Hebenon

Hebenon
Schwarzes Bilsenkraut - eine der möglichen Bedeutungen von Hebenon

Als Hebenon oder Hebona bezeichnet William Shakespeare in seiner Tragödie Hamlet eine Pflanze, deren Gift zur Ermordung von Hamlets Vater eingesetzt wurde. In der Shakespeare-Forschung wird bereits seit Shakespeares Zeiten darüber diskutiert, was mit Hebenon gemeint sein könnte.

Der Geist von Hamlets Vater erwähnt Hebenon beziehungsweise Hebona in der 5. Szene des ersten Akts. Die Schreibweise unterscheidet sich in den frühen Shakespeare-Ausgaben; während in den Quarto-Ausgaben von 1603 (einem sogenannten bad quarto) und 1604 von Hebona die Rede ist, verwendet die als besonders verlässlich geltende erste Folio-Gesamtausgabe von 1623 Hebenon:

„... In the after noone, vpon my secure houre
Thy vncle came, with iuyce of Hebona ...“

William Shakespeare: Hamlet, Quarto 1[1]

„... Vpon my secure houre, thy Vncle stole
With iuyce of cursed Hebona in a viall, ...“

William Shakespeare: Hamlet, Quarto 2[2]

„... Vpon my secure hower thy Vncle stole
With iuyce of cursed Hebenon in a Violl, ...“

William Shakespeare: Hamlet, Folio 1[3]

Es handelt sich dabei um die einzige Erwähnung von Hebenon in Shakespeares Werken. In einer Untersuchung von 1877 wurden als bis dahin vermutete Bedeutungen unter anderem henbane (Bilsenkraut), ebony (Ebenholz), hemlock (Schierling) und enoron (zu Shakespeares Zeit eine Bezeichnung für die Tollkirsche) aufgezählt.[4] Von mehreren Forschern wurde später auch die Theorie vertreten, dass es sich bei Hebenon um yew, die Eibe, handeln könnte.[4] Der Botaniker K.N. Rao hat sich in einem Aufsatz von 2004 über die Botanik bei Shakespeare letzterer Auffassung angeschlossen und hält die Eibe für die wahrscheinlichste Bedeutung.[5] Hingegen kommt der Linguist Anatoly Liberman in seinem Analytic Dictionary of English Etymology (2008) zum Schluss, dass Hebenon wahrscheinlich henbane sei, fragt sich jedoch, warum Shakespeare und Christopher Marlowe (bei dem juice of Hebon vorkommt) dies nicht in „normalem (elisabethanischem) Englisch“ ausdrückten.[4]

Für die Eibe sprechen ihre Bekanntheit als Giftpflanze und die Ähnlichkeit der vom Geist in Hamlet beschriebenen Vergiftungssymptome mit den Darstellungen von Eibe-Vergiftungen in medizinischer Literatur aus der Zeit Shakespeares. Für Ebenholz beziehungsweise Guajak, der dem Ebenholz zugerechnet wurde, spricht die Tatsache, dass ebony tatsächlich teilweise mit h geschrieben wurde; dagegen spricht allerdings seine geringe Giftigkeit, wie insbesondere Rao betont.[5] Andererseits soll dem Saft des Guajaks zugeschrieben worden sein, eine Lepra-ähnliche Krankheit auslösen zu können, was wiederum zu den Symptomen bei Shakespeare passen würde.[4] Für das Bilsenkraut spricht, wie für die Eibe, seine Giftigkeit und die Möglichkeit, dass hebenon durch eine Metathese aus henbane entstanden sein könnte. Es wird aber auch in Frage gestellt, ob Shakespeare überhaupt eine bestimmte Pflanze im Sinn hatte.[4]

Deutsche Übersetzungen

Christoph Martin Wieland hat in seiner Übersetzung des Hamlet (1766) die Frage nach der Bedeutung von Hebenon umgangen, indem er sich darauf beschränkte, von einer „Phiole voll Gift“ zu schreiben. [6] Danach dominierte in den deutschen Übersetzungen jedoch das Bilsenkraut. Bereits Johann Joachim Eschenburg, der Shakespeares Werk als erster vollständig ins Deutsche übertrug, schrieb von einer „Flasche voll des verwünschten Safts von Bilsenkraut“.[7] August Wilhelm Schlegel übersetzte:

„... Beschlich dein Oheim meine sichre Stunde,
Mit Saft verfluchten Bilsenkrauts im Fläschchen ...“

William Shakespeare: Hamlet, Prinz von Dänemark, übersetzt von A.W. Schlegel[8]

Johann Wilhelm Otto Benda schrieb in seiner Übersetzung von 1826 von einem „Glas verwünschten Bilsenkrauts“.[9] Beim „Saft verfluchten Bilsenkrauts“ blieben Ernst Ortlepp[10] sowie auch Friedrich Gundolf in seiner Überarbeitung der Schlegelschen Übersetzung und Frank Günther in seiner erstmals 1995 erschienenen Neuübersetzung.[11] Friedrich Köhler entschied sich für seine bei Reclam erschienene Übersetzung für eine andere Interpretation: bei ihm ist es „Saft verfluchten Ebenbaums“.[12]

Literatur

  • Henry Bradley: "Cursed Hebenon" (Or "Hebona"). In: The Modern Language Review. Vol. 15, Nr. 1, Modern Humanities Research Association, Januar 1920, S. 85-87, doi:10.2307/3713817 (JSTOR, abgerufen am 5. November 2010).

Einzelnachweise

  1. William Shakespeare: Hamlet (Quarto 1, 1603), Act 1, Scene 5 (Englisch). Internet Shakespeare Editions. Abgerufen am 4. November 2010.
  2. William Shakespeare: Hamlet (Quarto 2, 1604), Act 1, Scene 5 (Englisch). Internet Shakespeare Editions. Abgerufen am 4. November 2010.
  3. William Shakespeare: Hamlet (Folio 1, 1623), Act 1, Scene 5 (Englisch). Internet Shakespeare Editions. Abgerufen am 4. November 2010.
  4. a b c d e Anatoly Liberman: A note on hebenon in Hamlet I, 5:62. In: An Analytic Dictionary of English Etymology: An Introduction. University of Minnesota Press, Minneapolis [etc.] 2008, ISBN 978-0-8166-5272-3, S. 110-111 (Google Books).
  5. a b K.N. Rao: Botanical survey of Shakespeare - 2. Chennai Online. (Archivversion) (Archivversion vom 15. Mai 2008)
  6. William Shakespeare, Christoph Martin Wieland (Übers.): Hamlet, Prinz von Dännemark (Deutsch). Projekt Gutenberg-DE. Abgerufen am 5. November 2010.
  7. William Shakespeare: Willhelm Shakespears Schauspiele. Neue verbesserte Auflage. Bd. 8, Mannheim 1778 (übersetzt von Johann Joachim Eschenburg), S. 53.
  8. William Shakespeare: Shakespeare's dramatische Werke. Bd. 3, Georg Reimer, Berlin 1867 (übersetzt von August Wilhelm von Schlegel, Ludwig Tieck), S. 360.
  9. William Shakespeare: Shakespear's dramatische Werke. Bd. 13, Göschen, Leipzig 1826 (übersetzt von Johann Wilhelm Otto Benda), S. 40 (Google Books).
  10. William Shakespeare: W. Shakspeare's dramatische Werke. Bd. 1, Rieger, Stuttgart 1838 (übersetzt von Ernst Ortlepp), S. 250.
  11. William Shakespeare: Hamlet. 3. Auflage. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2000 (übersetzt von Frank Günther), ISBN 3-423-12483-0, S. 65.
  12. William Shakespeare: Shakspere's sämmtliche dramatische Werke. 8. Auflage. Bd. 11, Philipp Reclam jun., Leipzig ca. 1860 (übersetzt von Friedrich Köhler), S. 24.

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