Abbé Sieyès

Abbé Sieyès
Porträt Emmanuel Joseph Sieyès' von Jacques-Louis David aus dem Jahr 1817

Emmanuel Joseph (seit 1808 Graf) Sieyès [ɛmaˈnɥɛl ʒoˈzɛf sjeˈjɛs] (* 3. Mai 1748 in Fréjus; † 20. Juni 1836 in Paris) war ein französischer Pfarrer (Abbé) und Staatsmann, einer der Haupttheoretiker der Französischen Revolution und der Ära des Französischen Konsulats.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Sieyès wurde an der Sorbonne für die Kirche ausgebildet; dort kam er mit den Lehren John Lockes, Condillacs und anderer politischer Denker in Berührung und vernachlässigte die Theologie. Trotzdem schlug er eine Kirchenlaufbahn ein, und dank seiner Gelehrsamkeit und Scharfsinnigkeit stieg er auf, bis er Generalvikar und Kanzler der Diözese von Chartres wurde. Im Jahr 1789, als die vorgeschlagene Wiedereinberufung der Generalstände nach anderthalb Jahrhunderten die Öffentlichkeit erregte und Necker Autoren einlud, ihre Ansichten hinsichtlich der Konstitution der Stände vorzutragen, veröffentlichte Sieyès seine Schrift Qu'est-ce que le Tiers État? (Was ist der Dritte Stand?). Darin beginnt er mit folgenden Fragen und Antworten:

  1. Was ist der Dritte Stand? - Alles.
  2. Was ist er bisher in der politischen Ordnung gewesen? - Nichts.
  3. Was fordert er? - Darin etwas zu werden.

Es wird vermutet, dass er diese Formulierung Chamfort verdankt. Weiter schreibt er in diesem Pamphlet über die herrschenden politischen Verhältnisse: "Hat man beachtet, daß wir diese Ordnung der Dinge, die bei uns aus niedrigen Beweggründen und, ich wage es zu sagen, aus viehischer Dummheit respektiert wird, verachtenswert, monströs, allem handwerklichen Fleiß abträglich, gesellschaftlichen Fortschritten entgegengesetzt, vor allem aber erniedrigend für das menschliche Geschlecht im allgemeinen und unerträglich für Europäer im besonderen finden, wenn wir in der Geschichte des alten Ägyptens oder in den Reiseberichten über Indien davon lesen (etc. etc)?"[1]. Das Pamphlet erregte große Aufmerksamkeit und sein Autor wurde trotz Zweifeln an seiner klerikalen Berufung als letzter der zwanzig Pariser Abgeordneten in die Generalstände gewählt. Trotz seines Versagens als Redner wurde sein Einfluss groß; er empfahl energisch die Erklärung der Ständeversammlung zur ständelosen Nationalversammlung, lehnte aber die Abschaffung des Zehnten und die Konfiszierung von Kirchengütern ab. Im Komitee zur Ausarbeitung einer Verfassung, in das er gewählt worden war, lehnte er das Recht eines absoluten Vetos für den König ab, das Mirabeau erfolglos unterstützte. Zum großen Teil verschleierte er jedoch seine Meinung in der Nationalversammlung; er sprach nur selten, und dann in orakelhafter Kürze und Mehrdeutigkeit. Im Saal saß er in der Mitte zwischen den Girondisten und den Montagnards. Er hatte beträchtlichen Einfluss bei der Gestaltung des Département-Systems, aber nach dem Frühjahr 1790 wurde er von Männern mit entschlossenerem Charakter verdrängt. Nur einmal wurde er in das Amt des zweiwöchigen Präsidenten der Nationalversammlung gewählt. Von der Gesetzgebenden Versammlung durch die selbstverleugnende Anordnung Robespierres ausgeschlossen, tauchte er wieder in der dritten Nationalversammlung auf, die man als Nationalkonvent bezeichnet (September 1792 - September 1795). In dieser Versammlung wurde seine Zurückgezogenheit noch auffälliger; teilweise kam das von seiner Empörung, teilweise von seiner Ängstlichkeit. Nach dem Terrorregime charakterisierte er sein Verhalten mit der ironischen Bemerkung J'ai vécu (Ich habe überlebt). Er stimmte für die Hinrichtung Ludwigs XVI., aber es ist bekannt, dass er viele der Vorschriften in den Konstitutionen der Jahre 1791 und 1793 missbilligte, wenn er auch wenig oder nichts tat, um sie zu verbessern.

1795 begab er sich auf eine diplomatische Mission nach Den Haag und war an der Verhandlung über einen Vertrag zwischen der französischen und der batavischen Republik beteiligt. Er wich von der 1795er Konstitution (des Direktoriums) in einigen Punkten ab, allerdings ohne Erfolg. Daraufhin lehnte er ab, als Direktor der Republik zu dienen. Im Januar 1798 reiste er als Generalbevollmächtigter Frankreichs an den Hof in Berlin, um zu versuchen, Preußen zu einem Zusammenschluss gegen die Zweite Koalition zu bewegen. Sein Verhalten war geschickt, aber er scheiterte mit seiner Hauptabsicht. Das mit seinem Namen verbundene Prestige führte dazu, dass er im Mai 1799 zum Direktor Frankreichs an Reubells Stelle gewählt wurde. Er hatte bereits begonnen, Intrigen für einen Sturz des Direktoriums zu spinnen, und es heißt, er habe daran gedacht, so unwahrscheinliche Personen wie den Erzherzog Karl oder den Herzog von Braunschweig an die Macht zu bringen. Er machte sich nun daran, die Basis der Konstitution von 1795 zu unterminieren und verursachte schließlich die Schließung des Jakobinerklubs. Wegen eines zukünftigen Staatsstreichs näherte sich General Joubert an. Der Tod Jouberts in der Schlacht von Novi und die Rückkehr Napoleons aus Ägypten machten seine Pläne zunichte.

Schließlich kam er jedoch zur Übereinkunft mit dem jungen General. Nach dem Staatsstreich am 18. Brumaire verfasste Sieyès die perfekte Verfassung, der er schon lange geplant hatte, die aber von Bonaparte völlig umgemodelt wurde. Sieyès zog sich bald vom Posten eines provisorischen Konsuls zurück; er wurde daraufhin einer der ersten Senatoren. Nach dem Bombenattentat Ende 1800 (Nivôse-Affäre) verteidigte Sieyès im Senat das willkürliche und illegale Vorgehen, mit dem sich Bonaparte der führenden Jakobiner entledigte. Während des Kaiserreichs tauchte Sieyès selten wieder aus seinem Ruhestand auf, aber zur Zeit der bourbonischen Restauration (1814 und 1815) verließ er Frankreich. Nach der Julirevolution kehrte er zurück und starb 1836 in Paris.

Biographie

Sohn eines Angestellten des Fiskus und Postmeisters, studierte er am Seminar von Saint-Sulpice in Paris und wurde Pfarrer im Jahre 1774. Er nahm aktiv Anteil an der französischen Revolution, beginnend mit der Veröffentlichung seiner Schrift "Was ist der Dritte Stand?" (1789, die ein großes Echo fand), bis zur Beendigung der Revolution durch seine Teilnahme am Staatsstreich des 18. Brumaire 1799.

1789 wurde er als Abgeordneter des Dritten Standes in die Generalstände gewählt und schlug am 17. Juni 1789 die Umwandlung der Versammlung des Dritten Standes in die Nationalversammlung vor. Er verfasste den Ballhausschwur und arbeitete an der Redaktion der Verfassung. Gewählt in den Konvent, stimmte er für den Tod des Königs. Sein Priesteramt gab er nach der Einführung der Zivilverfassung des Klerus auf. Während der Vorbereitung der Verfassung des Jahres III, am 20. Juli 1795 (2.thermidor), hielt er eine berühmt gewordene Rede, in der er einen Verfassungsgerichtshof vorschlug, der die Verfassungsmäßigkeit der Tätigkeit der Staatsorgane überprüfen sollte. 1795 lehnte er die Wahl zum Direktor im Direktorium ab. 1798 wurde er als Botschafter nach Berlin entsandt. 1799 entschied er sich für das Direktorium und bereitete dort den Staatsstreich des 18. Brumaire vor. Unter dem Kaiserreich wurde er Präsident des Senats. Von 1815 bis 1830 war er als régicide (Königsmörder) in Brüssel im Exil. Er kehrte nach Frankreich 1830 zurück.

Französische Akademie

Im Jahre 1795 war Sieyès eines der ersten Mitglieder der Académie des sciences morales et politiques des neuen Institut de France.

Bei der Reorganisation des Instituts von 1803 wurde er in die zweite Klasse gewählt, wo er Sitz 31 einnahm, auf dem früher der Astronom und Politiker Jean-Sylvain Bailly, guilliotiniert 1793, saß.

Nach der Restauration von 1815 wurde Sieyès von der Akademie wegen seiner Rolle bei der Exekution von Ludwig XVI als régicide ausgeschlossen und vom Marquis de Lally-Tollendal ersetzt, ernannt durch königlichen Beschluss.

Quellen

  1. Sieyes über die Rolle des Dritten Standes, "Was ist der Dritte Stand?" in: Paschold/Gier: Die Französische Revolution, Ein Lesebuch mit zeitgenössischen Berichten und Dokumenten, Stuttgart 2005.

Weblinks


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