Blauer Reiter

Blauer Reiter
Franz Marc: Turm der blauen Pferde, 1913, verschollen
August Macke: Helles Haus, 1914
August Macke: Porträt des Franz Marc, 1910

Der Blaue Reiter ist der Titel eines von Wassily Kandinsky und Franz Marc herausgegebenen Almanachs, der zugleich den losen Zusammenschluss von Malern des Expressionismus als „Kunstredaktion“ oder Künstlerkreis im Dezember 1911 in München bezeichnet. Die Künstler im Umfeld des Blauen Reiters waren wichtige Wegbereiter der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der Blaue Reiter wurde im Jahr 1911 in München von Wassily Kandinsky und Franz Marc gegründet, nachdem Kandinsky die ebenfalls von ihm gegründete Neue Künstlervereinigung München im Streit verlassen hatte. Das Ziel war die Befreiung von der erstarrten Tradition der akademischen Malerei. Am 19. Juni 1911 schlug Kandinsky Marc vor, einen Almanach mit Reproduktionen und Artikeln herauszugeben; Marc willigte ein.

Marc und Kandinsky hatten jedoch nicht die Absicht, eine neue Künstlervereinigung im Sinne einer Gemeinschaft mit „festen Statuten“ zu schaffen oder eine bestimmte Richtung zu propagieren, sondern sie wollten vielmehr die Vielfalt der Kunstausdrücke in einem redaktionellen Kontext bündeln.[1]

Das Redaktionsteam bestand aus Kandinsky und Marc, eine lockere Gruppe Gleichgesinnter kam hinzu. Die Herausgabe des Almanachs wurde jedoch zugunsten einer Ausstellung aufgeschoben, um den Bekanntheitsgrad der Gruppe zu erhöhen. Kandinsky äußerte sich zur Namensgebung in seinem Rückblick:

„Den Namen 'Der Blaue Reiter' erfanden wir am Kaffeetisch in der Gartenlaube in Sindelsdorf. Beide liebten wir Blau, Marc – Pferde, ich – Reiter. So kam der Name von selbst.“ [2]

Weitere Mitglieder waren unter anderen August Macke, Gabriele Münter, Marianne von Werefkin, Alexej von Jawlensky, Alfred Kubin. Paul Klee und Hanns Bolz waren keine offiziellen Mitglieder der Gruppe, fühlten sich dem Kreis jedoch eng verbunden und stellten wiederholt mit ihnen aus. Auch Komponisten wie Arnold Schönberg, der zugleich Maler war, gehörten dem Blauen Reiter an. Die Mitglieder vereinte ihr Interesse an mittelalterlicher und primitiver Kunst und den zeitgenössischen Bewegungen des „Fauvismus“ und „Kubismus“.

August Macke und Franz Marc vertraten die Auffassung, dass jeder Mensch eine innere und eine äußere Erlebniswirklichkeit besitzt, die durch die Kunst zusammengeführt werden sollte. Diese Idee wurde von Kandinsky theoretisch untermauert. Angestrebt wurde eine Gleichberechtigung der Kunstformen.

Ausstellungen Der Blaue Reiter 1911–1912

Die erste der beiden Ausstellungen des Blauen Reiters fand vom 18. Dezember 1911 bis zum 1. Januar 1912 in der Modernen Galerie Heinrich Thannhauser in München statt. Sie zeigte 49 Werke von Hans Arp, Albert Bloch, Heinrich Campendonk, Robert Delaunay, Wassily Kandinsky, Henri Matisse, August Macke, Gabriele Münter, Emil Nolde, Pablo Picasso, Henri Rousseau und anderen. Auch die zu dieser Zeit moderne Musik wurde in die Ausstellung einbezogen, so Veröffentlichungen von Alban Berg, Arnold Schönberg und Anton von Webern. [3] Die Ausstellung ging anschließend auch auf Tournee in weitere Städte, unter anderem nach Köln und Berlin.

Die zweite Ausstellung folgte vom 12. Februar bis 18. März 1912 unter dem programmatischen Titel Schwarz-weiß in der Münchner Buch- und Kunsthandlung Hans Goltz. Sie zeigte ausschließlich druckgraphische Blätter und Zeichnungen, unter anderem auch Werke von Paul Klee und den Brücke-Künstlern.

Almanach Der Blaue Reiter

Der Name der Gruppe leitet sich auch von einem gleichnamigen Holzschnitt Kandinskys aus dem Jahr 1911 ab, der 1912 als Umschlagillustration zu dem Almanach mit dem gleichen Titel Der Blaue Reiter diente. Zur Farbe Blau, die das Bild dominiert, schrieb Kandinsky:

„Je tiefer das Blau wird, desto tiefer ruft es den Menschen in das Unendliche, weckt in ihm die Sehnsucht nach Reinem und schließlich Übersinnlichem. Es ist die Farbe des Himmels.“ [4]
August Macke: Porträt Bernhard Koehler

Mäzene des Vorhabens waren der Kunstsammler Bernhard Koehler und der Verleger Reinhard Piper, die finanzielle Unterstützung versprachen. Ein weiterer Gönner des Projekts, der Kunsthistoriker und Museumsfachmann Hugo von Tschudi, verstarb noch vor Erscheinen des Buches. Der Tschudi gewidmete Almanach mit 141 Reproduktionen, 19 Artikeln und drei Musikbeilagen erschien unmittelbar nach der ersten Ausstellung des Blauen Reiters, herausgegeben von Kandinsky und Marc, bei Piper in München. Der Verlag übernahm Werbung und Vertrieb, die Herstellungskosten Bernhard Koehler; Kandinsky und Marc mussten auf ein Honorar verzichten. [5] Die Erstauflage betrug 1200 Exemplare, die Druckplatten sollten für weitere Auflagen erhalten bleiben. [6]

Das programmatische Werk umfasste in Marcs Worten „die neueste malerische Bewegung in Frankreich, Deutschland und Russland und zeigt ihre feinen Verbindungsfäden mit der Gotik und den Primitiven, mit Afrika und dem großen Orient, mit der so ausdrucksstarken ursprünglichen Volkskunst und Kinderkunst, besonders mit der modernen musikalischen Bewegung in Europa und den neuen Bühnenideen unserer Zeit“. Arnold Schönberg beispielsweise trug neben Texten und Bildern die Komposition Herzgewächse zu dieser Schrift bei.

Das Münter-Haus in Murnau ist nach der Renovierung in den Jahren 1998/99 der Öffentlichkeit zugänglich.

In Murnau, wo Kandinsky und seine Lebensgefährtin Gabriele Münter seit 1909 wohnten, sowie im benachbarten Sindelsdorf, wo Franz Marc und Heinrich Campendonk ihren Wohnsitz hatten, fanden im Herbst 1911 entscheidende Teile der Vorarbeit und redaktionelle Besprechungen für die Ausgabe des Almanachs statt.

Das Haus von Münter, das die Einheimischen „Das Russenhaus“ nannten, entwickelte sich schnell zu einem Treffpunkt für die Künstler des Blauen Reiters. Der Almanach wurde im Sommer 1914 nachgedruckt; weitere Auflagen folgten, und er wurde in alle Weltsprachen übersetzt. Ein geplanter zweiter Almanach erschien nicht mehr, die Beziehungen der Gruppenmitglieder zueinander hatten sich aufgrund der dominanten Position Kandinskys abgekühlt. Bezeichnenderweise erschien der Nachdruck der ersten Auflage mit getrennten Vorworten der beiden Herausgeber.

Das Ende des Blauen Reiters

Das Projekt der Almanach-Reihe scheiterte nicht nur an den wachsenden Diskrepanzen innerhalb der Gruppe, sondern auch an den politischen Umständen. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, musste Kandinsky nach Russland zurückkehren und trennte sich endgültig von Münter. Die russischen Staatsbürger Jawlensky und von Werefkin verließen ebenfalls Deutschland. Marc und Macke fielen auf den Schlachtfeldern in Frankreich. München als Ort der Avantgarde in der modernen Kunst endete mit der Auflösung des Blauen Reiters.[7]

Der Blaue Reiter im Lenbachhaus

Das Lenbachhaus - Haupteingang

Nach der Trennung von Kandinsky hatte sich in den 1920er Jahren ein Rechtsstreit um die Eigentumsverhältnisse an dessen Murnauer Bilder entwickelt, der 1926 weitgehend zugunsten Gabriele Münters ausging. Während der Nazi-Zeit verbarg sie viele Bilder Kandinskys und die anderer Mitglieder des Blauen Reiters im Keller ihres Hauses. Anlässlich ihres 80. Geburtstags vermachte sie im Jahr 1957 einen großen Teil ihres Nachlasses der Stadt München. Darunter befanden sich 25 eigene Gemälde, 90 Ölbilder Kandinskys sowie 300 seiner Aquarelle. [8] Münter schuf damit die Voraussetzung, dass Der Blaue Reiter in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München repräsentativ vertreten ist.

Themenvielfalt innerhalb des Blauen Reiters

Über eine große Spannweite verfügt die variable Aufhebung der Wirklichkeit innerhalb des Blauen Reiters. So hatten neben der metaphysischen Tiersymbolik von Franz Marc, den Farbphantasien Mackes und der märchenhaften Zauberwelt Klees auch die mathematisch-musikalischen Abstraktionen Kandinskys Platz und Raum im Blauen Reiter.

Künstler im Umfeld des Blauen Reiters

August Macke: Russisches Ballett, 1912
  • Paul Klee fühlte sich dem Blauen Reiter sehr verbunden, hatte jedoch keine führende Rolle in der Gruppe, zumal er seinen künstlerischen Schwerpunkt zu diesem Zeitpunkt noch nicht gefunden hatte. Er beteiligte sich jedoch an den Ausstellungen und erhielt wichtige Impulse für sein späteres Werk.[9]
  • Robert Delaunay war der Gruppe verbunden und der erfolgreichste Künstler der ersten Ausstellung des Blauen Reiters.
  • Hanns Bolz zählte während seiner Münchener Zeit zum engeren Freundeskreis des Blauen Reiter und war Hauptillustrator der Satirezeitschrift ,,KOMET´´ (1911/12).

Werke (Auswahl)

Franz Marc: Die gelbe Kuh, 1911
  • Franz Marc: Reh im Wald I, 1911
  • Franz Marc: Die Gelbe Kuh, 1911
  • Arnold Schönberg: Selbstportrait (von hinten), 1911
  • Wassily Kandinsky: Impression IV (Gendarme), 1911
  • Wassily Kandinsky: Studie zu Komposition V, 1911
  • Wassily Kandinsky: Mit Sonne (1911)
  • Gabriele Münter: Kandinsky und Erna Bossi am Tisch, 1912
  • August Macke: Zoologischer Garten I, 1913
  • Alexej von Jawlensky: Die Spanierin, 1913
  • Robert Delaunay: Fenêtre sur la ville, 1914

Siehe auch

Literatur

  • Michaela Appel, Brigitte Salmen (Hrsg.): Der Almanach 'Der Blaue Reiter'. Bilder und Bildwerke in Originalen. Murnau 1998, ISBN 3-932276-03-5
  • Dietmar Elger: Expressionismus. Eine deutsche Kunstrevolution. Hrsg. von Ingo F. Walther. Benedikt Taschen Verlag, Köln 1988, ISBN 3-8228-0093-7
  • Helmut Friedel/Annegret Hoberg: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. Prestel Verlag, München 2000, ISBN 3-791-32214-1
  • Norbert Göttler: Der Blaue Reiter. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008, ISBN 978-3-499-50607-9
  • Wassily Kandinsky: Über das Geistige in der Kunst. Insbesondere in der Malerei. Originalausgabe von 1912. Revidierte Neuauflage, Benteli Verlag Bern 2004, ISBN 3-7165-1326-1
  • Wassily Kandinsky/Franz Marc: Der Blaue Reiter. Als Taschenbuch beim Piper Verlag, München 2004, ISBN 3-492-24121-2
  • Magdalena M. Moeller: Der Blaue Reiter. DuMont Buchverlag, Köln 1987, ISBN 3-7701-2128-7. 
  • Malerei des Abendlandes. Eine Bildersammlung von der frühchristlichen bis zur zeitgenössischen Malerei, F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, Berlin-Grunewald 1955

Einzelnachweise

  1. Magdalena M. Moeller: Der Blaue Reiter. DuMont, Köln 1987, S. 11
  2. Norbert Göttler: Der Blaue Reiter, S. 82 f
  3. Will Grohmann in: Malerei des Abendlandes. Eine Bildersammlung von der frühchristlichen bis zur zeitgenössischen Malerei, F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, Berlin-Grunewald 1955, S. LVII
  4. Wassily Kandinsky: Über das Geistige in der Kunst, zit. nach Taschenbuchausgabe München 2002, S. 93
  5. Dietmar Elger: Expressionismus. S. 146 f
  6. Norbert Göttler: Der Blaue Reiter, S. 92 ff
  7. Norbert Göttler: Der Blaue Reiter. S. 125
  8. Norbert Göttler: Der Blaue Reiter, S. 127 ff
  9. Magdalena M. Moeller: Der Blaue Reiter, S. 47

Weblinks


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