Ordentliche Gerichtsbarkeit (Deutschland)

Ordentliche Gerichtsbarkeit (Deutschland)

Die ordentliche Gerichtsbarkeit (auch: Justizgerichtsbarkeit) sind alle Gerichte, denen

zugewiesen sind.

Grundsätzlich besteht die Möglichkeit für Opfer einer Straftat, ein Adhäsionsverfahren zu beantragen, bei dem im Verlauf des strafrechtlichen Verfahrens auch über ihre zivilrechtlichen Schadenersatz-Ansprüche entschieden wird. Trotz ausdrücklicher Aufforderung von Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin im Jahr 2001 wird dies aber äußerst selten angewandt.[1]

Inhaltsverzeichnis

Begriffsgeschichte

Der Begriff „ordentliche“ Gerichtsbarkeit stammt aus dem 17. Jahrhundert, in der nur Zivil- und Strafgerichte mit unabhängigen Richtern besetzt waren, die Verwaltungsgerichtsbarkeit dagegen Teil der Verwaltungsbehörden war (Verwaltungsrechtspflege) und nicht mit unabhängigen Richtern, sondern mit Beamten besetzt war (außerordentlich). Der Rechtsweg war also identisch mit dem Weg zu den ordentlichen Gerichten, weil andernfalls keine Gerichte, sondern Verwaltungsbehörden entschieden.

Diese Unterscheidung gibt es nicht mehr, da Art. 92, Art. 97 GG jede Rechtsprechung persönlich und sachlich unabhängigen Richtern zuweist. Der übliche Sprachgebrauch ist dennoch beibehalten worden, obwohl Verwaltungsgerichte heute nicht weniger „ordentlich“ sind als die ordentliche Gerichtsbarkeit.

Die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit teilen sich in die streitige (allgem. Zivilprozesse) und nichtstreitige („freiwillige Gerichtsbarkeit“) sowie die Strafgerichtsbarkeit. Die ordentliche Gerichtsbarkeit ist zudem je Zweig in spezielle Unterzweige (Abteilungen) gegliedert, so etwa im Zivilrecht in Gerichte für Familien-, Handels-, Landwirtschafts- und Schifffahrtssachen oder im Strafrecht in Gerichte für Jugendstrafsachen.

Neben der ordentlichen Gerichtsbarkeit existieren die besonderen Gerichtsbarkeiten Sozialgerichtsbarkeit, Arbeitsgerichtsbarkeit, Finanzgerichtsbarkeit oder Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. Fachgerichtsbarkeit) und Verfassungsgerichtsbarkeit.

Aufbau der Ordentlichen Gerichtsbarkeit

Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit, Legende im Bilde enthalten

Die Gerichte sind ihrem Aufbau nach oben hin geordnet

  1. Das Amtsgericht (im Strafverfahren heißen die Spruchkörper Strafrichter und Schöffengericht; im Zivilverfahren ist dies stets der Einzelrichter).
  2. Das Landgericht (im Strafverfahren ist dies die kleine oder große Strafkammer (auch Schwurgericht), im Zivilverfahren die Zivilkammer oder die Kammer für Handelssachen bzw. der Einzelrichter).
  3. Das Oberlandesgericht (im Strafverfahren der Strafsenat, im Zivilverfahren der Zivilsenat oder der Einzelrichter).
  4. In Bayern war zusätzlich das Bayerische Oberste Landesgericht eingerichtet. Es entschied in einigen Verfahrensarten an Stelle des Oberlandesgerichts, teilweise auch an Stelle des Bundesgerichtshofs (Revisionen in Zivilsachen, wenn landesrechtliche Rechtsnormen anzuwenden sind). Seit 1. Juli 2006 ist es aufgelöst.
  5. Der Bundesgerichtshof (sowohl für Straf- als auch für Zivilverfahren; Senate).

Strafrecht

Amtsgericht

Das Amtsgericht stellt die unterste Ebene der staatlichen Rechtsprechung dar. Verfahren, die auf der Ebene des Amtsgerichtes anhängig sind, haben einen relativ geringen Streitwert (Zivilrecht) oder geringe Schwere (Strafrecht). Daneben gibt es eine ausschließliche Zuständigkeit des Amtsgerichts in Familiensachen oder auch in Mietsachen, unabhängig des Streitwertes.


Das Amtsgericht hat im Strafrecht den Strafrichter und das Schöffengericht als Spruchkörper.

Zuständigkeit des Amtsgerichts in Strafsachen: (§ 24 GVG)

  • bei der öffentlichen Klage (Anklage) (maximale Freiheitsstrafe: 4 Jahre)
  • im Strafbefehlsverfahren (maximale Freiheitsstrafe: 1 Jahr auf Bewährung, wenn Verteidiger vorhanden)
  • Bußgeldverfahren
  • Privatklageverfahren
  • Strafvollstreckung in Jugendsachen
Strafrichter

Der Strafrichter ist in Strafrechtsverfahren als erstinstanzlicher Spruchkörper zuständig, wenn Vergehen angeklagt sind und nicht mehr als zwei Jahre Freiheitsstrafe zu erwarten sind (§ 25 Nr. 2 GVG). Zulässige Rechtsmittel sind die Berufung und Beschwerde zur kleinen Strafkammer und die Sprungrevision zum Strafsenat des Oberlandesgerichts.

Schöffengericht

Das Schöffengericht ist als Spruchkörper zuständig bei der Anklage von Verbrechen oder Vergehen, deren Straferwartung zwischen einem Jahr und vier Jahren liegt. Es ist mit einem Berufsrichter und zwei Schöffen besetzt. Unter besonderen Umständen kann ein zweiter Berufsrichter zugezogen werden (erweitertes Schöffengericht). In beiden Fällen ist die Berufung und Beschwerde zur kleinen Strafkammer und die Sprungrevision zum Strafsenat des Oberlandesgerichts zulässig.

Landgericht

Auf Landgerichtsebene sind die kleine und die große Strafkammer sowie die letztere als Schwurgericht als Spruchkörper vorhanden.

Kleine Strafkammer

Die Kleine Strafkammer ist ausschließlich als Berufungs- und Beschwerdeinstanz des Strafrichters und des Schöffengerichts sowie des erweiterten Schöffengerichts zuständig. Sie ist besetzt mit einem Berufsrichter und zwei Schöffen. Rechtsmittel ist die Revision zum Strafsenat des Oberlandesgerichts.

Große Strafkammer

Die Große Strafkammer ist als Erstinstanz zuständig, wenn Verbrechen angeklagt sind, bei denen zu erwarten ist, dass die verhängte Strafe vier Jahre Freiheitsstrafe übersteigen wird. Die große Strafkammer ist auch als erstinstanzliches Gericht zuständig, wenn die Staatsanwaltschaft wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit von Verletzten der Straftat, die als Zeugen in Betracht kommen, des besonderen Umfangs oder der besonderen Bedeutung des Falles Anklage beim Landgericht erhebt. Die erste Alternative soll besonders Opfer von Sexualstraftaten davor schützen, in zwei Tatsacheninstanzen als Zeugen aussagen zu müssen. Sie besteht aus zwei Schöffen und zwei oder drei Berufsrichtern, wobei zwei den Regelfall darstellen. Gegen Berufungsurteile ist als Rechtsmittel die Revision zum Strafsenat des Oberlandesgerichts, bei erstinstanziellen Entscheidungen die Beschwerde bei ebendiesem oder die Sprungrevisison zum Strafsenat des Bundesgerichtshofs zulässig.

Schwurgericht

Das Schwurgericht ist eine Variante der großen Strafkammer, bei der zwingend zwei Schöffen und drei Berufsrichter die Besetzung stellen. Zuständig ist es bei allen Delikten, die mit dem Tode eines Menschen in Zusammenhang stehen, abgesehen von der Fahrlässigen Tötung, dem Schwangerschaftsabbruch und der Tötung auf Verlangen. Zulässige Rechtsmittel sind die Beschwerde beim Strafsenat des Oberlandesgerichts und die Revision zum Strafsenat des Bundesgerichtshofs.

Oberlandesgericht

Beim Oberlandesgericht entscheidet in Strafsachen ein Strafsenat als Spruchkörper und ein Zivilsenat für Zivilsachen.

Das Oberlandesgericht in Berlin heißt Kammergericht (KG). In Bundesländern mit großer Fläche bzw. mit großer Bevölkerung existieren mehrere OLG in einem Bundesland, so in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Bayern.

Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte hat auf Grund des Instanzenzugs insbesondere Auswirkungen auf die Entscheidungen im Bereich des Miet- und Familienrechts im jeweiligen OLG-Bezirk bzw. Bundesland. Ebenso kann die strafrechtliche Rechtsprechung im Vergleich zur Rechtsprechung anderer OLG bzw. zum BGH abweichen, so etwa im Betäubungsmittel-Strafrecht hinsichtlich der Mengen.

Zivilsenat des Oberlandesgerichts

Der Zivilsenat des Oberlandesgerichts ist in bürgerlichen Streitigkeiten als erste Instanz zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, § 116.

Ansonsten ist er in bürgerlichen Streitigkeiten zuständig für die

  • Berufungen gegen Urteile des Landgerichtes,
  • Beschwerden gegen Entscheidungen des Landgerichtes,
  • Berufungen gegen Urteile der Amtsgerichte in Familiensachen
  • Beschwerden gegen Entscheidungen der Amtsgerichte in Familiensachen.

Nach Aufhebung des § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. c GVG durch das FGG-Reformgesetz ist seine Zuständigkeit für die Berufungen und Beschwerden gegen Entscheidungen der Amtsgerichte in Fällen mit Auslandsberührung entfallen.

Strafsenat des Oberlandesgerichts

Der Strafsenat des Oberlandesgerichts ist als Revisionsinstanz mit drei Berufsrichtern besetzt und als Tatsacheninstanz zunächst mit fünf Berufsrichtern besetzt, § 122 GVG.

Er ist als Revisionsinstanz gegen Urteile des Strafrichters und Schöffengerichtes (sowie deren Berufungsinstanzen) und als Beschwerdeinstanz gegen Beschlüsse der Strafkammern des Landgerichts zuständig, § 121 GVG. Daneben ist das OLG Instanz für die Rechtsbeschwerde nach § 79, § 80a OWiG als sog. "Bußgeldsenat"; dabei ist der Bußgeldsenat grundsätzlich mit einem Berufsrichter besetzt, sofern die Rechtsbeschwerde nicht auf Grund ihrer Beschwer von über 5.000 € an den Bußgeldsenat mit 3 Berufsrichtern übertragen wird.

Ferner entscheidet er gemäß § 120 GVG als erstinstanzlicher Spruchkörper und damit als Tatsacheninstanz, wenn die angeklagte Straftat das Vorbereiten eines Angriffskriegs oder ein Verbrechen des Hochverrats oder Landesverrats betrifft. Außerdem fallen beispielsweise Verbrechen nach dem § 129a StGB (Bildung einer bzw. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung) in die erstinstanzliche Zuständigkeit der Strafsenate der Oberlandesgerichte. Der jeweilige Senat wird auch als "Staatsschutzsenat" bezeichnet.

Zu seinen nicht-erstinstanzlichen Entscheidungen gibt es kein Rechtsmittel, zu den erstinstanzlichen die Beschwerde oder Revision zum Strafsenat des Bundesgerichtshofs. Allerdings haben die Oberlandesgerichte ihre Entscheidungen auf die Entscheidungen der anderen OLG bzw. des BGH hinsichtlich der Rechtseinheitlichkeit zu prüfen, § 121 Abs. 2 GVG, und bei Abweichungen dem BGH vorzulegen.

Bundesgerichtshof

Der Bundesgerichtshof hat Strafsenate als Spruchkörper.

BGH-Strafsenat

Der Strafsenat des Bundesgerichtshofs ist stets mit fünf Berufsrichtern besetzt. Er ist als Beschwerdeinstanz des Oberlandesgerichts sowie als Revisionsinstanz des Landgerichts zuständig. Rechtsmittel gegen die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs gibt nicht. Entscheidungen des Bundesgerichtshofs können jedoch zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht gemacht werden.

Zivilrecht

Amtsgericht

Die Zuständigkeit in Zivilsachen: (§§ 23 GVG i. V. m. 71 GVG)

  • bei einem Streitwert bis 5.000 €
  • bei einem Streitwert über 5.000 € nur, wenn es sich z. B. um
    • Wohnraummietstreitigkeiten,
    • Streitigkeiten zwischen Reisenden & Wirten,
    • Wildschäden,
    • Mahnsachen (Mahnverfahren)
    • Zwangsvollstreckung
    • Aufgebotsverfahren

handelt.

Siehe auch

Referenzen

  1. http://www.focus.de/politik/deutschland/verbrechen-doppelte-opferrolle_aid_188222.html
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