Gefechtsbereitschaft (NVA)

Gefechtsbereitschaft (NVA)

Unter Gefechtsbereitschaft verstand man in der Nationalen Volksarmee der DDR die Bereitschaft und Fähigkeit militärischer Truppen unter allen Bedingungen organisiert das Gefecht zu beginnen und die befohlenen Gefechtsaufgaben zu erfüllen.[1]

Die Gefechtsbereitschaft hing von vielen Faktoren ab. Neben technischen und materiellen Voraussetzungen, waren der politisch-moralische Zustand[2], das Niveau der militärischen Ausbildung, die Führungsqualität der Kommandeure und Stäbe, die Einsatzbereitschaft der Kampftechnik, und das System der Alarmierung von großer Bedeutung.

Wichtig war auch die Fähigkeit der Armee-Führung und der Truppen in den geplanten Zeiten die jeweils befohlene Stufe der Gefechtsbereitschaft herzustellen.

Die Nationale Volksarmee war von Anfang an als Mobilmachungsarmee konzipiert und entwickelt. So war in den 80er Jahren für den Kriegsfall ein Personalumfang von insgesamt 430.000 bis 500.000 Mann vorgesehen. Die ersten operativen Staffeln sollten in der Lage sein, ohne vorherige Mobilmachung die ihnen übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Im Wesentlichen betraf das alle Kräfte und Verbände der NVA. Für die zweite Staffel waren weitgehende Mobilmachungsvorbereitungen vorgesehen. Die Mobilmachung konnte getarnt ausgelöst oder in Zusammenhang mit der Auslösung einer höheren Stufe der Gefechtsbereitschaft befohlen werden. In der NVA unterschied man in den 80er Jahren vier Stufen der Gefechtsbereitschaft:

Inhaltsverzeichnis

Alarmierungswege

Die Alarmierungswege waren je nach Größe des jeweiligen militärischen Verbandes unterschiedlich. Das vom Operativen Führungszentrum des Ministeriums für Nationale Verteidigung geführte Alarmierungssystem „Schnur“ wurde extra für die zentrale Überführung in höhere Stufen der Gefechtsbereitschaft konzipiert und eingesetzt. Daneben konnten Befehle und Informationen über das S1-Netz übertragen werden. Für Alarmierungen an Standorten gab es eine Alarm- und Meldekompanie. Die Soldaten dieser Kompanie hatten striktes Urlaubs- und Ausgangsverbot während ihrer Bereitschaftszeit. Im Alarmfall wurden „Melder“ zu vorher beschriebenen Adressen von am Standort wohnenden Berufssoldaten geschickt, um diese mit einem entsprechenden Code-Wort zu alarmieren. Das ermöglichte eine Alarmierung eines kompletten Standortes unabhängig vom Telefonnetz.

Stufen der Gefechtsbereitschaft

  • Ständige Gefechtsbereitschaft - der Normalzustand der meisten Einheiten und Stäbe. Das bedeutete zum Beispiel dass etwa 85% des Personalbestandes im Objekt oder zumindest im Standort verfügbar sein musste, um im Alarmfall innerhalb weniger Minuten erste Gefechtsaufgaben erfüllen zu können.
  • Erhöhte Gefechtsbereitschaft - es wurden Maßnahmen ausgelöst, die die Bereitschaft der Truppen zur Erfüllung von Gefechts- und Mobilmachungsaufgaben erhöhen sollten. In der Regel wurde der komplette Personalbestand in die Kaserne befohlen und die Ausrüstung und Bewaffnung für die folgenden Stufen der Gefechtsbereitschaft vorbereitet.
  • Gefechtsbereitschaft bei Kriegsgefahr - weitere Maßnahmen wie zum Beispiel das Beziehen von geheimen Dezentralisierungsräumen (auch Wechselkonzentrierungsräume) und Feldflugplätzen. Diese Stufe bereitete den Übergang auf die höchste Stufe der Gefechtsbereitschaft vor. Man begann mit der Entkonservierung der eingelagerten Soll-2-Technik, welche speziell für die zu mobilisierenden Truppen vorgehalten wurden. Dabei handelte es sich oft um ältere Technik, die den mobilisierten Reservisten vertraut war.
  • Volle Gefechtsbereitschaft - Alle Kräfte (zum Beispiel die Mobilmachungsdivisionen der LaSk) wurden vollständig mobilisiert, und in die höchste Bereitschaft zur Erfüllung von Gefechtsaufgaben versetzt. Damit war die Mobilmachung der NVA abgeschlossen. [3][4]

Reale historische Auslösungen von höheren Stufen der Gefechtsbereitschaft

Bau der Mauer in Berlin 1961

Zur Abriegelung der Grenze und zur militärischen Sicherung des Mauerbaus wurde von Walter Ulbricht am 13. August 1961 um 01:30 Uhr für die gesamte NVA die Stufe Erhöhte Gefechtsbereitschaft ausgelöst. Die Bewaffnung wurde einsatzbereit gemacht, bewegliche Vorräte auf Kraftfahrzeuge verladen, Flugzeuge aufmunitioniert und auf den Gefechtsstart vorbereitet. NVA-Truppenteile entsandten ihre Verbindungsoffiziere zu den benachbarten Stäben der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD).[5]

Kubakrise 1962

Im Zuge der Kubakrise versetzte das Vereinte Oberkomando am 11. September 1962 große Teile der Sowjetarmee in Alarmzustand, beließ jedoch die Streitkräfte der anderen Mitgliedsstaaten des Warschauer Pakts in normaler Gefechtsbereitschaft. Nachdem am 22. Oktober die Krise eskalierte, befahl der sowjetische Verteidigungsminister Marschall Gretschko am Folgetag, auch die Streitkräfte der anderen Mitgliedsstaaten in Alarm zu versetzen. Entsprechend befahl Walter Ulbricht am 23. Oktober um 21:00 die Erhöhte Gefechtsbereitschaft für die gesamte NVA. Obwohl Ulbricht in seiner Funktion als Vorsitzender des Nationalen Verteitigungsrates handelte, berief er das Gremium dafür nicht ein. Die am 1. November 1962 bevorstehende Entlassung eines Drittels der Soldaten im Grundwehrdienst wurde aufgeschoben, und Soldaten mussten aus dem Urlaub zum Dienst zurückkehren. Die volle Mobilmachungsbereitschaft wurde hergestellt. Die Volksmarine begann mit der Verlegung einer größeren Anzahl von gefechtsklaren Schiffen in „günstigere Ausgangspositionen“.[6]

Am 24. Oktober waren die NATO-Steitkräfte zum Minimize-System übergegangen und hatten Alarmzustand Orange ausgelöst. Das Oberkommando des Warschauer Paktes erhöte daraufhin die Gefechtsbereitschaft auf die Stufe Gefechtsbereitschaft bei Kriegsgefahr. Am 26. Oktober verfügte dann das V. US-Armeecorps erhöte Alarmbereitschaft für die US-Landstreitkräfte. Mit der Entspannung der Krisensituation wurde für die NATO der Code Orange widerrufen. Die Streitkräfte des Warschauer Pakts behielten ihre Stufe der Gefechtsbereitschaft jedoch noch bis zum 21. November 1962. Mit der Herabstufung der Gefechtsbereitschaftsstufe wurde die Befehlsgewalt vom Oberkommando wieder in die nationalen Führungen gelegt.[7]

Zerschlagung des „Prager Frühlings“ 1968

In Vorbereitung des Eingreifens der Truppen des Warschauer Pakts zur Unterdückung der politischen Bewegung des Prager Frühlings nahm die NVA zunächst mit zwei Divisionen (7. Panzerdivision und 11. Mot. Schützendivision) an dem als Manöverübung bezeichneten Operation Donau teil. Am 20. August 1968 kündigte Verteidigungsminister und Armeegeneral Heinz Hoffmann mit einem geheimen Fernschreiben den Chefs der Militärbezirke III und V die Auslösung der Erhöhten Gefechtsbereitschaft (EG) an, wobei zusätzlich zu den standardmäßigen Maßnahmen der EG die Stäbe und Truppen innerhalb der Objekte auf Volle Gefechtsbereitschaft (VG) zu bringen waren. Waffen und Munition sollten ausgegeben werden, und die Truppen sollten innerhalb der Objekte in ständiger Bereitschaft bleiben. Am 21. August 1968 kurz nach 01:00 Uhr löste Hoffmann mit dem Signal „Sperrmauer“ die angekündigte Stufe der Gefechtsbereitschaft aus und ließ gleichzeitig die Grenze der DDR zur CSSR abriegeln.[8]

Die am Manöver teilnehmenden Divisionen standen in Voller Gefechtsbereitschaft. Am 11. September 1968 wurde die NVA wieder in die Ständige Gefechtsbereitschaft überführt, bis auf die beiden Divisionen, welche aber wieder an ihre Standorte befohlen wurden.

Friedliche Revolution und Öffnung der Mauer im Herbst 1989

Am 4. Oktober 1989 sollte ein Zug mit den Flüchtlingen aus der besetzten Prager Botschaft durch die DDR in den Westen ausreisen. Um den Dresdner Hauptbahnhhof kam es zu Tumulten mit bis zu 20.000 Teilnehmern, die auf den erwarteten durchfahrenden Zug aufspringen wollten. Stasi-Minister Erich Mielke und SED-Bezirkschef Hans Modrow wandten sich zwischen 22:00 und 23:00 Uhr mit der Bitte um Unterstützung an die NVA-Führung. Verteidigungsminister Heinz Keßler löste daraufhin für den gesamten Militärbezirk III die Erhöhte Gefechtsbereitschaft aus. NVA-Truppenteile wurden in 21 Hundertschaften umformiert und erhielten Waffen und Munition. In der Nacht vom 4. auf den 5. Oktober und in der Folgenacht wurden bis zu 2.000 NVA-Angehörige eingesetzt.[9]

Vor und nach der Parade und den Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR galt vom 6. bis 9. Oktober 1989 auf Grundlage des Befehls 105/89 des Ministers für Nationale Verteidigung die Erhöhte Gefechtsbereitschaft für ein Mot.-Schützen-Bataillon der 1. Mot.-Schützendivision (1. MSD) in Stahnsdorf bei Berlin und für eine Fallschirmjäger-Kompanie des Luftsturmregiments 40 (LStR-40) in Lehnin. Der Befehl 105/89 wurde am 11. Oktober 1989 wieder außer Kraft gesetzt.[10]

Nach Öffnung der Mauer in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 versetzte Fritz Streletz am 10. November um 12:00 Uhr die 1. MSD, das LStR-40 und das Grenzkommando Mitte (GKM) in Erhöhte Gefechtsbereitschaft. Das Ministerium für Staatssicherheit versetzte das Wachregiment Feliks Dzierzynski ebenfalls in diesen Alarmzustand. Damit befanden sich 30.000 Soldaten in in Erhöhter Gefechtsbereitschaft.[11]

Einordnung und Vergleich

Die schrittweise Erhöhung der Gefechtsbereitschaft konnte als Teil der Mobilmachung genutzt werden, dies war jedoch weder als Übungslage noch bei realen Auslösungen zwingend. Vergleichbar sind die Stufen der Gefechtsbereitschaft mit den DEFCON-Stufen des US-Militärs, die jedoch im Gegensatz zu den Stufen der Gefechtsbereitschaft eher für das gesamte Militär bzw. Teilstreitkräfte gelten, während die Stufen der Gefechtsbereitschaft kleinteilig bis auf Einheits- und Objektebene ausgelöst werden konnten.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Jugendlexikon Militärwesen, Militärverlag der DDR 1984, S. 88
  2. Anmerkung: Unter dem politisch-moralischen Zustand verstand man im Grunde die politische Zuverlässigkeit der eigenen Soldaten zum SED-Regime und die Motivation.
  3. Gefechtsbereitschaft auf Flak11.de
  4. Torsten Diedrich (Hrsg./Bearbeiter im Auftr. des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes): Handbuch der bewaffneten Organe der DDR. S.483ff Augsburg 2004, ISBN 3-8289-0555-2
  5. Hans-Hermann Hertle: Chronik des Mauerfalls, 11. Auflage. Berlin 2009, S. 16.
  6. Matthias Uhl: „Jederzeit gefechtsbereit“ – Die NVA während der Kubakrise. In: Dimitrij N. Filippovych (Hrsg.): Vor dem Abgrund: die Streitkräfte der USA und der UdSSR sowie ihrer deutschen Bündnispartner in der Kubakrise. Oldenbourg, München 2005, ISBN 3-486-57604-6, S. 99–120. (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte)
  7. BA Henning Wirtz:Opt out all Nuclear Exchange- eine globale Betrachtung der Kuba-Krise
  8. 21.August 1968: Einmarsch - Kein Einmarsch. Die Beteiligung der Nationalen Volksarmee der DDR an der Niederschlagung des "Prager Frühlings" In: Bundesarchiv.
  9. Hans-Hermann Hertle: Chronik des Mauerfalls, 11. Auflage. Berlin 2009, S. 78–80.
  10. Hans-Hermann Hertle: Chronik des Mauerfalls, 11. Auflage. Berlin 2009, S. 219.
  11. Hans-Hermann Hertle: Chronik des Mauerfalls, 11. Auflage. Berlin 2009, S. 220–228.

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