Bombenteppich

Bombenteppich

Unter Flächenbombardement bzw. Flächenbombardierung versteht man die Bombardierung großer Flächen mit einer Vielzahl von Bomben, bei der keine einzelnen Ziele, sondern Zielzonen (gleich ob militärisch oder zivil) getroffen werden sollen. Der Tod von Zivilisten wird dabei billigend in Kauf genommen oder ist sogar ausdrückliches Ziel des Angriffs. Von Flächenbombardements wird z. B. erwartet, die kriegswichtige Industrie zu zerstören, massierte Stellungen des Gegners zu zerschlagen und/oder die Loyalität der Bevölkerung des verfeindeten Landes zu schwächen, um auf dem Weg eines politischen Umsturzes einen Krieg gewinnen zu können.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg und die Entwicklung der Luftfahrt in der Zeit danach machten deutlich, dass in zukünftigen Kriegen Flugzeuge eine wichtige taktische und strategische Rolle spielen würden. In seinem Buch Luftherrschaft hat der italienische General Giulio Douhet bereits 1921 das Bombardieren von Zivilbevölkerung und Industrieanlagen als Mittel der Kriegführung vorgeschlagen. Das Buch erregte in den militärischen Kreisen aller größerer Nationen Aufsehen und hatte besonders in den USA und Großbritannien erheblichen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der Luftstreitkräfte und Taktiken.

Als erstes Flächenbombardement gilt der Angriff der deutschen Legion Condor auf die baskische Kleinstadt Guernica im spanischen Bürgerkrieg 1937.

Zweiter Weltkrieg

Rotterdam nach der Zerstörung und Enttrümmerung

Flächenbombardements wurden als Mittel der Kriegführung zu Beginn des Zweiten Weltkrieges im Osten erstmals am 1. September 1939 gegen Wieluń mit 87 deutschen Sturzkampfbomber (Stuka) eingesetzt und zerstörten dort 70 % der Stadt[1], dann am 13. September 1939 gegen Frampol und anschließend bei der Belagerung von Warschau in Kombination mit Artilleriebeschuss durch die deutsche Wehrmacht eingesetzt. Im Westen erfolgte das erste Flächenbombardement am 11. Mai 1940 durch die britische Royal Air Force (RAF). Diese griff einen Tag nach Beginn des Westfeldzuges mit 35 Maschinen erstmals die Innenstadt von Mönchengladbach am Niederrhein an. Bei einem schweren Bombardement mit Sprengbomben durch die deutsche Luftwaffe auf die niederländische Stadt Rotterdam am 14. Mai 1940 starben 814 Einwohner.

Nach dem Fall Frankreichs setzte die britische Militärführung in Ermangelung anderer militärischer Optionen auf den strategischen Luftkrieg. Dieser folgte der seit 1928 beim Aufbau der Royal Air Force durch Luftmarschall Hugh Trenchard festgelegten und nach ihm benannten Trenchard-Doktrin, d.h. der gezielten Bombardierung von Rüstungszentren im feindlichen Hinterland. Gemäß dieser Doktrin hatte Großbritannien bereits seit Mitte der 1930er Jahre seine Luftwaffe mit Fernbomberverbänden ausgerüstet. Dies ermöglichte der britischen Militärführung die schnelle Wahrnehmung dieser strategischen Option im Frühjahr 1940.

Zu häufigen großflächigen Angriffen der Royal Air Force kam es jedoch erst nach den deutschen Luftangriffen auf die britischen Inseln. Die deutschen Luftangriffe folgten einem ursprünglich dreistufigen Angriffsplan. Ihr Ziel war die absolute Luftherrschaft über weite Teile Süd- und Südwestenglands als Voraussetzung für die geplante Invasion Englands (Unternehmen Seelöwe). Die erste Stufe des Plans sah Angriffe auf Flugplätze und Radarleitstationen (Sector Stations) vor. Die zweite Stufe sah Angriffe auf Zentren der britischen Luftrüstung vor. Die dritte Stufe sah die direkte taktische Luftunterstützung bei der geplanten Invasion vor. Stufe Drei wurde nicht umgesetzt. Zu den bekanntesten Angriffen der Stufe Zwei zählt der Angriff auf die britische Industriestadt Coventry. Coventry wurde wegen seiner Bedeutung für die britische Luftrüstung (Rolls-Royce Flugzeugmotorenwerke) zum Ziel. Bei dem Flächenangriff der deutschen Luftwaffe starben 568 von damals 328.000 Einwohnern. Dies war der schwerste Angriff der deutschen Luftwaffe auf eine einzelne britische Stadt. Ohne den deutschen Angriff auf Coventry wären extreme Flächenbombardierungen deutscher Städte wahrscheinlich kaum in der britischen Öffentlichkeit durchsetzbar gewesen. Coventry war somit der Anlass, nicht jedoch der Grund zur starken Ausweitung der Flächenbombardements deutscher Städte. Der Grund war strategischer Natur und basierte auf der Trenchard-Doktrin.

Umstritten ist bis heute, ob punktgenaue Bombenabwürfe die flächenhafte Zerstörung von bewohnten Stadtgebieten hätten verhindern können. Der damalige Stand der Technik führte zu einer gewissen Streuung der Bomben bei riskanten Tagangriffen. Die anfängliche deutsche Lufthoheit, die die Royal Air Force zu Nachtangriffen zwang, machten eine präzise Bombardierung einzelner Ziele unmöglich. Vor dem Hintergrund verschiedener wissenschaftlicher Untersuchungen von Forschungseinrichtungen des britischen Luftfahrtministeriums über die Zielgenauigkeit, die Waffenproduktion, des Verlustrisikos und der "Effektivität" bereits erfolgter britischer Luftangriffe kam es damals zu der Entscheidung der britischen Militärs, verstärkt Brandbomben und Luftminen über dicht bebauten Stadtgebieten Deutschlands abzuwerfen, um so einen Feuersturm zu entfachen. Diese Strategie wurde am 14. Februar 1942 in der von Luftmarschall Charles Portal, dem Vorgänger von Arthur Harris, entwickelten Area Bombing Directive festgelegt. In den Begleitakten dieser Richtlinie vermerkte Portal hierzu: "Es ist klar, daß die Zielpunkte die Siedelungsgebiete sein sollen und beispielsweise nicht Werften oder Luftfahrtindustrien." Die Umsetzung dieser Strategie fiel dem Nachfolger von Luftmarschall Charles Portal, dem Luftmarschall Arthur Harris zu. Dieser wurde von Premierminister Churchill, dem Vorsitzenden des Kriegskabinetts beauftragt, das moral bombing als Befehlshaber des Bomber Command zu führen. Das moral bombing sollte durch gezielte Angriffe auf die Zivilbevölkerung, insbesondere die Industriearbeiterschaft, deren Moral brechen und ihren Widerstandswillen schwächen.

Die Area Bombing Directive stellte einen bedeutsamen Politikwechsel dar. Hohe Verluste der deutschen Zivilbevölkerung wurden damit nicht mehr nur billigend in Kauf genommen, sondern sie wurden zum eigentlichen Ziel der Luftangriffe. Zur Durchführung dieser Strategie wurde in einer detaillierten, nach Priorität sortierten Zielliste zuerst alle deutschen Städte mit über 100.000 Einwohnern, später auch alle über 15.000 Einwohnern erfasst. Nach dieser Liste wählte das britische Bomber Command seine Ziele aus. Diese Liste ermöglichte auch das flexible Zuweisen von Ausweichzielen, falls, z. B. wegen ungünstiger Wetterbedingungen, ein Ziel nicht erreichbar war. Dem britischen Luftkrieg gegen Deutschland fielen nach unterschiedlichen Angaben zwischen 420.000 und 570.000 Zivilisten zum Opfer. Auch die Verluste der angreifenden Royal Air Force waren sehr hoch. Von 125.000 eingesetzten Soldaten fielen 55.000, d.h. 44% während der Angriffe. Bei den deutschen Luftangriffen auf Großbritannien starben bis 1945 etwa 60.000 Menschen.


Köln 1945

Diese Form der Kriegsführung war in Großbritannien umstritten. Der anglikanische Bischof George Kennedy Allen Bell, Mitglied des Oberhauses, wandte sich mehrfach öffentlich gegen die Politik Winston Churchills und bezeichnete das area bombing als "barbarisch". Die Antwort waren empörte Proteste von Politikern und Privatpersonen.

Nach dem Eintritt der USA in den Krieg bombardierten amerikanische Verbände (USAAF) bei Tag deutsche Ziele mit Sprengbomben, legten allerdings den Schwerpunkt auf industrielle und verkehrstechnische Anlagen (Big Week).

Die nächtlichen Luftangriffe auf Hamburg (Operation Gomorrha) 1943, Köln (Operation Millennium) und der Luftangriff auf Dresden 1945 durch die britische Luftwaffe (RAF) waren perfektionierte Flächenbombardements mit 40-60% Stabbrandbomben. Die gewünschten Feuerstürme forderten daher sehr viele Menschenleben. Der prozentual an Menschenverlusten größte britische Luftangriff erfolgte auf die Kleinstadt Pforzheim mit damals 65.000 Einwohnern. Von diesen kamen bei einem einzigen zweiundzwanzigminütigen britischen Luftangriff 20.277 Einwohner (31,2 %) ums Leben. Weitere besonders schwere Angriffe, bei denen Feuerstürme für extrem hohe Opferzahlen sorgten, waren der Angriff auf Darmstadt (12.300 Tote, 70.000 Obdachlose) am 12. September 1944 und auf Kassel (10.000 Tote) am 22. Oktober 1943.

Der erwartete Einbruch der Moral trat weder während der Luftschlacht um England noch bis kurz vor Kriegsende auf deutscher Seite ein. Die deutsche Rüstungsproduktion steigerte sich trotz Bombardierungen seit 1942 bis 1944 kontinuierlich.

Auch in Asien kam es während des Zweiten Weltkrieges zu Flächenbombardierungen, insbesondere der USA auf Japan in den Jahren 1944 bis 1945. Bei zwei schweren US-amerikanischen Luftangriffen auf den Großraum Tokio-Yokohama am 25. Februar und 9. März 1945 starben insgesamt mehr als 100.000 Menschen. Insbesondere trug hierzu der erstmals großflächige Einsatz der neuentwickelten Napalmbomben bei. Diese führten zu großflächigen Bränden (Feuersturm) in den dichtbebauten japanischen Großstädten mit ihren großteils in traditioneller japanischer Holzbauweise errichteten Häusern.

Sonstige Kriege

Im Vietnamkrieg zerstörten die Amerikaner durch Flächenbombardements Städte im Mekong-Delta, zum Einsatz kam vor allem der Langstreckenbomber Boeing B-52.

amerikanischer Napalm-Angriff im Vietnamkrieg

Im Zweiten Golfkrieg war die U.S. Air Force technisch so gut ausgerüstet, dass Luftangriffe mit höherer Präzision durchgeführt werden konnten und Flächenbombardements von Städten überflüssig waren.

Beim U.S. Angriff auf Afghanistan löste die nahezu zeitgleiche Kopplung massiver, aber (durch technische Verbesserungen der Zielerfassung und Bomben) präziserer Flächenbombardements mit dem Abregnen von Care Paketen weltweite Proteste aus, da befürchtet wurde, es könnte auf Seiten der Bevölkerung zu Verwechslungen zwischen Blindgängern und Hilfspaketen kommen.

Völkerrechtliche Bewertung

Die Bombardements behandelnde Haager Landkriegsordnung stammte noch aus dem Jahr 1907 und erwähnt den Begriff des Luftangriffes nicht ausdrücklich. Jedoch heißt es dort in Artikel 25, "es ist untersagt, unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude, mit welchen Mitteln es auch sei, anzugreifen oder zu beschießen".

Auch nach heute gültigem humanitären Völkerrecht sind flächendeckende Bombardierungen ziviler oder Zivilisten unvertretbar betreffender Ziele eindeutig als Kriegsverbrechen zu werten, da nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges Flächenbombardements in den Genfer Abkommen 1949 umfassend neu geregelt und begrenzt wurden. Insbesondere definiert Artikel 51 des Zusatzprotokolls I (1977) [2] folgende Handlungen (unter anderen) als Kriegsverbrechen:

  • ein Angriff durch Bombardierung – gleich mit welchen Methoden oder Mitteln – bei dem mehrere deutlich voneinander getrennte militärische Einzelziele in einer Stadt, einem Dorf oder einem sonstigen Gebiet, in dem Zivilpersonen oder zivile Objekte ähnlich stark konzentriert sind, wie ein einziges militärisches Ziel behandelt werden,
  • ein Angriff, bei dem damit zu rechnen ist, dass er auch Verluste an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder mehrere derartige Folgen zusammen verursacht, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.

Siehe auch

Literatur

  1. Joachim Trenkner: Ziel vernichtet. In DIE ZEIT 07/2003. [1]
  • Jörg Friedrich, Der Brand, München, Propyläen, 2002 ISBN 3-549-07165-5
  • Eckart Grote: Target Brunswick 1943 – 1945. Luftangriffsziel Braunschweig – Dokumente der Zerstörung. Braunschweig 1994
  • Peter Guttkuhn: 28./29. März 1942: ... und Lübeck sollte sterben... in: Vaterstädtische Blätter, Lübeck 1982, 33. Jg., S. 3 - 6.
  • Hampe, Erich: Der zivile Luftschutz im Zweiten Weltkrieg: Dokumentation und Erfahrungsberichte über Aufbau und Einsatz. Frankfurt a.M.: Bernard und Graefe 1963.
  • Rudolf Prescher: Der Rote Hahn über Braunschweig. Luftschutzmaßnahmen und Luftkriegsereignisse in der Stadt Braunschweig 1927 – 1945. Braunschweig 1955

Weblinks


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