Gerhard Lauter

Gerhard Lauter

Gerhard Lauter (* 1950) war seit dem 1. Juli 1989 bis zur Wiedervereinigung Hauptabteilungsleiter für Pass- und Meldewesen im Innenministerium der Deutschen Demokratischen Republik. In dieser Funktion spielte er eine zentrale Rolle für den Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989.

Inhaltsverzeichnis

Ausbildung und Karriere

Lauter studierte Jura an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Er war in den Jahren nach 1976 Kriminalist und für den Aufbau der 9. Volkspolizei-Kompanie (Anti-Terroreinheit) in der Deutschen Volkspolizei (DVP) zuständig. Später war er Persönlicher Referent des 1. Stellvertreters des Ministers des Inneren der DDR und Fahndungschef der DVP. Im Jahre 1985 wurde er Untersuchungschef der Kriminalpolizei der DDR. Zum 1. Juli 1989 übernahm er die Position des Hauptabteilungsleiters der Hauptabteilung Pass- und Meldewesen im Ministerium des Innern der DDR.[1] Sein letzter Dienstgrad war Oberst.

Die Reiseregelung vom 9. November 1989

Am 8. November 1989 erhielt Lauter den Befehl von Innenminister Friedrich Dickel, einen Beschluss zur Veränderung der Situation der ständigen Ausreise von DDR-Bürgern nach der BRD über die CSSR auszuarbeiten. Die Regelung sollte an sich ausschließlich das endgültige Verlassen der DDR („ständige Ausreise“) regeln. In Vorabgesprächen mit seinen Mitarbeitern ist Lauter allerdings zu der Auffassung gelangt, dass es widersinnig sei, eine Regelung allein für die „ständige Ausreise“ zu verfassen, während demjenigen, der in der DDR bleiben möchte, Besuchsreisen verwehrt blieben.[2]

Um die Verordnung gemeinsam mit Lauter zu verfassen trafen am Morgen des 9. November Generalmajor Gotthard Hubrich (Leiter der Hauptabteilung Innere Angelegenheiten) sowie die beiden Stasi-Männer Oberst Hans-Joachim Krüger und Oberst Udo Lemme in Lauters Dienstzimmer ein.[3] Auf Lauters Vorschlag[4] hin fügten sie mitten in die Regelung der „ständigen Ausreise“ den Absatz ein, der später Grundlage für den Mauerfall sein würde:

„Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen (Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse) beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt.“

Das erarbeitete Papier wurde an zwei Stellen weitergereicht: an das Zentralkomitee der SED und – über das Ministerium des Inneren – an den Ministerrat der DDR. Es bestand aus drei Dokumenten: einer Presseerklärung, einer politischen Entscheidung und aus einem Entwurf einer Verordnung des Ministerrates der DDR.[5] Nach eigenen Aussagen hoffte er, dass die Tragweite dem SED-Politbüro nicht klar werden würde. Er sah dies als einzige Möglichkeit, die DDR noch zu stabilisieren. Dem Beschluss, der von Lauter vorgeschlagen worden ist, sollte nach Genehmigung des SED-Politbüros per Umlaufverfahren durch alle 44 Minister der DDR bis 19 Uhr desselben Tages zugestimmt werden. Bis zur Übergabe an Günter Schabowski war weder die Einspruchsfrist abgelaufen noch hatten alle Mitglieder des Ministerrats zugestimmt. Eine in der Presseerklärung enthaltene Sperrfrist bis 4 Uhr morgens des folgenden Tages befand sich als einziger Satz auf der zweiten Seite der Presseerklärung. Am 9. November 1989 verlas der neu installierte Medienbeauftragte Schabowski bei einer Pressekonferenz gegen 18:54 Uhr den ihm zuvor von Egon Krenz ohne Erläuterung übergebenen Beschluss, ohne vom Sperrvermerk Kenntnis genommen zu haben.[6] Lauter selbst erfuhr nach einem Theaterbesuch erst gegen 22:00 Uhr von der Panne der frühen Veröffentlichung durch seinen Sohn, woraufhin er umgehend in das Innenministerium fuhr und dort die Nacht über Krisenmanagement betrieb.

Ohne den von Lauter initiierten ergänzenden Absatz in der Verordnung wäre der Fall der Berliner Mauer in der damaligen Form am 9. November 1989 nicht zu Stande gekommen.

Nach der Wende

Lauter war nach der Wende bei mehreren Wirtschaftsunternehmen beschäftigt, als Berater einer Fluggesellschaft tätig und betreibt heute gemeinsam mit seiner Frau die Anwaltskanzlei Lauter & Lauter in Leipzig, spezialisiert auf Arbeitsrecht und Sozialrecht. Er ist heute Mitglied der Partei Die Linke in Leipzig und dort im Stadtvorstand tätig.[7]

Literatur

  • Hans-Hermann Hertle: Chronik des Mauerfalls. Die dramatischen Ereignisse um den 9. November 1989, 11. Auflage. Ch. Links, Berlin 2009. ISBN 978-3-86153-541-6.
  • Hans-Hermann Hertle: Der Fall der Mauer. Die unbeabsichtigte Selbstauflösung des SED-Staates, 2. Auflage. Westdeutscher Verlag, Opladen 1999. ISBN 3-531-32927-8.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Leipzig: Der Fall der Mauer. Unfall oder Kalkül? Vita von Gerhard Lauter
  2. Cordt Schnibben: Die Nacht der Wildschweine. Der Spiegel, Ausgabe 45, 2. November 2009, Seite 57.
  3. Ein Satz, der Geschichte schreiben wird Spiegel Online vom 9. November 2004
  4. Mitteldeutscher Rundfunk: Der "Grenzfall" und seine Verursacher. 5. Mai 2009.
  5. Interview: Tina von Löhneysen mit Gerhard Lauter im ARD-Morgenmagazin am 9. November 2009 um 8:42 Uhr (Video 00:14:46)
  6. Es war das Volk Spiegel Online vom 22. Oktober 1990
  7. Die Linke: Stadtverband und Leipzig

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