Bahnhof Gerstungen

Bahnhof Gerstungen
Bahnhof Gerstungen
Empfangsgebäude
Das Empfangsgebäude
Daten
Kategorie 6
Betriebsart Trennungsbahnhof
Abkürzung UGT
Eröffnung 1849
Profil auf Bahnhof.de Nr. 2105
Lage
Ort Gerstungen
Land Thüringen
Staat Deutschland
Koordinaten 50° 57′ 53,8″ N, 10° 3′ 55,4″ O50.96494766182510.065386295319Koordinaten: 50° 57′ 53,8″ N, 10° 3′ 55,4″ O
Eisenbahnstrecken
Bahnhöfe in Thüringen

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Der Bahnhof Gerstungen liegt in der gleichnamigen Gemeinde an der Westgrenze Thüringens. Besondere Bedeutung erlangte der Bahnhof mehrfach in seiner Geschichte als Grenzbahnhof zwischen verschiedenen Staaten und Bahnverwaltungen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Lageplan der Gerstunger Bahnanlagen um 1860

Im September 1849 erhielt Gerstungen Eisenbahnanschluss. Am 25. September eröffnete die Thüringer Bahn das letzte Teilstücks ihrer „Stammbahn“ von Eisenach nach Gerstungen, drei Tage vorher hatte die Friedrich-Wilhelms-Nordbahn ihre Strecke von Bebra nach Gerstungen in Betrieb genommen.

Die Thüringer Bahn endete im Thüringer Bahnhof, die Friedrich-Wilhelms-Nordbahn im Hessischen Bahnhof. Diese beiden Bahnhöfe, welche kaum 100 Meter voneinander entfernt lagen, verband ein durchgehender Schienenstrang, aber staatsrechtliche Verträge verhinderten den uneingeschränkten Bahnverkehr. Reisende mussten umsteigen oder waren sogar gezwungen, ein Quartier in Gerstungen zu suchen. In Bahnhofsnähe entstanden Herbergen und eine stark frequentierte Gastronomie. Der Frachtverkehr war gleichfalls von diesem Separatismus betroffenen. Güterwagen mussten in Gerstungen umgeladen werden, es kam zu unnötigem Zeitverlust und oft auch zu Beschädigungen. Der Fuhrpark der Bahngesellschaften sollte nicht vermischt werden. Lediglich Militärtransporte und Sonderzüge erhielten Ausnahmegenehmigungen. Da der Traktionswechsel und das Umladen sehr viel Personal erforderte, siedelten sich in Bahnhofsnähe zahlreiche Bahnarbeiter an, so dass sich die Einwohnerzahl Gerstungens durch Bahnpersonal und ihre Familien um über 500 Personen erhöhte.

Mit der Reichsgründung 1871 erhielt die Preußische Staatsbahn den Auftrag, für eine Vereinheitlichung der Schienennetze im Reich zu sorgen. Dies führte rasch zur Überwindung der Kleinstaatlichkeit auf dem Schienennetz.[1] 1882 wurden beide Bahngesellschaften durch die Preußische Staatsbahn aufgekauft, der Hessische Bahnhof wurde geschlossen. Eine besondere betriebliche Bedeutung erlangte Gerstungen 1898 als Hauptrangierbahnhof zwischen Kassel und Weißenfels. Seit der Eröffnung der Strecke Gerstungen–Berka am 1. Oktober 1903, die bis 1905 schrittweise nach Vacha verlängert wurde, ist der Bahnhof Gerstungen ein Trennungsbahnhof. Während des Zweiten Weltkrieges wurde der Bahnhof als strategisches Ziel erfasst und 1944 bombardiert, hierbei wurden auch angrenzende Wohnhäuser getroffen und mehrere Bewohner wurden getötet. Auch fahrende Züge wurden im Abschnitt Gerstungen-Eisenach aus der Luft angegriffen.[1]

Grenzbahnhof

Der Wasserturm des Bahnhofs

Der Bahnhof Gerstungen wurde nach 1945 stark von der Deutschen Teilung zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland betroffen. Dies betraf zunächst zahlreiche Kriegsheimkehrer und Flüchtlinge, die über Herleshausen und Bebra in Sammellager überstellt wurden. Bereits während der US-amerikanischen Besatzungszeit in Thüringen florierte der Schmuggel, in den 1950er Jahren wurden die grenznahen Orte bei Eisenach durch ihre verkehrsgünstige Lage zur Drehscheibe von Fluchthelfern und Menschenhändlern. Entsprechend scharf wurde deshalb der Bahnverkehr in die westlichen Nachbarorte von Eisenach überprüft. Personenzüge nach Gerstungen wurden am Bahnhof Wartha verschlossen, um das Abspringen im hessischen Gebiet um den Bahnhof Herleshausen zu verhindern. 1952 wurde der Personenverkehr nach Eisenach eingestellt. Es wurden ersatzweise Buslinien für die Personenbeförderung nach Gerstungen eingerichtet. Die Gleisanlagen dienten dem Güterverkehr (insbesondere Kalibergbau) und durchfahrenden Interzonenzügen, deren Grenzabfertigung auf DDR-Seite bereits im Bahnhof Wartha stattfand. Von und nach West-Berlin verkehrende Militärzüge der Besatzungsmächte passierten den Bahnhof ohne Kontrollen.

Am 13. April 1962 wurde eine Strecke von Förtha nach Gerstungen eingeweiht, die das bundesdeutsche Gebiet um Herleshausen umging. Der Binnenverkehr von Gerstungen in Richtung Eisenach wurde wieder aufgenommen. Ab 28. September 1963 wurde die Grenzabfertigung der Interzonenzüge von Wartha nach Gerstungen verlegt, die Züge nutzten seitdem die neue Strecke.[2] Die alte Strecke über Wartha wurde nur noch im geringen Umfang vom Güterverkehr genutzt. Von 1963 bis 1978 verkehrte planmäßig ein Güterzugpaar am Tag über die alte Strecke, er diente der Versorgung der Grenzorte mit Brennstoffen und Industriegütern.[3] In Gerstungen befand sich eine der größten Ziegeleien in Thüringen, welche für den Wiederaufbau nach dem Krieg unentbehrlich war.

Der Grenzbahnhof Gerstungen wurde erheblich umgebaut. 1966/67 war auf der Nordseite des Bahnhofs ein separater Bahnhofsteil für die Abfertigung der Interzonenzüge eingerichtet worden. Der alte Bahnhofsteil wurde zum Kopfbahnhof umgestaltet und diente den Personenzügen nach Eisenach. Beide Bahnhofsteile waren über einen 150 Meter langen Tunnel verbunden. Zwischen beiden Teilen befanden sich umfangreiche Anlagen für den Güterverkehr. Eine Besonderheit waren Kalizüge, die aus dem Raum Philippsthal und Heringen in Hessen kamen und mangels einer direkten Strecke zum Restnetz der Deutschen Bundesbahn über die Bahnstrecke Gerstungen–Vacha in die DDR fuhren und in Gerstungen Fahrtrichtungswechsel machten, bevor sie in Richtung Bebra zurück in die Bundesrepublik fuhren.[2] Eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen, etwa Schutzweichen, verhinderten das Betreten der Züge durch Unbefugte oder die Fahrt von Zügen in Richtung Bundesrepublik ohne Genehmigung durch die Grenzbehörden.[4] Anders als an den meisten anderen Grenzbahnhöfen zwischen der DDR und der Bundesrepublik war kein Übergang zwischen Interzonenzügen und Binnenverkehrszügen möglich, Ein- und Aussteigen war bei den Interzonenzügen generell nicht gestattet. Während in früheren DR-Auslandskursbüchern gesondert auf diesen Fakt hingewiesen wurde,[5] wurde in späteren Jahren der Halt im Bahnhof gar nicht mehr dargestellt.[6]

Todesfälle bei Grenzkontrollen

Die Gerstunger Pfarrei registrierte und beurkundete nach Personenstandsgesetz fünf Todesfälle – drei Bundesbürger, ein Gerstunger Bürger und ein weiterer DDR-Bürger, welche durch stressbedingtes Herzversagen während der Grenzkontrollen oder bei Verhören im Bahnhofsbereich verstarben. [7]

Nach dem Mauerfall

Nach dem Mauerfall verlor Gerstungen schrittweise seine Funktion als Grenzkontrollbahnhof. In die in Gerstungen haltenden Schnellzüge durfte ein- und ausgestiegen werden, das Zugangebot über die Grenze nahm deutlich zu. Am 3. März 1990 reiste Willy Brandt mit dem D 455 nach Thüringen und sprach bei einem Zwischenhalt auf dem Gerstunger Bahnhof vor zahlreichen Einwohnern. Zu diesem Zweck war auf dem Bahnsteig eine kleine Rednertribüne aufgebaut worden.[8]

Im September 1990 entfielen die Halte der Schnellzüge in Gerstungen. 1991 verlängerte die Deutsche Bundesbahn ihre Nahverkehrszüge aus Bebra, die bis dahin im hessischen Obersuhl endeten, nach Gerstungen. In Richtung Eisenach musste allerdings bis 1992 meistens weiterhin umgestiegen werden, da es noch keine Gleisverbindung vom ursprünglichen Bahnhofsteil in Richtung Hessen gab und die Züge den alten Grenzbahnhof nutzen mussten. Im Mai 1991 ging die traditionelle Strecke der Thüringer Bahn über Wartha nach 13 Jahren Betriebsruhe wieder zunächst eingleisig in Betrieb. Bis zu ihrer zweigleisigen Fertigstellung am 27. September 1992 nutzten die Nahverkehrszüge noch die Umgehungsstrecke über Förtha. Diese wurde danach nicht mehr benötigt. Am 19. Juli 1994 genehmigte das Eisenbahn-Bundesamt die Stilllegung der Strecke,[9] die in den folgenden Jahren abgebaut wurde.

Am 28. Mai 1995 wurde der elektrische Betrieb zwischen Bebra und Neudietendorf und damit auch im Bahnhof Gerstungen aufgenommen. Am 16. Juni 1996 nahm das elektronische Stellwerk Eisenach seinen vollen Betrieb auf. Von dort wird seitdem der gesamte Abschnitte zwischen Gerstungen und Gotha gesteuert, die örtlichen Stellwerke gingen außer Betrieb. Im Werratalmuseum Gerstungen wurde ein eigener Ausstellungsraum zur Geschichte des Gerstunger Bahnhofs eingerichtet. Gezeigt werden historische Eisenbahntechnik und zahlreiche Bilddokumente.

Heutige Situation

2010 bedient die Cantus-Bahn auf ihrer Linie R6 (Bebra–Gerstungen–Eisenach) Gerstungen im Stundentakt. Die Strecke Gerstungen–Vacha dient ausschließlich dem Güterverkehr.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Gerd Bergmann, Otto Mayer: Die Eisenbahn im Wartburgland. Die Thüringer Eisenbahn. Preußens Eisenbahnpolitik bis zur Jahrhundertwende. In: Eisenacher Tourismus Information (Hrsg.): Eisenacher Schriften zur Heimatkunde. Heft 35, Druck- und Verlagshaus Frisch, Eisenach 1987, S. 6–22.
  2. a b Bernd Kuhlmann, Züge durch Mauer und Stacheldraht, S. 30–33, GVE-Verlag 1998, ISBN 3-89218-050-4
  3. Jürgen Gruhle: Ohne Gott und Sonnenschein.. Band 3. (Altkreise Eisenach, Heiligenstadt und Mühlhausen), Selbstverlag, Nauendorf 2002, ISBN 3-8311-3801-X.
  4. Schikanen für Züge und Reisende. In: Süderländer Tageblatt. Ausgabe vom 17. Juni 2009, Plettenberg 2009, S. 4 - Lokalausgabe Plettenberg.
  5. Deutsche Reichsbahn, Auslandskursbuch Winter 1971/72
  6. Deutsche Reichsbahn, Auslandskursbuch 1984/85
  7. Alfred Hüttner: Bilder vom Trassenbau 1961. In: Verwaltungsgemeinschaft Gerstungen (Hrsg.): Neue Werrazeitung Gerstungen. 4 JG, Nummer 20, Inform Verlag Langewiesen, Gerstungen 1996, S. 13.
  8. Karlheinz Schmedding: Am 3. März 1990 sprach Willy Brandt auf dem ehemaligen Grenzbahnhof Gerstungen. In: Paul-Joseph Raue (Hrsg.): Heimatblätter zur Geschichte, Kultur und Natur. Bd. 3, J.A. Koch, Druckerei und Verlag, Marburg 1993, ISBN 3-924269-95-5, S. 125-126.
  9. Liste des Eisenbahn-Bundesamtes, digitalisiert

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