Bürgerkrieg in Somalia

Bürgerkrieg in Somalia
Somalischer Bürgerkrieg
Bewaffnete auf einem Technical in Mogadischu
Bewaffnete auf einem Technical in Mogadischu
Datum 1988 – heute
Ort Somalia
Ausgang andauernd

Als Somalischer Bürgerkrieg werden die anhaltenden militärischen Konflikte zwischen Kriegsherren, Clans und diversen Gruppierungen und Milizen – mit verschiedentlichen Eingriffen von umliegenden Ländern und der übrigen internationalen Gemeinschaft – in Somalia bezeichnet. Sie begannen mit dem bewaffneten Widerstand diverser Akteure gegen die Herrschaft des Diktators Siad Barre und erreichten ihren Höhepunkt nach dem Sturz Barres 1991. Seither existierte in Somalia keine funktionierende Zentralregierung mehr, und die politische Entwicklung verlief in verschiedenen Landesteilen unterschiedlich: Im Norden des Landes haben sich die relativ stabilen Gebiete Somaliland und Puntland gebildet, die de facto autonom sind. Die Hauptstadt Mogadischu war hingegen heftig umkämpft. Auch Südwestsomalia und Jubaland waren Schauplatz von Kampfhandlungen. 2000 wurde eine international anerkannte Übergangsregierung gebildet, der es jedoch nie gelang, in Somalia allgemeine Akzeptanz zu finden und Frieden zu schaffen.

2006 erlangte die Union islamischer Gerichte die Kontrolle über weite Teile Süd- und Zentralsomalias und etablierte insbesondere in Mogadischu erstmals seit Kriegsbeginn eine gewisse Stabilität, bis sie Ende 2006 durch eine Militärintervention des Nachbarlandes Äthiopien verdrängt wurde. 2007/08 finden schwere Kämpfe vor allem in Mogadischu statt. Hierbei kämpfen die Truppen Äthiopiens und der Übergangsregierung gegen Islamisten und weitere Gegner aus verschiedenen Lagern. In weiten Teilen Süd- und Zentralsomalias herrschen lokale Clans und Milizen, zwischen denen es gelegentlich zu Konflikten kommt.

Inhaltsverzeichnis

Konfliktlinien

Karte von Somalia

Im somalischen Bürgerkrieg spielen verschiedene Konfliktlinien und Interessen eine Rolle, was die Situation unübersichtlich wirken lässt. Hierzu gehören die Konflikte um knappes Wasser und Land, Konflikte zwischen der Minderheit sesshafter Ackerbauern und der nomadisch lebenden Mehrheit, Konflikte im Rahmen des Clansystems der Somali und nicht zuletzt der persönliche Machthunger von Clanführern, Kriegsherren (Warlords) sowie Geschäftsleuten mit ihren Privatmilizen. Diese Konflikte überschneiden sich vielfach.

Hinzu kommen Eingriffe umliegender Länder, die nur bedingt an einer Stabilisierung der Lage in Somalia interessiert sind. Die Beziehungen zwischen der Regionalmacht Äthiopien und Somalia sind traditionell gespannt, da Somalia und Somali-Separatisten Anspruch auf das von ethnischen Somali bewohnte, Ende des 19. Jahrhunderts von Äthiopien eroberte Gebiet Ogaden erheben. Äthiopien möchte verhindern, dass in Somalia Akteure Macht erlangen, die diese Gebietsansprüche aufrechterhalten; nach in Somalia verbreiteter Ansicht bedeutet dies, dass es entweder die politische Fragmentierung Somalias beibehalten oder eine ihm genehme „Marionettenregierung“ einsetzen möchte. Äthiopien und das mit ihm verfeindete Eritrea werden beschuldigt, entgegen einem Waffenembargo der Vereinten Nationen Kriegsparteien mit Waffen beliefert und Truppen in Somalia stationiert zu haben und dort einen Stellvertreterkrieg auszutragen.[1] Die somalischen Kriegsparteien lassen sich anhand ihrer Haltung zu Äthiopien grob in zwei Gruppierungen einteilen: die hauptsächlich vom Darod-Clan gebildete Koalition, die den von Äthiopien unterstützten Somalia Reconciliation and Restoration Council (SRRC) in Südwestsomalia bildete und seit 2004 die Übergangsregierung dominiert, und die antiäthiopisch ausgerichtete Mogadischu-Gruppe, die ihre Basis im Habar Gedir-Hawiye-Clan hat und auch Islamisten umfasst. Hierbei unterstützt Äthiopien derzeit offen die Übergangsregierung, Eritrea (mutmaßlich) deren Gegner.

Die übrige internationale Gemeinschaft griff 1992 bis 1995 mit den UNOSOM-Friedensmissionen militärisch in den somalischen Bürgerkrieg ein, scheiterte jedoch an der Komplexität der Situation und dem Widerstand diverser Kriegsparteien. Seither bemühte sie sich vorwiegend diplomatisch um eine Stabilisierung der Lage. Seit 1998 und 2001 wird das Geschehen in Somalia vermehrt aus dem Blickwinkel des „Krieges gegen den Terror“ betrachtet. Dieser richtet sich vor allem gegen islamistische Akteure wie al-Itihaad al-Islamiya, die Union islamischer Gerichte und al-Shabaab, die an dem Bürgerkrieg beteiligt waren bzw. sind. In welchem Ausmaß ausländische Terroristen im Land präsent sind, ist umstritten. Ein weiterer Aspekt, der internationale Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist das Phänomen der Piraterie vor der Küste Somalias. Diese wird durch die politische Lage stark begünstigt, zum Teil beteiligen sich Bürgerkriegsakteure auch direkt an diesem profitablen Geschäft.

Verlauf

Herrschaft und Entmachtung Siad Barres

Siehe Hauptartikel: Siad Barre


Somalia, das 1960 seine Unabhängigkeit von Italien und Großbritannien erlangt hatte, wurde seit 1969 von Präsident Siad Barre diktatorisch regiert. Insbesondere nach dem verlorenen Ogadenkrieg gegen Äthiopien 1977/78 ließen zunehmende Repression, Korruption und wirtschaftliche Probleme die Popularität Barres deutlich sinken. 1978 gab es einen ersten Putschversuch von Offizieren aus dem Majerteen-Darod-Clan, der bald niedergeschlagen wurde, aber in den Aktivitäten der Majerteen-Rebellenorganisation Somali Salvation Democratic Front (SSDF) in Nordostsomalia seine Fortsetzung fand. Im Norden des Landes entstand die Somali National Movement (SNM) aus dem Clan der Isaaq. Das Jahr 1988, in dem sich die Kämpfe zwischen der Staatsarmee und der SNM zum offenen Krieg ausweiteten, wird zum Teil als Beginn des Bürgerkrieges genannt.

1989 begann der Aufstand des United Somali Congress (USC) der Hawiye in Süd- und Zentralsomalia. Dieser war insofern bedeutend, als er nahe an der Hauptstadt Mogadischu stattfand. Insgesamt geriet die Barre-Regierung Ende der 1980er immer stärker unter militärischen Druck, nach dem Ende des Kalten Krieges verlor sie zudem die Unterstützung der USA. Am 26. Januar 1991 floh Siad Barre aus Mogadischu und begab sich mit Teilen der Armee durch das Shabeelle-Tal nach Süden. Ihm folgten zahlreiche Darod-Zivilisten aus Mogadischu, die vor Übergriffen und Racheakten des USC flohen. Der USC verfolgte Barre durch das Shabelle-Tal und weiter nach Süden in das Jubba-Tal hinein.

Die verschiedenen Anti-Barre-Bewegungen hatten sich im Vorfeld darauf verständigt, eine gemeinsame Folgeregierung zu bilden. Dies scheiterte jedoch, als der von den Hawiye Mohammed Farah Aidid und Ali Mahdi Mohammed geführte USC den Sieg über Barre und damit den Hauptteil der Macht für sich allein beanspruchte. Die anderen Oppositionsgruppen erkannten die vom USC gebildete provisorische Regierung nicht an. Der Norden des Landes erklärte unter der Führung der SNM als Somaliland einseitig seine – international nicht anerkannte – Unabhängigkeit. Der USC selbst spaltete sich zwischen den Unterclans der Abgal- und Habar Gedir-Hawiye, nachdem sich Ali Mahdi Mohammed (Abgal) ohne Einverständnis Aidids (Habre Gedir) zum Präsidenten ausgerufen hatte. Siad Barres Verteidigungsminister und Schwiegersohn Siad Hersi kämpfte derweil im Süden weiter für eine Rückkehr Barres. Somalia zerfiel in umkämpfte Machtbereiche von Clans und Kriegsherren und deren Milizen. So wird auch 1991 vielfach als Jahr des Kriegsbeginns angegeben.

Eingreifen der UNOSOM

US-amerikanischer Helikopter über Mogadischu (1992)
Deutsche UN-Soldaten in Beledweyne (1993)

Für die Bevölkerung hatten die Kampfhandlungen und Plünderungen eine Verschlechterung der Versorgungs- und Sicherheitslage bis hin zu einer Hungersnot im Süden Somalias zur Folge, was durch Dürre noch verschärft wurde. Die Vereinten Nationen beschlossen 1992 die Entsendung der UNOSOM-Mission, die zunächst einen Waffenstillstand zwischen Aidid und Ali Mahdi überwachen sollte. Da Hilfsgüter für die von der Hungersnot Betroffenen vielfach von Kriegsparteien und Bewaffneten geplündert wurden, kam die Idee auf, die Lieferung der Nahrungsmittelhilfe durch eine „humanitäre Intervention“ zu sichern.

Der Frieden zwischen Kriegsherren und UNO hielt nicht lange. Insbesondere Aidid wandte sich mit seiner Somali National Alliance offen gegen die UNOSOM und verlangte ihren Abzug, da er sie als Bedrohung seiner Macht ansah und fürchtete, sie werde die von Ali Mahdi gebildete Regierung anerkennen. Im November 1992 boten daraufhin die USA an, eine multinationale Truppe unter eigener Führung zu entsenden. Der UN-Sicherheitsrat billigte die Entsendung dieser Unified Task Force UNITAF (auch als Operation Restore Hope bekannt) mit der Resolution 794 vom 3. Dezember 1992 und unterstellte ihr die UNOSOM-Operationen. Im Unterschied zur UNOSOM war die UNITAF ermächtigt, „alle nötigen Mittel“, auch militärische, anzuwenden. Am 9. Dezember gingen die ersten UNITAF-Truppen an der somalischen Küste an Land; insgesamt umfasste die Truppe 37.000 Personen, mehrheitlich US-Amerikaner. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nahm auch die Bundeswehr mit dem Deutschen Unterstützungsverband Somalia an einem militärischen Einsatz außerhalb des Bündnisgebietes der NATO teil.

Teile der somalischen Bevölkerung sahen jedoch in der UNOSOM/UNITAF eine Besatzungsmacht und unterstellten insbesondere den USA auch weniger edle Motive wie die Erlangung der Kontrolle über Erdölvorräte oder die dauerhafte Errichtung von Militärbasen am strategisch wichtigen Horn von Afrika. Aidid stellte sich, durchaus mit Erfolg bei Teilen der Bevölkerung, als antikolonialer Befreiungskämpfer dar. Die UNITAF und mit ihr die UNOSOM zogen auch den Vorwurf der Parteilichkeit auf sich, als sie sich spezifisch gegen Aidid wandten, während sie etwa den Aidid-Gegner Siad Hersi bei der Einnahme von Kismaayo gewähren ließen. Nachdem in der Schlacht von Mogadischu am 3./4. Oktober 1993 18 US-Soldaten und ein UN-Soldat von somalischen Milizen getötet und durch die Straßen der Hauptstadt geschleift worden waren, zogen die USA bis 1994 ihre Truppen ab. Auch die UNOSOM II musste sich 1995 zurückziehen, ohne eine politische Lösung erreicht zu haben.

Vom Ende der UNOSOM II bis zur Bildung der Übergangsregierung

Nach dem gescheiterten UNOSOM-Einsatz geriet Somalia zeitweise aus dem Blickfeld der internationalen Presse und gilt als typisches Beispiel eines „gescheiterten Staates“. Die Kämpfe gingen vor allem in Mogadischu – zwischen Abgal- und Habre Gedir-Hawiye sowie Privatmilizen – weiter. In Südwestsomalia bekämpften sich Aidids Sohn und Nachfolger Hussein Mohammed Farah und die Rahanweyn Resistance Army (RRA), in Jubaland kämpften die Juba Valley Alliance, Siad Hersi und andere. Die Kämpfe waren jedoch gesamthaft weniger intensiv als Anfang der 1990er Jahre. Puntland im Nordosten erklärte sich 1998 zum autonomen Teilstaat innerhalb Somalias und errichtete eine eigene Regionalregierung. Innerhalb Puntlands kam es bis 2003 zu Machtkämpfen zwischen Präsident Abdullahi Yusuf Ahmed und Jama Ali Jama. In Somaliland im Norden blieb es seit 1996 weitgehend friedlich, nachdem dort die Differenzen zwischen den Clans mit traditionellen Methoden der Friedensstiftung beigelegt worden waren.

2000 wurde nach Friedensverhandlungen in Arta, Dschibuti eine Übergangsregierung, das Transitional National Government, aus Vertretern verschiedener Clans gebildet. Damit verfügte Somalia wieder über eine international anerkannte Regierung. Diese fand jedoch innerhalb des Landes nicht die Zustimmung aller Kriegsherren und Clanführer, sodass sie bis 2004 als Exilregierung und -parlament in Nairobi, Kenia residierte. 2004 wurde die Übergangsregierung als Transitional Federal Government neu gebildet und umfasste nun auch ihre ehemaligen Gegner aus dem SRRC und der faktisch autonomen Region Puntland, die Äthiopien nahe stehen. Auch danach konnte sie jedoch nicht in die von den rivalisierenden Hawiye-Subclans der Abgal und Habre Gedir dominierte Hauptstadt Mogadischu einziehen; so wurden Baidoa und Jawhar zur provisorischen Hauptstadt ernannt. Über Baidoa hinaus konnte sich die Übergangsregierung weiterhin nicht durchsetzen.

Union islamischer Gerichte und Kampf gegen den Terrorismus

Seit den Terroranschlägen auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998 und noch mehr seit Beginn der Amtszeit von George W. Bush und den Terroranschlägen am 11. September 2001 interessieren sich die USA wieder verstärkt für Somalia.[2] Es wurde vermutet, dass das destabilisierte Land als Standort von Terroristen-Trainingslagern oder gar als Zufluchtsort für Osama bin Laden dienen könnte. Vor diesem Hintergrund beobachteten die USA den Machtgewinn der Union islamischer Gerichte, einer Vereinigung von Schari'a-Gerichten, die lokal das Schari'a-Recht durchsetzten, mit Besorgnis und unterstützten zeitweise die Allianz für die Wiederherstellung des Friedens und gegen den Terrorismus, einen losen Zusammenschluss von Kriegsherren gegen die Union. Diese Unterstützung für die weitgehend unbeliebten Kriegsherren vergrößerte jedoch möglicherweise die Zustimmung in der Bevölkerung für die Union islamischer Gerichte eher noch[3] Mitte 2006 konnte die Union Mogadischu und weitere, große Teile des Landes einnehmen; seither herrschte in diesen Landesteilen Frieden und ein gewisses Maß an Recht und Ordnung. Manche westliche Beobachter wie auch Teile der somalischen Bevölkerung befürchteten jedoch auch eine Entwicklung zu Zuständen wie in Afghanistan unter den Taliban.

An den Grenzen zwischen den Machtbereichen von Übergangsregierung und Union islamischer Gerichte kam es weiterhin zu Kämpfen, bei denen die Übergangsregierung zusehends zurückgedrängt wurde.

Eingreifen Äthiopiens

Auch das benachbarte Äthiopien beobachtete die Machtergreifung der Union islamischer Gerichte mit Sorge, da es eine islamistische Vereinnahmung seiner eigenen muslimischen Bevölkerung fürchtete und Teile der Union die heute äthiopische, von Somali bewohnte und traditionell von Somalia beanspruchte Region Ogaden einnehmen möchten. Um Ogaden wurden wegen des Strebens nach einem „Groß-Somalia“ im 20. Jahrhundert zwei Kriege geführt. Zudem galt Somalia und insbesondere Mogadischu allgemein als Schmelztiegel von antiäthiopischen Kräften wie eritreischen Militäreinheiten, ogadenischen und Oromo-Separatisten[4] Vordergründig um die somalische Übergangsregierung zu schützen, stationierte Äthiopien zunächst „Militärbeobachter“ in Somalia, was für Uneinigkeit innerhalb der Übergangsregierung sorgte.[5]

Am 24. Dezember 2006 erklärte Äthiopien der Union islamischer Gerichte den Krieg.[6] Die USA, für die Äthiopien ein wichtiger regionaler Verbündeter im „Krieg gegen den Terror“ ist, billigten diese Intervention.[7] Unterstützt durch Bombardements der äthiopischen Luftwaffe drangen Truppen Äthiopiens und der somalischen Übergangsregierung im Süden des Landes vor. Am 27. Dezember verließ die Union Mogadischu und zog sich großteils nach Süden in die Hafenstadt Kismaayo zurück.[8] Von dort wurde sie weiter bis in den äußersten Süden Somalias nahe der kenianischen Grenze abgedrängt. Kenia schloss die Grenze, um den Zustrom von Kämpfern der Union zu verhindern, womit es auch den Vorwurf auf sich zog, unzulässigerweise Flüchtlingen die Zuflucht zu verweigern. Am 10. Januar 2007 griffen auch US-amerikanische Kampfflugzeuge Städte in dem von der Union kontrollierten Gebiet im Süden an. Laut US-Angaben waren das Ziel al-Qaida-Terroristen.[9] Zu weiteren gezielten Militärschlägen der USA kam es im Juni 2007 in Bargaal im Nordosten Somalias, Anfang 2008 wiederum im Süden in Dhobley[10] und am 1. Mai 2008 in Dhuusamarreeb.

Weitere Kämpfe 2007/2008

Karte der politischen Lage in Somalia

Derweil zog die Übergangsregierung erstmals in Mogadischu ein. Dabei wurde sie weiterhin von schätzungsweise 55.000 äthiopischen Soldaten unterstützt. Die afrikanische Friedenstruppe African Union Mission to Somalia (AMISOM), die die kontroverse äthiopische Militärpräsenz ersetzen sollte, erreichte nie ihre geplante Truppenstärke: Von vorgesehenen 8000 Soldaten sind bislang rund 4000 zugesagt und etwa 2000 (aus Uganda und Burundi) stationiert. Der Vorschlag, eine Friedenstruppe der Vereinten Nationen zu entsenden, wurde bislang wegen der schwierigen Lage vor Ort und der Erfahrungen von 1992–1995 zurückgewiesen.

In Mogadischu kam es weiterhin zu Angriffen auf die Truppen Äthiopiens und der Übergangsregierung, die sich bald zum offenen Krieg ausweiteten. Unter den Gegnern Äthiopiens und der Übergangsregierung sind militante Islamisten und Angehörige des Hawiye-Clans – von denen manche den sofortigen Abzug Äthiopiens verlangen, während andere weitergehende politische Ziele verfolgen – und diverse andere Akteure, die an einer stabilen Regierung kein Interesse haben.[11] Vor allem im März/April, Juli/August (während der Nationalen Versöhnungskonferenz, die bescheidene Resultate erbrachte) und November 2007 kam es zu heftigen Zusammenstößen, die insgesamt etwa 600.000 Menschen in die Flucht trieben. Gemäß einem Bericht von Human Rights Watch haben dabei die äthiopischen und Übergangsregierungs-Truppen wie auch die Aufständischen durch Vorgehen ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung Kriegsverbrechen begangen.[12] Ein Bericht von Amnesty International kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass Zivilisten in Süd- und Zentralsomalia schweren Übergriffen von allen Seiten ausgesetzt seien.[13]

2008 griffen die Gegner Äthiopiens und der Übergangsregierung vermehrt und mit Erfolg kleinere Städte im Süden und Zentrum Somalias an.[14] Teile der Union islamischer Gerichte haben sich mit weiteren Übergangsregierungsgegnern ins Exil nach Eritrea begeben und die Allianz für die Wiederbefreiung Somalias gebildet, deren Hauptziel die Beendigung der äthiopischen Militärpräsenz ist. Friedensgespräche zwischen der Übergangsregierung und gemäßigten Vertretern dieser Allianz in Dschibuti führten zu Vereinbarungen über eine Machtteilung und den Abzug der äthiopischen Truppen.[15] Radikale Vertreter der Allianz und die islamistische Jugendmiliz al-Shabaab, die aus dem militanten Flügel der Union islamischer Gerichte hervorgegangen ist, lehnten diese Verhandlungen jedoch ab und erhöhten ihre militärische Aktivität gegen Äthiopien und die Übergangsregierung. Dabei drangen sie kurzzeitig auch in die äthiopische Grenzstadt Ferfer vor.[16] Namentlich im westlichen Teil Südsomalias (Jubaland) und in der zentralsomalischen Region Hiiraan haben sie unterdessen die Kontrolle übernommen, während die Übergangsregierung nur mehr die Stadt Baidoa und den Hafen, den Flughafen, den Präsidentenpalast und einige Militärlager in Mogadischu sicher kontrolliert.[17]

Lage Anfang 2009

Gemäß den Friedensvereinbarungen ist der Abzug der äthiopischen Truppen bis zum 5. Januar 2009 vorgesehen. Kurz zuvor trat Präsident Abdullahi Yusuf Ahmed von seinem Amt zurück, nachdem er zuletzt stark kritisiert worden war und sich mit Ministerpräsident Nur Hassan Hussein überworfen hatte. Er kehrte in seine Heimatregion Puntland zurück, wohin ihm auch zu ihm loyale Truppen der Übergangsregierung gefolgt sein sollen. Truppen der gemäßigten Allianz für die Wiederbefreiung Somalias sollen das Sicherheitsvakuum füllen, das nach dem Abzug der Äthiopier entstehen wird. Die radikal islamistische al-Shabaab, die die Führung innerhalb des politischen Islam in Somalia beansprucht, will jedoch weiter gegen die Übergangsregierung und für die vollständige Einführung der Schari'a kämpfen. Zugleich trat eine neue, nach eigenen Angaben gemäßigt-islamistische Gruppierung namens Ahlu Sunna Waljamaca in Erscheinung und begann die al-Shabaab zu bekämpfen.[18]

Folgen

Somalische Kinder in einer Flüchtlingsschule in Kenia

Gemäß Schätzungen sind seit 1991 etwa 350.000 bis eine Million Somalier als Folge des Bürgerkriegs umgekommen. Eine Million wurden zu Binnenflüchtlingen, davon wurden schätzungsweise 600.000 durch die Kämpfe in Mogadischu 2007 vertrieben.[19] Weitere Hunderttausende flohen in Flüchtlingslager in den Nachbarländern, in die Staaten der Arabischen Halbinsel, nach Nordamerika oder Europa. Ein großer Teil der somalischen Bevölkerung ist zum Überleben auf die Geldüberweisungen im Ausland lebender Verwandter angewiesen. 2,6 Millionen benötigten im Mai 2008 gemäß UN-Schätzungen humanitäre Hilfe.[20] Diese Zahl wird laut Welternährungsprogramm wegen Kampfhandlungen, Dürre und steigenden Nahrungsmittelpreisen bis Dezember 2008 auf 3,5 Mio. steigen.[21]

Zugleich haben sich Teile der Wirtschaft Somalias und der Bevölkerung auf den Zustand ohne funktionierende Regierung eingerichtet. Geschäftsleute profitieren davon, keine Steuern bezahlen zu müssen, viele junge Männer leben als bezahlte Kämpfer, und manche leben von illegalen Aktivitäten wie etwa dem Verkauf importierter abgelaufener Medikamente. Manche dieser Akteure greifen deshalb auch aktiv in den Bürgerkrieg ein, um in eigenem Interesse eine Stabilisierung der Lage zu verhindern.[11] Eine Studie kam gar zu dem Schluss, dass verschiedene Sozial- und Wirtschaftsindikatoren des Landes für den Zeitraum 2000 bis 2005 (Bürgerkrieg und keine funktionierende Regierung, aber in weiten Landesteilen wenig Kämpfe) weiterhin sehr schlecht waren, aber besser als 1985 bis 1990 (Endphase der Barre-Diktatur mit verbreiteter Korruption und schlechter Wirtschaftslage).[22]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Somalia: Who supports who?. In: BBC NEWS. 28. Dezember 2006. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  2. Martin Plaut: US fails to break Somali Islamists. In: BBC News. 1. Januar 2009. Abgerufen am 2. Januar 2009. (engl.)
  3. Mark Mazzetti: Efforts by C.I.A. Fail in Somalia, Officials Charge. In: New York Times. 8. Juni 2006. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  4. Thomas Scheen: Somalia ohne Hoffnung. In: FAZ.NET. 14. Januar 2007. Abgerufen am 20. November 2008.
  5. Der heilige Krieg am Horn von Afrika. In: Tages-Anzeiger. 16. Oktober 2006. 
  6. Äthiopien erklärt den Krieg. In: tagesanzeiger.ch. 24. Dezember 2006. Abgerufen am 20. November 2008.
  7. Mark Mazzetti: U.S. Signals Backing for Ethiopian Incursion Into Somalia. In: New York Times. 27. Dezember 2006. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  8. Mogadishu crowds greet Somali PM. In: BBC NEWS. 29. Dezember 2006. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  9. US-Luftwaffe fliegt neue Angriffe auf Qaida-Stellungen. In: Spiegel Online. 10. Januar 2007. Abgerufen am 20. November 2008.
  10. Timeline: Somalia. In: BBC NEWS. 20. November 2008. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  11. a b Nina Brenjo: Somalia: Profiting from misery. In: Reuters AlertNet. 27. April 2007. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  12. Somalia: War Crimes in Mogadishu. In: Human Rights Watch. 12. August 2007. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  13. Routinely Targeted. In: Amnesty International. 6. Mai 2008. Abgerufen am 20. November 2008. (PDF, engl.)
  14. Jeffrey Gettleman: Somali Town Falls to Insurgent Raid. In: New York Times. 1. April 2008. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  15. Move to probe Somali atrocities. In: BBC NEWS. 24. November 2008. Abgerufen am 22. Dezember 2008. (engl.)
  16. Alisha Ryu: Peace Accord Brings More Violence to Somalia. In: VOA News. 13. Juni 2008. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  17. Mohamed Mohamed: Somalis grow fearful of Islamists. In: BBC NEWS. 12. November 2008. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  18. Mohamed Olad Hassan: New year heralds new Somali fears. In: BBC News. 30. Dezember 2008. Abgerufen am 2. Januar 2009. (engl.)
  19. 'One million' homeless in Somalia. In: BBC NEWS. 20. November 2007. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  20. Over 2.6 million Somalis could go hungry, UN agency warns. In: UN News Centre. 19. Mai 2008. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  21. Somalia faces dire crossroads as insecurity and drought combine. In: World Food Programme. 18. Juli 2008. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  22. Peter T. Leeson: Better Off Stateless: Somalia Before and After Government Collapse. Abgerufen am 20. November 2008. (PDF, engl.)

Literatur

  • Abdirizak Sheikh, Mathias Weber: Kein Frieden für Somalia?. Frankfurt 2005, ISBN 393451703X. 
  • Mathias Weber: Der UNO-Einsatz in Somalia. M.W. Verlag, Denzlingen 1997, ISBN 3-980538702. 
  • Verena „Vre“ Karrer; Elisabeth von Bäschlin (Hrsg.): Und grüße euch mit dem Lied des Regenvogels. eFeF, 2003, ISBN 3-905561-50-6 (Berichte einer Schweizerin, die in Merka humanitär tätig war, bis sie 2002 von Unbekannten ermordet wurde). 

Weblinks


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