Bindungsenergie

Bindungsenergie

Bindungsenergie wird freigesetzt, wenn zwei oder mehr Bestandteile durch Anziehungskräfte zusammengebracht werden und miteinander ein gebundenes System (beispielsweise einen Himmelskörper, ein Molekül, ein Atom, einen Atomkern) bilden. Diese Freisetzung bedeutet, dass das gebundene System weniger potentielle Energie hat als die einzelnen, ungebundenen Bestandteile. Um die Bestandteile wieder zu trennen, muss eine gleich große Arbeit von außen geleistet, also dem System wieder zugeführt werden, um die bindenden Kräfte zu überwinden.

Die Bezeichnung Bindungsenergie ist ein gängiger Fachausdruck, aber sprachlich etwas unglücklich gewählt. Sie führt – besonders mit einem nachfolgenden Genitiv, wie z. B. Bindungsenergie „des Uran-Atomkerns“ oder „des ATP-Moleküls“ – leicht zu dem Missverständnis, es handele sich um einen (positiven) Energiebetrag, der in dem gebundenen System vorhanden ist und aus ihm freigesetzt werden kann. Richtig ist, wie oben gesagt, das Gegenteil: die Bindungsenergie ist bereits bei der Bildung des gebundenen Systems freigesetzt und abgegeben worden, ist also gerade nicht mehr verfügbar.

Inhaltsverzeichnis

Veranschaulichung

Wenn beispielsweise der Abstand zweier Dauermagnete hinreichend gering ist, ziehen sie einander an und bewegen sich aufeinander zu. Augenblicke vor dem Zusammenstoß besitzen beide Magnete ihre höchste kinetische Energie, welche dann in Schallenergie und Wärme umgewandelt wird. Die hierbei freigesetzte Gesamtenergie ist die Bindungsenergie. Möchte man die Magnete voneinander trennen, muss die Bindungsenergie wieder in das System eingebracht werden. Wird dies nicht getan, so bleiben die Magnete vereint.

Chemie

Hauptartikel: Bindungsenergie (Chemie)

Die chemische Bindungsenergie ist das Maß für die Stärke einer kovalenten Bindung. Die molare Bindungsenergie von Ionenkristallen wird unter Gitterenergie und Gitterenthalpie beschrieben.

Bindungsenergien zwischen Atomen liegen bei Molekülen zwischen 200 und 700 kJ·mol−1 (2 bis 7 eV pro Bindung). Besonders geringe Bindungsenergie beobachtet man bei Wasserstoffbrückenbindungen. Sie sind mit nur 17 bis 167 kJ/mol[1] (0,18 bis 1,7 eV pro Bindung) deutlich schwächer als die Bindungskraft innerhalb eines Moleküls.

Atomphysik

In der Atomphysik wird als Bindungsenergie die Energie bezeichnet, die beim Einfangen eines Elektrons in die Elektronenhülle freigesetzt wird. Sie kommt durch die elektrische Anziehung zwischen Elektron und Atomkern zustande. Um wieder die einzelnen Teile zu erhalten, also das Elektron aus dem Atom zu entfernen, muss man einen gleich großen Energiebetrag zuführen. Manchmal ist mit Bindungsenergie diejenige des gesamten Atoms (also nicht nur eines einzelnen Elektrons) gemeint.

Besonders geringe Bindungsenergien besitzen die Valenzelektronen der Alkalimetalle, von 13,6 eV beim Wasserstoffatom über 5,14 eV für Natrium bis 3,9 eV für Cäsium. Je höher geladen ein Ion wird, desto höher wird auch die Bindungsenergie der verbliebenen Elektronen. So betragen die zweite und dritte Ionisierungsenergie bei Natrium schon 47 beziehungsweise 72 eV.[2]

Um ein Elektron aus einem ungeladenen Festkörper zu entfernen, muss Energie aufgewendet werden, die als Austrittsarbeit bezeichnet wird. Sie ist oft erheblich geringer als die Bindungsenergie im isolierten Atom und beträgt z. B. beim Cäsium nur 2,14 eV. Ihr Wert lässt sich durch den Schottky-Effekt verringern. Die Austrittsarbeit ist z. B. beim Edison-Richardson-Effekt, Sekundärelektronenvervielfacher, Sekundärelektronenmikroskop und photoelektrischen Effekt von Bedeutung.

Auch bei einem Metall-Halbleiter-Übergang wie in der Schottky-Diode müssen Elektronen die Schottky-Barriere überwinden, diese liegt meist zwischen 0,5 und 0,9 eV. Die Bandlücke im Bändermodell eines Halbleiters entspricht der Bindungsenergie eines Elektrons im Valenzband.

Kernphysik

Kernbindungsenergie in Abhängigkeit von der Kernmasse

In der Kernphysik ist die Bindungsenergie die Energiemenge, die frei wird, wenn sich Nukleonen zu einem Atomkern verbinden. Dies ist nach der einsteinschen Beziehung E = mc2 mit einem kleinen Massenverlust der gebundenen Nukleonen verbunden, dem Massendefekt.

Die Bindung kommt durch die anziehende Kraft der starken Wechselwirkung zwischen den Nukleonen zustande. Sie wird durch die gegenseitige Coulomb-Abstoßung der elektrisch positiv geladenen Protonen im Kern geschwächt. Die maximale Bindungsenergie pro Nukleon ist ungefähr bei Eisen erreicht und nimmt zu schwereren Nukliden hin wieder ab: Je mehr Protonen vorhanden sind, desto größer ist die abstoßende Coulombkraft zwischen ihnen. Daher kann im Gebiet der leichten Kerne durch Kernverschmelzung (Kernfusion), im Gebiet der schweren Kerne durch Kernspaltung Nutzenergie gewonnen werden.

Die Zacken in der Graphik hängen mit den Magischen Zahlen zusammen.

Die Bindungsenergie B definiert man üblicherweise aus der Masse der Atome, weil diese wesentlich präziser gemessen werden kann als die Masse der Kerne:

B(Z,A) = \left(Z \cdot M(H) + (A - Z) \cdot M(n) - M(A,Z)\right) \cdot c^2

Hierbei ist M(H) die Masse des H-Atoms, M(n) die Masse des Neutrons, M(A,Z) die Masse des Atoms mit Z Elektronen und einem Kern mit A Nukleonen (A die Massenzahl und Z die Ordnungszahl).

Die Beschreibung der Bindungsenergie von Atomkernen nach dem Tröpfchenmodell erfolgt durch die Bethe-Weizsäcker-Formel.

Gravitation

Die gravitative Bindungsenergie ist diejenige Energie, die benötigt wird, um einen durch Gravitation zusammengehaltenen Körper (z. B. die Erde) in sehr viele winzige Bestandteile zu zerlegen und diese unendlich weit voneinander zu entfernen. Umgekehrt wird die gleiche Energiemenge freigesetzt, wenn sich diese Bestandteile zu einem gravitativ gebundenen Körper zusammenfügen. Dies geschieht beim Kollaps einer Gaswolke zu einem kompakteren Himmelskörper, etwa einem Stern, und führt zu einer Erwärmung der Wolke.

Rechenbeispiel

Idealisiert man einen Himmelskörper als Kugel mit Radius R und homogener Dichte ρ, so ergibt sich die Bindungsenergie folgendermaßen:

Man lässt zunächst auf eine Kugel mit Radius r (mit r < R) und Dichte ρ aus unendlicher Entfernung weitere Materie fallen, so dass sich eine Kugelschale der Dicke dr auf der Oberfläche bildet und man eine neue Kugel mit Radius r + dr und Dichte ρ erhält.

Das Gravitationspotential der bisherigen Kugel ist (mit \mathbf{r}\geq r\, außerhalb der Kugel)

\Phi_r(\mathbf{r}) = \frac{G\,M(r)}{\mathbf{r}} ,

wobei

M(r) = \rho V(r) = \frac{4\pi}{3} \rho\ r^3

die Masse der bisherigen Kugel ist. Die hinzuzufügende Kugelschale der Dicke dr soll die gleiche Dichte haben. Es muss also eine Masse

dm(r, dr) = \rho A(r)\ dr = 4\pi \rho\ r^2\ dr\,

aus dem Unendlichen auf die Kugeloberfläche gebracht werden. Die dabei freiwerdende Energie ist

dE(r) = \Phi_r(r)\ dm(r, dr) = \frac{G}{r} \cdot \frac{4\pi}{3} \rho\ r^3 \cdot 4\pi \rho r^2 dr = \frac{16 \pi^2}{3} G \rho^2 r^4 dr .

Baut man so Schicht für Schicht eine Kugel mit Radius R zusammen, so wird insgesamt die folgende Bindungsenergie frei:

E = \int_0^R dE(r) = \frac{16 \pi^2}{3} G \rho^2 \int_0^R r^4 dr = \frac{16 \pi^2}{3} G \rho^2 \frac{1}{5} R^5 = \frac{3}{5} \frac{G}{R}\ \left(\frac{4 \pi R^3 }{3}\ \rho\right)^2 = \frac{3}{5} \frac{GM^2}{R}

Die Bindungsenergie beträgt also

E = \frac{3\, G\, M^2}{5\,R} .

Eine homogene Kugel mit Masse und Radius der Erde besäße nach dieser Formel eine gravitative Bindungsenergie von etwa 2,24 · 1032 J. Die Erde ist allerdings keine Kugel homogener Dichte: der Erdkern hat eine fast doppelt so hohe Dichte wie der Erdmantel. Nach dem "Preliminary Reference Earth Model" (PREM) für die Dichteverteilung im Erdinnern berechnet sich die tatsächliche Bindungsenergie der Erde numerisch zu 2,487 · 1032 J.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. George A. Jeffrey: An Introduction to Hydrogen Bonding. Oxford University Press, 1997, ISBN 0195095499.
  2. Eigenschaften von Natriumatomen bei webelements.com

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