Béla Tarr

Béla Tarr
Béla Tarr auf dem Sarajevo Film Festival, 2007

Béla Tarr [ˈbeːlɒ tɒrː] (* 21. Juli 1955 in Pécs) ist ein ungarischer Filmregisseur. Er studierte an der Hochschule für Film und Theater in Budapest und ist seit 1990 Gastdozent an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin. Zu seinen Studenten dort zählten u.a. Fred Kelemen, Ingo J. Biermann und Sebastian Bieniek.

Im Alter von 16 Jahren unternahm er erste Versuche als Amateurfilmer, auf die schließlich die Bela-Balasz-Filmstudios aufmerksam wurden. Diese finanzierten im Jahr 1979 seinen Film Családi tüzfészek, der vom Sozialistischen Realismus beeinflusst war. Ab seiner Fernsehadaption von Macbeth (1982), die nur aus zwei Einstellungen besteht, änderte sich dieser Stil. Tarr wandte sich vom Realismus ab und zeigte sich fortan stark von Andrei Tarkowski beeinflusst. Charakteristisch für seine Filme wurden Schwarzweiß, abstrakte Bilder und lange Einstellungen, die nicht selten die komplette Länge einer 35-mm-Rolle (rund elf Minuten) dauern. So besteht Der Mann aus London in zweieinhalb Stunden aus nur 29 Einstellungen.

Die Filme Béla Tarrs werden häufig dem "remodernistischen Kino" zugerechnet[1], das der amerikanische Filmemacher Jesse Richards ab den späten 1990er Jahren zu propagieren begann. Laut Richards ist jeder Moment des Films Satanstango ein gutes Beispiel für das geschärfte Bewusstsein des Moments: Satanstango beginnt mit einer sieben Minuten und mehrere hundert Meter langen Kamerafahrt, die eine Kuhherde auf dem Weg aus einem Schuppen herauskommend durch ein heruntergekommenes ungarisches Dorf verfolgt. Es sei "schrecklich", dass "diese Art von Momenten im modernen Kino weitestgehend ignoriert" würden.[1]

Alle seiner Filme ab Verdammnis (1988) entstanden in Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller László Krasznahorkai. Großes internationales Aufsehen erregte seine Verfilmung von Krasznahorkais Roman Satanstango, ein 415-minütiger Schwarzweißfilm, an dem Tarr rund sieben Jahre lang arbeitete. Der Film ist eine äußerst wortgetreue Adaption von Krasznahorkais gleichnamigem Roman. Tarr betonte stets, dass der Film genau die gleiche Zeitspanne dauert, die man benötige, um den Roman zu lesen, siebeneinhalb Stunden. Satanstango hatte seine Premiere im "Forum" der Berlinale 1994 und wird seitdem von vielen Kritikern und Filmemachern in Europa und Amerika zu den wichtigsten Filmen der 1990er Jahre gerechnet. Neben Jesse Richards, Fred Kelemen oder IJ.Biermann nannte etwa der amerikanische Filmemacher Gus Van Sant die Begegnung mit Tarrs Filmen häufig als wichtigen Einfluss auf sein eigenes Schaffen, speziell auf die Filme ab Gerry, als Van Sant begann, in langen ungeschnittenen Einstellungen und mit Zeitverschiebungen zu erzählen. Van Sants Elephant bedient sich erklärtermaßen der gleichen Erzähldramaturgie wie Satanstango. Tarrs Filme kämen den tatsächlichen Rhythmen des Lebens so nahe, dass Van Sant das Sehen der Filme mit dem Sehen der Geburt eines "neuen Kinos": "[Béla Tarr] ist einer der wenigen wirklich visionären Filmemacher."[2]

Nach Jahre langen Schwierigkeiten in der Produktion[3] war Tarr mit seinem rund fünf Millionen Euro teuren Film The Man from London, einer Adaption des gleichnamigen Romans von Georges Simenon, im Wettbewerb der 60. Filmfestspiele von Cannes vertreten. 2009 kündigte er an, seinen letzten Film als Regisseur drehen zu wollen. A Torinói ló (The Turin Horse), dessen Weltpremiere im Wettbewerbsprogramm der Internationalen Filmfestspiele 2011 in Berlin erfolgte, brachte ihm den Großen Preis der Jury ein.[4]

Inhaltsverzeichnis

Filmografie

  • 1978: Hotel Magnezit (Kurzfilm)
  • 1979: Családi tüzfészek (engl. Titel: Family Nest)
  • 1981: Szabadgyalog (engl. Titel: The Outsider)
  • 1982: Macbeth (Fernsehfilm)
  • 1982: Panelkapcsolat (engl. Titel: The Prefab People)
  • 1985: Öszi almanach (engl. Titel: Almanac of Fall)
  • 1988: Verdammnis (Kárhozat)
  • 1990: Az utolsó hajó (engl. Titel The Last Boat), Segment aus City Life
  • 1990: Utolsó hajó (Kurzfilm)
  • 1994: Satanstango (Sátántangó)
  • 1995: Reise in der Tiefebene (Utazás az Alföldön, Kurzfilm)
  • 2000: Die Werckmeisterschen Harmonien (Werckmeister harmóniák)
  • 2004: Prologue, Segment aus Europäische Visionen (Visions of Europe)
  • 2007: Der Mann aus London (A Londoni férfi)
  • 2011: A Torinói ló (engl. Titel The Turin Horse)

Literatur

  • Hans-Joachim Schlegel: Béla Tarr: Der Blick nach Innen, in: Miteinander. Jahrbuch des Ungarischen Kulturinstituts in Stuttgart, hrsg. von Tibor Keresztury. Stuttgart 2008
  • Hans-Joachim Schlegel: Der nackte Mensch. Filmen am Rande des Nichts: Béla Tarr, in: "Film-Dienst" 2009, H. 23

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Jesse Richards über Remodernist Films, abgerufen am 19. Januar 2011
  2. Essay von Gus Van Sant im Katalog der MoMA-Retrospektive von Béla Tarrs Werk im Jahr 2001, abgerufen am 19. Januar 2011
  3. Statement von Béla Tarr zur Produktion von The Man from London bei der Filmunió Ungarn
  4. vgl. Preise der Internationalen Jury bei berlinale.de, 19. Februar 2011 (aufgerufen am 19. Februar 2011)

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