Felsbilder der Valcamonica

Felsbilder der Valcamonica

Die Felsbilder der Valcamonica (auch Val Camonica) in Norditalien sind die weltweit größte Fundregion von prähistorischen Petroglyphen.[1] Die Felsbildregion der Val Camonica war zugleich im Jahre 1979 das erste von der UNESCO als Welterbe anerkannte Objekt in Italien. Während die UNESCO mehr als 140.000 Figuren[1] registriert hatte, haben weitere Entdeckungen die Gesamtzahl auf 200.000 kartierte Objekte erhöht.[2] Aktuelle Schätzungen gehen jedoch von insgesamt 300.000 Objekten aus.[3] Die Petroglyphen sind vor allem in der Umgebung der Orte Darfo Boario Terme, Capo di Ponte (Parco nazionale delle incisioni rupestri di Naquane), Nadro, Cimbergo und Paspardo konzentriert.

Die Felsritzungen sind auf einer Strecke von 25 Kilometern entlang des Tals verteilt und liegen auf Höhen zwischen 20 und 1400 Metern über dem Meeresspiegel. Die Kunst der Val Camonica zeichnet sich im Laufe von etwa 10.000 Jahren durch einen periodischen Wandel der Stile und Motive aus. Sie bilden ein Archiv europäischer Geschichte, das sich vom Ende der Würmeiszeit bis zur Römischen Kaiserzeit erstreckt.[4]

Die Rosa camuna („Camunische Rose“)

Inhaltsverzeichnis

Die Anfänge

Die vor 12.000 Jahren im Epipaläolithikum entstandenen Felsbilder waren mit Jagdpraktiken und -ritualen verbunden. Die schemenhaften Bilder zeigen typische Themen, wie Fischköcher, Speere, große Jagdtiere und abstrakte Zeichen. Der in der Region zu Beginn des Holozäns ausgestorbene Elch ist am häufigsten abgebildet.

Neolithikum

Zu Beginn des Neolithikums erfolgte die Einwanderung einer neuen Bevölkerung und eine weitgehende Verdrängung der Jäger. Während des 6. Jahrtausends v. Chr. wird die Felsritzung im veränderten Stil fortgesetzt. Während des norditalienischen Neolithikums (6000 bis 3300 v. Chr.) werden schematisierte menschliche Figuren mit erhobenen Armen (Adoranten) dargestellt. Häufig waren sie mit Äxten und Scheiben oder Hunden kombiniert. Götterbilder, die von danubischen Prototypen abzustammen scheinen, zeugen ebenso wie Hacken und Pflüge von geistigen Verbindungen.

Während des Neolithikums treten Veränderungen in der Komposition auf. Die Adorantendarstellung wurde vorwiegend mit Objekten (Äxte, Scheiben oder Tieren) oder einem zweiten anthropomorphen Wesen kombiniert. Das zuerst dargestellte Haustier war der Hund. Später kamen Rinder und Steinböcke evtl. Ziegen hinzu. Auch die Anzahl der in einem Bild agierenden nimmt zu. Szenen ökonomischer und kultischer Aktivität werden geschaffen. Unter den abgebildeten Waffen findet man Bögen, Bumerangs, Pfeile und Speere sowie landwirtschaftliches Gerät.

Bilder technischer Errungenschaften (Bogen, Pflug, Tierfalle und Webstuhl) sind zwar typisch für die Periode, aber Fischfang und Jagd werden ebenso wie Ackerbau mit Tierhaltung dargestellt. Bei den religiösen Anschauungen herrschen scheinbar Sonnen- und Totenkult vor. Symboltiere stehen für die Verehrung der Divinität. Gegen Ende der Periode tauchen anthropomorphe Götterbilder auf. Mitte des 4. vorchristlichen Jahrtausends kommen abstrakte Symbole auf, wie konzentrische Kreise, Mäander, Zickzackmuster und maskierte Gesichter, die eine Verwandtschaft zu den Megalithkulturen zeigen. Außerdem werden Waffen (besonders Äxte) in abstrahierter Form abgebildet.

Chalkolithikum

Vom Chalkolithikum bis zum Beginn der Bronzezeit (3200 v. Chr.) verbreiten sich im Valcamonica neue Muster. Sie werden auf Statuenmenhiren und monumentalen Anlagen gefunden. Die Petroglyphen umfassen Äxte, Doppelspiralen (Brillenspiralen), Stabdolche (Hellebarden), dreieckige Kupferdolche und Scheiben. Daneben sind weiterhin menschliche und tierische Abbilder zu finden.

Diese symbolisch-religiösen Ornamente entstanden offenbar in Osteuropa und hatten die Alpenregion zusammen mit wirtschaftlichen und technischen Innovationen erreicht, die einen tiefgreifenden kulturellen Wandel auslösten. Zu den Neuerungen gehört die Metallverarbeitung (mit ersten Kupferwerkzeugen). Der Gebrauch von Karren und Wagen wird jetzt ebenfalls dargestellt.

Bronzezeit

Während der frühen und mittleren Bronzezeit (2500 bis 1200 v. Chr.) festigte sich die auf Bergbau und Metallverarbeitung spezialisierte Wirtschaftsweise. Die Produktionszentren waren Teil eines zirkummediterranen Handelsnetzes.

Diese Veränderungen sind auch in den Gravuren des Valcamonica nachzuweisen. Die lange vorherrschenden Äxte und Dolche werden von Kampfszenen abgelöst. Topographische Karten und Waffen sind bis in die mittlere Bronzezeit typisch. Während der mittleren Bronzezeit nimmt die Zahl der mythologischen Szenen und anthropomorphen Figuren zu, und als neues Haustier kommt das Pferd (Reitpferd) hinzu. Metallverarbeitung und Weberei 5 werden dargestellt, und religiöse Anschauungen werden offenbar durch Gegenstände und Waffen symbolisiert. In der späten Bronzezeit mehren sich in den Petroglyphen die Anzeichen für die Verehrung von Geistern oder Heroen.

Im 2. und 1. vorchristlichen Jahrtausend erwuchsen aus den Gemeinschaften komplizierte politische Einheiten. Am Ende der Bronzezeit stellten die Camunier Figuren und Objekte dar, die denen der Urnenfelderkultur ähnlich sind. In der ersten Hälfte des 1. vorchristlichen Jahrtausends treten die wirtschaftlichen und kulturellen Kontakte zur Hallstatt-Kultur stärker hervor. Die Motive und Figurinen aus Bronze- und Keramikobjekten finden zahlreiche Parallelen in der Felsbildkunst der frühen Eisenzeit.

Eisenzeit

In der frühen Eisenzeit, zwischen dem 7. und 5. Jahrhundert v. Chr., werden die Einflüsse der Villanova-Kultur und der Etrusker deutlich. Der neue Felsbildstil zeigt Krieger mit etruskischen Dolchen, Schilden und Helmen. Die Etrusker führten auch das Alphabet ein. Mehr als 100 nordetruskische Inschriften sind in die Felsen eingraviert. Im 5. und 4. vorchristlichen Jahrhundert tauchen keltische Merkmale auf. Die Periode endet mit der römischen Besetzung der Valcamonica im Jahre 16 v. Chr. Diese Periode zeichnet sich am Fels durch realistische Szenen des Alltagslebens und die Darstellung magisch-mythologischer Figuren aus. Mehrere, chronologisch außerordentlich wertvolle Gravuren zeigen Menschen, die Äxte, Helme, Schilde, Speere und Schmuckgegenstände tragen. Zahlreiche Gravuren von Bauwerken, Hütten und Tempeln verraten etwas über die Architektur. Es werden Pflüge, Hacken und Sensen dargestellt und man findet Szenen der Metallverarbeitung und der Herstellung von Wagenrädern. Als Haustiere sind Enten, Hühner, Gänse, Schweine und Ziegen abgebildet.

Nachlauf

Nachdem das Territorium der Camunni Teil der römischen Provinz Gallia cisalpina (Transpadana) geworden war, wurde nur noch vereinzelt Felskunst geschaffen. Es gibt allerdings mehrere römische Gravuren mit einigen lateinischen Inschriften sowie zahlreiche Notizen aus dem Mittelalter und aus späterer Zeit. Im Gegensatz zu den prähistorischen Gravuren waren diese jedoch nicht religiös motiviert, sondern es dürfte sich eher um einen Zeitvertreib der Hirten gehandelt haben.

Unter den Symbolen des Valcamonica tritt die so genannte "Rosa Camuna" (Camunische Rose) hervor, die als offizielles Symbol der Region Lombardei übernommen wurde.

Chronologie der Themen

In den 1960er Jahren erstellte der Archäologe Emmanuel Anati in ersten systematischen Studien eine Chronologie der Felszeichnungen des Valcamonica. Er verglich darin Stil und Art der verwendeten Symbole und stellte sie in überregionalen Zusammenhang.[5]

Die Felsbildparks

Felsbilder im ValcamonicaUNESCO-Welterbe Nummer 94

Nummer Name Gemeinden Koordinaten Fotogalerie
1. Parco nazionale delle incisioni rupestri di Naquane. Von Emmanuel Anati auf Fels-Nr. 35 von Naquane als der „laufende Priester“ benannt. Capo di Ponte 46° 1′ 32″ N, 10° 20′ 57″ O46.02555555555610.349166666667
2. Parco archeologico nazionale dei Massi di Cemmo Capo di Ponte 46° 1′ 52″ N, 10° 20′ 20″ O46.03111111111110.338888888889
3. Parco archeologico comunale di Seradina-Bedolina Capo di Ponte 46° 2′ 0″ N, 10° 20′ 29″ O46.03333333333310.341388888889
4. Parco archeologico di Asinino-Anvòia Ossimo 45° 57′ 19″ N, 10° 14′ 47″ O45.95527777777810.246388888889
5. Parco comunale delle incisioni rupestri di Luine Darfo Boario Terme 45° 53′ 20″ N, 10° 10′ 46″ O45.88888888888910.179444444444
6. Parco comunale archeologico e minerario di Sellero Sellero 46° 3′ 26″ N, 10° 20′ 29″ O46.05722222222210.341388888889
7. Parco archeologico comunale di Sonico Sonico 46° 10′ 7″ N, 10° 21′ 20″ O46.16861111111110.355555555556
8. Riserva naturale Incisioni rupestri di Ceto, Cimbergo e Paspardo Ceto (Nadro)
Cimbergo
Paspardo
46° 1′ 6″ N, 10° 21′ 10″ O46.01833333333310.352777777778

Einzelnachweise

  1. a b File Unesco. Abgerufen am 11 maggio 2009.
  2. Piero Adorno, Mesolitico e Neolitico, p. 16.
  3. Introduzione all'arte rupestre della Valcamonica su Archeocamuni.it (Italian). Abgerufen am 11 maggio 2009.
  4. Erich Schumacher, Zur Datierung, Einordnung und Gliederung der Felsbilder des Valcamonica. Praehistorische Zeitschrift. Band 58/ 1, 1983, S. 61–93
  5. Il ciclo istoriativo camuno on Archeocamuni.it (italian). Abgerufen am 10 september 2009.

Siehe auch

Literatur

  • Emmanuel Anati: Valcamonica ein Zentrum der Kreativität. In: Menschen der Steinzeit. Weltbild, Augsburg 2000, ISBN 3-8289-0742-3
  • Erika Trautmann-Nehring: Die Felsbilder der Val Camonica. Berlin, Transmare-Photo, 1947 (2 Bände)
  • Zimmermann, W. H., 1988: Frühe Darstellungen vom Gewichtswebstuhl auf Felszeichnungen in der Val Camonica, Lombardei. Archaeological Textiles, Report from the 2. NESAT symposium 1.-4. Mai 1984, 26-38. Arkaeologiske Skrifter 2 (http://www.nihk.de//downloads/5/webstuhl_felszeichnungen.pdf).

Weblinks


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