Deutsche Tscheka

Deutsche Tscheka

Die Deutsche Tscheka (Reichs-Tscheka) war eine kommunistische Untergrundorganisation, die nach dem Scheitern des Hamburger Aufstands Ende 1923 gegründet wurde und offenbar bis Herbst 1924 existiert hat. In den Tscheka-Prozessen gelang es der KPD, „die Distanzierung der Partei von Terrorakten glaubhaft zu machen“. [1] Ziel der Gruppe war es, durch Verübung von terroristischen Aktionen wie Sprengstoffanschlägen und Attentaten gegen politische Gegner doch noch die deutsche Revolution auszulösen.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Nach der Anklageschrift des Anwalts beim Staatsgerichtshof in Leipzig wurde die Gruppe am 19. November 1923 durch Felix Neumann gegründet. Als Schlüsselfigur wurde jedoch der sowjetische Staatsbürger lettischer Herkunft Woldemar Rose angesehen. Unklar ist, ob die Gründung der Reichs-Tscheka aus der KPD selbst heraus erfolgte oder auf Initiative der echten Tscheka, die zu diesem Zeitpunkt bereits in OGPU umbenannt worden war. Aufgrund der neueren Untersuchungen von Bernhard H. Bayerlein, Leonid G. Babicenko und anderen deutschen und russischen Historikern, die auf bislang nicht zugängliches russisches Quellenmaterial zurückgreifen konnten, steht jedoch inzwischen zweifelsfrei fest, dass sich der stellvertretende OGPU-Vorsitzende Josef Unschlicht (1879–1938) im Sommer 1923 in Deutschland aufhielt, um die deutsche Revolution (Deutscher Oktober) vorzubereiten. Ob Rose-Skoblewsky aufgrund seiner Instruktionen handelte, ist bislang unklar.

Aktionen

Der einzige Mord, den das Reichsgericht Leipzig den Angeklagten nachweisen konnten, war die Tötung des Berliner Friseur Johannes Rausch, den Felix Neumann am 7. Januar 1924 in dessen Wohnung niederschoss und der am 17. März 1924 an den Folgen des Attentats verstarb. Inwieweit diverse Sprengstoffanschläge, zum Beispiel auf den Sitz des Oberpräsidenten der preußischen Provinz Hannover Gustav Noske am 21. Dezember 1923, der T-Gruppe zuzurechnen ist, bleibt unklar.

Die Tscheka-Prozesse

Zwei der zwölf Verteidiger, links Rechtsanwalt Dr. Kurt Rosenfeld, rechts Dr. Georg Löwenthal, Februar 1925[2]

Die beiden Tschekaprozesse 1924/25 erregten international Aufsehen und zahlreiche ausländische Zeitungen entsandten Sonderberichterstatter. Margarete Buber-Neumann zeigte sich noch in ihren Memoiren von 1967 über die Geständnisse verblüfft:

Die Verbrechen, die dort, vor allem von Felix Neumann, einem der Hauptangeklagten, gestanden wurden, klangen so haarsträubend, daß die Presse geneigt war, den Behauptungen der kommunistischen Zeitungen Glauben zu schenken, Felix Neumann sei geisteskrank.

Vor allem Neumanns Aussage, tödliche Bazillen an einem Kaninchen getestet zu haben, um diese als biologische Waffe einzusetzen, rief Aufsehen hervor. Die Prozesse wurden auch von Seiten der damaligen Staatsschutzbehörden, vor allem dem Reichskommissar für Überwachung der öffentlichen Ordnung, beobachtet und protokolliert. So existiert eine gut hundertseitige Dokumentation Der Tscheka-Prozeß, die z.B. im Niedersächsischen Staatsarchiv Oldenburg in den Aktenbeständen des Reichskommissars erhalten geblieben ist. Es ist aber auch anzunehmen, dass über die Prozesse vom Reichskommissar schon während ihres Verlaufs ausführlich an die Polizeibehörden der Bundesstaaten berichtet wurde; diese Berichte wurden sämtlich 1979 von Ernst Ritter im Auftrag des Bundesarchiv Koblenz auf Mikrofiche ediert und stehen heute in zahlreichen öffentlichen Bibliotheken zur Einsicht zur Verfügung. Drei der Angeklagten, darunter Neumann und Rose-Skoblewsky, wurden 1925 vom Gericht zum Tode verurteilt, jedoch bereits 1926 gegen mehrere in der Sowjetunion unter Spionageverdacht verhaftete und zu langen Freiheitsstrafen verurteilte deutsche Studenten ausgetauscht. Obwohl beispielsweise Reichswehrminister Otto Geßler gegen diesen Austausch war, da er darin eine Untergrabung der Autorität der Justiz sah, begrüßte offenbar die Reichswehrführung einschließlich des früheren potentiellen Opfers General Seeckt diese diplomatische Lösung, um die geheime Zusammenarbeit der Reichswehr und der Roten Armee nicht zu gefährden bzw. zu intensivieren, da die Reichswehr auf die Übungsmöglichkeiten für Panzer, Flugzeuge und Giftgas in der Sowjetunion angewiesen war. 1931 erschien im sozialdemokratischen Dietz-Verlag in Berlin unter dem Pseudonym Walter Zeutschel das Werk Im Dienst der kommunistischen Terror-Organisation (Tscheka-Arbeit in Deutschland). Angeblich war der Klarname des Autors Adolf Burmeister. Nach eigenen Angaben war Burmeister Mitglied einer Tscheka-Sektion in Mecklenburg gewesen. Ob es sich bei dem Buch um eine authentische Quelle handelt, ist unklar; möglich ist auch, dass persönliche Erlebnisse mit Presseberichten vermischt wurden. Der Verlag selbst warnte mit dem Buch vor einer neuen kommunistischen Terrorwelle, die 1931 mit dem Doppelmord am Bülow-Platz in Berlin, an dem offenbar auch Erich Mielke beteiligt war, einen vorläufigen Höhepunkt gefunden hatte. Tatsächlich scheint aber die terroristische Komponente der KPD-Militärarbeit mit den Tscheka-Prozessen ihren Abschluss gefunden zu haben. Dies ist möglicherweise auch auf die veränderte Situation in der UdSSR selbst zurückzuführen. Durch die Durchsetzung der Position von Josef Stalin, der weitere Revolutionsversuche im Ausland für irreal hielt und als reinen Putschismus ansah, gerieten die Vertreter des revolutionären Kurses um Leo Trotzki in die Defensive. Rose-Skoblewsky war in den 1930er Jahren Divisionskommandeur (DivKom) der Roten Armee. Er wurde im Rahmen der Tschistka verhaftet und am 20. Januar 1939 an einem offensichtlich namentlich nicht bekannten Ort hingerichtet. 1956 erfolgte im Rahmen der Entstalinisierung nach dem XX. Parteitag der KPdSU seine Rehabilitierung. Die liberale Berliner Vossische Zeitung hatte zum zweiten Prozess vom Februar bis April 1925 den Sonderberichterstatter Rudolf Brandt nach Leipzig entsandt. Dieser kommentierte das Urteil in seinem Artikel Der Leipziger Monstre-Prozeß vom 24. April 1925 folgendermaßen:

Die Mahnung des Anklagevertreters, der Gerichtshof möge sich „nichts vormachen“ lassen, ist überflüssig gewesen. Denn die KPD-Anwälte – und bei denen lag naturgemäß der Schwerpunkt der Verteidigung – haben bei ihren Bemühungen, die Partei als solche weiß zu waschen, der Gutgläubigkeit des Staatsgerichtshofes allzu viel zugemutet. Auch diejenigen, die sich gegen das Beweismaterial der Reichsanwaltschaft bis an die Zähne mit Skepsis gewappnet hatten, mußten aus den Ergebnissen der Beweisaufnahme die Ueberzeugung gewinnen, daß die Kommunistische Partei Deutschlands im Spätjahr 1923 willens gewesen ist, Deutschland gewaltsam mit den Segnungen einer bolschewistischen Herrschaft zu beglücken. Es war selbstverständlich ein etwas anfechtbarer Regiestreich, wenn als letzter der langen Zeugenreihe just der Untersuchungsrichter Landgerichtsdirektor Vogt erschien und außer dem, was er unmittelbar zum Verhandlungsgegenstande zu bekunden hatte, auch noch Material aus anderen Verfahren vor dem Gerichtshof ausbreitete. Es kann aber nicht bestritten werden, daß durch dieses Verfahren der Gesamtkomplex des kommunistischen Treibens eine Aufbesserung erfahren hat, die man unter politischen und moralischen Gesichtspunkten begrüßen muß. Angesichts der Aufschlüsse, die man da empfing, wirkte es wahrhaft grotesk, wenn die KPD-Verteidigung immer wieder versuchte, die Kommunistische Partei Deutschlands zu einer bis in den Tod getreuen Schweizergarde der demokratischen Republik umzuschminken und schlechthin alles, was der Partei nachgewiesen wurde, unter der Rubrik „Abwehr des Faschismus“ zu schieben. Es bleibt schon dabei: Die KPD hat im Herbst 1923 nicht etwa aus Besorgnis um die deutsche Republik gegen den organisierten Rechtsradikalismus das Prävenite spielen wolle, sondern ganz einfach deshalb, weil sie damals unsere ganze Staatsordnung über den Haufen zu rennen hoffte.

Literatur

  • Bernhard H. Bayerlein, Leonid G. Babicenko u.a. (Hrsg.): Deutscher Oktober 1923. Ein Revolutionsplan und sein Scheitern. Berlin 2003. (Archive des Kommunismus – Pfade des XX. Jahrhunderts. 3)
  • Frank Hirschinger: „Gestapoagenten, Trotzkisten, Verräter“. Kommunistische Parteisäuberungen in Sachsen-Anhalt 1918–1953. Göttingen 2005.
  • Margarete Buber-Neumann: Kriegsschauplätze der Weltrevolution. Ein Bericht aus der Praxis der Komintern 1919–1943. Stuttgart 1967.
  • Dokumentensammlung: Der Tschekaprozeß. Anklageschrift des Oberreichsanwalts, Leipzig v. 30.11.24. In: Mitteilungen des Reichskommissars für öffentliche Ordnung 1924/25. Niedersächsisches Staatsarchiv Oldenburg (Nds. StAO) 136–2898, Bl. 679ff.
  • Helmut Roewer, Stefan Schäfer, Matthias Uhl: Lexikon der Geheimdienste im 20. Jahrhundert. München 2003:< br />Stichwort Neumann, Felix. S. 314f.
    Stichwort Skoblewski, Peter Alexej. S. 424.
    Stichwort M-Apparat (= Militär[politischer]Apparat der KPD). S. 284f.
    Stichwort: AM-Apparat (Antimilitärischer Apparat der KPD). S. 22.
  • Walter Zeutschel (= Adolf Burmeister): Im Dienst der kommunistischen Terror-Organisation (Tscheka-Arbeit in Deutschland). Mit einem Nachwort des Verfassers und einem Vorwort des Verlags. Berlin 1931.
  • Manfred Zeidler: Reichswehr und Rote Armee 1920–1933. Wege und Stationen einer ungewöhnlichen Zusammenarbeit. München 1993.
  • Ernst Ritter (Hrsg.): Reichskommissar für Überwachung der öffentlichen Ordnung und Nachrichtensammelstelle im Reichsministerium des Innern. Lageberichte (1920–1929) und Meldungen (1929–1933). Bestand R 134 des Bundesarchivs, Koblenz veröffentlicht als Microfiche-Ausgabe. Einleitung und Indices. München u.a. 1979.
  • Bernhard Weiß: Polizei und Politik. Berlin 1928.
  • Heiner Möllers: Reichswehrminister Otto Geßler. Eine Studie zu „unpolitischer“ Militärpolitik in der Weimarer Republik. Frankfurt am Main 1998.
  • Rudolf Brandt: Der Leipziger Monstre-Prozeß. In: Vossische Zeitung. 24. April 1925.
  • Heraus zum Protest! Gegen den dreifachen Justizmord des Blutgerichtshofes! In: Die Rote Fahne. 23. April 1925.
  • Das Schreckensurteil von Leipzig, ein Akt des internationalen Feldzuges des weißen Terrors. In: Die Rote Fahne. 23. April 1925.
  • Die bürgerliche Presse zum Leipziger Bluturteil. Allgemeine große Verlegenheit. – Nur der Vorwärts billigt das Urteil und übertrifft an antibolschewistischer Hetze alles. – Scharfe Ablehnung dieser Rechtsprechung sogar vom offiziellen Parteiorgan der Deutschnationalen. In: Die Rote Fahne. 24. April 1925.

Einzelnachweise

  1. Sabine Hering, Kurt Schilde (Hrsg.): Die Rote Hilfe. Die Geschichte der internationalen kommunistischen „Wohlfahrtsorganisation“ und ihrer sozialen Aktivitäten in Deutschland (1921 bis 1941). 2003, S. 120
  2. Arthur Brandt: Der Tscheka Prozess Denkschrift der Verteidigung, Hamburg, Attica-Verlag, 1979, ISBN 3882350075 S. 19

Weblinks


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