Affäre Ubryk

Affäre Ubryk
Auffindung und Befreiung der Nonne Barbara Ubryk

Die Affäre Ubryk war der 1869 in der Presse sehr ausführlich berichtete Fall der Nonne Barbara Ubryk, die als Angehörige eines klausurierten Klosters der Unbeschuhten Karmelitinnen in Krakau nach Zeitungsberichten von 1848 bis zum 21. Juli 1869[1] in einer verdreckten kleinen Zelle gefangen gehalten wurde. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Kulturkampfes sorgte der Skandal insbesondere im deutschsprachigen Teil Europas für eine wachsende antikatholische Stimmung und war einer der Auslöser für den Moabiter Klostersturm in Berlin im selben Jahr.

Inhaltsverzeichnis

Die Details der Affäre

Die Nonne Barbara Ubryk wurde befreit, nachdem die österreichisch-ungarischen Behörden[A 1] gerüchteweise von ihrer Gefangenschaft gehört hatten. Sie erzwangen sich gegen den Widerstand der Klosteroberin und des Beichtvaters Zugang zu dem Kloster. Nach Zeitungsberichten dieser Zeit fanden sie Barbara Ubryk vollständig nackt in einer kleinen Zelle auf. Nach den Aussagen, die sie später vor einem österreichischen Gericht gab, hatte Schwester Barbara die 21 Jahre in der Klosterzelle nur dank Gebeten und dem Zählen ihrer Kopfhaare überstanden.[2] Während der Gerichtsverhandlungen zeigte Barbara Ubryk Verhaltensauffälligkeiten, aus denen die untersuchenden Ärzte schlossen, dass es sich bei ihr um eine Nymphomanin handele. Diese Verhaltensauffälligkeit bestand nach Meinung der Ärzte bereits seit ihrer Pubertät und wurde als eine der Ursachen für ihren religiösen Fanatismus gedeutet.[3] Die Ärzte vertraten auch die Ansicht, dass ihr Zustand nicht mehr heilbar sei, da sie für eine Heilung früher in eine Anstalt für geistig Verwirrte hätte eingeliefert werden müssen.[4]

Die Krakauer Bevölkerung reagierte empört auf den Vorfall. Eine aufgeregte Versammlung Krakauer Bürger drang in das Kloster ein und zerstörte die Fenster und Teile des Innenhofes. Schließlich griffen Polizei und Militär ein. Trotz des Eingreifens seitens staatlicher Behörden dehnten sich in der folgenden Nacht die Übergriffe auf andere Klöster aus.[5] Kavallerie und Infanterie-Regimenter patrouillierten in den folgenden Tagen in den Straßen, um weitere Übergriffe zu verhindern.

Folgewirkungen

Die Affäre Ubryk löste eine Reihe von Zeitungsartikeln aus, in denen über angebliche oder tatsächliche ähnliche Fälle berichtet wurde. In Prag sollte sich ein vergleichbarer Fall ereignet haben. Die nach Bruch ihres Keuschheitsgelübdes dort eingesperrte Nonne sollte sich in ihrer Verzweiflung erhängt haben. Zwei weitere Nonnen wären angeblich unter dem rigiden Regiment ihres Klosters zusammengebrochen und lebten nun in einem Irrenhaus. In Brünn wurde angeblich ein eingemauertes Skelett in den Mauern eines vormaligen Dominikanerklosters gefunden und in einem Karmelitinnenkloster in Posen fand man angeblich heimlich verscharrte Skelette. In der deutschen Zeitschrift Die Gartenlaube wurde von einer „Nonne X“ berichtet, die nach einem gebrochenen Heiratsversprechen in ein Kloster gelockt und dort gefangen gehalten wurde. Liberale Zeitungen berichteten außerdem, dass sich ein Dominikanermönch in Düsseldorf an minderjährigen Mädchen vergriffen hätte.[6]

Katholische Zeitungen verteidigten den Vorfall mit dem Hinweis, Barbara Ubryk sei geistig krank gewesen und zu ihrer eigenen Sicherheit eingeschlossen worden. Für das negative Echo, das der Vorfall in der liberalen Presse auslöste, machten sie den Einfluss von Freimaurern und demokratischen Juden verantwortlich.[7] Michael B. Gross, der ein Buch über die damaligen Auseinandersetzungen um die katholische Kirche geschrieben hat, bezeichnet die Reaktionen der katholischen und liberalen Presse als nahezu ritualisierten Schlagabtausch, bei dem jede Seite ein für sie charakteristisches Vokabular, Symbolik und Metaphern verwendete. Katholische Zeitungen wie die Freiburger katholische Zeitung gingen soweit, die kapitalistische Ausbeutung von Frauen in der zeitgenössischen Industrie anzuprangern. Die liberale Presse sah in den Angriffen der katholischen Seite auf die Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen wiederum einen Beleg für die Rückwärtsgewandtheit der katholischen Kirche.[8]

Belege

Literatur

  • Michael B. Gross: The War against Catholicism – Liberalism and the Anti-Catholic Imagination in Nineteenth-Century Germany. The University of Michigan Press, 2004, ISBN 0-472-11383-6.

Einzelbelege

  1. http://www.polona.pl/dlibra/doccontent2?id=5939&from=latest (abgerufen am 25. Mai 2010)
  2. Gross, S. 158
  3. Gross, S. 161
  4. Gross, S. 162
  5. Gross, S. 159
  6. Gross, S. 160 und S. 161
  7. Gross, S. 168
  8. Gross, S. 168 und S. 169

Anmerkungen

  1. Krakau gehörte noch bis zum Jahr 1919 zum habsburgischen Kaiserreich Österreich-Ungarn.

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