Die Wahrheit (Film)

Die Wahrheit (Film)
Filmdaten
Deutscher Titel Die Wahrheit
Originaltitel La vérité
Produktionsland Frankreich
Originalsprache Französisch
Erscheinungsjahr 1960
Länge 124 Minuten
Altersfreigabe FSK 18
Stab
Regie Henri-Georges Clouzot
Drehbuch Jerome Geromini, Michèle Perrein, Véra Clouzot, Simone Drieu, Henri-Georges Clouzot
Produktion Raoul Lévy
Kamera Armand Thirard
Schnitt Albert Jurgenson
Besetzung

Die Wahrheit (Originaltitel: La vérité) ist ein Spielfilm des französischen Regisseurs Henri-Georges Clouzot aus dem Jahr 1960. Mit ihrer Rolle in diesem Gerichts- und Liebesdrama erlangte Brigitte Bardot erstmals Anerkennung als ernsthafte Darstellerin.

Inhaltsverzeichnis

Handlung

Dominique, ein einfaches Mädchen ohne Bildung, kommt in die große Stadt Paris und verkehrt in Studenten- und Künstlerkreisen. Sie und der Musikstudent und angehende Dirigent Gilbert werden ein Paar, doch ihre unterschiedlichen Temperamente bringen ihre zutiefst empfundene Liebe in Schwierigkeiten.

Gilbert trennt sich von ihr und heiratet ihre brave Schwester. Dominique versucht sich ein eigenes Leben aufzubauen und erkennt, dass sie ihn dafür zu sehr liebt. Als sie noch einmal mitten in der Nacht bei ihm auftaucht, nimmt er gerne die Gelegenheit wahr, mit ihr zu schlafen, weist sie jedoch am nächsten Tag schroff wieder ab. Im Affekt schießt sie auf ihn und dreht den Gashahn auf, um selbst auch zu sterben. Von aufmerksamen Besuchern gerettet, wird ihr vor Gericht der Prozess gemacht. Die Anklage nimmt sich die vielen Angriffspunkte in ihrem Lebenswandel vor; im verbalen Schlagabtausch zwischen den Anwesenden treffen stark unterscheidende Moral- und Lebensvorstellungen aufeinander. Dominiques Verteidiger versucht, ihre Tat mit Gilberts Verhalten zu rechtfertigen, um sie so zu retten, doch sie weigert sich, sein Angedenken in den Schmutz zu ziehen. Dem Plenum wirft sie entsetzt vor: „Ihr liebt nicht! Ihr seid alle tot!“ Die Urteilsverkündung ist auf den nächsten Tag angesetzt. Während der Nacht nimmt sich Dominique in ihrer Zelle das Leben.

Aufbau und Aussage

Clouzot wohnte 1959 einem Gerichtsverfahren bei, das ihn inspirierte.[1] In der Folge beabsichtigte er, die Mehrdeutigkeit und Ungewissheit von Wahrheit vorzuführen und ein Ereignis aus verschiedenen Blickwinkeln darzustellen.[2] Er zeigt das Geschehene abschnittsweise in chronologisch angeordneten Rückblenden, anschließend wird über jeden Abschnitt im Gerichtssaal verhandelt. Wir sehen zuerst die „Wahrheit“ und erkennen danach die Lügen in den Behauptungen der Ankläger, Verteidiger und Zeugen. Die Wahrheit ist also nicht Ziel von Clouzots Ermittlungen, sondern ein als gegeben angenommenes Werkzeug der Gesellschaftsanalyse. Auch für Ankläger und Verteidiger ist nicht die Wahrheitssuche das Ziel; sie fechten vielmehr einen Wettkampf aus und reichen sich nach Beendigung des Verfahrens die Hände wie zwei Sportler nach einem Spiel. Als wichtigsten Antrieb für die Lügen der Aussagenden präsentiert Clouzot die damalige Sexualmoral und die vorherrschende Vorstellung von einem anständigen Leben. Dominique trifft über die Gesellschaft ein Urteil, indem sie den Tod der Möglichkeit vorzieht, in dieser Gesellschaft weiterzuleben.

Clouzot meinte, die Justiz bringe Gefühlen keine Wertschätzung entgegen.[3] Sein Film beklagt das Justizsystem, in dem Männer um die fünfzig am Fall von Dominique über die junge Generation urteilen, die sie nicht verstehen.[4][1] Sie kommen aus bürgerlichen Schichten, die ihnen vorliegenden Fälle haben sich oft in Milieus ereignet, die ihnen unbekannt sind. Das Justizsystem stellt nicht Dominiques Tat unter Anklage, sondern ihren Lebenswandel.[4] Umgekehrt präsentiert Clouzots Inszenierung die jungen Leute als sympathischer als die älteren.[1] Clouzot: „Ich bin gegen jegliche Todesstrafe und missbillige Attentate ebenso wie die Weise wie man sie verfolgt.“[5] Seine Äußerung zu diesem Film ist vor dem tagespolitischen Hintergrund zu sehen. Frankreich stand seit 1954 im Algerienkrieg, und Attentäter verübten regelmäßig Anschläge auf französischem Boden; die Todesstrafe wurde häufig verhängt.

Kritik

Die zeitgenössische Filmkritik in Frankreich äußerte sich einerseits zustimmend. Positif sah die Qualität des Films im Aufeinandertreffen eines talentierten Regisseurs mit einem mythischen Star, von Hirn mit Herz, Klarheit mit Leidenschaft.[6] Brigitte Bardot sei die ideale Marionette in der Hand Clouzots, fand Arts.[7] Das Drehbuch zeuge von Erfindungsgabe und Präzision, die Regie überlasse nichts dem Zufall und führe die Darsteller meisterlich, urteilte Le Monde.[8]

Der Filmpublizist Georges Sadoul stellte aber im Jahr des Brandens der Nouvelle Vague auch fest, Clouzot revolutioniere das Kino nicht.[9] Sein Stil wurde auch als veraltet angegriffen, und das Hergebrachte, Gekünstelte verdränge bei ihm das Frische und Authentische, was im Zeitalter von Resnais und Antonioni nicht mehr zu ertragen sei.[10] Manche beurteilten die Arbeit als matt und farblos, banal und flach.[11]

In Bardots Laufbahn erweist sich Die Wahrheit als ein erster darstellerischer Höhepunkt. Es war ihre erste tragische Rolle und brachte ihr Anerkennung als Schauspielerin.[12] Die Neue Zürcher Zeitung meinte anlässlich einer Pariser Bardot-Ausstellung 2009, sie habe hier „ihren schauspielerisch fesselndsten und emotional mitreissendsten Auftritt“ absolviert.[13] Jahrzehnte später gab Bardot an, von allen Rollen sei ihr die in Die Wahrheit die liebste gewesen.[1] Jahrzehnte später gilt Die Wahrheit als technisch gelungen und darstellerisch überzeugend. Bravourstücke seien die Rededuelle zwischen den Juristen.[14]

Hintergrund

Das Produktionsbudget belief sich auf 600 Millionen alte Francs, davon gingen 70 Millionen als Gage an Bardot, was damals einen Rekord für eine französische Vedette darstellte.[1] Bevor Sami Frey für die Rolle des Gilbert feststand, waren auch Jean-Paul Belmondo und Hugues Aufray im Gespräch.[1] Während der fast hundert Drehtage herrschte eine schwere, gespannte Stimmung, weil Clouzot die Darsteller rigide führte und Meurisses aufmüpfigen Humor nicht schätzte; zu der als launisch und hochmütig geltenden Bardot hingegen fand er rasch einen guten Draht.[1]

Die Grenze zwischen Filmmythos und echtem Leben war unscharf. Während des Drehs kursierten Gerüchte über angebliche Affären zwischen Bardot und Frey, und sogar solche über Bardot und Clouzot.[4] Die Presse brachte immer wieder Bardots Verhalten mit ihren mehrfachen Suizidversuchen in Verbindung, und der Star wurde von Paparazzi gejagt. Sie fühlte sich gehetzt. Als Clouzot sie nach den Dreharbeiten wieder traf, schien sie ihm sehr bedrückt. Einige Tage später, an ihrem 26. Geburtstag am 28. September 1960, schnitt sie sich die Pulsadern auf. Sie schwebte mehrere Tage in Lebensgefahr. Bald scheiterte ihre zweite Ehe mit Jacques Charrier.[15][4][1] Auch Clouzot war von schwierigen persönlichen Ereignissen betroffen; seine Frau Vera erkrankte zur Zeit der Dreharbeiten von Die Wahrheit schwer und verstarb kurz nach der Premiere.[1] Der Film selbst geriet zu einem Riesenerfolg,[4] mit über 5 Millionen Eintritten in Frankreich einer der bestbesuchten einheimischen Filme der frühen 1960er Jahre.[16] In der Bundesrepublik startete die Produktion Ende 1960 mit der Altersfreigabe 18.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i Bocquet, José-Louis: Henri-Georges Clouzot Cinéaste. La Sirène, Sèvres, 1993, ISBN 2-84045-015-1, S. 117–125
  2. Le Monde, 3. November 1960, zit. in: Bocquet 1993, S. 117
  3. L’Express, 25. August 1960, zit. in: Bocquet 1993, S. 117
  4. a b c d e Das grosse Filmlexikon, Band VI von V bis Z, Verlagsgruppe Milchstraße, Hamburg ISBN 3-89324-126-4, S. 3038–39
  5. Henri-Georges Clouzot in Le Monde vom 3. November 1960, zit. in: Bocquet 1993, S. 122. Je suis contre toute peine de mort, et réprouve autant les attentats que la façon dont on les réprime.
  6. Positif, zit. in: Bocquet 1993, S. 125
  7. Arts, zit. in: Bocquet 1993, S. 125
  8. Le Monde, zit. in: Bocquet 1993, S. 125
  9. Georges Sadoul, zit. in: Bocquet 1993, S. 125
  10. France Observateur sowie Cinema 61, beide zit. in: Bocquet 1993, S. 125
  11. Cinema 61, zit. in: Bocquet 1993, S. 125
  12. vgl. Das grosse Filmlexikon, Band VI, S. 3038–39; Dictionnaire du cinéma populaire français, Nouveau monde editions, 2004, ISBN 2-84736-082-4, S.67; Tulard, Jean: Guide des Films, P-Z, Editions Robert Laffont, Paris 2005, S. 3469; Sadoul, Georges: Dictionnaire des films. Editions du Seuil, Paris 1967
  13. Marc Zitzmann: Kleines Ego, grosses Herz. In: Neue Zürcher Zeitung, 16. Dezember 2009, S. 49
  14. Tulard 2005, S. 3469
  15. Dictionnaire du cinéma populaire français, Nouveau monde editions, 2004, isbn 2-84736-082-4, S.67
  16. Revue de cinéma, 1991

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