Alexander von Lykonpolis

Alexander von Lykonpolis

Alexander von Lykonpolis (häufig auch Lykopolis) war ein antiker griechischer Philosoph (Neuplatoniker). Er lebte im späten 3. Jahrhundert und trat als Gegner des Manichäismus hervor, über dessen frühe Geschichte er wertvolle Informationen liefert.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Alexander stammte aus Lykonpolis („Stadt der Wölfe“), dem heutigen Asyut in Ägypten. Er ist nur aus seinem einzigen erhalten gebliebenen Werk bekannt, der Streitschrift „Gegen die Lehren Manis“ (Pros tas Manichaíou dóxas). Da er einerseits den Tod des Religionsstifters Mani († 277) erwähnt, andererseits von der 297 beginnenden Verfolgung der Manichäer im Römischen Reich unter Kaiser Diokletian offenbar nichts weiß, ist davon auszugehen, dass er sein Werk im Zeitraum zwischen 277 und 297 verfasst hat.[1]

Wahrscheinlich erhielt Alexander seine philosophische Ausbildung in Alexandria. Später betätigte er sich – vermutlich in seiner Heimatstadt – als Philosophielehrer.[2] Er war ein Neuplatoniker, dessen Denken auch von mittelplatonischem Gedankengut geprägt war.[3] Als in seinem Umfeld manichäische Missionare auftauchten, die unter seinen Schülern mit einigem Erfolg für ihren Glauben warben, sah er sich veranlasst, ihnen entgegenzutreten. Daher verfasste er seine Abhandlung, in der er die manichäischen Lehren zu widerlegen versuchte. Es handelt sich um die älteste bekannte Streitschrift gegen den Manichäismus. Sie stellt eine wichtige Quelle für die frühmanichäische Gedankenwelt dar, denn Alexander verfügte offenbar über Informationen, die er einer authentischen Darstellung der manichäischen Religion aus der Sicht ihrer Anhänger verdankte. Wertvoll sind insbesondere seine Ausführungen über die manichäische Kosmogonie (Lehre von der Weltentstehung).

Einzelne Stellen des überlieferten Textes der Abhandlung scheinen von einem Christen überarbeitet worden zu sein.[4]

Darstellung und Kritik des Manichäismus

Die Abhandlung „Gegen die Lehren Manis“ ist nicht für ein breites Publikum bestimmt; es handelt sich um eine philosophische Fachschrift, mit der Alexander die Unvereinbarkeit von Platonismus und Manichäismus aufzeigen will. Er betrachtet den Manichäismus als persische Lehre im Gegensatz zur griechischen Philosophie. Mit Besorgnis stellt er fest, dass Manis Ideen sogar unter Philosophen Anklang finden. Dieser Entwicklung möchte er Einhalt gebieten.

Da er im Manichäismus eine pervertierte Variante des Christentums sieht, beginnt er mit Ausführungen über „die Philosophie der Christen“, die er als „einfach“ bezeichnet. Er beurteilt das Christentum relativ milde, denn er sieht darin eine triviale, aber für schlichte Gemüter hilfreiche Lehre. Diese bestehe hauptsächlich aus moralischen Anweisungen, mit denen die Christen überhäuft würden, ohne dass man sich um eine philosophische Grundlegung ethischer Prinzipien bemühe. Es gehe nur um das praktische Ziel, gewöhnliche Leute auf den Pfad der Tugend zu bringen, was auch tatsächlich erreicht werde. Darin erschöpft sich aus Alexanders Sicht der ursprüngliche Sinn des Christentums. Das Fehlen einer tauglichen theoretischen Basis habe sich jedoch als verhängnisvoll erwiesen, denn es seien ehrgeizige Sektengründer aufgetaucht, die neue Lehren eingeführt und unter den Christen vielfache Aufspaltung herbeigeführt hätten. Keiner von ihnen habe über philosophischen Scharfsinn verfügt. So sei aus der ursprünglichen schlichten Lehre eine hoffnungslos komplizierte und nutzlose Dogmatik geworden.[5]

Das extremste Beispiel für dieses abwegige Sektierertum sei der Manichäismus. Kurz geht Alexander auf das Leben Manis und die manichäische Missionstätigkeit ein, dann beschreibt er die Lehre, worauf er sich der Widerlegung zuwendet. Bei der Darstellung der Lehre hebt er hervor, dass der Manichäismus die Materie (Hyle) als „regellose Bewegung“ (átaktos kínēsis) definiere, worin ein fundamentaler Unterschied zur platonischen und zur aristotelischen Vorstellung von der Materie bestehe.[6]

Bevor er mit der systematischen Kritik beginnt, schildert er das Dilemma, in dem er sich sieht. Die Lehre, mit der er sich auseinandersetzen will, sei irrational, sie stütze sich nicht auf Argumente, sondern auf die Autorität von Schriften. Daher sei sie schwer zu falsifizieren. Statt eines Beweisgangs, den man überprüfen könnte, finde man nur Behauptungen. Wenn er eine präzise wissenschaftliche Widerlegung präsentiere, werde er damit diejenigen nicht erreichen, die sich dem Manichäismus kritiklos angeschlossen hätten. Begebe er sich jedoch auf das Niveau der Gegner, indem er sich einer unsachlichen Beeinflussungstechnik bediene, so verfalle er in eben den Fehler, den er ihnen vorwerfe.[7] Um dem Dilemma zu entgehen, habe er sich für ein sehr sorgfältiges Vorgehen entschieden.

Zunächst richtet sich seine philosophische Polemik gegen den manichäischen Dualismus, gegen die Annahme, es gebe zwei einander entgegengesetzte ebenbürtige Urprinzipien, den guten Gott und die als unabänderlich böses Finsternisprinzip aufgefasste Materie, die miteinander im Kampf lägen. Unter anderem bringt er vor, dass in diesem Fall, wenn es sich bei beiden um reale, erschaffende Urprinzipien handle, jedes von ihnen eine eigene Materie als passives Substrat benötigen würde. Damit wären bereits vier Prinzipien erforderlich, was Mani jedoch nicht erkannt habe. Überdies setze die Materie, wenn sie gemäß der manichäischen Lehre regellose Bewegung sei, die Existenz von etwas Bewegtem voraus, nämlich der Elemente. Dann sei aber unklar, was das zweite Urprinzip sei, der Beweger oder das von ihm Bewegte. Alexander verwirft die dualistische Basis des gegnerischen Weltbilds von seinem monistischen Standpunkt aus; nach seiner Überzeugung ist auch die Materie auf die Gottheit zurückzuführen und daher nicht als schlecht zu betrachten. Entschiedener als andere Neuplatoniker lehnt er es ab, die Materie mit dem Schlechten in Verbindung zu bringen.

Außerdem argumentiert er, eine „regellose“ Veränderung sei im Bereich der Materie gar nicht möglich, da dieses Merkmal keiner der verschiedenen Arten von Veränderung zukommen könne. Ferner könne die von Mani angenommene Interaktion zwischen den beiden Urprinzipien nur zustande kommen, wenn zwischen ihnen ein drittes vermittelndes Prinzip bestehe, da sie anderenfalls miteinander nichts zu tun hätten. Dann aber wäre zu fragen, ob das dritte Prinzip körperlich oder unkörperlich sei. Diese Frage stelle sich auch hinsichtlich der zwei Prinzipien Manis. Jede mögliche Antwort darauf (beide unkörperlich oder beide körperlich oder eines körperlich, das andere unkörperlich) führe im Rahmen des manichäischen Systems zu einer absurden Konsequenz. Auch die manichäische Annahme, Gott sende eine Macht (dýnamis) hinab zur Materie, müsse zu widersinnigen Folgerungen führen.

Lachhaft sei die Behauptung, eine durch regellose Bewegung gekennzeichnete Materie könne in der Lage sein, Gott als ebenbürtiger Gegner entgegenzutreten, sich zu seinem Reich zu erheben und es anzugreifen. Überdies könne sich Gott nicht im Krieg gegen die Materie befinden, da ihm sonst Eigenschaften zugeschrieben werden müssten, die mit seiner Güte unvereinbar seien. So werde ihm von manichäischer Seite Zorn und das Bedürfnis unterstellt, die feindliche Materie zu bestrafen. Solche Regungen seien aber schon für einen tugendhaften Menschen auszuschließen; erst recht abwegig sei es, sie Gott als dem Guten schlechthin zu unterstellen.

Manis Vorstellung von einem machtvollen Schlechten, das absolut böse sei, sei widersprüchlich. Über welche Macht könnte es verfügen? Wenn es Macht – also ein Gut – besitze, so könne es sie nur durch Teilhabe am Guten erlangt haben. Durch solche Teilhabe am entgegengesetzten Prinzip werde das Übel aber notwendigerweise vermindert; in diesem Fall könne es nicht absolut sein. Wenn es hingegen absolut sei, so müsse es ihm an Macht fehlen.

Zahlreiche Ungereimtheiten sieht Alexander in der Kosmologie der Manichäer, auf die er detailliert eingeht. Er wirft ihnen vor, sie hätten kosmologische Behauptungen aufgestellt, obwohl sie ungebildete Menschen seien, nichts von Astronomie verstünden und nicht zu logischem Denken befähigt seien. Statt Argumente vorzubringen, begnügten sie sich damit, ihre wirren, phantastischen Erfindungen darzulegen, wobei sie sich missbräuchlich auf die Dichtung beriefen. Sie hätten nicht begriffen, dass poetische und mythische Aussagen nicht buchstäblich aufzufassen, sondern symbolisch auszulegen seien.[8]

Jesus wird in Alexanders Schrift wohlwollend dargestellt. Er erscheint nicht als Erlöser, sondern als verdienstvoller Tugendlehrer für Bauern und Handwerker.[9]

Rezeption

Im 9. Jahrhundert befassten sich byzantinische Gelehrte, darunter Photios, aus aktuellem Anlass mit dem Werk Alexanders. Damals bekämpfte Kaiser Basileios I. die Paulikianer, eine christliche Bewegung, die zur Hierarchie der orthodoxen Kirche in scharfer Opposition stand. Die Paulikianer, deren theologische Ansichten als häretisch verdammt wurden, galten als geistige Erben des Manichäismus. Daher wurde eine umfangreiche Sammlung von einschlägig verwertbaren antimanichäischen Texten zusammengestellt, die für den Kaiser bestimmt war. Dazu gehörte auch die Streitschrift Alexanders. Diesem Anlass ist zu verdanken, dass Alexanders Abhandlung erhalten geblieben ist.

Photios war der irrigen Meinung, Alexander sei Christ und Bischof von Lykonpolis gewesen. Dieser Irrtum war noch in der Frühen Neuzeit und bis ins 19. Jahrhundert verbreitet; im 18. Band von Mignes Patrologia Graeca, der 1857 erschien, wurde „Gegen die Lehren Manis“ als Werk eines kirchlichen Autors gedruckt. Zwar hatte schon 1696 der Kirchenhistoriker Louis-Sébastien Le Nain de Tillemont erkannt, dass es sich um einen paganen Autor handelt, doch setzte sich diese Einsicht nur langsam durch.[10]

Die erste Ausgabe erschien 1672 in Paris. Der Herausgeber war François Combefis, der auch eine lateinische Übersetzung anfertigte. Der Text war durch zahlreiche Auslassungen und Verderbnisse entstellt. Erst 1895 wurde eine brauchbare Edition publiziert.

Textausgabe

Übersetzungen

  • Pieter Willem van der Horst, Jaap Mansfeld: An Alexandrian Platonist against Dualism. Alexander of Lycopolis’ Treatise ‘Critique of the Doctrines of Manichaeus’. Brill, Leiden 1974, ISBN 90-04-04157-5 (englische Übersetzung mit Einleitung)
  • André Villey: Alexandre de Lycopolis: Contre la doctrine de Mani. Les Éditions du Cerf, Paris 1985, ISBN 2-204-02238-1 (französische Übersetzung mit Einleitung und ausführlichem Kommentar)

Literatur

  • Maria Vittoria Cerutti: Il mito manicheo tra universalismo e particolarismi regionali. La testimonianza di Alessandro di Licopoli. In: Annali di Scienze Religiose 7, 2002, S. 225–258
  • André Villey: Alexandros de Lycopolis. In: Richard Goulet (Hrsg.): Dictionnaire des philosophes antiques, Bd. 1, CNRS, Paris 1989, ISBN 2-222-04042-6, S. 142−144

Anmerkungen

  1. Villey (1985) S. 20–22.
  2. Villey (1985) S. 19f. Vgl. aber die Überlegungen von Hans-Martin Schenke: Marginal Notes on Manichaeism from an Outsider. In: Paul Mirecki (Hrsg.): Emerging from Darkness, Leiden 1997, S. 289–294, hier: 290f. Schenke weist darauf hin, dass Alexander möglicherweise in Alexandria lehrte.
  3. Van der Horst/Mansfeld (1974) S. 8–13.
  4. Mark J. Edwards: A Christian Addition to Alexander of Lycopolis. In: Mnemosyne 42, 1989, S. 483–487.
  5. Alexander von Lykonpolis, „Gegen die Lehren Manis“ 1f. (S. 3f. Brinkmann). Siehe dazu Pieter W. van der Horst: 'A Simple Philosophy': Alexander of Lycopolis on Christianity. In: Keimpe A. Algra u.a. (Hrsg.): Polyhistor. Studies in the History and Historiography of Ancient Philosophy, Leiden 1996, S. 313–329, hier: 313–319.
  6. Alexander von Lykonpolis, „Gegen die Lehren Manis“ 2 (S. 4f. Brinkmann).
  7. Alexander von Lykonpolis, „Gegen die Lehren Manis“ 5 (S. 8f. Brinkmann). Siehe dazu Richard Harder: Prismata. In: Philologus 85, 1930, S. 243–254, hier: 247 (online); van der Horst (1996) S. 319f.
  8. Siehe dazu Richard Reitzenstein: Alexander von Lykopolis. In: Philologus 86, 1931, S. 185–198, hier: 196f. (online).
  9. Siehe dazu van der Horst (1996) S. 327–329.
  10. Zur diesbezüglichen Forschungsgeschichte siehe Villey (1985) S. 16–19, van der Horst/Mansfeld (1974) S. 3 und Anm. 5.

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