Hamida Barmaki

Hamida Barmaki
Prof. Hamida Barmaki (2008)

Hamida Barmaki (* 4. Januar 1970; † 28. Januar 2011 in Kabul) war eine afghanische Juraprofessorin, Menschenrechtsaktivistin und Politikerin. Sie wurde durch einen Anschlag mit ihrer gesamten Familie getötet.[1]

Inhaltsverzeichnis

Akademische Laufbahn

Hamida Barmaki wurde am 4. Januar 1970 in Kabul geboren. Nach dem Besuch der Ariana High School in Kabul (1977–1987) studierte sie Jura an der Fakultät für Rechts- und Politikwissenschaften der Universität Kabul. Ihre Leistungen ermöglichten ihr als eine der ersten Frauen in Afghanistan eine Karriere im Justizdienst. Um die juristische Praxis kennenzulernen, absolvierte sie die "Stage" genannte Ausbildung der Afghanischen Generalstaatsanwaltschaft (1990–1991). Anschließend wurde sie zur Juraprofessorin an die Kabuler Universität berufen und lehrte dort von 1992 bis 2011.

Ihr wissenschaftlicher Schwerpunkt lag im Zivilrecht. Sie gehörte zu den wenigen afghanischen Gelehrten, die eingehende Kenntnisse der islamischen und der westlich-kontinentalen Rechtstradition haben, auf denen das hybride afghanische Rechtssystem basiert. Ihre wissenschaftliche Qualifikationsschrift handelte von der „Interpretation von Statuten“ (Universität Kabul, 2002, in Dari). Ihre Magisterarbeit an der Universität Bologna aus dem Jahr 2004 blieb unveröffentlicht. Hamida Barmaki veröffentlichte zahlreiche Zeitschriftenaufsätze und Bücher. Ihr letztes unvollendetes Werk, ein umfassender Band über das Schuldrecht, werden Kollegen vollenden. Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL) in Heidelberg wird das Werk postum herausgeben.

Hamida Barmakis akademische Arbeit war gekennzeichnet von einer tiefgründigen Kenntnis des komplexen afghanischen Rechtssystems. Um diese Kenntnisse zu erlangen und anzuwenden, setzte sie nicht nur die klassischen Methoden der Auslegung des islamischen und säkularen Rechts ein, sondern untersuchte die rechtlichen Probleme auch aus vergleichender Perspektive, um so Ideen zur Lösung rechtlicher Probleme aus anderen Rechtsordnungen zu gewinnen. Dazu studierte sie die notwendige Literatur auf Dari, Englisch und Arabisch.

Neben ihrem Abschluss von der Universität Kabul erwarb Barmaki an der Universität Bologna einen Master in Development, Innovation and Change.[2] Im Dezember 2010 erhielt sie ein Promotionsstipendium vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg.

Das bevorstehende, historisch erste LL.M.-Programm der Universität Kabul wird in der Fakultät für Rechts- und Politikwissenschaften als Hamida Barmakis Erbe angesehen. Sie betrachtete dieses Programm als eine einmalige Chance für die Entwicklung einer Elite von herausragenden Juristen.

Einsatz als Menschenrechtlerin

Neben ihrer akademischen Laufbahn engagierte sich Hamida Barmaki in jungen Jahren für Menschenrechte. Als Moderatorin bei Radio Television Afghanistan (1985–1987) setzte sie sich für Frauenrechte ein. Während des Bürgerkriegs schrieb sie einen Artikel mit dem Titel „Die Rolle der Frauen beim sozialen Wiederaufbau Afghanistans“ (publiziert in „Afghanistan-i-Fardah“, Dari, 1993). Seit dieser Zeit verknüpfte sie ihre akademische Arbeit mit dem gewaltlosen Kampf für die Rechte der Schwachen in der afghanischen Gesellschaft. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes bekleidete sie mehrere öffentliche Ämter, u.a. als Mitglied im Frauenrat der Universität Kabul, als Repräsentantin in der Außerordentlichen Loya Jirga (2002) sowie der Friedens-Jirga (2009). Sie gründete die Menschenrechtsorganisation „Khorasan Legal Service Organization“ KLSO (2009). Diese hatte vorwiegend das Ziel, das Bewusstsein der Bürger für ihre Rechte zu schärfen und besonders Frauen sowie Randgruppen in der Gesellschaft unentgeltlichen rechtlichen Beistand anzubieten.[3] Im selben Jahr wurde sie im Präsidentenpalast als eine mögliche Kandidatin für den Ministerposten im afghanischen Ministerium für Frauenangelegenheiten genannt.

Von März 2008 bis zu ihrem Tod arbeitete Hamida Barmaki als Vertreterin des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Afghanistan, um die Justizinstitutionen und Universitäten zu unterstützen.[4] Zusammen mit einer afghanisch-deutschen Gruppe von Wissenschaftlern initiierte und realisierte sie zahlreiche Projekte zur Stärkung der Justizinstitutionen, besonders des Obersten Gerichtshofes von Afghanistan, zur Entwicklung einer juristischen Wissenschaftskultur auf internationalem Niveau und zur Verbesserung der bestehenden Gesetzgebung.[5]

Weiterhin war sie Projektkoordinatorin für das Institut International Pour Les Études Comparatives (IIPEC)[6], Leiterin der Rechts- und Politikwissenschaftsabteilung des National Center for Policy Research und der Universität Kabul[7] (2006–2008), Rechtsberaterin der Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU) (2006), Direktorin des Womens Rights Awareness Programm der Asia Foundation[8] (2004), Programmleiterin des Afghan Women Lawyer´s Council (2003–2004), Mitglied der Gender and Law Commission (UNIFEM) (2003–2004) und stellvertretende Dekanin der Fakultät für Rechts- und Politikwissenschaften an der Universität Kabul (2002).

Kommissarin für Kinderrechte bei der AIHRC

2009 wurde Hamida Barmaki zur Kommissarin für Kinderrechte bei der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission (AIHRC) ernannt. Damit fand sie nicht nur landesweite, sondern internationale Anerkennung. Hamida Barmaki sorgte sich um Kinder im kriegsgeprägten Afghanistan und reiste selber in die Provinzen, um die AIHR-Fälle zu untersuchen. Sie zögerte nicht, die eigene Regierung zu kritisieren.[9] Ein Ergebnis ihrer Arbeit ist eine Studie über die ansteigende Anzahl von Kindesmissbrauch.[10][11] Unmittelbar nach der Veröffentlichung initiierte Hamida Barmaki ein gemeinsames Frauen- und Kinderrechtsseminar des Max-Planck-Instituts für Völkerrecht und der AIHRC. Ihr Kampf gegen die Beschäftigung von Minderjährigen bei der afghanischen Polizei und gegen den sexuellen Kindesmissbrauch (Bacha Bazi) durch Militärangehörige begann Wirkung zu entfalten.[12] Ferner setzte sich für den Schutz von minderjährigen Mädchen ein und verurteilte die Kinderheirat, wozu eine Vereinbarung mit dem Obersten Gericht einen Tag nach ihrem Tod unterzeichnet wurde.

Hamida Barmaki bezog klare Position in der Diskussion über die Relevanz des Gewohnheitsrechts im afghanischen Justizsystem. Sie befürwortete ein modernes Gerichtswesen nach westlichem Muster, wie es schon vor dem Afghanischen Bürgerkrieg geherrscht hatte. Sie lehnte Vorschläge zur Legalisierung der traditionellen Institutionen und Formen der Konfliktlösung ab wie etwa die Paschtunen-Jirgas, die Menschen-, Frauen- sowie Kinderrechte weitgehend ignorieren.

Tod und Gedenken

Am Freitag, 28. Januar 2011, wurden Hamida Barmaki, ihr Ehemann Massoud Yama (* 1965) – ein Arzt am Sardar-Mohammad-Daoud-Khan-Krankenhaus und Mitarbeiter des Finanzministeriums – und ihre vier Kinder Narwan Dunia (* 1997), Wira Sahar (* 1998), Marghana Nila (* 2000) und Ahmad Belal (* 2007) mit einen Anschlag im „Finest“-Supermarkt in Kabul ermordet. Zuvor hatte die Menschenrechtsaktivistin Morddrohungen erhalten[13]. Die Familie hatte im Supermarkt eingekauft, um den Geburtstag ihrer ältesten Tochter Narwan Dunia zu feiern.

Zwei weitere Personen starben ebenfalls bei dem Anschlag, siebzehn weitere wurden verletzt.[14] Hizb-i Islāmi sowie die Taliban übernahmen die Verantwortung für den Anschlag. Offen ist, ob die Attentäter nicht auch zum Haqqani-Netzwerk oder einer anderen terroristischen Vereinigung gehört haben. Es wurde vermutet, dass die Mörder ursprünglich geplant hatten, einen hochrangigen Politiker zu töten und dass sie, nachdem dieser erste Plan gescheitert war, den Supermarkt als Anschlagsziel ausgewählt hatten. Mehrere Faktoren sprechen jedoch gegen diese These: Unter den acht Todesopfern des Angriffes sind neben Hamida Barmaki ihr Ehemann, alle ihre Kinder und eine ihrer Studentinnen. Der Attentäter ging bewußt gegen Hamida Barmakis Familie vor. Wie die Schwiegermutter der Juraprofessorin bestätigt, ergab die Rekonstruktion des Anschlages, dass der Attentäter die flüchtenden Kinder mit Kopfschüssen tötete[15]. Erst nachdem die gesamte Familie ausgelöscht war, sprengte sich der Angreifer selbst in die Luft. An ersten Medienberichten, wonach die Familie durch Zufall Opfer eines Selbstmordanschlages auf den von westlichen Kunden frequentierten Supermarktes geworden sei, zweifeln besonders die Familien der Opfer [16]. Unbequeme KritikerInnen werden in Kabul häufige Opfer von gezielten Anschlägen.

In Afghanistan hinterlässt Hamida Barmaki ihre Eltern Rahimuddin und Anissa und ihre Schwiegermutter, Mahbooba Huqoqmal, eine Senatorin, Juraprofessorin und Mitglied der Afghanischen Verfassungskontrollkommission (gem. Art. 157 AC) [17]. Etwa zweitausend Freunde und Kollegen kamen zur Beerdigung am 29. Januar 2011.

Am nächsten Tag gedachten zehntausend Menschen der Verstorbenen in der großen 'Id-Gah-Moschee in Kabul. Die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (AIHRC) organisierte am 1. Februar 2011 eine weitere Gedenkfeier.[18] In Erinnerung an Hamida Barmaki will die Fakultät für Rechts- und Politikwissenschaften der Universität Kabul, gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für Völkerrecht, eine Bibliothek mit dem Namen „Professor-Hamida-Barmaki-Bibliothek für vergleichendes und internationales Recht“ einrichten. Des Weiteren planen beide Institutionen den Bau einer Gedenkstätte auf dem Campus der Kabuler Universität.[19]

Publikationen (Auswahl)

  • 2008 – „Schuldrecht“ (Lehrbuch, Universität Kabul)
  • 2007/2008 – „Ursachen für politische Instabilität und mögliche Optionen für ihre Verbesserung in Afghanistan“ (National Center for Policy Research, Universität Kabul)
  • 2007 – „Politische Frauenrechte im Islam“ (Zeitschriftenartikel, veröffentlicht im „Huquq“-Magazin der Fakultät für Rechts- und Politikwissenschaften)
  • 2006 – „Frauenrechte im Islam und in Afghanistans Statuten“ (Broschüre, Asia Foundation, Kabul)
  • 2006 – „Reba und die Gründe ihrer Verhinderung“ (Zeitschriftenartikel, veröffentlicht im „Adalaat“ Magazin des Justizministeriums)
  • 2005 – „Die Rolle der Frau beim Wiederaufbau Afghanistans, Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt, Status im Exil und Entwicklung von ICT“ (Masterarbeit, Universität Bologna, Italien)
  • 2006 – „Individuelle Verträge“ (Zeitschriftenartikel, veröffentlicht im „Huquq“ Magazin der Fakultät für Rechts- und Politikwissenschaften)
  • 2004 – „Gewalt gegen Frauen“ (Zeitschriftenartikel, veröffentlicht im „Human Rights Magazine“, Kabul)
  • 2004 – „Politische Idiome der Verfassung und das Bonner Abkommen“ (National Center for Policy Research, Kabul University)
  • 2004 – „Polygamie“ (Zeitschriftenartikel, veröffentlicht im „Human Rights Magazine“, Kabul)
  • 2004 – „Die politischen Rechte der afghanischen Frauen“ (Zeitschriftenartikel, veröffentlicht im „Human Rights Magazine“, Kabul)
  • 2003 – „Friedliche Ansätze zur Konfliktlösung“ (Zeitschriftenartikel, veröffentlicht im „ICRC Magazine“, Kabul)
  • 2002 – „Interpretation der Statuten“ (Abschlussarbeit veröffentlicht durch die Universität Kabul)
  • 1993 – „Die Rolle der Frau beim sozialen Wiederaufbau Afghanistans“ (Artikel veröffentlicht in der Broschüre „Afghanistan-i-Fardah“)
  • 1991 – „Raub in der kriminologischen Ermittlung“ (wissenschaftliche Abhandlung, Universität Kabul)

Einzelnachweise

  1. UNICEF (29. Januar 2011): UNICEF Afghanistan mourns the death of Hamida Barmaki. Abgerufen am 5. Februar 2011.
  2. http://bologna.repubblica.it/cronaca/2011/02/01/news/addio_hamida_di_uccisa_a_kabul_dopo_un_anno_all_alma_mater-11905567
  3. KLSO wurde u.a. vom National Endowment for Democracy finanziert. http://www.ned.org/where-we-work/middle-east-and-northern-africa/afghanistan
  4. http://www.mpil.de/red/afghanistan
  5. http://www.mpil.de/ww/en/pub/research/details/content19953.cfm
  6. http://www.iipec.eu
  7. http://www.ncpr.af/
  8. http://asiafoundation.org/
  9. http://www.ww4report.com/node/8161
  10. http://www.pajhwok.com/en/2010/11/22/child-sexual-abuse-cases-increased-afghanistan
  11. http://www.rferl.org/content/Outrage_NATO_Kabul_Childrens_Fears/2228600.html
  12. http://www.nytimes.com/2011/01/30/world/asia/30kabul.html?_r=3
  13. http://www.cbc.ca/thenational/indepthanalysis/story/2011/03/16/national-afghanistan2011.html
  14. http://www.nytimes.com/2011/01/30/world/asia/30kabul.html?_r=3
  15. http://www.cbc.ca/thenational/indepthanalysis/story/2011/03/16/national-afghanistan2011.html
  16. http://www.cbc.ca/thenational/indepthanalysis/story/2011/03/16/national-afghanistan2011.html
  17. http://www.afghan-bios.info/tinc?key=2vB1wwzV&session_currentpage=data&session_mode=guest&formname=afghan_bios&session_sortby=field_3&userid=1295591172;506009;8&session_nextpage=data_edit&session_offset=50&session_start=651&session_dbkey=1255441434;805599;895_afghan_bios&dbkey=1255441434;805599;895_afghan_bios
  18. http://lauralean.wordpress.com/2011/02/01/condolence-ceremony
  19. http://www.mpil.de/ww/en/pub/research/details/content19953.cfm

Weblinks


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