Carlfriedrich Claus

Carlfriedrich Claus

Carlfriedrich Claus (* 4. August 1930 in Annaberg; † 22. Mai 1998 in Chemnitz) war ein deutscher Grafiker und Schriftsteller.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Carlfriedrich Claus wird als einziges Kind des Kaufmanns Johannes Friedrich Emil Claus (1887-1944) und dessen Frau Johanna Luise Claus (1893-1969) in Annaberg/Erzgebirge geboren. 1933 zieht die Familie von der Bambergstraße 6 in die Buchholzer Straße 10 (Eingang Johannisgasse, Souterrainwohnung unter dem Kino Gloria-Palast). Am 8. April 1937 wird Carlfriedrich in die Pestalozzi-Schule eingeschult, ab 28. August 1941 besucht er das Anton-Günther-Gymnasium (erste Beschäftigungen mit fremden Sprachen, Kauf von zahlreichen Sprachwörterbüchern, Selbststudium u.a. von Heine, Bloch, Marx, Steiner). Dem Bürobedarfsgeschäft in der Buchholzer Straße 21 (später zeitweilig Ernst-Thälmann-Straße 21) gliedert der Vater im Januar 1944 eine Kunsthandlung an, zwei Monate später stirbt er. Carlfriedrich beschäftigt sich angesichts des Ablebens des Vaters verstärkt mit der Anthroposophie Rudolf Steiners. Am 8. Mai 1945 gehört Carlfriedrich Claus zu den wenigen Annaberger Bürgern, die den Einzug der Roten Armee auf dem Marktplatz begrüßen. Er bricht das Gymnasium 1945 ab und tritt eine Kaufmannslehre im Geschäft seiner Mutter an. Von Oktober 1945 bis Oktober 1948 absolviert er eine Lehre als Einzelhandelskaufmann/Kunsthändler an der Städtischen Handelsschule in Annaberg. Nach der Lehre wird er als Bauhilfsarbeiter zum Talsperrenbau nach Cranzahl verpflichtet und 1949 aus gesundheitlichen Gründen vom Bau freigestellt. Er nimmt seine Tätigkeit im Geschäft der Mutter wieder auf.

1951 entstehen erste Gedichte. Im Juni 1952 erkrankt Claus an Tuberkulose. Ab Oktober ergeben sich erste Kontakte zu Galerien, u. a. zur Galeri Schüler in Berlin (West). Von Januar bis Mitte April 1953 verbringt er einen Kuraufenthalt im Sanatorium Stubbe in Sülzhayn. Von 1953 bis etwa 1957 beschäftigt sich Claus mit Porträt- und Landschaftsfotografie, schreibt Theaterkritiken für die Tageszeitung Volksstimme und verfasst Gedichte, die er jetzt Lautstudien nennt, eine Form der "Auflösung der Sprache in Vokalfarbe und Konsonantenbewegung" (Brief an Hanni Wirth, 17. Mai 1954). Intensive Beschäftigung (zeitlebens) mit Ernst Blochs Werk Das Prinzip Hoffnung. Ab 1955 nennt er seine Gedichte Klanggebilde und bezieht zunehmend die Fläche des Papiers in die Konzeption seiner Texte ein. 1957 entstehen 80 Blätter des Anatomischen Tagebuchs sowie Papiercollagen. Die Themen in der Folgezeit sind Sprache (Claus experimentierte mit Lautbildungsprozessen), Schrift (Sprachblätter, Transparentbögen) und kommunistische Geschichtsphilosophie, sowie die Beziehungen zwischen Subjekt und Objekt, Bewusstsein und Materie. Claus stand unter anderem in Kontakt zu Ernst Bloch, Michel Leiris, Raoul Hausmann, Franz Mon und dem Dresdner Maler Albert Wigand. Zwischen 1958 und 1980 entstanden Phasenmodelle, Letternfelder und Sprachblätter, seine Dichter-Graphiken (Gerhard Wolf).

Claus begriff sich zeitlebens als überzeugter Kommunist, war aber den Behörden vor allem in seiner Region suspekt. Er wurde vom Staatssicherheitsdienst der DDR überwacht, und man legte ihm eine Ausreise nach Westdeutschland nahe, was er empört von sich wies. Darüber hinaus war er sein Leben lang entschiedener Pazifist, was dem SED-Staat ebenfalls suspekt war. Und das, obwohl er auch Texte verfasste wie zu den Grafiken des Aurora-Zyklus (1967): Der Stern der Erde steht vor unserem Blick als ein neuer, kommunistischer. In Morgenröte..., oder zu Bioelektrische Landschaft (1973): Submarines im Bewußtsein. Geschrieben in Gedanken an meine noch lebenden Freunde und Genossen der Unidad Popular.

1964 hatte Claus seine erste Einzelausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden. 1975 wurde er Mitglied des Verbandes Bildender Künstler. 1977 gründet er zusammen mit Michael Morgner, Thomas Ranft, Dagmar Ranft-Schinke und Gregor-Thorsten Schade nach Ranfts Idee die Künstlergruppe und Produzentengalerie Clara Mosch (1977–1982) in Adelsberg, einem Stadtteil von Karl-Marx-Stadt. 1978 gewann er den 2. Preis der Grafik-Biennale in Krakau. In den 1990er Jahren arbeitete er an visueller Poesie im Grenzbereich von Lyrik und Grafik. In den letzten Lebensjahren beschäftigte er sich vermehrt mit Esoterik.

Ehrungen

Claus erhielt 1989 den Max-Pechstein-Preis der Stadt Zwickau. Am 15. April 1994 wurde er zum Ehrenbürger von Annaberg-Buchholz ernannt. 1993 wurde ihm der von HAP Grieshaber und Rolf Szymanski begründete Jerg-Ratgeb-Preis verliehen. 1998 erhielt er den Gerhard-Altenbourg-Preis.

Zum 75. Geburtstag von Carlfriedrich Claus wurde die Claussche Wohnung, in der er über Jahrzehnte wohnte und arbeitete, vom Förderverein Carlfriedrich Claus - Lebens- und Arbeitsort in Annaberg-Buchholz e. V., Sponsoren und Leihgebern renoviert und der Öffentlichkeit als Begegnungsstätte präsentiert und übergeben. Die Wohnung/Studienraum Buchholzer Str. 10, Eingang Johannisgasse in Annaberg-Buchholz ist für Interessenten besuchbar. Im August 2008 wurde zwischen dem Annaberger Förderverein Carlfriedrich Claus und der Stiftung Carlfriedrich-Claus-Archiv in Chemnitz, in der sich der Nachlass des Künstlers befindet, eine Kooperation vereinbart, um gemeinsam das Werk von Claus zu bewahren.[1]

Werke

  • Geschichtsphilosophisches Kombinat, 1959-1964
  • Grafik-Mappe Aurora, 1977
  • Dialoge II. Lithographien und Texte von Carlfriedrich Claus u. Klaus Sobolewski, 1990

Schriften

  • Notizen zwischen der experimentellen Arbeit - zu ihr (Katalog der Ausstellung der Staatlichen Kunsthalle Baden/Baden), Frankfurt (Main) 1964

Ort des Windes

Annaberg-Buchholz, vielschichtig unterhöhlt, greift über Tage in ziemlich bewegte Luft. Auch in windstiller Zeit kommt nachts vom Pöhlberg ein leichter Zug, - er läuft zerteilt, in unterschiedlichen Tempi durch Straßen, durch Gässchen, verfängt sich in Höfen, dreht, weht in Bäumen, auf Dächern. Schneegestöber macht gleitende und abrupt wechselnde vertikale und horizontale Strömungsfiguren der Luft mittelbar sichtbar; in der Leere des nächtlichen Marktplatzes andere als etwa bei den beiden Eschen hinter der Bergkirche. Im Frühjahr, im Herbst, wenn Stürme in breiter Front heranjagen, fungiert die Stadt als offener Gegen-Stand, der die untersten Schichten der Luftmassen teils bricht, teils durch Straßen umlenkt. Gegen-Wellen. Turbulenzen. Brandung. Oben im Sturm im Morgengrauen Dohlen-, Krähen-Schwärme,- : von ihren Schlafbäumen kommend kreisen sie über Kennungen wie St. Annen im Luftmeer, mit seinen Böen, Aufwinden, dem Wirbeln.

Eckard Lemckes Fotos fragen nebenher nach Zusammenhängen zwischen Landschaft, Klima, Ortschaft, Einwohnern. Was heißt das: Ort der Geburt, Orte des Lebens, Ort des Sterbens? Gibt es Wechselwirkungen zwischen zunehmender Mobilität und Offenheit? Sichtbar wird der ungeheure Abstand, die Fremdheit zwischen Mensch und Mensch. Aber auch Lächeln. Freundlichkeit. Lachen. Er kehrt immer neu wieder, ist ununterdrückbar, der Wille, den Traum wahrzumachen: Freiheit Gleichheit Brüderlichkeit.

Carlfriedrich Claus, Vorwort in Ein Mensch ist bunt, Oktober 1996

Vom Tod her leben

Das Denken des Sterbens kann Vorahnung letzter Angst wecken, aber auch ihres Vergehens. Anderes Existenz-Gefühl entsteht: Zwischen Nicht-Dasein und Nicht-Dasein. Der Versuch, aus der Gewissheit des Todes zu leben, gibt Halt. Intensivere Bewusstheit. Distanz zu sich selbst. Die Wirklichkeiten, mit denen ich biologisch, psychisch, sprachlich, sozial in Wechselwirkung bin, erscheinen aus fremdem Licht. Von ihm her bestimme ich mein Verhältnis zu ihnen, zu mir neu.

Carlfriedrich Claus, März / Mai 1989

Hörspiele

  • Lautaggregat. Westdeutscher Rundfunk 1993
  • Basale Sprech-Operationsräume. Bayerischer Rundfunk 1995
  • Basale Sprech-Operationsräume (Remix). Regie: Ernst Horn und Bernhard Jugel. Bayerischer Rundfunk 1995

Literatur

  • Katalog Carlfriedrich Claus. Galerie Arkade, Berlin 1975
  • Katalog Carlfriedrich Claus Sprachblätter, Kupferstichkabinett Dresden 1980
  • in Künstler aus dem Kreis Annaberg, Rat des Kreises Annaberg, Abteilung Kultur 1980
  • Katalog Carlfriedrich Claus Erwachen am Augenblick, Städtische Museen Karl-Marx-Stadt 1990
  • Tilo Richter (Hg.): Carlfriedrich Claus AUSZUG. Fotografien von Levin Colmar, Texte von Friederike Mayröcker, Alain Arias-Misson und Gabriele Juppe, Passage-Verlag, Leipzig 2000. ISBN 3-932900-44-8
  • Ingrid Mössinger/Brigitta Milde (Hrsg.): Schrift, Zeichen, Geste - Carlfriedrich Claus im Kontext von Klee bis Pollock, Kunstsammlungen Chemnitz, Wienand Verlag 2005, ISBN 3-87909-867-0
  • Annette Gilbert: Bewegung im Stillstand. Erkundungen des Skripturalen bei Carlfriedrich Claus, Elizaveta Mnatsakanjan, Valeri Scherstjanoi und Cy Twombly, Aisthesis-Verlag, Bielefeld 2006.[2]
  • Michael Grote: Exerzitien. Experimente. Zur Akustischen Literatur von Carlfriedrich Claus., Bielefeld 2009. ISBN 978-3-89528-710-7
  • Annette Gilbert/Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Carlfriedrich Claus, Text+Kritik, Bd. 184, München 2009. ISBN 978-3-86916-019-1
  • Christian Baumert: "Carlfriedrich Claus", Betrachtungen zur WORK-BOX, Leipziger Universitätsverlag 2009. ISBN 978-3-86583-450-8
  • Gotthard B. Schicker, Sprachblätter - Porträt des Künstlers, Wissenschaftlers und Kommunisten Carlfriedrich Claus nach persönlichen Erinnerungen in Dicknischl - Erzgebirgsleute von damals und heute, Druck- und Verlagsgesellschaft Marienberg mbH, 2008, Seite 151-157, ISBN 978-3-931770-76-1

Einzelnachweise

  1. Claus' Erbe gemeinsam bewahren – Stadtoberhäupter von Chemnitz und Annaberg unterzeichnen Vertrag zur Zusammenarbeit, Freie Presse, Lokalausgabe Annaberg, 4. August 2008
  2. Beschreibung des Buchs

Weblinks


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