Buchstabenmystik

Buchstabenmystik

Gematrie oder Gematria (von hebr. גימטריה, gimatr-ja) ist die hermeneutische Technik der Interpretation von Worten mit Hilfe von Zahlen. Dabei werden Buchstaben nach unterschiedlichen Schlüsseln in ihre entsprechenden Zahlenwerte überführt, um aus diesen Bedeutungen zu erschließen und Beziehungen herzustellen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Gematrie beruht auf der Tatsache, dass im griechischen und im hebräischen Alphabet wie auch in der Vorgängerschrift des modernen Arabischen keine speziellen Zahlzeichen existierten, sondern statt dessen die Buchstaben selbst verwendet wurden. Daher kann jedes Wort auch als eine Gruppe von Zahlzeichen gelesen werden. Ihre Summe oder durch andere Rechenoperationen gewonnenen Werte stehen dann für das Wort und können zu anderen Zahlen, Worten und Wortproportionen in Beziehung gesetzt werden. Gematrie findet man in vielen Kulturen, besonders ausgeprägt erscheint sie in der jüdischen Tradition.

Das Wort Gematrie ist ein hebräisches Lehnwort aus dem Griechischen. Die genaue Ableitung ist jedoch unklar. Wahrscheinlich stand das griechische griechisch γεωμετρία („geometria“, „Landvermessung“ ) Pate.[1] Jedoch wurden auch Ableitungen von τὸ γράμμα bzw. γραμματεία (gr. „Geschriebenes“) mit erleichternder Konsonantenumstellung erwogen[2].

Zum ersten mal wird das Wort greifbar im Mischnatraktat Sprüche der Väter (פרקי אבות, „Pirqe Abot“), wo es heißt: „Astronomie und Gematrien sind Zukost zur Weisheit“ (Abot III). Ob hiermit schon Gematrie in späterem Sinne gemeint ist, ist zweifelhaft, da mit der parallelen Nennung der Astronomie der Gegensatz zwischen Himmel (Astronomie) und Erde (Geometrie) angesprochen scheint. Im Traktat Terumot des Jerusalemer Talmud heißt es: „Wir tasteten hier in der Irre wie der Stab des Blinden, bis wir es durch חשבון גימטריא erschlossen“ (pTer V,1). Der hier verwendete hebräische Ausdruck heißt etwa: „gematrische Berechnung“.

Die explizite Verwendung hebräischer Buchstaben als Zahlen ist in der hebräischen Bibel nicht und im außerbiblischen Judentum erst im 1. Jahrhundert v. Chr. bezeugt.[3] Zu dieser Zeit waren jedoch griechische Zahlenbuchstaben bereits mindestens seit zweihundert Jahren in Gebrauch, so dass man in der Forschung annimmt, die Gematrie gehe auf griechische Einflüsse, insbesondere auf die pythagoreische Zahlenmystik zurück.[4] Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die hebräische und die griechische Schrift aus dem phönizischen Alphabet entwickelten und von dorther ähnlichen Entwicklungstendenzen unterworfen waren.

Zahlenwerte
Hebräisch Wert
Aleph א 1
Beth ב 2
Gimel ג 3
Daleth ד 4
He ה 5
Waw ו 6
Zajin ז 7
Chet ח 8
Tet ט 9
Jod י 10
Kaph כ 20 oder 500
Lamed ל 30
Mem מ 40 oder 600
Nun נ 50 oder 700
Samech ס 60
Ajin ע 70
Pe פ 80 oder 800
Tzade צ 90 oder 900
Koph ק 100
Resch ר 200
Schin ש 300
Taw ת 400
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Verfahren

Gematrie ist ein zahlenbasiertes Verfahren der Hermeneutik. Um eine Stelle oder ein Wort zu interpretieren, kann die Gematrie herangezogen werden. Bei Rabbi Eliezer ben Jose Hagaleli wird es als die 29. von den 32 Auslegungsregeln erwähnt. Typisch für die Gematrie ist, dass sie in den Buchstaben Zahlen sieht, und diese zu Gleichungen arrangiert, sodass Worte mit derselben Summe, nach demselben Verfahren gebildet, sich angeblich erklären sollen. Dabei sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Gershom Scholem zitiert über 70 verschiedene Schlüssel der Umsetzung.

Beispiele

Gematrie lässt sich in der Tora selbst nicht nachweisen, obwohl dort viel etymologisch erklärt wird. Hier einige Gleichungen nach gematrischem Verfahren:

  • 1. צמח (Semach - Keim) = מנחם (Menachem - Tröster) Zahlenwert beider Worte: 138. Dieser identische Zahlenwert soll die Aussage „Der Tröster ist ein Keim“ begründen.
  • 2. משיח (Maschiach - Gesandter) = נחש (Nachasch - Schlange) Zahlenwert beider Worte: 358
  • 3. יהוה (JHWH - GOTT) = מקום (Makom - Ort) Zahlenwert beider Worte: 186. Hier müssen die Zahlenwerte von GOTT quadriert werden damit die Gleichung stimmt.

Das populärste und wirkungsreichste biblische Beispiel zur Gematrie findet sich in der Offenbarung des Johannes im Neuen Testament (Offb 13,18 EU). Dort wird die „Zahl des Tieres“, einer widergöttlichen mythischen Gestalt, mit „Sechshundertsechsundsechzig“ angegeben. Die verbreitetste Auflösung dieser Zahl deutet sie auf die hebräische Transkription נרון קסר für den griechischen Namen „Kaiser Nero“.

Siehe auch

Literatur

  • Otto Böcher: Art. Gematria. In: Neues Bibellexikon Bd. 1. Zürich 1991, ISBN 3-545-23074-0.
  • George Ifrah: Universalgeschichte der Zahlen. Frankfurt, New York 1991, ISBN 3-593-34192-1.
  • Shmuel Sambursky: On the Origin and Significance of the Term Gematria. In: Journal of Jewish Studies 29 (1978), S. 35–38.
  • Hermann Leberecht Strack, Günter Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch. 8. Auflage. C. H. Beck, München 1992, ISBN 978-3406366956 .

Weblinks

Einzelnachweise

  1. S. Sambursky, „On the Origin and Significance of the Term Gematria“
  2. Strack, Stemberger, „Einleitung in Talmud und Midrasch“, S. 38
  3. G. Ifrah, Universalgeschichte der Zahlen, S. 295
  4. O. Böcher, Gematrie, Sp. 777

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