Else von der Tanne

Else von der Tanne

Else von der Tanne ist eine historische Novelle[1] von Wilhelm Raabe, die im Winter 1863/1864 entstand und 1865 in der Zeitschrift „Freya. Illustrirte Blätter für die gebildete Welt“ bei Moritz Hartmann in Stuttgart erschien.[2] Die Buchausgabe brachte Hallberger in Stuttgart innerhalb der Sammlung „Der Regenbogen“ 1869 heraus. Zu Raabes Lebzeiten erschienen 1871, 1896, 1901 und 1905 Nachauflagen.[3]

In Deutschland kann keiner dem Dreißigjährigen Krieg entfliehen, selbst wenn er sich jahrelang tief im wilden Harz verbirgt.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Am Nachmittag des Heiligen Abends anno 1648 sitzt Pfarrer Leutenbacher in dem Harzdorf Wallrode immer noch über seiner Weihnachtspredigt. Er bringt sie nicht fertig. Den ganzen Tag hat es geschneit. „Das Gestäube und Gewirbel“ vor der Tür will kein Ende nehmen. Da pocht jemand an das Fenster und überbringt eine Nachricht: „Die schöne junge Else muß sterben“. Leutenbacher springt auf und dringt durch das Schneetreiben bis zu der einsamen Hütte an der hohen Tanne vor. Elses Vater, der Magister Konradus, öffnet auf das Pochen hin. Der Pfarrer wird eingelassen. Else ist tot. Der Geistliche kniet nieder. Dann verlässt er die Behausung und verliert sich in der Wildnis. Die Bauern suchen ihren Pfarrer und finden erst am zweiten Weihnachtstag nach langem Suchen fernab vom Dorf seine Leiche.

Leutenbacher war 1610 geboren worden. Die „Raubgesellen des General Pfuhl“ und dann noch die des Linnard Torstenson hatten ihn gefoltert. Die Barbaren aus der Truppe des Gallas hatten ihm den „schwedischen Trunk“ eingeflößt.

Bannier hatte nördlich des Harzes achtzigtausend Menschen umbringen lassen. Magister Konradus hatte 1636, als in Magdeburg die Pest ausbrach, seine sechsjährige Tochter Else während der Schwedenzeit in den Harzwald getragen. Fünf Jahre zuvor waren zwei Geschwister und die Mutter Elses verbrannt. Der Magister Konradus war Lehrer an der Domschule zu Magdeburg gewesen.

Der Gelehrte zimmert sich an der hohen Tanne, abseits des Dorfes im Wald, eine windschiefe Hütte. Die Wallröder helfen. Zwar sind die beiden Fremden einigen Bauern nicht geheuer, aber die Magdeburger dürfen bleiben. Zunächst will Magister Konradus vom Pfarrer Leutenbacher nichts wissen. Doch im Frühling des Jahres 1637 gibt der Magister seine Zurückhaltung auf. Das Wunder und der Zauber heben nun für den Pfarrer an. Leutenbacher wird in den Bann der großen dunkelblauen Augen des Kindes gezogen. Else lehrt den Pfarrer das Lied vom guten Bischof Buko und pflückt dabei im Bergwald gelbe Butterblumen. Aus der Ebene dringt ein Grollen herauf. Generalleutnant Königsmark jagt sich mit den Kaiserlichen. Mit den Jahren wächst Else von der Tanne zur schönsten der Jungfrauen heran. Friede kehrt in die Seele des gequälten Pfarrers ein, sobald er in Elses Nähe sein darf. Es ist ihm dann, als lebe er im Augenblick gar nicht in Kriegszeiten.

Pfarrer Leutenbacher überredet Else und ihren Vater, am Johannistag anno 1648 ein einziges Mal nur ins Dorf hinabzusteigen. Die Magdeburger sollen Leutenbachers Predigt hören. Beide Außenseiter stimmen zu, übersehen jedoch beim ungewohnten Kirchgang bedrohliche Anzeichen. Ihr Gruß wird nicht erwidert und Fäuste werden geballt. Else gilt im Dorf als Hexe und der treu sorgende Vater als ihr Hexenmeister. Als der Pfarrer nach dem Gottesdienst mit den beiden Gästen die Wallröder Kirche verlässt, trifft ein scharfkantiger Kiesel, aus der Menge[A 1] geworfen, Elses Brust. Fortan liegt die Jungfrau krank in der Hütte ihres Vaters. Das Mädchen verzeiht dem Steinwerfer. Es siecht dahin.

Form

Erzählt wird in drei Ebenen. Da ist zunächst die oben eingangs skizzierte Beschreibung der letzten Lebensstunden des Pfarrers zu Weihnachten. Dann erinnert sich Pfarrer Leutenbacher in jenen wenigen Stunden wehmütig an die schönen elf Jahre, in denen er Else lieben durfte. Drittens kommt noch der Erzähler zu Wort. Der schaut an mehreren Textstellen in die düstere Zukunft, von der der Leser noch nichts Genaues weiß. Zum Beispiel erzählt er: „Es war entsetzlich – ein Schmerz sondergleichen, an diesen Glanz, diese Holdseligkeit des Lebens, welche auf ewig versinken sollten, in dieser winterlichen Sturmesnacht denken zu müssen.“[4] Mit solchen Einschüben wird dem aufmerkenden Leser jede Hoffnung genommen.

Oppermann[5] hat das zähe Ringen[A 2] Raabes um eine neue, nichttriviale Form geschildert. Zuvor hatte der Autor mit dem ziemlich linear strukturierten und deswegen eingängigen „Hungerpastor“ Erfolg gehabt.

Raabes tiefer Pessimismus, wenn er vom Krieg spricht[A 3], nimmt in der Novelle Gestalt an: „Ihnen beiden [Else und dem Pfarrer] war das Beste gegeben, was Gott zu geben hatte in dieser Christnacht des Jahres eintausendsechshundertvierzigundacht.“[6] Mit dem Besten ist der Tod als die Erlösung von dem Übel gemeint.

Zitat

  • „Es ist keine Rettung in der Welt vor der Welt.“[7]

Rezeption

  • Diese Geschichte sei von Raabe frei erfunden. Es seien also keine Quellen, die Historie betreffend, nachweisbar.[8]
  • Hoppe[9] zählt den Text zu den verbreitetsten Publikationen Raabes. Das geht auch aus der Raabe-Bibliographie innerhalb der Braunschweiger Ausgabe hervor. Dort listet Meyen 23 Ausgaben[10] und 14 Besprechungen[11] auf.
  • Die Novelle sei „fast ein Meisterwerk“.[A 4]
  • Weiter führend ist zum Beispiel der Aufsatz von Rüttiger.

Ausgaben

Erstausgabe

  • Der Regenbogen. Sieben Erzählungen von Wilhelm Raabe. Hallberger, Stuttgart 1869. Bd. 1 enthält Die Hämelschen Kinder. Else von der Tanne. Keltische Knochen. Sankt Thomas

Verwendete Ausgabe

  • Else von der Tanne oder Das Glück Domini Friedemann Leutenbachers, armen Dieners am Wort Gottes zu Wallrode im Elend. S. 529-567 in: Peter Goldammer (Hrsg.), Helmut Richter (Hrsg.): Wilhelm Raabe. Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Band 1: Die Chronik der Sperlingsgasse. Nach dem großen Kriege. Erzählungen 1860-1870. 928 Seiten. Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1966 (Textgrundlage: Karl Hoppe (Hrsg.): die historisch-kritische Braunschweiger Ausgabe)

Weitere Ausgaben

Literatur

  • Hans Oppermann: Wilhelm Raabe. 160 Seiten. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1970 (Aufl. 1988), ISBN 3-499-50165-1 (rowohlts monographien)
  • Fritz Meyen: Wilhelm Raabe. Bibliographie. 438 Seiten. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1973 (2. Aufl.). Ergänzungsbd. 1, ISBN 3-525-20144-3 in Karl Hoppe (Hrsg.): Wilhelm Raabe. Sämtliche Werke. Braunschweiger Ausgabe. 24 Bde.
  • Cecilia von Studnitz: Wilhelm Raabe. Schriftsteller. Eine Biographie. 346 Seiten. Droste Verlag, Düsseldorf 1989, ISBN 3-7700-0778-6
  • Werner Fuld: Wilhelm Raabe. Eine Biographie. 383 Seiten. Hanser, München 1993 (Ausgabe dtv im Juli 2006), ISBN 3-423-34324-9.
  • Andrea Rüttiger: Grenzen und Ausgrenzungen. Der Umgang mit dem Fremden in Wilhelm Raabes „Else von der Tanne“. S. 143-156 in: Ulrich Kittstein (Hrsg.), Stefani Kugler (Hrsg.): Poetische Ordnungen. Zur Erzählprosa des deutschen Realismus. 292 Seiten. Königshausen & Neumann, Würzburg 2007, ISBN 978-3-8260-3670-5

Weblinks

Anmerkungen

  1. Raabe schreibt über den Pfarrer: „Seine Gemeinde..., gepackt und geschüttelt vom Wahnsinn der Zeit - seine Gemeinde, außer sich, toll, rasend, wußte nichts mehr von irgendeinem Band, das sie an Himmel und Erde fesselte.“ (Verwendete Ausgabe, S. 556, 20. Z.v.o.)
  2. siehe auch die Notiz Raabes auf dem Else-Manuskript: „scriptum in miseriis“ (Fuld, S. 196, 4. Z.v.o.)
  3. Zum Beispiel hängen Hatzfelds Kürassiere anno 1644 den Ortsvorsteher von Wallrode auf (Verwendete Ausgabe, S. 554, 14. Z.v.o.)
  4. Fuld, S. 195, 3. Z.v.o. (Fuld begründet sein Statement nicht. Vermutlich sind solche Details gemeint, die im 20. Jahrhundert und auch später gewöhnlich als Kitsch abgetan werden. Zum Beispiel wird Else mitunter von einem zahmen Reh (Verwendete Ausgabe, S. 551, 15. Z.v.u.) begleitet.)

Einzelnachweise

  1. von Studnitz, S. 310, Eintrag 26
  2. Goldammer und Richter, S. 871 oben
  3. Hoppe in der Braunschweiger Ausgabe Bd. 9.1, S. 466
  4. Verwendete Ausgabe, S. 549, 15. Z.v.u.
  5. Oppermann, S. 70 unten bis S. 71 unten
  6. Verwendete Ausgabe, S. 567, 2. Z.v.o.
  7. Verwendete Ausgabe, S. 564, 13. Z.v.u.
  8. Goldammer und Richter, S. 871, 2. Z.v.o
  9. Hoppe in der Braunschweiger Ausgabe Bd. 9.1, S. 466, 3. Z.v.o.
  10. Meyen, S. 65-68
  11. Meyen, S. 327-329

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