] Verwaltung …   Deutsch Wikipedia

  • Ottawa (Volk) — Wohngebiet Wohngebiet der Ottawa. Systematik Kulturareal: Nordöstliches Waldland …   Deutsch Wikipedia

  • Oto (Volk) — Ehemaliges Stammesgebiet der Oto und benachbarter Stämme und heutiges Reservat in Oklahoma Die Oto, auch Otoe geschrieben, sind ein nordamerikanisches Indianervolk aus dem Chiwere Zweig der Sioux Sprachfamilie, zu dem auch die Missouri und Iowa… …   Deutsch Wikipedia

  • Housatonic (Volk) — Traditionelles Wohngebiet der Housatonic um 1600. Die Housatonic waren ein Indianerstamm, der im 17. Jahrhundert im westlichen Massachusetts lebte. Kulturell und sprachlich gehörten sie zu den Mahican, nicht zu verwechseln mit den Mohegan, deren… …   Deutsch Wikipedia

  • Mandan (Volk) — Ehemaliges Stammesgebiet der Mandan und heutige Reservation in North Dakota Die Mandan sind ein kleines ursprünglich halbnomadisches Indianervolk Nordamerikas aus der Sioux Sprachfamilie, das um das Jahr 1800 am Missouri und an seinen beiden… …   Deutsch Wikipedia

  • Liste der Countys in Illinois — Der US amerikanische Bundesstaat Illinois ist in 102 Countys eingeteilt. Die offizielle Abkürzung von Illinois lautet IL, der FIPS Code ist 17. Der FIPS Code jedes einzelnen Countys beginnt also stets mit 17, an die die in der Tabelle jeweils… …   Deutsch Wikipedia

  • Ho-Chunk — Winnebago wigwam ca. 1852 Die Ho Chunk (Eigenbezeichnung), auch Winnebago, sind ein Indianerstamm der Sioux Sprachfamilie. Der Name Winnebago bekamen sie von feindlichen Ethnien. Er bedeutet soviel wie Volk des Stinkwassers, die genaue Bedeutung… …   Deutsch Wikipedia

  • Indianische Völker — Nordamerikanische Kulturareale In dieser Liste nordamerikanischer Indianerstämme werden die wichtigsten nordamerikanischen Konföderationen, Nationen, Völker, Stämme und Gruppierungen gelistet, geordnet nach den nordamerikanischen Kulturarealen.… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”