Brokdorf-Beschluss

Brokdorf-Beschluss

Der Brokdorf-Beschluss ist eine Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Versammlungsrecht von 1985. Darin befasste sich das Bundesverfassungsgericht erstmals mit der Versammlungsfreiheit.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Während der Planungs- und Bauphase des Kernkraftwerks Brokdorf fanden seit Mai 1976 Demonstrationen statt, die teilweise gewaltsam verliefen. Am 28. Februar 1981 demonstrierten weit mehr als 50.000 Bürger größtenteils friedlich gegen den Bau. Die juristische Auseinandersetzung im Vorfeld endete letztinstanzlich mit einem Verbot dieser Großdemonstration. Das Bundesverfassungsgericht entschied im Mai 1985 über die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde der Veranstalter.

Sachverhalt

Am 14. Februar beschlossen die Bürgerinitiativen, am 28. Februar eine Großdemonstration durchzuführen, und riefen öffentlich zur Beteiligung auf. Nachdem am 21. die Details geplant waren, sollte die Demonstration am nächsten Werktag, dem 23. Februar 1981 offiziell angemeldet werden. An diesem Tag erließ der Landrat des Kreises Steinburg eine Allgemeinverfügung, durch die im Zeitraum vom 27. Februar bis zum 1. März 1981 alle gegen das Kernkraftwerk gerichteten Demonstrationen am Baugelände und dem umliegenden Gebiet der Wilstermarsch verboten wurde. Gleichzeitig ordnete der Landrat die sofortige Vollziehung der Allgemeinverfügung an.

Das Demonstrationsverbot wurde damit begründet, dass entgegen der gesetzlichen Regelung des § 14 Versammlungsgesetz bisher keine Anmeldung erfolgt sei. Selbst wenn die Demonstration bereits angemeldet gewesen wäre, hätte sie aber untersagt werden müssen, da es zu unfriedlichen Aktionen kommen werde. Gestützt wurde diese Aussage auf Zeitungsberichte, Angaben in Flugblättern verschiedener Gruppierungen und Erfahrungen bei anderen Demonstrationen.

Gegen diese Allgemeinverfügung legten die Bürgerinitiative sowie ein anderer Verein, der ebenfalls eine Demonstration geplant hatte, Widerspruch ein, über den der Landrat jedoch zunächst nicht entschied (er wies den Widerspruch erst im Sommer des Jahres zurück). Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht ordnete auf Antrag der Beschwerdeführer am 27. Februar 1981 die teilweise Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche dahingehend an, dass das Verbot nicht das gesamte Gebiet betreffe.

Hiergegen erhoben der Landrat und andere Beteiligte Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein, welches in der Nacht zum 28. Februar 1981 die erstinstanzlichen Entscheidungen durch Beschlüsse dahingehend abänderte, dass die Anträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in vollem Umfang zurückgewiesen wurden. In seiner Begründung führte es aus, dass eine Gefahr bestünde und keine Ermessensfehler seitens des Landrats zu erkennen seien. Auch sei fraglich, ob eine nicht angemeldete Versammlung den Schutz des Art. 8 GG genießen könne, dessen Garantie durch die versammlungsrechtlich vorgesehene Anmeldepflicht eingeschränkt sei.

Noch in derselben Nacht legten die Beschwerdeführer gegen dieses Urteil Verfassungsbeschwerde ein, über die im Mai 1985 entschieden wurde. Gleichzeitig stellten die Veranstalter beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der erfolglos blieb. Gleichwohl fand die Demonstration unter Beteiligung von weit mehr als 50.000 Bürgern statt.

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Keine Anmeldepflicht bei Spontandemonstrationen

In seinem Beschluss in der Hauptsache legte das Bundesverfassungsgericht dar, dass das Erfordernis des Versammlungsgesetzes zur Anmeldepflicht von Veranstaltungen unter freiem Himmel den verfassungsrechtlichen Anforderungen bei verfassungskonformer Auslegung genüge. Die Vorschriften seien dahingehend auszulegen, dass die Anmeldepflicht bei Demonstrationen nicht eingreift, die sich aus einem aktuellem Anlass augenblicklich bilden (Spontandemonstrationen). Dafür spricht auch der Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 GG „ohne Anmeldung oder Erlaubnis“. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit wird durch das Grundgesetz gewährt, nicht durch das (dies nur einschränkende) Versammlungsgesetz. Eine Nichtanmeldung berechtigt dann nicht zu einer Auflösung oder einem Verbot. Damit bestätigte das Gericht die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes und die ganz herrschende Ansicht in der Literatur.

Berücksichtigung der Kooperation des Veranstalters

Die Eingriffsschwelle für Behörden sei umso höher, je mehr die Veranstalter von Demonstrationen vertrauensbildende Maßnahmen unternehmen oder zur Kooperation mit den zuständigen Behörden bereit seien.

Schutz der Versammlungsfreiheit friedfertiger Teilnehmer

Die Versammlungsfreiheit friedfertiger Demonstrationsteilnehmer bleibe auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen Einzelner oder einer Minderheit zu rechnen ist. Ein Verbot käme erst dann in Betracht, wenn eine Demonstration im Ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder der Veranstalter einen solchen Verlauf anstrebt oder billigt; auch hier seien jedoch seitens der Behörden zunächst alle Mittel auszuschöpfen, die den friedlichen Demonstranten eine Grundrechtsverwirklichung ermöglichen.

Anforderungen an die Gefahrenprognose bei Verboten

Da anders als im allgemeinen Polizeirecht Verbote und Auflösungen von Versammlungen erst bei unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ergehen könnten, seien strenge Anforderungen an die anzustellende Gefahrenprognose zu erfüllen. Verdacht oder Vermutungen reichten nicht aus, vielmehr müsse die Prognose auf konkreten Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten beruhen.

Siehe auch

Weblinks

  • BVerfGE 69, 315, Beschluss des Ersten Senats vom 14. Mai 1985, Az. 1 BvR 233, 341/81.
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