Simon Reichwein

Simon Reichwein

Simon Reichwein (Rychwyn, Rychuinus, Riquinus) oder Dythemius (Ditemius) (* um 1501 in Montabaur; † 1559 in Trier) war ein deutscher Humanist, Arzt und Gelehrter.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Simon Reichwein wurde in Montabaur[1] geboren und hatte einen Bruder Johann, der später zusammen mit ihm Lehrer in Diest wurde. Den Humanistennamen „Dythemius“ hat Reichwein vermutlich nach dem griechischen Wort δίδυμος für „Zwilling“ angenommen. Es gibt allerdings auch eine Herrschaft Didam (alte Bezeichnungen: „Dydam“ „Dit-hem“, „Diem“ o. ä.) in Gelderland, mit der die Grafen von Moers belehnt waren, die namensgebend für den Familiennamen sein könnte.

Er immatrikuliert sich 1518 als „Symon rychwyn alias dythemius de Montebuer“ an der Artistenfakultät der Universität Köln und studierte dort bis etwa 1523.[2] Beatus Rhenanus (1485–1547) prophezeite ihm, er werde einst „Ludimagister“ (Lehrer) sein. 1520 legte er zusammen mit Heinrich Bullinger (1504–1575) und Gerardus Bucoldianus († nach 1542)[3] als „Symon Montebuir“ unter Arnold Haldrein (1484–1534) das Baccalauréats-Examen ab; wegen Armut hatte er nur die halbe Gebühr zu entrichten. Ab 1522 war Reichwein Magister und - gegen den Wunsch seines Vaters, der ihn schon damals an den Trierer Hof binden wollte[4] - Präzeptor der jungen Grafen Anton von Isenburg († 1531 oder 1536) und Salentin von Isenburg († 1544), der Söhne von Graf Salentin VI. von Isenburg-Neumagen-Grenzau (1492–1534).

1523 wurde Reichwein, der sich zu dieser Zeit in Löwen aufhielt, für ein Gehalt von 100 Philippstalern jährlich zum Rektor des neugegründeten „Collegium Humanitatis“ in Diest berufen.[5] Diese Stelle versah er fast drei Jahre, kehrte anschließend nach Löwen zurück und immatrikuliert sich dort 1527 am Collegium Trium Linguarum Lovaniense („Drei-Sprachen-Kolleg“ zu Löwen), das 1517 auf Anregung von Erasmus von Rotterdam (1465 oder 1469–1536) gegründet worden war. Er begegnete hier den Humanisten Konrad Goclenius (1455–1538), Rutger Rescius (1497–1545) und Johannes Campensis († 1538). Janus Cornarius (um 1500–1558) hielt sich einige Jahre bei Reichwein in Löwen auf, bis er sich mit dessen Frau zerstritt. 1528 berichtet Reichwein Erasmus, den er offenbar zuvor schon einmal in Basel besucht hatte, brieflich von den Auseinandersetzungen, die ein gewisser „Mann aus Gent“ („Gandauius“) – vermutlich Joachim Martens († um 1540) – mit dem Pariser Theologen Noël Béda (1470–1537) geführt hat.[6] 1529 wird Reichwein in Löwen als „Dr. med“ erwähnt.

Als 1529 in Antwerpen eine Epidemie des sogenannten Englischen Schweiß ausgebrochen war und sich verbreitete, trug er zu der medizinischen Untersuchung De novo hactenvsque Germaniae inavdito morbo ἱδροπυρετοῦ, des Grafen Hermanns von Neuenahr (1482–1530) bei. Reichwein war jetzt Leibarzt von Herzog Johann von Jülich-Kleve-Berg (1490–1539) und lebte in Benrath.[7] Er hielt sich häufig in Köln auf[8] und hatte unter anderem Kontakt zu Johann von Vlatten (1498–1562), Konrad Heresbach (1496–1576) und Petrus Medmann (1507–1584).

Seit 1532/33 war Reichwein Stadtarzt in Trier. Philipp Melanchthon (1497–1560) trat während seines Aufenthalts in Bonn 1543 mit ihm in Verbindung.[9] 1548 begleitete Reichwein den reformfreudigen Trierer Kurfürsten und Erzbischof Johann V. von Isenburg-Grenzau (1507–1556) als Leibarzt zum Reichstag in Augsburg.[10] 1553 wurde er mit der Durchführung der ersten kurtrierische Apotheken-Visitation beauftragt. Vermutlich dient er auch dem nächsten Erzbischof, Johann VI. von der Leyen (um 1510–1567).

Mit Petrus Mosellanus (1493–1524), Ulrich Fabricius (1489–1526), Justinus Gobler († 1567), Christoph Eschenfelder d. Ä († nach 1546) und anderen gehört Reichwein zum kurtrierischer Humanistenzirkel um Koblenz.

Stich von Matthäus Merian von 1646, weitgehend Zustand von ca. 1548 nach einer Zeichnung von Simon Reichwein

Reichwein führte einen umfangreichen Briefwechsel, besonders mit Erasmus von Rotterdam und Sebastian Münster (1489–1552). In seiner Trierer Zeit war er Mitarbeiter an der Cosmographia Münsters. Die Beschreibung der Eifel 1544 und die Eifelkarte von 1550 in Buch III werden Reichwein ebenso zugeschrieben wie die Beschreibungen von Trier und Koblenz. Die nach Zeichnungen Reichweins von 1548 erstellte Stadtansicht Triers wurde erstmals 1550 gedruckt. Matthäus Merian (1593–1650) kopierte sie, und sie bestimmte 250 Jahre lang die Gesamtansicht von Trier.

Reichwein starb als vermögender Mann und hinterließ die Häuser „Zum Kessel“, „Zum Horn“ und das „Rote Haus“[11] in der Trierer Brückergasse (heute Brückenstrasse gegenüber der Jüdemerstraße).

Familie

Reichwein war schon in Löwen mit Barbara Walter aus Augsburg verheiratet, die nach seinem Tod den Stadtschultheiß Dietrich Flade (1534–1589) heiratete. Dietrich Flade wurde 1589 in Trier als angeblicher „Hexenmeister“ hingerichtet.

Reichwein hatte einen Sohn Johann Franz Reichwein (* um 1550/55; † um 1595/97)[12], 1573 immatrikuliert in Padua als „Ioannes Fridericus Reichwein Treverensis“[13], und eine Tochter Margaretha († nach 1597), die mit dem Bürgermeister Maximin Pergener († 1620) verheiratet war.

Würdigung

Werke

  • Mitarbeit in Hermann von Neuenahr: De novo hactenvsque Germaniae inavdito morbo ἱδροπυρετοῦ, hoc est sudatoria febri, quem uulgo sudorem Britannicum uocant. Generosi Hermanni à Nuenare comitis, Præpositi Colonien[sis] Simonisque Riquini Medicæ rei expertissimi iudicium doctissimum, duabus epistolis contentum, Widmungsgedicht von Petrus Pherndorphius, Köln: Soter 1529
  • Briefe vom 1. Januar 1530 und 29. März 1530 (aus Köln) an Erasmus von Rotterdam, in: Joseph Förstemann / Otto Günther (Hrsg.), Briefe an Desiderius Erasmus von Rotterdam (Beihefte zum Centralblatt für das Bibliothekswesen 27), Leipzig: Otto Harrassowitz 1904, S. 132f.135f, vgl. 620f
  • Mitarbeit in Sebastian Münster: Cosmographia, Basel: Heinrich Petri 1544; 2. Aufl. 1550 u.ö.

Literatur

  • Carl Krafft: Mittheilungen aus der Matrikel der alten Cölner Universität zur Zeit des Humanismus. In: Zeitschrift für Preussische Geschichte und Landeskunde 5 (1868), S. 467–503, 496f
  • Leonard Keil: Humanisten in den Trierer Landen im Anfang des 16. Jahrhunderts. 3. Simon Reichwein. In: Trierische Chronik 17 (1920/21), S. 82–89
  • Ernest Wickersheimer: Deux régimes de santé: Laurent Fries[14] et Simon Reichwein à Robert de Monreal[15], abbé d'Echternach de 1506 à 1539. In: Hémecht. Zeitschrift für Luxemburger Geschichte. Revue d'histoire luxembourgeoise 10/1 (1957), S. 59–71 [Separatdruck: Luxemburg: Saint-Paul, 1957]

Weblinks

  • Faksimiledruck Sebastian Münster, Stadtansicht Triers nach einer Zeichnung von Simon Reichwein
  • Holzschnitt von Trier in der lateinischen Ausgabe von Sebastian Münster: Cosmographiae Universalis von 1550 auf Historic Cities nach einer Zeichnung von Simon Reichwein

Einzelnachweise

  1. Im kurtrierischen Montabaur ist 1513 bis 1535 der Stadtschultheiß Konrad Richwyn (auch: Sipges Conrad) aus Westerburg belegt, Sohn von Sipgin (Sifrid) Richwin (Reichwein), Peter Webers Sohn, 1473 bis 1499 Stadtschultheiß in Westerburg; vgl. Hellmuth Gensicke: Landesgeschichte des Westerwaldes (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 13), Wiesbaden: Selbstverlag der Historischen Kommission für Nassau 1958, S. 499 und S. 550. Johannes Monthabor oder Richwini, der 1524 auf sein Kanonikat im Stift St. Severus zu Gemünden verzichtete, könnte ein Sohn von Conrad Richwyn gewesen sein; vgl. Wolf-Heino Struck: Die Stifte St. Severus in Gemünden, St. Maria in Diez mit ihren Vorläufern, St. Petrus in Kettenbach, St. Adelphus in Salz (Germania Sacra. NF 25) , Berlin: de Gruyter 1988, S. 187.
  2. Zum Folgenden vgl. Peter G. Bietenholz / Thomas B. Deutscher: Contemporaries of Erasmus: A biographical register of the Renaissance and Reformation, 3 Bde., Toronto u. a. 1986, passim.
  3. Auch „Gerhard Bucoltz, Bucholds, Geraldus Bucoldus u. ä.“, vermutlich aus Bocholt bei Lüttich; später Philologe und Leibarzt von König Ferdinand I. (1503–1564).
  4. Reichwein schreibt dies rückblickend am 29. März 1530 an Erasmus: „... in diversum me vocante parente, nam ille aulae Trevirensi me destinaret“.
  5. Ferdinand François Joseph Lecouvet, Notice historique sur Howardries, son èglise, et la famille du castel de la Hovardrie. In: Société des bibliophiles de Belgique (Hrsg.): Le bibliophile belge (Bulletin du bibliophile belge 13), Bd. IV, Brüssel: F. Heussner 1857, S. 338–372, 362.
  6. Peter G. Bietenholz / Thomas B. Deutscher, a. a. O., S. 396.
  7. Reichwein schreibt aus Benrath und grüßt vom jülich-bergischen Kanzler Johann Ghogreve († 1554) und von Rat Konrad Heresbach, dem Erzieher „unseres“ Prinzen, also von Wilhelm V. (1592–1612).
  8. Reichwein war aber nicht, wie gelegentlich vermutet wird, Anhöriger des Kölner Hofes. Reichwein schreibt an Erasmus 1530 aus Köln von „Joannes Ghogravius … unserem Kanzler“ (cancellarius noster, ed. fälschlich „Ottogravius“).
  9. Brief Melanchthons vom 7. Mai 1543 an Petrus Medmann (CR V, 102 [ed.: „Richvicio“]); vgl. die Briefe vom 21. Juli 1543 an Hieronymus Schreiber († 1547) (CR V, 148) und 31. März 1545 an Albert Hardenberg (um 1510–1574).
  10. Karl Ludwig Philipp Troß (Hrsg.): Des Grafen Wolrad von Waldeck Tagebuch während des Reichstages zu Augsburg 1548 (Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart 59), Stuttgart 1868, S. 135.152.
  11. Franziska Blum-Gabelmann, Das „Rote Haus“ – das Haus „Zum Horn“. Ein Bauensemble in Trier. In: Jahrbuch für Hausforschung 41 (1993), S. 369–382.
  12. Das Stammbuch des Johann Franz Reichwein mit Einträgen zwischen 1569 und 1595 ist erhalten; vgl. Wolfgang Klose: Corpus Alborum Amicorum – CAAC. Beschreibendes Verzeichnis der Stammbücher des 16. Jahrhunderts (Hiersemanns Bibliographische Handbücher 8), Stuttgart 1988, S. 58.
  13. Vgl. Gustav C. Knod: Rheinländische Studenten im 16. und 17. Jahrhundert auf der Universität Padua. In: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 68 (1899), S. 133–189, bes. S. 150.
  14. Laurent (Lorenz) Fries (um 1485–1532) aus Mülhausen oder Colmar, Studium in Padua, Piacenza, Montpellier und Wien, humanistischer Arzt, Mathematiker, Astronom, Kartograph, Arabist, seit etwa 1519 in Straßburg, prägte wahrscheinlich um 1525 als erster den deutschen Begriff „Karte“.
  15. Robert (Ruprecht) von Monreal († 1539), Sohn von Karl d. Ä. von Monreal († um 1507) und ∞ um 1471 Maria von Malberg († um 1503), 1495 Präbende (Pfründe) und Aufnahme in der Abtei Echternach, 1506 bis 1539 Abt von Echternach.

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