Cantar de Mío Cid

Cantar de Mío Cid
Seite der Handschrift des Cantars, ab Zeile 1922.

Das Cantar de mio Cid (dt.: „Lied von meinem Cid“) ist ein Epos unbekannter Autorenschaft, das – inspiriert vom Leben des kastilischen Adligen Rodrigo Díaz de Vivar, genannt El Cid – Leben und Taten eines Ritters erzählt und sie Díaz de Vivar zuschreibt. Es handelt sich dabei um das erste ausführliche erzählende Werk der Spanischen Literatur in einer Romanischen Sprache.

Das Epos besteht aus 3.735 unregelmäßigen Versen unterschiedlicher Länge, obwohl die Verse von 14 bis 16 metrischen Silben dominieren. Die Verse des Cantar de mio Cid sind in Halbverse (Kola) unterteilt, deren trennendes Element die Zäsur ist. Die Länge der Kola beträgt zwischen 4 und 13 Silben, die Kola bilden die kleinste prosodische Einheit des Cantars. Es gibt keine Unterteilung in Strophen, teilweise gruppieren sich Verse mit gleichem asonanten Reim.

Das Cantar del mio Cid wurde um 1200 in mittelalterlichem Spanisch geschrieben, die Datierung umfasst die Spanne 1195–1207. Der Originaltitel ist unbekannt, möglicherweise hieß es gesta (Epos) oder cantar (Lied), mit diesen Begriffen beschreibt der Autor sein Werk in den Versen 1.085 und 2.276. Es ist das einzige nahezu komplett[1] erhaltene Werk dieses Genres und hat großen literarischen Wert aufgrund der stilistischen Meisterschaft. [2]

Inhaltsverzeichnis

Auszug

Das Cantar de mio Cid beginnt mit den folgenden zwei Versen:

«De los sos oios tan fuertemientre llorando,
Tornava la cabeça e estavalos catando;
Vio puertas abiertas e uços sin cañados,
alcandaras vazias, sin pielles e sin mantos
e sin falcones e sin adtores mudados.
Sospiro Mio Cid, ca mucho avie grandes cuidados.
Fablo mio Cid bien e tan mesurado:
«grado a ti, Señor, Padre que estas en alto!
»Esto me an buelto mios enemigos malos.»
Alli piensan de aguiiar, alli sueltan las rriendas;
a la exida de Bivar ovieron la corneia diestra
e entrando a Burgos ovieronla siniestra.
Meçio Mio Cid los ombros e engrameo la tiesta:
«¡Albricia, Albar Fañez, ca echados somos de tierra!
»Mas a grand ondra torneremos a Castiella.»»

Datierung

Es gibt eine Kopie aus dem 14. Jh., die sich auf eine andere Kopie aus dem Jahr 1207 stützt. Als Kopist der Vorlage nennt sich im Buch selber Per Abbat. Er gibt als Datum der Kopie den Mai des Jahres 1245 an und bezieht sich auf die Era (Aera Hispanica). Das ergibt nach christlicher Zeitrechnung 1207.

Quien escrivio este libro de Dios paraiso, amen
Per Abbat le escrivio en el mes de mayo en era de mil e. CC XLV años.[3]

Dieses Kolophon spiegelt den Brauch mittelalterlicher Kopisten wider, nach Beendigung der Arbeit den eigenen Namen und das Datum der Fertigstellung einzufügen.

Inhalt / Innere Struktur

Statue des Cid, in Burgos

Das Cantar de mio Cid handelt von Diaz' Versuch, seine verlorene Ehre wiederzuerlangen bzw. höhere Ehre als vor Verlust selbiger zu erlangen. Es beginnt mit der Verbannung von Diaz, nachdem er des Diebstahls königlichen Eigentums bezichtigt wurde. Die „Entehrung“ geht mit der Enteignung seines Stammsitzes und seiner Güter einher.

Nachdem Valencia dank Diaz Einsatz erobert ist, verzeiht ihm der König ob seiner Klugheit und Besonnenheit und verleiht ihm als neuen Lehen Valencia. Er erhält ebenfalls seinen alten Stammsitz zurück. Zur Bekräftigung seiner wiederlangten Position werden für seine Töchter Ehen mit Familien größeren Prestiges arrangiert, in diesem Fall mit den Infanten des Hauses von Carrión.

Damit bewegt sich die Handlung paradoxer Weise jedoch wieder auf eine für den Cid problematische Situation zu, indem die neuen Schwiegersöhne ihre Frauen misshandeln, entehren sie Diaz ein weiteres Mal.

Nach mittelalterlichem Recht sind die Frauen damit verstoßen und Diaz betreibt die Annullierung der Ehen in einem Prozess, dem der König vorsitzt. Die Infanten von Carrión werden öffentlich bloßgestellt und ihrer Privilegien als Teil des königlichen Gefolges enthoben. Die Töchter des Cids dagegen werden in Königshäuser verheiratet und erreichen damit den höchstmöglichen sozialen Aufstieg.

Die innere Struktur folgt also einer Bewegung des Erlangen–Verlieren–Wiedererlangen–Verlieren–Wiederherstellens der Ehre des Helden. Im Text nicht erwähnter Ausgangspunkt ist die Stellung des Cid als guter Ritter und Vasall, ehrenhaft und mit einem Stammsitz in Vivar bei Burgos. Der erste Bogen wird eingeleitet durch die Verbannung, führt über Kampf und königliche Vergebung zu den arrangierten Hochzeiten mit hochstehenden Adligen. Der zweite und stärkere Bogen spannt sich von der Entehrung der Töchter über den Prozess hin zu den neuen Hochzeiten in spanische Königshäuser.

Äußere Struktur

Seit der Edition von 1913 durch Menéndez Pidal haben die Herausgeber den Text in drei Gesänge (Cantares) unterteilt. Das könnte der Unterteilung entsprechen, die der Autor für den Vortrag durch einen Sänger für angemessen hielt. Der Text scheint das mit Textstellen zu bestätigen, mit denen sich die Teile voneinander separieren:

„aquís conpieça la gesta de mio Çid el de Bivar[4]“ und später:
„Las coplas deste cantar aquís van acabando[5]

  • Erster Gesang: Gesang von der Vertreibung (Verse 1–1.086)

El Cid muss Kastilien verlassen und seine Frau und seine Töchter zurücklassen. Er organisiert mit seinen Getreuen einen Feldzug in maurisch besetzte Gebiete. Nach jedem Sieg sendet er dem König Geschenke, um dessen Gunst wiederzuerlangen.

  • Zweiter Gesang: Gesang von den Hochzeiten (Verse 1.087–2.277)

El Cid zieht zum maurisch besetzten Valencia und erobert die Stadt. Er sendet seinen Freund und Vertrauten Álvar Fáñez an den kastilischen Hof mit Geschenken und der Bitte an den König, dass der Cid seine Familie nach Valencia holen dürfe. Der König entspricht seiner Bitte, vergibt ihm und hebt die über den Cid und seine Mannen ausgesprochenen Strafen auf. Die Fortune des Cids lässt die Infanten von Carríon um die Hände von Doña Elvira und Doña Sol, den Töchtern des Cids, anhalten. Der König unterstützt diese Anträge und auch Diaz stimmt zu, und lässt, obwohl er nicht von seinen Schwiegersöhnen in spe überzeugt ist, großartige Hochzeiten ausrichten.

  • Dritter Gesang: Gesang von der Schande bei Corpes (Verse 2.278–3.730)

Die Infanten zeigen Feigheit vor dem Feind im Kampf gegen die Mauren, zuvor waren sie vor einem Löwen geflohen. Gedemütigt sinnen sie auf Rache: auf einer Reise nach Carrión werden sie im Wald von Corpes gewalttätig gegen ihre Ehefrauen und lassen sie entkräftet im Wald zurück. El Cid ist damit entehrt und fordert vom König Gerechtigkeit. Das einberufene Gericht entscheidet auf ein Duell, in dem die Infanten besiegt werden. Nun selbst entehrt, annullieren sie ihre Ehen. Der Gesang endet mit der Verheiratung der Töchter des Cid mit den Infanten von Navarra und Aragón.

Themen und Charakteristika

Das Cantar de Mio Cid unterscheidet sich von der altfranzösischen Epik durch das Fehlen übernatürlicher Elemente, das gemessene Betragen seines Heldens und die relative Wahrscheinlichkeit seiner Heldentaten. Weiterhin ist das Thema des sozialen Aufstiegs durch Verdienst beim Waffengang gegen die Mauren sehr stark ausgeprägt (Ein Punkt, der gegen eine Fertigstellung um 1140 spricht, weil zu diesem Zeitpunkt der «Espíritu de frontera» und die Auseinandersetzungen fehlten, mit deren Hilfe der Kleinadel aufsteigen konnten.)

Diaz, selbst dem Kleinadel entstammend, schafft es, sich durch ruhmbringende Aktivitäten und eine demütige Haltung innerhalb des Adels herauszuheben. Er erwirbt sich damit einen Stammsitz (Valencia), der nicht einfach ein durch königliche Hand vergebenes Lehen ist. Das eigentliche Thema des Cantars ist also der Ehrzuwachs des Helden, der schließlich selber Lehnsherr ist, ein Adelshaus begründet und auf einer Stufe mit ranghöheren Adligen steht. Die Heirat seiner Töchter in spanische Königshäuser impliziert einen quasi königlichen Rang des Cid. Die (christliche) Herrschaft über Valencia und die dazugehörigen Gebiete war im 13. Jh. ein Novum und konnte sich durchaus mit anderen christlichen Königreichen der Iberischen Halbinsel vergleichen, obwohl der Cid im Poem nie einen Zweifel daran lässt, dass er sich als Vasall des kastilischen Königs betrachtet.

Jedenfalls verbindet sich im Cantar die Linie des Cids mit der der aragonesischen und navarresischen Könige dergestalt, dass sich nicht nur sein Haus mit den Königen verschwägert sondern auch diese vom Prestige des Cids profitieren:

„hoy los reyes de España sus parientes son / a todos alcanza honra por el que en buen hora nació[6]

Metrik

Alle Verse sind durch Zäsur in zwei Halbverse geteilt. Das ist die auch in der altfranzösische Epik übliche Form, die die Rezitation, den Gesang des Cantars oder Poems erleichtert. Während in den französische Epen jeder Vers eine regelmäßige Metrik von zehn durch eine starke Zäsur getrennter Silben vorherrscht, variieren im Cantar de mio Cid sowohl die Zahl der Silben in den Versen wie auch die innerhalb der Halbverse beachtlich. Diese Form wird im Spanischen als Anisosilabismo oder Heterometrik bezeichnet.

Obwohl die Silbenzahl zwischen zehn und zwanzig und in den Halbversen zwischen vier und vierzehn rangiert, haben mehr als sechzig Prozent der Verse zwischen vierzehn und sechzehn Silben. Die Reime sind hauptsächlich asonant, unter diesen finden sich jedoch elf unterschiedliche Formen, die teilweise Gruppierungen gleicher Reimform bilden. Diese Versgruppen zählen zwischen drei und neunzig Versen und bilden jeweils eine inhaltliche Einheit.

Die Handschrift

Manuscript des Cantar de mio Cid in der Biblioteca Nacional de España.

Das Manuskript aus dem 14. Jh. wird in der spanischen Nationalbibliothek in Madrid aufbewahrt und kann in der digitalen Bibliothek des Instituto Cervantes eingesehen werden.[7] Die Handschrift besteht aus einem Band von 74 Seiten aus grobem Pergament. Drei Seiten fehlen: am Beginn, eine zwischen den vorhandenen Seiten 47 und 48 sowie zwischen den Seiten 69 und 70. Es gibt zwei Blätter, die Schutzseiten sind. Viele Seiten haben dunkelbraune Flecken, die durch Reagenzien zum Sichtbarmachen verbleichter Textstellen entstanden sind. Trotzdem ist die Anzahl der unleserlichen Textstellen relativ gering. Diese Lücken lassen sich durch die paläografische Ausgabe von Menéndez Pidal und die Kopie aus dem 16. Jh. von Ulibarri schließen.

Das Schriftbild im Manuskript ist durchgehend und lässt keine Trennung in einzelne Gesänge erkennen, auch gibt es keinen Raum zwischen den Versen. Jeder Vers beginnt mit einer Majuskel, teilweise gibt es Initiale. Jüngste Untersuchungen bestätigen, dass die Schrift mit den Schriften der Mitte des 14. Jh.s korrespondiert, als Vergleichswert wurden von Alfons XI. (1312–1350) ausgestellte Urkunden herangezogen. In den Majuskeln erscheinen zwei parallele Striche - ein Detail, das Ende des 13. und das ganze 14. Jh. über zu finden ist. Weiterhin auffällig ist die Benutzung des Y durch den Schreiber [8], der Gebrauch des „V“ als Initial [9] und schließlich Gonçalo und Gonçalez anstatt Gonçalvo und Gonçalvez.

Die Bindung des Manuskripts erfolgte im 15. Jh. Der Einband besteht aus mit Schafsleder überzogenem Holz mit geprägten Verzierungen, es gibt Reste der Schließe. Die Bindung ist zusammengesetzt aus elf Heftungen. Die fehlenden Seiten gehörten zur ersten, siebten und zehnten Heftung.

Im 16. Jh. wurde die Handschrift im Gemeindearchiv von Vivar (Archivo del Concejo de Vivar) aufbewahrt, danach befand sie sich im gleichen Ort in einem Frauenkloster. 1596 kopierte Ruiz de Ulibarri das Manuskript, 1779 wurde es durch Don Eugenio Llaguno y Amírola, Sekretär des Consejo de Estado (Staatsrat) zum Zweck der Veröffentlichung abgeholt. Diese besorgte der Mediävist und Verleger Tomás Antonio Sánchez. Nach Fertigstellung der Ausgabe zog Llaguno das Manuskript wieder ein, nach seinem Tod ging es an seine Erben. Nächster Besitzer war Pascual de Gayangos. Um diese Zeit (bis etwa 1858) sah Damas-Hinard, Hispanist und Übersetzer des Cantars ins Französische, die Handschrift ein. Danach wurde es nach Boston geschickt und George Ticknor, amerikanischer Literaturwissenschaftler, studierte es. 1863 hatte es der erste Marqués de Pidal gekauft und überließ es dem Studium durch Florencio Janer, spanischer Historiker und Hispanist. Bevor es am 20. Dezember 1960 durch Kauf an die Biblioteca Nacional de Madrid kam, hatte es Alejandro Pidal geerbt und Vollmöller, Baist, Huntington und Ramón Menéndez Pidal beforschten es in seinem Haus.

Autor und Entstehungszeit

Die im Cantar gezeigte Gesellschaft ist geprägt vom „espíritu de frontera“, einer besonderen Situation, die durch die ständig möglichen militärischen Auseinandersetzung mit den Mauren determiniert ist. Dieser „Grenzgeist“ herrschte im 12. Jh. an den Grenzen Aragóns und Kastiliens und ermöglichte den Abkömmlingen adliger Familien raschen sozialen Aufstieg und relative Unabhängigkeit. Historisch war das spätestens mit der Eroberung Teruels im Jahr 1171 gegeben. Gleichzeitig tauchen erstmals „friedfertige Mauren“ (moros en paz) auf. Diese Bezeichnung bezieht sich auf den Umstand, dass es in den eroberten Gebieten eine quantitativ geringe christliche Bevölkerung gab, die muslimische Bevölkerung wurde also weiterhin gebraucht, um Wirtschaft, Bauwesen etc. wieder in Gang zu bringen.[10]

Seitens der rechtlichen Detaills kommt ebenfalls nur das Ende des 12. Jh. / beginnendes 13. Jh. in Frage: Der von Diaz geforderte und durch den König präsidierte Prozess firmiert als „Riepto“. Dabei handelte es sich um eine Prozessform, die einen Zweikampf beinhaltete. Sie war durch das Römische Recht beeinflusst und wurde auf der Iberischen Halbinsel Ende des 12. Jh. eingeführt, Bezugspunkte sind die Fueros von Teruel und Cuenca, so dass als frühestes Datum die Jahre ab 1170 möglich wären. Da Medinaceli 1140 zu Aragón gehörte, im Cantar aber schon als kastilisch erscheint, weist auch die historische Geographie auf ein Datum ab der zweiten Hälfte des 12. Jhs.

Einen weiteren zeitlichen Hinweis bietet die Siegelkunde: das in den Versen 42 und 43 erwähnte königliche Siegel[11] ist erst ab dem Regnum Alfons VIII. (Kastilien), also ab 1175 belegt.

Pidal brachte 1307 als Datum des Explicit, der Fertigstellung des Buches, ins Gespräch und führte an, dass es ein drittes, ausradiertes 'C' im Manuskript gegeben hätte. Dieses dritte C konnte aber auch mit modernsten Untersuchungsmethoden nicht nachgewiesen werden konnte. Am wahrscheinlichsten ist die Erklärung, dass der Kopist beim Schreiben zögerte und wohl keinen Schreibfehler und damit das Pergament unbrauchbar machen wollte, so dass beim Wiederansetzen ein größerer Abstand als zwischen den vorherigen Ziffern entstand. Möglicherweise sind aber auch zwei kleine Einschnitte wie sie beim Radieren mit dem Messer (cultellum) entstehen die Grundlage für Pidals Theorie. Diese Einschnitte sind aber gerade Schnitte und keine geschabten Radierungen, die eine rauhe Oberfläche hinterlassen. Der Kopist könnte sie übersprungen haben, damit die Tinte nicht in die Einschnitte läuft und sie damit farblich markieren würde. Pidal selbst kommt schließlich zum Schluss, dass es das dritte «C» nicht gegeben hat, weil die Aufrauhung des Pergaments seiner abschließenden Meinung nach schon vor dem Schreiben vorhanden gewesen sein muss.

Aus verschiedenen Analysen kann man bezüglich des Autors schließen, das er gebildet und sehr gut mit dem gültigen Recht des ausgehenden 12. Jh. und beginnenden 13. Jh. vertraut war. Weiterhin muss er die Region um Burgos gekannt haben. Die Sprache entspricht ebenfalls einem gebildeten Autoren, der auf einem Posten gearbeitet haben dürfte, der die Kenntnis der juristischen und administrativen Sprache voraussetzt. Wahrscheinlich war dies in einer Kanzlei oder als Notar eines Adligen oder eines Klosters der Fall. Weiter kann man den Personenkreis auf Kenner der Altfranzösische Epik eingeschränken, die bestimmte hier verwendete Stilmittel beinhaltet.

Der englische Hispanist Colin Smith stellte die Theorie auf, Per Abbat sei der Autor des Epos. Sie wird dadurch entwertet, dass „schreiben“ im Mittelalter allein „Kopist sein“ bedeutete. Um die Autorenschaft entsprechend heutigen Verständnis zu kennzeichnen, hätte ein mittelalterlicher Autor „compuso“ [12] oder „fizo“[13] unter den Text gesetzt.

Für Pidal war Per Abbat der Kopist eines Textes von 1140. Gegen ihn spricht aber die Genealogie des Cid, die sich nicht vor 1201 mit den christlichen Königsdynastien der Iberischen Halbinsel verflochten hatte. Er stützt sich außerdem auf das lateinische „Poema de Almería“[14], das den Cid erwähnt. Dieses Gedicht ist aber von unsicherer Datierung und bezieht sich vor allem auf die damals durchaus bekannten Heldentaten des Cid, nicht aber auf das Cantar.

Bezüglich des Autors spricht Pidal zuerst von einem Verfasser aus Medinaceli, der San Esteban de Gormaz und Umgebung kannte; später optierte für zwei Verfasser: eine erste, kurze und veristische Fassung eines Dichters aus San Esteban, später die Überarbeitung durch einen anderen aus Medinaceli.

Pidal führt weiterhin Archaismen an, in der Umgangssprache nicht mehr gebräuchliche Wörter. Rusell und andere weisen aber z.B. in den „Mocedades de Rodrigo“[15] aus dem 14. Jh. die gleichen Archaismen nach und schließen daraus, dass es im Bereich der mittelalterlichen Heldenlieder eine „Kunstsprache“ gab, deren Vokabular und Formalsprache gleich blieb.

Der Literaturhistoriker und Philoge Antonio Ubieto zeigte, dass der Autor des Cantars die lokale Geographie im Gebiet von San Esteban de Gormaz nicht kannte und zieht die ungenauen Angaben bezüglich der Ebroufer als ein Beispiel heran, während anderseits eine genaue Kenntnis der Ortsnamen im Valle del Jalón (Cella, Montalbán, Huesa del Común) in der heutigen Provinz Teruel evident ist. Er identifiziert außerdem ausschließlich in Arágon gebrauchte Vokabeln, die ein kastilischer Verfasser gekannt haben kann. Außerdem reflektiert der Cantar die Situation der Mudéjares (Beispiele sind Abengalbón, Fariz, Galve), die teils sehr loyal zum Cid standen und unbedingt für die Wiederbevölkerung der von Arágon aus eroberten Gebiete gebraucht wurden. Diese maurischen Untertanen war in der südaragonesischen Gesellschaft sehr präsent, ebenfalls ein Umstand, der dem Autoren in und um Burgos nicht begegnet sein kann. Aus diesen Gründen müsse der Autor – so Ubieto – aus einem der genannte Orte kommen.

Man muss sich jedoch vergegenwärtigen, dass Medinaceli zu dieser Zeit eine umkämpfte Stadt und teilweise aragonesisch war. Der spanische Philologe Rafael Lapesa verteidigte in Estudios de historia lingüística española ebenfalls eine ältere Datierung, wo er eine Fertigstellung des Textes für die Zeit zwischen 1140 und 1147 zu beweisen versuchte, dafür jedoch keine genügend schlagkräftigen Argumente vorbringen konnte.

Wie oben erwähnt betrachtet Colin Smith Per Abbat als Autoren des Textes. Weiterhin nimmt er an, dass die in der Biblioteca Nacional vorliegende Handschrift eine Kopie des Manuskripts von Per Abbat und 1207 das tatsächliche Entstehungsjahr ist. Per Abbat ist für ihn ein gleichnamiger Notar jener Zeit, dem er ausgezeichnete Kenntnis der altfranzösischen Epik zuschreibt, und mit dem Cantar die spanische Epik begründet. Smith sieht Form und Metrik des Cantars von französischen Vorbildern übernommen.

Obwohl die altfranzösische Epik zweifelsfrei die spanische Literatur beeinflusst hat – belegbar durch das Auftreten von Roldán / Roland, Durendal oder die Sage um Bertha mit dem großem Fuß – zeigen die großen Unterschiede – Ausformung der Wunder, Übertreibung und Ausschmückung der Heldentaten und ein verschiedenes Maß an Realismus – dass das Cantar de mio Cid von jedem gebildeten Schreiber dieser Epoche ohne ein spezielles französische Vorbild verfasst werden konnte.

Es ist also eine Reihe geschichtlicher und gesellschaftlicher Umstände, die die Wissenschaft zu dem Schluss kommen lässt, dass es ein einzelner Autor war, der das Cantar de mio Cid zwischen dem Ende des 12. und Anfang des 13. Jh. (1195 bis 1207) verfasst hat. Er kannte die Umgebung von Burgos und das Valle del Jalón, er war gebildet, verfügte über profunde juristische Kenntnisse und war möglicherweise Notar oder Anwalt.[16].

Einzelnachweise und Fußnoten

  1. Vom Original des Cantar del mio Cid fehlen die erste Seite sowie zwei weitere, deren Inhalt sich jedoch aus Chroniken erschließen lässt, hierbei insbesondere aus der Crónica de veinte reyes (Chronik der zwanzig Könige).
  2. Weitere erhaltene Werk dieser Epoche sind: es:Mocedades de Rodrigo, um 1360, 1700 Verse; es:Cantar de Roncesvalles um 1270, Fragment von mehr als 100 Versen sowie eine kurze Inschrift von etwa 1400in einer romanischen Kirche, die als Epitafio épico del Cid bekannt ist.
  3. Cantar de mio Cid, zitiert nach der Ausgabe von Alberto Montaner Frutos, Verse 3731-3732
  4. Vers 1.085: Hier beginnt das Epos de mio Cid el de Bivar
  5. Vers 2.776: Die Verse dieses Gesanges enden hier
  6. „Heute sind die Könige seine Verwandten / Alle erreicht die Ehre dessen, der zur rechten Stunde geboren ward“ Verse 3.724–3.725 (Edition Alberto Montaner)
  7. Das Manuskript in der Biblioteca Digital Cervantes Virtual
  8. vgl.: myo[mio = mein], rey [König], yr [ir = gehen]. Diese Schreibung war in den Dokumenten der ersten Hälfte des 13. Jhs unüblich, jedoch sehr gebräuchlich im 14. und 15. Jh.
  9. Anstatt „U“ in Wörtern wie valer [wert sein] und vno [uno = eins]
  10. Diese Muslime unter christlicher Herrschaft wurden als Mudéjares bekannt.
  11. la «carta … fuertemientre sellada» Verse 42–43
  12. schreiben, dichten, zusammenstellen
  13. herstellen, machen
  14. siehe es:Poema de Almería
  15. siehe es:Mocedades de Rodrigo
  16. vgl. die Ausgabe des Cantars durch Alberto Montaner Frutos (siehe Bibliografie)

Literatur

  • Alberto Montaner Frutos (Hrsg.): Cantar de Mio Cid, Crítica, Barcelona, 2000 ISBN 84-8432-121-5, ISBN 978-84-8432-121-7
  • Alan Deyermond: El «Cantar de mio Cid» y la épica medieval española, Barcelona, Sirmio, 1987, ISBN 84-7769-004-9
  • Alan Deyermond: Historia de la literatura española. I: La Edad Media, Barcelona, Ariel, 1994, ISBN 84-344-8305-X
  • Diccionario de literatura española e hispanoamericana (dir. Ricardo Gullón): Madrid, Alianza, 1993, ISBN 84-206-5292-X
  • María Eugenia Lacarra: El «Poema del Mio Cid». Realidad histórica e ideología. Madrid, Porrúa Turanzas, 1980.
  • La Corónica, 33.2, primavera de 2005.
  • Ramón Menéndez Pidal: En torno al «Poema del Cid». Barcelona, EDHASA, 1963.
  • Colin Smith: La creación del «Poema del Mio Cid». Barcelona, Crítica, 1985.

Weblinks


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