Bündnisfall

Bündnisfall

Der Bündnisfall (lat. Casus Foederiscasus: der Fall, foedus: das Bündnis) bezeichnet in der diplomatischen Sprache den Begriff, der eine Lage kennzeichnet, in der eine von einem Staat aufgrund eines militärischen Beistandsvertrages eingegangene Verpflichtung wirksam wird, in einen Krieg einzutreten, den der jeweilige Bündnispartner führt, bzw. einen Krieg zum Schutze dieses Partners zu beginnen.

Inhaltsverzeichnis

Rechtliche Grundlage in Deutschland

Durch Artikel 24 des deutschen Grundgesetzes können, wie auch bei der UN und EU, Hoheitsrechte an zwischenstaatliche Institutionen abgegeben werden. Vor allem Absatz 2 nennt Verteidigungsbündnisse:

--Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.

Bündnisfall NATO

Im Nordatlantikvertrag, dem Vertrag über die NATO, ist in Artikel 5 der Bündnisfall als bewaffneter Angriff mit der Reaktion der gemeinsamen Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der UN anerkannten Rechts der Selbstverteidigung bezeichnet. Der Vertrag wurde entwickelt mit der Annahme eines Angriffes der Sowjetunion auf Westeuropa im Hinterkopf, der Bündnisfall musste aber in Zeiten des Kalten Krieges nicht ausgerufen werden.

Terroranschläge am 11. September 2001

Zum ersten und bisher einzigen Mal wurde der Bündnisfall[1][2] vom Nato-Rat am 12. September 2001 als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center und das Pentagon ausgerufen, mit der Einschränkung: »sofern die Terrorangriffe von außen gegen die USA gerichtet waren«. Beschlossen wurde der Bündnisfall durch den NATO-Rat erst am 4. Oktober. Zwei Tage zuvor, am 2. Oktober, hatte die US-Regierung Beweise vorgelegt, die einen bewaffneten Angriff der Taliban oder Al Qaidas auf die USA belegen.

Beratung im Deutschen Bundestag

Im April 2002 wurde von der PDS-Fraktion der Antrag gestellt, festzustellen, dass der Bündnisfall nicht länger als gegeben anzusehen sei.[3] Der Deutsche Bundestag hat den Antrag auf Drucksache 14/8664 in seiner 233. Sitzung am 25. April 2002 beraten. Der Antrag wurde an den Auswärtigen Ausschuss (federführend) sowie an den Rechts- und den Verteidigungsausschuss zur Mitberatung überwiesen. Der Antrag wurde am 12. Juni 2002 abgelehnt.

NATO-Beratungen

Die Vertreter der Niederlande, Belgiens und Portugals haben sich zuerst gegen eine Feststellung des Bündnisfalls nach Artikel 5 ausgesprochen. Der belgische Außenminister und damalige EU-Ratspräsident Louis Michel hat nach den Anschlägen in den USA dazu aufgerufen, den Weg der politischen Auseinandersetzung nicht zu verlassen. Der Bündnisfall wurde letzten Endes jedoch festgestellt.

Kritik

Nach Ansicht des Völkerrechtlers Manfred Rotter ist eine Militäraktion der Vereinigten Staaten „gegen irgendeinen Staat“ als Konsequenz der Anschlagsserie völkerrechtswidrig.[4] Nach dem Völkerrecht liege "auf gar keinen Fall eine Kriegssituation vor". Nach dem gegenwärtigen Stand der Information könne von Krieg nicht gesprochen werden, weil es keine zwei Völkerrechtssubjekte, die im Krieg miteinander stehen könnten, gebe. Man wisse derzeit „viel zu wenig über den Täterkreis“ und es könne „nicht gesagt werden, dass irgendein Staat mit diesem Wahnsinn in Verbindung steht“. Rotter widerspricht mit seiner völkerrechtlichen Analyse nicht nur den Darstellungen der Politiker, die immer wieder von „Krieg“ sprechen, sondern auch der NATO. Er betonte nämlich, dass auch kein Angriff auf die Vereinigten Staaten nach Artikel 5 des NATO-Vertrages vorläge. Unter Berufung darauf hatte die NATO das Vorliegen des „kollektiven Verteidigungsfalles“ festgestellt. Rotter hielt dem entgegen: Die NATO sei ein Militärbündnis und als solches derzeit nicht gefragt. „Gefragt ist nur Zusammenarbeit bei der Ermittlung der Täter“, auf polizeilicher oder allenfalls geheimdienstlicher Ebene.

Ende des Bündnisfalls

Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Antje Vollmer, hat mit ihrer rhetorischen Frage „Bündnisfall auf immer?“ darauf hingewiesen, dass ein unbegrenzter Bündnisfall nicht möglich sei. Der NATO-Rat habe es versäumt, ein klares Ziel, einen Ausgang und eine „Exitstrategie“ zu definieren.

Text des Artikel 5

„Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten. Von jedem bewaffneten Angriff und allen daraufhin getroffenen Gegenmaßnahmen ist unverzüglich dem Sicherheitsrat Mitteilung zu machen. Die Maßnahmen sind einzustellen, sobald der Sicherheitsrat diejenigen Schritte unternommen hat, die notwendig sind, um den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen und zu erhalten.“

Der Nordatlantikvertrag: Washington DC, 4. April 1949

Einzelnachweise

  1. NATO Pressemitteilung. Abgerufen am 15. September 2001.
  2. NATO Parliamentary Assembly Bekanntmachung. Abgerufen am Herbst 2001.
  3. Petra Bläss, Wolfgang Gehrcke, Carsten Hübner, Heidi Lippmann, Dr. Winfried Wolf und Roland Claus: PDS Antrag auf Aufhebung des Bündnisfalles 21.03.2002. Abgerufen am 13. Januar 2010.
  4. Prof. emerit. Dr. Manfred Rotter: Was sagt der NATO-Vertrag über den "Bündnisfall"? Abgerufen am 22. August 2007.

Weblinks


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