Fünf-Prozent-Hürde in Deutschland

Fünf-Prozent-Hürde in Deutschland

Die Fünf-Prozent-Hürde, auch Fünf-Prozent-Klausel genannt, ist die bekannteste und am meisten verbreitete Sperrklausel für Wahlen in Deutschland. Ähnliche Regelungen gibt es in anderen Ländern mit Verhältniswahlrecht. In Österreich existiert eine Vier-Prozent-Hürde.

In Wahlsystemen mit Mehrheitswahlrecht ist sie dagegen meist unbekannt. In Bayern gilt auch für die nach dem Mehrheitswahlrecht organisierte Erststimme, dass in den Landtag nur Kandidaten der Parteien einziehen können, die mehr als fünf Prozent der gültigen Stimmen bekommen.

Inhaltsverzeichnis

Die Regelung im Einzelnen

Bei der Wahl zum Deutschen Bundestag gilt gemäß § 6 Abs. 6 BWahlG[1] Folgendes: Damit eine Partei gemäß der Stimmverteilung Sitze zugeteilt bekommt, muss sie mindestens fünf Prozent der gültigen Zweitstimmen auf sich vereinen. Anderenfalls verfallen die für diese Partei abgegebenen Stimmen. Die Fünf-Prozent-Hürde betrifft jedoch nicht die Sitze, die einer Partei durch Direktwahl einzelner Kandidaten (Erststimme) zugefallen sind: Vereinigt ein Direktkandidat in einem Wahlkreis die Mehrheit der gültigen Erststimmen auf sich, erhält er ein Mandat, auch wenn seine Partei an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Außerdem kann eine Partei bei der Bundestagswahl unter Berücksichtigung ihrer Ergebnisse aus der Verhältniswahl in den Bundestag einziehen, wenn sie mindestens drei Direktmandate erringt (Grundmandatsklausel).

Ausgenommen von der Fünf-Prozent-Hürde sind teilweise die Parteien nationaler Minderheiten. So wird der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) in Schleswig-Holstein, der die dort ansässige dänische und friesische nationale Minderheit repräsentiert, davon ausgenommen. Im Gegensatz zum schleswig-holsteinischen Wahlgesetz, das nach § 3 I Satz 2 explizit (aufgrund der Bonn-Kopenhagener Erklärung) nur Parteien der dänischen Minderheit von der Sperrklausel befreit, erstreckt sich gemäß § 6 VI Satz 2 des Bundeswahlgesetzes inzwischen die Befreiung von der Fünf-Prozent-Hürde auf alle Parteien nationaler Minderheiten in Deutschland. Neben dem SSW existieren derzeit die 2005 gegründete Wendische Volkspartei als Partei einer nationalen Minderheit, nämlich der Sorben in Brandenburg und Sachsen, und die 2007 in Niedersachsen gegründete Partei Die Friesen, die sich in ihrer Satzung auch als Partei einer nationalen Minderheit bezeichnet.

Für den ersten Bundestag 1949 galt die Fünf-Prozent-Hürde getrennt für jedes Bundesland. Am 25. Juni 1953 verabschiedete dann der Deutsche Bundestag ein neues Bundeswahlgesetz, nach dem sie sich auf die bundesweit abgegebenen gültigen Stimmen bezieht. Bei der Bundestagswahl 1990 galt die Fünf-Prozent-Hürde wegen der besonderen Situation direkt nach der deutschen Wiedervereinigung ausnahmsweise getrennt für West- und Ostdeutschland.

Rechtliche Grundlagen

Europawahlen

§ 2 (Wahlsystem, Sitzverteilung), Absatz 7 des Europawahlgesetzes in der Fassung vom 17. März 2008:

Bei der Verteilung der Sitze auf die Wahlvorschläge werden nur Wahlvorschläge berücksichtigt, die mindestens 5 vom Hundert der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Stimmen erhalten haben.

Die Vorschrift ist nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 2011 nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie verstößt nach Ansicht des Gerichts gegen die Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien.[2][3]

Bundestagswahlen

§ 6 (Wahl nach Landeslisten), Absatz 6 des Bundeswahlgesetzes in der Fassung vom 23. Juli 1993:

Bei Verteilung der Sitze auf die Landeslisten werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens 5 vom Hundert der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten oder in mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben. Satz 1 findet auf die von Parteien nationaler Minderheiten eingereichten Listen keine Anwendung.

Siehe auch: Bundestagswahlrecht

Landtagswahlen

Für die Landtagswahlen ist die Fünf-Prozent-Hürde in den jeweiligen Landeswahlgesetzen verankert. In den meisten Bundesländern bezieht sich die Fünf-Prozent-Hürde auf die gültigen Stimmen. Nur in Berlin bezieht sie sich auf die abgegebenen Stimmen, so dass die Hürde effektiv etwas höher wird. Im Land Bremen wird die Fünf-Prozent-Hürde in den zwei Wahlbereichen Bremen und Bremerhaven getrennt angewendet. Dies hatte zur Folge, dass bei der Bürgerschaftswahl 2003 DVU und FDP und 2007 DVU und die Bürger in Wut in Bremerhaven in die Bürgerschaft einziehen konnten, obwohl landesweit keine fünf Prozent der Stimmen erreicht wurden. In Schleswig-Holstein ist der Südschleswigsche Wählerverband von der Fünf-Prozent-Hürde ausgenommen.

Kommunalwahlen

In den meisten Bundesländern wird die Fünf-Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen nicht mehr angewandt; in die Kreis- und Gemeinderäte können somit alle Parteien und Gruppierungen einziehen, die – in Abhängigkeit vom Sitzzuteilungsverfahren – genug Stimmen erhalten, um die faktische Sperrklausel zu überwinden. Bei den üblichen Größen von Kreis- und Gemeinderäten von ca. 20 bis 50 Personen sind dies zwischen ca. zweieinhalb und einem Prozent. In Bremen gilt die Fünf-Prozent-Hürde allerdings auch bei Kommunalwahlen; in Berlin (Bezirksverordnetenversammlungen) gibt es eine Drei-Prozent-Hürde. In Nordrhein-Westfalen wurde eine Hürde von rund einem Sitzanteil eingeführt, was dazu hätte führen können, dass in kleineren Gemeinden 5% der gültigen Stimmen nicht ausgereicht hätten, um im Gemeindeparlament vertreten zu sein. Der Verfassungsgerichtshof NW hat diese Regelung am 16. Dezember 2008 verworfen.[4]

Am 13. Februar 2008 hat das Bundesverfassungsgericht einer Klage der schleswig-holsteinischen Grünen und Linken stattgegeben und die Fünf-Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen als verfassungswidrig erklärt, da sie die Chancengleichheit kleinerer Parteien verletze.[5] Nach der Einführung der Direktwahl von Bürgermeistern und Landräten in Schleswig-Holstein im Jahr 1995 seien für diese Wahl keine stabilen Mehrheiten mehr erforderlich. Außerdem würden die Erfahrungen in anderen Bundesländern ohne diese Hürde zeigen, dass die Kommunen dennoch funktionsfähig seien (Aktenzeichen: Bundesverfassungsgericht 2 BvK 1/07).[6]

Am 11. April 2008 wurde auch in Thüringen die Fünf-Prozent-Hürde für rechtswidrig erklärt.[7] Die Klage wurde dort von der FDP-Abgeordneten Maria-Elisabeth Grosse angestrengt.

Auch die Fünf-Prozent-Hürde für die Wahl des Rates der Stadt Bremerhaven wurde abgeschafft.

Würdigung und Kritik

Sinn einer Sperrklausel dieser Art ist es, eine Konzentration der Sitzverteilung herbeizuführen, um stabile Mehrheiten zu fördern. Kritiker meinen, dies widerspreche dem Gedanken der Demokratie und dem Grundgesetz (Art 38 Abs. 1 GG), nach dem das Volk bestimmt und jede Stimme den gleichen Wert haben muss. Eingeführt wurde sie nach dem Zweiten Weltkrieg, um der möglichen Regierungsunfähigkeit durch sogenannte Parteienzersplitterung, vergleiche Weimarer Republik, entgegenzuwirken.

Die Fünf-Prozent-Hürde ist umstritten. Sie kollidiert mit dem aus dem Grundgesetz hervorgehenden Demokratieprinzip. Das Bundesverfassungsgericht hat die Sperrklausel auf Bundesebene in seiner bisherigen Rechtsprechung jedoch für grundgesetzkonform erklärt, da es ein funktionsfähiges Parlament als ein höheres Gut ansah als die exakte Widerspiegelung des politischen Willens der Wähler. Garantiert ist ein gleicher Zählwert der abgegebenen Stimmen, nicht jedoch zwingend ein gleicher Erfolgswert, vgl. auch Überhangmandate. Bei Kommunalwahlen wurde die Fünf-Prozent-Hürde von einigen Verfassungsgerichten der Länder dagegen für unzulässig bzw. überprüfungspflichtig erklärt. Bereits kurz nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde vom Bundesverfassungsgericht eine Sperrklausel von 7,5 % in Schleswig-Holstein für verfassungswidrig erklärt (BVerfGE 1, 208).

Durch an der Fünf-Prozent-Hürde scheiternde Kleinparteien kommt es regelmäßig vor, dass eine Regierungskoalition mit weniger als 50 % der Stimmen eine absolute Mehrheit der Parlamentssitze erhält; dies ist zurzeit im Bundestag und in fünf Landtagen (Baden-Württemberg, Hamburg, Saarland, Thüringen und (im Zusammenwirken mit unausgeglichenen Überhangsmandaten) in Schleswig-Holstein) der Fall.

Kritisiert wird außerdem die Minderheitenregelung: Dass nicht jede Minderheit gleich behandelt wird, widerspricht dem demokratischen Grundgedanken, dass jede Minderheit sich demokratisch beteiligen darf und jede Stimme den gleichen Wert haben soll.

Eine negative Folge der Fünf-Prozent-Hürde ist das dadurch provozierte taktische Verhalten der Wähler: Sie wählen nicht notwendigerweise diejenige Partei, die ihre Interessen am besten vertritt. Zum einen werden neue und kleine Parteien weniger gewählt, als es ihrem Anteil an den Wählerinteressen entspricht, da die Gefahr besteht, dass eine Stimme für sie wie eine ungültige Stimme gewertet wird. Zum anderen erhalten Parteien, die in Umfragen größenordnungsmäßig 5 % der Stimmen erhalten, auf Grund von „Leihstimmen“ regelmäßig deutlich mehr Gewicht als es dem tatsächlichen Wählerwillen entspricht.

Es gibt die Möglichkeit für Regelungen, mit denen sowohl das Ziel der Stimmenkonzentration als auch das Ziel der Widerspiegelung des Wählerwillens annähernd erreicht würde. Zum Beispiel könnte der Wähler durch die Angabe einer oder mehrerer Alternativstimmen festlegen, welche Partei seine Stimme bekommen soll, falls die von ihm bevorzugte Partei an der Sperrklausel scheitert (Stimmweitergabe-Option). Dies würde den Wählerwillen besser widerspiegeln und jede Stimme annähernd zum gleichen Erfolgswert führen.

Eine weitere Möglichkeit wäre, dass Parteien die Möglichkeit erhalten, vor der Wahl (zum Beispiel auf Parteitagen) durch einen Beschluss festzulegen, welcher anderen Partei ihre Stimmen zufallen sollen, falls ein eigener Einzug ins Parlament an der Sperrklausel scheitert. Eine Festlegung vor der Wahl ist dabei sinnvoll, da damit ein schnelles und klares Wahlergebnis erreicht wird und eine „Versteigerung“ von „freien“ Stimmen vermieden werden kann.

Kleinen Parteien, die keine Chance haben, die Sperrhürde zu überspringen, bietet sich die Möglichkeit, durch außerparlamentarische Arbeit und das Ergreifen von Initiative im Rahmen der direkten Demokratie am politischen Willensbildungsprozess mitzuarbeiten.

Die Fünf-Prozent-Hürde kann mit dem Huckepackverfahren umgangen werden.

Siehe auch

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Fünf-Prozent-Hürde – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. §6 Abs. 6 BWahlG
  2. bverfg.de: BVerfG, 2 BvC 4/10 vom 9.11.2011, Absatz-Nr. (1 - 161), Entscheidung im Volltext
  3. Spiegel Online: Wahlrecht: Fünfprozentklausel bei Europawahl ist verfassungswidrig. 9. November 2011
  4. Wahlrecht.de: Kommunalwahlrecht Nordrhein-Westfalen
  5. Die Welt: Bundesverfassungsgericht: Fünf-Prozent-Hürde für Kommunalwahlen gekippt. 13. Februar 2008
  6. Spiegel Online: Urteil: Verfassungsgericht kippt Fünf-Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen. 13. Februar 2008
  7. Thüringer Verfassungsgerichtshof: Urteil und Pressemitteilung (VerfGH 22/05; 11. April 2008)
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