Schauerliteratur

Schauerliteratur

Die Schauerliteratur, im Englischen als Gothicism bzw. Gothic fiction bezeichnet, ist ein literarisches Genre der Phantastik, das gegen Ende des 18. Jahrhunderts in England entstand.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Mit Das Schloss von Otranto schrieb Horace Walpole die erste Gothic Novel und begründete ein neues Genre, das sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts enormer Beliebtheit erfreute. Im Mittelpunkt der Erzählung steht ein Gebäude, die fiktive norditalienische Burg von Otranto, ungefähr zur Zeit der Kreuzzüge. Otranto ist ein labyrinthisches Konstrukt, das im Laufe der Geschichte ein Eigenleben zu entwickeln scheint. Der Protagonist des Romans will vor allem seine eigene Blutlinie erhalten und schreckt dabei selbst vor Vergewaltigung nicht zurück – hier zeigt sich der Topos der Verbindung von Genealogie und Grundbesitz beim Adel in einer verzerrten Weise.

In Letters on Chivalry and Romance beschrieb Richard Hurd die neue Tendenz erstmals als „Gothic Romance“, in der er etwas fand, das „der Sichtweise eines Genies und dem Zweck der Poesie in besonderem Maße angemessen“ sei.[1] Er untermauerte sein Lob mit einem Beispiel aus der Architektur: „Wenn ein Architekt einen gotischen Bau an griechischen Regeln misst, findet er nichts als Unförmigkeit. Doch die gotische Architektur hat ihre eigenen Regeln, und wenn man sie nach diesen untersucht, stellt man fest, dass sie ihre eigenen Qualitäten hat, ebenso wie die griechische.“[2]

Der Begriff des „genius“ wurde wichtig, denn er war ein kreativer Mensch, der weniger durch Erziehung und Kultur geprägt war, als vielmehr durch natürlich eingegebenes, unge- und -verformtes Talent. Als eines dieser Talente wurde der gälische Barde Ossian erachtet, dessen Works of Ossian 1765 publiziert wurden, sich im Nachhinein aber als die Produkte desselben James Macpherson herausstellten, der sich als ihr Finder ausgegeben hatte. Ossians vermeintliche Werke waren enorm einflussreich, auch auf dem Kontinent, wo sich Johann Wolfgang von Goethe und Johann Gottfried von Herder Verse im ossianschen Stile hin- und herschickten. Die Sehnsucht nach einem echten nordischen Antikendichter war groß, das Interesse an allem Alten, Dunklen, Unerklärlichen war stark; man begann in den Winkeln der Welt und des Bewusstseins zu stöbern, die das Licht der Aufklärung nicht hatte erhellen können. Es formte sich eine Strömung in der Dichtung, die man die Graveyard School nannte, und in der Tat kreisen diese Werke primär um die Motive von Grab, Gruft und Urne – letzteres von Anbeginn der Landschaftsgärtnerei an ein unverzichtbares Accessoire, um mit vergleichsweise wenig Aufwand existentielle Gefühle hervorzurufen. Auch der deutsche Trivialautor Christian Heinrich Spieß war ein fleißiger Besucher des Friedhofs. In seinem Roman Das Petermännchen, 1791/92 in Prag als Fortsetzungsroman erstveröffentlicht, verführt der Held sechs Frauen, lebt in blutschänderischer Ehe und ermordet 70 Menschen. Das auch ins Englische übersetzte Buch dürfte Matthew Lewis bekannt gewesen sein, als er The Monk schrieb, einen der einflussreichsten Romane des Genres.

Weiterentwicklung

Spätere Vertreter waren Ann Radcliffe, die von Jane Austen in ihrem Roman Die Abtei von Northanger (Original: Northanger Abbey) parodiert wurde, sowie William Beckford (Vathek), Mary Shelley (Frankenstein), Bram Stoker (Dracula), Sheridan LeFanu (Carmilla), Charles Robert Maturin und Howard Phillips Lovecraft. Elemente der Schauergeschichte finden sich auch bei Emily Brontë. Stark beeinflusst vom Schauerroman wurden auch E. T. A. Hoffmann (vor allem in frühen Werken wie den Nachtstücken und dem Roman Die Elixiere des Teufels) und Edgar Allan Poe, der neben Wilkie Collins aus dem Schauerroman den Detektivroman entwickelte. Auch in den Kriminalromanen von John Dickson Carr zeigt sich die Vorliebe des Autors für den (deutschen) Schauerroman mit seinen düsteren Burgruinen, verwunschenen Landsitzen und lauschigen Weilern, deren Bewohner von alten Flüchen, seltsamen Ritualen oder gar Gespenstern geplagt werden.[3]

Verschiedene Motive der klassischen Gothic Novel finden sich häufig in modernen Romanen. In der modernen Horrorliteratur (z. B. bei Stephen King) finden sich zahlreiche Elemente der Gothic Novel. In neuerer Zeit hat der Schauerroman zudem starken Einfluss auf das Genre des Thrillers gehabt, wie z. B. in Dan Browns Sakrileg. Auch in Deutschland existiert ein kleiner Kreis von Schriftstellern, die in der Tradition der Gothic Novels stehen, unter anderem Boris Koch, Andreas Gruber und Christian von Aster.

Moderne Geschichten verfassten etwa Shirley Jackson, Roald Dahl, Ernst Wilhelm Heine und Georg Klein. Popularität genießen die Buchreihen Fear Street und Gänsehaut.

Siehe auch

Fachliteratur

  • Christopher Frayling, Alpträume. Die Ursprünge des Horror (engl. Nightmare: The Birth of Horror), ISBN 3-8025-2303-2, o.V., o.O., o.J.
  • Jürgen Klein, Der gotische Roman und die Ästhetik des Bösen, ISBN 3-534-06858-0, o.V., Darmstadt 1975.
  • J. C. L. König, Herstellung des Grauens. Wirkungsästhetik und emotional-kognitive Rezeption von Schauerfilm und -literatur, ISBN 3-631-54675-0, Verlag Peter Lang, Frankfurt 2005.
  • H. P. Lovecraft, Die Literatur der Angst (engl. Supernatural Horror in Literature), ISBN 3-518-38922-X. – Frei verfügbar unter: N.N., Gaslight.mtroyal.ca/superhor.htm, gepr. 2011-0203-1833 (ed. o.J.).
  • Gero von Wilpert, Die deutsche Gespenstergeschichte. Motiv – Form – Entwicklung, ISBN 978-3-520-40601-9, Kröner, Stuttgart 2001.
  • Wolfgang Trautwein, Erlesene Angst · Schauerliteratur im 18. und 19. Jahrhundert, ISBN 3-446-12987-1, o.V., München 1980.
  • Dirk Sangmeister, Zehn Thesen zu Produktion, Rezeption und Erforschung des Schauerromans um 1800, in: Ulrich Joost u. Alexander Neumann (Hg.), Lichtenberg Jahrbuch 2010, S. 177–217, Winter, Heidelberg 2010.

Weblinks

  • Martin Clauß et al., Gruselstories.de, gepr. 2011-0203-1748 (ed. o.J.). – Legal-kostenlose Gruselserien.
  • Jack G. Voller et al., The Literary Gothic, gepr. 2011-0203-1753 (ed. 2010-0802). – Englische Site. Kurzbiographien, Essays und Links zu Autoren der englischen Spielart des Schauerromans.
  • Christiane Frohmann, Gothic | unheimlich | extim – Quellen, Links und Kommentare zu »gothic images« von Horace Walpole bis Tim Burton.

Einzelnachweise

  1. Quellbeleg nötig.
  2. Quellbeleg nötig.
  3. Vgl. Michael Drewniol, o.T. (Krimi-Rezension zu Carrs »Tod im Hexenwinkel«), gepr. 2011-0203-1649 (ed. o.J.), pass.

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