Capgras-Syndrom

Capgras-Syndrom
Klassifikation nach ICD-10
F22 Wahnsyndrom mit Personenverkennung im Sinne der Doppelgänger-Illusion
ICD-10 online (WHO-Version 2011)

Das Capgras-Syndrom ist ein sehr seltenes Syndrom, bei dem man glaubt, nahe Lebensgefährten seien durch identisch aussehende Doppelgänger ersetzt worden. Es wurde nach Joseph Capgras (1873–1950) benannt, der das Syndrom 1923 erstmals beschrieb.[1][2]

Inhaltsverzeichnis

Symptomatik

Der Glauben, nahe Verwandte seien durch Doppelgänger ausgetauscht worden, ist das einzige Symptom der Erkrankung, weshalb man das Capgras-Syndrom auch als monothematische Illusion bezeichnet. Da zudem die Erkrankung im Rahmen psychiatrischer Erkrankungen wie der Psychose, dem Delir oder der Demenz auftreten kann, fordern manche Psychiater, die Erkrankung nicht als Syndrom, sondern als Symptom zu bezeichnen.[3]

Pathophysiologie

Lange Zeit nahm man an, das Capgras-Syndrom sei mit der Prosopagnosie, der generellen Unfähigkeit Gesichter zu erkennen, verwandt. Neuere Forschungsarbeiten zeigen jedoch, dass die Gesichtserkennung ungestört ist, wohingegen die Verknüpfung zu emotionalen Körper-Reaktionen fehle.[4][5] Das Fehlen einer emotionalen Reaktion kann beispielsweise durch die Elektrodermale Aktivität festgestellt werden, da sich der Hautwiderstand bei emotionalen Empfindungen wie beim Anblick vertrauter Personen ändert.

Historisches

Das Syndrom wurde 1923 von dem französischen Psychiater Jean Marie Joseph Capgras erstmals beschrieben und ist nach ihm benannt. Die Autoren Capgras und Reboul-Lachaux verwendeten in der Arbeit die Bezeichnung l’illusion des sosies („die Doppelgänger-Illusion“), um den Fall einer Madame M. zu beschreiben.[1] In einem 1991 beschriebenen Fall einer Madame D. genannten Patientin, erkannte diese alle nahen Verwandten problemlos wieder, behauptete jedoch, ihr Ehemann sei durch einen identisch aussehenden Doppelgänger ausgetauscht worden. Zuerst hatte sie den ehelichen Beischlaf verweigert und das Schlafzimmer verriegelt. Schließlich hatte sie ihren Sohn um ein Gewehr gebeten. Als sie mit Hilfe der Polizei psychiatrisch untergebracht werden sollte, zeigte sie erheblichen Widerstand. In einer örtlichen psychiatrischen Klinik wurde die Diagnose einer atypischen Psychose gestellt, die später als Capgras-Syndrom eingestuft wurde.[6]

Verarbeitung in Literatur und Film

  • Literarisch wurde das Thema von Richard Powers in seinem Roman Das Echo der Erinnerung (Originaltitel The Echo Maker, Deutsch: S. Fischer, 2006) bearbeitet.[7]
  • In dem 1955 erschienenen Roman Die Körperfresser kommen von Jack Finney werden die Menschen einer Kleinstadt von außerirdischen Schoten bedroht, die nach und nach die Menschen durch gefühllose Doppelgänger ersetzen. Der Roman wurde mehrfach verfilmt, z. B. Die Dämonischen (1956), Die Körperfresser kommen (1978).
  • In der 13. Folge der 8. Staffel der Serie Scrubs – Die Anfänger ist einer der Patienten am Capgras-Syndrom erkrankt.
  • Der Charakter Debbie in dem Roman Human Croquet (1997) von Kate Atkinson (dt. „Ein Sommernachtsspiel“) glaubt, dass alle Familienmitglieder mit Ausnahme eines Babys durch Roboter ersetzt wurden.
  • In Das Verhängnis der Jedi-Ritter, einer Romanreihe innerhalb des Star-Wars-Universums, erkranken viele jüngere Jedi an einer solchen Krankheit, die zuvor eine gemeinsame Zeit auf einer Raumstation verbracht haben. Die Tatsache, dass sich die Regierung dafür ausspricht, alle Erkrankten abzuschotten, führt zu einem größeren Konflikt, der erst dadurch gelegt wird, dass Luke Skywalker und sein Sohn Ben Skywalker scheinbar die Kreatur Abeloth ausschalten. Allerdings ist sie nicht gestorben, weshalb zwei der Jedi die Symptome noch immer aufweisen.
  • In dem im Jahr 2008 erschienenen Film Gebrochen (The Broken) wird bei der Protagonistin das Capgras-Sydrom diagnostiziert.

Einzelnachweise

  1. a b Capgras, J. & Reboul-Lachaux, J. (1923). Illusion des sosies dans un delire systematise chronique. Bulletin de la Societe Clinique de Medicine Mentale 2 6-16.
  2. Ellis, H.D.; Whitley, J.; & Luaute, J.P. (1994). Delusional misidentification. The three original papers on the Capgras, Frégoli and intermetamorphosis delusions (Classic Text No. 17). History of Psychiatry 5 (17) 117–146.
  3. Forstl, H.; Almeida, O.P.; Owen, A.M.; Burns, A.; & Howard, R. (1991). Psychiatric, neurological and medical aspects of misidentification syndromes: a review of 260 cases. Psychological Medicine 21 (4) 905–910.
  4. Ellis, H.D. & Lewis, M.B. (2001). Capgras delusion: a window on face recognition. Trends in Cognitive Sciences 5 (4) 149–156.
  5. Ramachandran, V.S. (1998). Phantoms in the Brain: Probing the Mysteries of the Human Mind. New York: Harper Collins Ltd, ISBN 0-688-17217-2
  6. Passer KM, Warnock JK: Pimozide in the treatment of Capgras' syndrome. A case report. In: Psychosomatics. 32, Nr. 4, 1991, S. 446–8. PMID 1961860.
  7. Richard Powers, Manfred Allié, Gabriele Kempf-Allié. Das Echo der Erinnerung. 2. Auflage. Fischer-Verlag, Frankfurt 2006, ISBN 3-100-59022-8

Siehe auch

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