Arbeitserziehungs- und Zigeuneranhaltelager St. Pantaleon-Weyer

Arbeitserziehungs- und Zigeuneranhaltelager St. Pantaleon-Weyer

Das Arbeitserziehungs- und Zigeuneranhaltelager St. Pantaleon-Weyer ist ein ehemaliges nationalsozialistisches Arbeitserziehungslager auf dem Gemeindegebiet von Sankt Pantaleon in Oberösterreich. Nach der Auflösung des Arbeitserziehungslagers wurde das Lager als "Zigeuneranhaltelager" benutzt.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Das Arbeitserziehungslager

Das Arbeitserziehungslager existierte vom 5. Juli 1940 bis ca. 7. Jänner 1941. Vom 7. Juli 1940 bis etwa Ende August 1940 war das Lager im Gasthaus Göschl in Moosach, Gemeinde St. Georgen, untergebracht. Danach wurde vom Ortsgruppenleiter, dem Gast- und Landwirt Michael Kaltenegger, dem Gaufürsorgeverband, der der formelle Betreiber des Lagers war, das Anwesen des Gastwirtes Geratsdorfer in Weyer zur Unterverpachtung gegeben. Er selbst hatte es von dem sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindlichen Wirt gepachtet.[1] Die Häftlinge wurden bei der Regulierung der Moosach eingesetzt. [2]

In einem Schreiben des Gauleiters Eigruber vom 31. Mai 1940[3] und des NS-Beauftragten für Arbeitserziehung Kubinger vom 10. September 1941[1]an alle Bürgermeister des Gaus Oberdonau wird der Zweck folgendermaßen beschrieben:

„Eingeliefert können solche Volksgenossen werden, die die Arbeit grundsätzlich verweigern, die dauernd blaumachen, am Arbeitsplatz fortwährend Unruhe stiften oder solche, die überhaupt jede Annahme einer Arbeit ablehnen, obwohl sie körperlich dazu geeignet sind. Sie müssen aber alle das 18. Lebensjahr erreicht haben. Auch asoziale Betriebsführer sind inbegriffen. Nur Fälle krimineller Natur können hieramts nicht behandelt werden. Und Schwerinvalide, weil schwere körperliche Arbeit geleistet werden muß.“[4]

Diese Vorgaben führten dazu, dass unliebsame Personen in das Lager gebracht wurden. So wurde Karl Gumpelmaier aus Mauthausen in das Lager gebracht, weil er sich als Geschäftsführer eines großen holzverarbeitenden Betriebes geweigert hatte eine DAF-Fahne anzukaufen. Die beiden Jugendlichen Oskar Heinrich und Heinrich Müller weigerten sich, am Betriebssport in der Papierfabrik Steyrermühl teilzunehmen und wurden als asozial nach Weyer gebracht (gegen die Bestimmungen, da sie noch nicht das 18. Lebensjahr erreicht hatten). Viele Fälle beweisen, dass oft Rechnungen beglichen wurden und nicht nur „Asoziale“ eingeliefert wurden. [1]

Die Eingewiesenen wurden erst bei der Ankunft im Lager über die Gründe ihrer Inhaftierung informiert. Rechtsmittel gab es keine und bei der Ankunft kam es zur Gewaltanwendung durch den Lagerführer August Steininger.[5] Die sogenannte Erziehung oblag dem Lagerpersonal, das aus der SA-Standarte 159 aus Braunau gebildet wurde und der der Lagerkommandant und das Wachpersonal angehörte. Die SA wurde mit Fortdauer des Lagers immer gewalttätiger, da sie erkennen konnten, dass brutales Verhalten keinerlei Folgen hatte.[1]

Erster Lagertoter war Johann Gabauer aus Julbach, der lebensgefährlich verletzt neben seinen Arbeitskollegen liegen gelassen wurde. Zahlreiche Schwerverletzte wurden in die umliegenden Krankenhäuser eingeliefert. Aus einer Krankengeschichte:

„Es wurden am ganzen Körper Striemen vorgefunden. E. kam im Spital vorübergehend zu Bewußtsein und erzählte, er sei wiederholt ins Wasser geworfen worden. Er starb am 4. September 1940. Der leitende Arzt veranlaßte die Leichenöffnung, bei der über den ganzen Rücken ausgebreitete, oberflächliche, blutige Epitheldefekte, besonders an den vorspringenden Teilen des Rückens sowie am Hinterkopf und Oberarm festgestellt wurden. Sie stellen offenbar die Folge der Mißhandlungen dar.“[6]

Nach dem Tod des aus Neukirchen stammenden Josef Mayer sah der Lagerarzt Alois Staufer die Möglichkeit, aus der Verstrickung herauszukommen, in die er durch Ausstellung unverfänglicher Totenscheine für Lageropfer gekommen war und er schickte eine Sachverhaltsdarstellung an das Amtsgericht Wildshut. [7] Damit begann ein eineinhalbjäriger Kampf um die Anklageerhebung gegen Aufseher und Lagerleitung, aber auch gegen NS-Größen wie Franz Kubinger und den Gauinspektor Stefan Schachermayer. Als Anklagepunkte, die vom Justizministerium in Berlin genehmigt wurden, waren vorgesehen:

  • Totschläge
  • schwere Misshandlungen
  • Einweisung von unter 18jährigen
  • Einweisung von Personen, die nicht als arbeitsunwillig bezeichnet werden konnten

Angesichts des drohenden Verfahrens wurde Anfang Jänner 1941 das Arbeitserziehungslager Weyer geschlossen, einige Häftlinge gegen Schweigegelübde entlassen und andere in ein Konzentrationslager überstellt.[1]

Die Bemühungen der Gauleitung um Niederschlagung des Verfahrens waren von Erfolg gekrönt. Am 16. April 1942 wurde das Verfahren gegen insgesamt fünf Angeklagte mit Ermächtigung Hitlers niedergeschlagen.[1]

Das Zigeuneranhaltelager

Nach der überstürzten Auflösung des Arbeitserziehungslager internierte der Gau in Weyer ab 19. Jänner 1941 mehr als 350 österreichische Sinti und einige Roma. Das Lager wurde, ebenso wie das ungefähr zeitgleich in Lackenbach im Burgenland errichtete Lager, als Zigeuneranhaltelager bezeichnet. Das Lagerpersonal wurde ausgewechselt, ein Gendarmeriemeister und zehn Polizeireservisten bildeten das Aufsichtspersonal, ein Kripobeamter aus Linz wurde Lagerleiter. Der SA-Sturmführer Gottfried Hamberger blieb Verwalter.[1]

In St. Pantaleon sollten sie die Entwässerungs- und Regulierungsarbeiten fortsetzen, doch waren mehr als die Hälfte der Inhaftierten Frauen und Kinder. Während im Arbeitserziehungslager der Tod noch durch den Lagerarzt dem Standesbeamten gemeldet wurde, machte das jetzt der Lagerführer bzw. der Verwalter. Die angeführten Todesursachen sind äußerst merkwürdig (Lebensschwäche und Herzkollaps bei Kindern, Herzfleischentartung bei einer älteren Frau). Die toten Sinti wurden nach übereinstimmenden Aussagen von Zeitzeugen zunächst im Totengräberkammerl des Friedhofs Haigermoos zwischen Kannen und Schaufeln hinterlegt und nachts ohne erkennbares Grab eingescharrt.[8]

Am 4. November 1941 wurde das Lager aufgelöst, die Insassen wurden in Viehwaggons verladen und nach einem dreitägigen Zwischenaufenthalt in Lackenbach mit 4.700 anderen ins Zigeunerlager des Ghettos Litzmannstadt gebracht. Von dort kehrte keiner zurück.

Nachwirkungen

Nach dem Krieg kam es 1948 zu einem Volksgerichtsverfahren gegen die Verantwortlichen, jedoch erstreckte sich das Verfahren wegen Flucht von zwei Hauptangeklagten bis 1952. Die Verfahren endeten mit Schuldsprüchen, die Strafen lagen zwischen 15 Monaten und 15 Jahren. Das Verfahren gegen den Lagerleiter August Steininger endete 1952 mit zwei Jahren und sechs Monaten Haft. Das "Zigeuneranhaltelager" wurde in den Volksgerichtsprozessen nach 1945 nicht einmal erwähnt. Selbst im Prozess gegen Gottfried Hamberger, der auch in diesem Lager Verwalter war, wurde das Lager II nicht erwähnt. Bereits im April 1955 waren aber alle Verurteilten wieder frei, als der letzte Verurteilte auf Grund der Amnestie zum 10-jährigen Bestehen der 2. Republik frei gelassen wurde. Wie in Österreich weit verbreitet, buhlten die Parteien nach 1945 um die Gunst der ehemaligen Nationalsozialisten, und ab 1950 fanden sie in der Gemeindepolitik oft wieder einen Platz.[1]

Wie in vielen anderen Gemeinden fällt auf, dass dieser Teil der Geschichte verdrängt wird. So gab die Gemeinde 1979 aus Anlass des Jubiläums „Innviertel bei Österreich“ eine Gemeindechronik heraus, in der aber nur von den Gefallenen des Weltkrieges geschrieben wird.[2] Erst Ende der 1980er Jahre begann man sich mit der Geschichte des Lagers zu beschäftigen und der Schriftsteller Ludwig Laher, der in St. Pantaleon wohnt, und der in St. Georgen geborene Historiker Dr. Andreas Maislinger ergriffen die Initiative und im Jahr 2000 wurde an der Moosach eine Gedenkstätte an das Lager errichtet, die der Bildhauer Dieter Schmidt aus Fridolfing gestaltete. Die Gedenkstätte wird von der Gemeinde St. Pantaleon und den Verein Erinnerungsstätte Lager Weyer betreut.

Bilder

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h Erinnerungsstätte Lager Weyer/Innviertel Broschüre des Vereins Erinnerungsstätte Lager Weyer, 2010.
  2. a b Andreas Maislinger - Ergänzung einer Ortschronik in:Österreich in Geschichte und Literatur mit Geographie Mai-Juni/Juli-August 1988, Heft 3/4 abgerufen am 24. Dezember 2010
  3. Verein: Erinnerungsstätte Lager Weyer abgerufen am 24. Dezember 2010
  4. Verein: Erinnerungsstätte Lager Weyer abgerufen am 24. Dezember 2010
  5. Verein: Erinnerungsstätte Lager Weyer abgerufen am 24. Dezember 2010
  6. Verein: Erinnerungsstätte Lager Weyer abgerufen am 24. Dezember 2010
  7. Verein: Erinnerungsstätte Lager Weyer abgerufen am 24. Dezember 2010
  8. Verein: Erinnerungsstätte Lager Weyer abgerufen am 24. Dezember 2010
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