Gemeinde (Japan)

Gemeinde (Japan)

In Japan gibt es heute vier Arten von Gemeinden, die als selbstverwaltete Gebietskörperschaften unterhalb der Präfekturebene stehen. Japan ist eigentlich flächendeckend in Präfekturen und Gemeinden unterteilt, es sollte folglich keine gemeindefreien Gebiete geben; jedoch ist die Gemeindezugehörigkeit einiger Gebiete, besonders abgelegene Inseln und Neulandgebiete, umstritten.

Die vier Arten von Gemeinden sind:

  • Shi () , (kreisfreie) Städte, von denen die größten als seirei shitei toshi (etwa „regierungsdesignierte Großstädte“) sonst den Präfekturen zustehende Verwaltungsaufgaben übernehmen und in Stadtbezirke (ku) gegliedert sind, weitere größere Städte werden absteigend nach Verwaltungskompetenz als „Kernstädte“ (chūkaku-shi) und „Sonderstädte“ (tokurei-shi) klassifiziert,
  • Machi (, sinojapanische Lesung chō), (kreisangehörige) Städte, wobei die Landkreise, Gun, im Wesentlichen nur noch als geographische Bezeichnung existieren,
  • Mura (, sinojapanisch son), (kreisangehörige) Dörfer und
  • [Tokubetsu-]Ku ([特別]区), „[Sonder-]Bezirke“, die bisher nur in Tokio existieren.

Zusammen werden sie in Zusammenziehung der vier Worte als shi-ku-chō-son, außerhalb eines Tokioter Kontexts auch als shi-chō-son bezeichnet. In der Präfektur Tokio wird besonders in offiziellen Zusammenhängen auch die Bezeichnung ku-shi-chō-son verwendet, da die Bezirke dort die größten Gemeinden sind.

Zum 1. April 2009 gab es inklusive Tokios insgesamt 1.800 Gemeinden, die meisten davon machen heute die Shi aus. Aufgrund vieler Eingemeindungen und damit einhergehender haben Machi und Mura zahlenmäßig sehr stark abgenommen. Viele Stadtgebiete von in den Heisei-Jahren „neu“ entstandenen Großstädten ist mit denen vormaliger Gun nahezu identisch.

Inhaltsverzeichnis

Gemeindeordnung

Heutige rechtliche Grundlagen für die Organisation der Gemeinden sind vor allem die Nachkriegsverfassung und das chihō-jichi-hō („Gesetz über lokale Selbstverwaltung“) von 1947. Letzteres unterscheidet die shi-chō-son zusammen mit den Präfekturen als „normale Gebietskörperschaften“ (普通地方公共団体, futsū chihō kōkyō dantai) von den „besonderen Gebietskörperschaften“ (特別地方公共団体, tokubetsu chihō kōkyō dantai), zu denen neben verschiedenen Formen von Gemeindeverbänden auch die Bezirke Tokios zählen.

In den Gemeinden wird wie in den Präfekturen ein Präsidialsystem praktiziert, das heißt der Bürgermeister (shi-/ku-/chō-/son-chō) wird alle vier Jahre durch einfache Mehrheitswahl direkt vom Volk gewählt, also unabhängig von den Kommunalparlamenten (shi-/ku-/chō-/son-gikai, in einigen großen Städten shikai, „Stadtrat“) bestimmt. Diese werden durch nicht übertragbare Einzelstimmgebung gewählt, die Anzahl der Mitglieder richtet sich nach der Bevölkerungszahl; die meisten Gemeinden bilden „große Wahlkreise“, die Gemeinde als ganzes bildet also einen einzigen Wahlkreis, in den seirei shitei toshi bildet jeder Stadtbezirk einen Wahlkreis. Die Bürger können durch einen erfolgreichen Recall Neuwahlen von Bürgermeister oder Kommunalparlament erzwingen, das Kommunalparlament kann gegen den Bürgermeister ein Misstrauensvotum verabschieden.

Unter die kommunale Selbstverwaltung fallen Infrastrukturaufgaben wie Stadtplanung und die kommunalen Straßen, Müll- und Abwasserentsorgung, die Feuerwehr, Bildungsaufgaben, Kindertagesstätten und Kindergärten sowie Grund- und Mittelschulen, über die aber die Präfekturen die Aufsicht haben, und das Führen der Familienregister sowie der Melderegister für In- und Ausländer. Die größeren Städte übernehmen einige weitere Aufgaben: Die seirei shitei toshi übernehmen in vielen Verwaltungsbereichen Teilaufgaben von den Präfekturen, so haben sie größere Zuständigkeiten als übrige Gemeinden bei Stadtplanung und -entwicklung und können zum Beispiel Polikliniken (shinryōjo) und Medikamentenverkaufsstellen lizenzieren (nicht aber vollwertige Apotheken und Krankenhäuser). Andererseits delegieren sie einige Aufgaben wie Meldeangelegenheiten an die Stadtbezirke. Die chūkaku-shi und tokurei-shi erhalten absteigend weniger Zuständigkeiten von den Präfekturen. In den Bezirken Tokios werden wiederum einige der sonst kommunalen Aufgaben wie die Feuerwehr von der Präfektur übernommen, die dafür einen Teil der Bezirkssteuern behält.

Der Bürgermeister beruft mit Zustimmung des Kommunalparlaments auf vier Jahre einen oder mehrere Vizebürgermeister (fuku-shi-/ku-/chō-/son-chō, vielerorts auch joyaku), zusammen mit dem Kämmerer bezeichnet man die Positionen auch als die „drei [wichtigen] Ämter“ einer Gemeinde. Außerdem beruft der Bürgermeister die Abteilungsleiter und mit Zustimmung des Kommunalparlaments die Leiter der bestimmter Ausschüsse wie z.B. des Bildungsausschusses und der Wahlaufsichtskommission, legt den Haushaltsentwurf vor und hat das Initiativ- sowie ein Vetorecht für kommunale Verordnungen. Das Kommunalparlament beschließt Verordnungen (jōrei wie die kaiserlich erlassenen Gesetze im vorkonstitutionellen Kaiserreich; im rechtlichen Sinne handelt es sich um Satzungen), den Haushalt und überwachen den Bürgermeister und die Gemeindeverwaltung. Die Bürger haben wie auf Präfekturebene neben den Recalls auch direkte Einflussmöglichkeiten auf die kommunalen Verwaltungen.

Die Gesamteinnahmen der Gemeinden beliefen sich im Fiskaljahr 2007 auf rund 49,5 Bio. Yen, davon kamen 39,3 Prozent aus kommunalen Steuern (hauptsächlich die „Bürgersteuer“ (shi-/ku-/chō-/son-min-zei), und die Vermögenssteuer (zaisan-zei)), weitere 19,6 % aus regulären (Finanzausgleich) und Sonderzuweisungen von nationalen Steuern und nochmal 10,3 % aus kokko-shishutsu-kin, Mitteln, die für meist an bestimmte, teilweise zwischen Zentralstaat und Kommune gemeinsame Aufgaben gebundene von der Zentralregierung ausgeschüttet werden. Der Rest muss durch die Ausgabe von Anleihen und andere Einnahmen gedeckt werden.

Politische Parteien in der Kommunalpoltik

Viele Kommunalwahlen werden bei einheitlichen Regionalwahlen in Jahren vor Schaltjahren durchgeführt, zuletzt im April 2011.

Die Kommunalpolitik ist jenseits der großen Städte wenig parteipolitisch organisiert, zudem sind die meisten nationalen Parteien in ihrer Struktur von oben organisiert, das heißt sie sind in erster Linie Zusammenschlüsse von Abgeordneten des nationalen Parlaments. Vor allem Mitglieder von Kōmeitō und Kommunistischer Partei Japans sind dagegen auch in kleineren Städten und Dörfern als Parteipolitiker vertreten. Insgesamt setzten sich die Kommunalparlamente 2010 – also noch vor den letzten einheitlichen Regionalwahlen – wie folgt zusammen:

Aggregierte Zusammensetzung der Kommunalparlamente
(Stand: 31. Dezember 2010)[1]
Partei Abgeordnete
shi ku chō-son Summe Prozent
Demokratische Partei 918 124 98 1.140 3,44
Liberaldemokratische Partei 1.344 293 76 1.713 5,17
Kōmeitō 2.145 192 440 2.777 8,38
Kommunistische Partei Japans 1.876 135 830 2.841 8,57
Sozialdemokratische Partei 327 14 42 383 1,16
Minna no Tō 7 2 6 15 0,05
Neue Volkspartei 1 2 0 3 0,01
Neue Partei Daichi 2 0 1 3 0,01
Sonstige 182 31 9 222 0,67
Unabhängige 13.340 95 10.623 24.058 72,6
Summe
(ohne Vakanzen)
20.142 889 12.125 33.156 100

Geschichte

Die seit vormoderner Zeit existierenden Landkreise, Gun, wurden von der Meiji-Regierung 1878 reorganisiert: Das Gun-ku-chō-son-hensei-hō (郡区町村編制法, „Gesetz über die Organisation von Landkreisen, Städten, Dörfern und Bezirken“) unterteilte die Landkreise in Machi und Mura, daneben wurden große Städte, besonders die in den ungleichen Verträgen geöffneten Vertragshäfen, zu „Bezirken“ (ku); die drei Hauptstädte Kyōto, Ōsaka und Tokio wurden in mehrere solcher Bezirke eingeteilt. Damit wurde das kurz nach der Meiji-Restauration eingerichtete „System großer und kleiner Bezirke“ (大区小区制, Daiku-shōku-sei) durch eine moderne Kommunalstruktur ersetzt. Die Verwaltung wurde in kreisangehörigen Gemeinden von einem mit Zustimmung des Gouverneurs der Präfektur gewählten kochō (戸長), in „Bezirken“/Städten und Landkreisen von einem ernannten Bezirks- bzw. Kreisvorsteher (kuchō bzw. gunchō) geleitet. Gleichzeitig wurden die Präfekturen neu organisiert und erhielten einerseits Parlamente und Steuerbefugnisse, andererseits wurden die Kompetenzen der Gouverneure [gegenüber den gewählten Parlamenten] ausgeweitet. 1880 wurde dann das ku-chō-son-kai-hō (区町村会法, „Gesetz über Bezirks-, Stadt- und Dorfversammlungen“) erlassen, mit dem die Gemeinden unter Zensus gewählte Räte erhielten. Diese ersten Volksvertretungen waren auch als Testfall für die Einführung einer Verfassung und eines nationalen Parlaments konzipiert, die die Meiji-Oligarchie unter Druck durch die „Bewegung für Freiheit und Bürgerrechte“ bereits ein Jahr später, 1881, versprach.

1888/89 wurden dann die Gemeindeordnungen für (kreisangehörige) Städte und Dörfer (chō-son-sei) und die Gemeindeordnung für die Shi (Shi-sei) erlassen. Dabei entstanden dann aus den bisherigen ku die (kreisfreien) Städte; Kyōto, Ōsaka und Tokio wurden jeweils als ganzes zu shi, dort wurden die bisherigen ku zu Stadtbezirken. Seitdem existieren in weiten Teilen Japans die drei Hauptgemeindeformen shi-chō-son, in Okinawa und Hokkaidō gab es noch bis in die 1920er Jahre Städte, die als ku organisiert waren. Die Gemeindeordnungen führten eine teilweise nach preußischem Vorbild gestaltete kommunale Selbstverwaltung ein, allerdings wurden nur die Bürgermeister kreisangehöriger Gemeinden gewählt, in den kreisfreien Städten nominierte der Stadtrat drei Bürgermeisterkandidaten, von denen dann einer ernannt wurde, und in den drei wichtigsten Städten Tokio, Ōsaka und Kyōto hatten die Bürger überhaupt keinen Einfluss auf die Leitung der Verwaltung: Dort wurde der vom Innenministerium ernannte Gouverneur der jeweiligen Präfektur in Personalunion Bürgermeister der Präfekturhauptstadt. Die Abschaffung dieser Sonderregelung wurde von den bürgerlichen Parteien im Unterhaus des 1890 eingerichteten Reichstags gefordert, hatte aber wegen des Widerstands des Herrenhauses noch bis 1898 bestand. In den 1910er Jahren gab es einige Reformen der kommunalen Ordnung. Die Landkreise wurden als Verwaltungseinheit 1923 abgeschafft.

Die Tokioter „Sonderbezirke“ schließlich wurden 1947 geschaffen. Sie ersetzten die Tokioter Stadtbezirke, die seit der Absorbierung der (selbstverwalteten) Stadt Tokio durch die Präfektur Tokio unter dem Kriegskabinett von General Tōjō direkt der vom Innenministerium eingesetzten Präfekturverwaltung unterstanden hatten. Im gleichen Jahr schrieben die neue Verfassung und das „Gesetz über lokale Selbstverwaltung“ die kommunale Selbstverwaltung im Wesentlichen in heutiger Form fest. Gleichzeitig wurde auch die Verwaltung der Präfekturen demokratisiert: Die Gouverneure wurden dort nun vom Volk gewählt. Außerdem können die Bürger in Präfekturen und Gemeinden nun durch verschiedene Formen „direkter Eingaben“ (chōkusetsu seikyū: Petitionen, Recalls, Volksinitiativen) direkten Einfluss auf die Verwaltung nehmen. Darüber hinaus können Kommunen „Verordnungen über Volksabstimmungen“ (住民投票条例, jūmin tōhyō jōrei) verabschieden; die auf dieser Grundlage durchgeführten Volksbefragungen sind zwar rechtlich nicht, aber politisch in hohem Maße bindend und haben seit den 1990er Jahren zu einigen national und international beachteten Entscheidungen geführt, so z.B. 2001 bei der Ablehnung von MOX-Brennelementen durch die Bürger der Gemeinde Kariwa (Präfektur Niigata) oder 2006 bei der Ablehnung eines US-Stützpunkts durch die Bürger der Stadt Iwakuni (Präfektur Yamaguchi).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Sōmushō: Gouverneure/Bürgermeister und Abgeordnete in den Gebietskörperschaften nach Partei, S. 4

Literatur

  • Kurt Steiner: Local Government in Japan. Stanford University Press, Stanford 1965.

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