Bill Evans (Jazzpianist)

Bill Evans (Jazzpianist)

William John „Bill“ Evans (* 16. August 1929 in Plainfield, New Jersey; † 15. September 1980 in New York City, New York) war einer der bedeutendsten amerikanischen Jazz-Pianisten des 20. Jahrhunderts.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Evans' Vater war Alkoholiker und hatte Vorfahren aus Wales, die Mutter hatte osteuropäische (ruthenische) Wurzeln und führte den Linkshänder Evans als Amateurpianistin schon mit sechs Jahren an das Piano heran. Mit dreizehn lernte er auch Flöte und zusätzlich Violine. Mit zwölf hatte er sein erstes Engagement, als er für seinen älteren Bruder in der Band von Buddy Valentino einsprang. Ende der 1940er Jahre spielte er Boogie-Woogie Piano in New Yorker Clubs und besuchte dann mit einem Stipendium das Southeastern Louisiana College, wo er Klavier und Musikpädagogik studierte und 1950 abschloss. Nebenbei spielte er mit Mundell Lowe (1949), Red Mitchell und Herbie Fields (1950), bevor er seinen Militärdienst ableistete, wo er bei der 5. Army Band Flöte spielte. 1954 arbeitete er mit Jerry Wald, Tony Scott und George Russell, bei dem er an der Uraufführung seiner Suite „All about Rosie“ beteiligt war und in dessen Jazzworkshop er 1956 spielte. 1957 spielte er auf dem Brandeis Jazz Festival mit einem Orchester Musik des Third Stream (u.a. von Russell, Jimmy Giuffre und Gunther Schuller) ein. Zur selben Zeit nahm er als Sideman mit Charles Mingus, Oliver Nelson und Art Farmer auf.
Sein erstes Trio-Album New Jazz Conceptions erschien 1956 bei Riverside Records- auf Betreiben des Gitarristen Mundell Lowe, der dem Produzenten Orrin Keepnews Aufnahmen von Evans über Telefon vorspielte. 1958 spielte er mit Miles Davis, mit dem er acht Monate auf Tour ging und den er durch seinen Improvisationsstil stark beeinflusste. Nebenbei studierte er Komposition und Kontrapunkt an „Mannes School of Music“ in New York City. 1958 erregte er mit seinem Album Everybody Digs Bill Evans mit den Trio-Partnern Philly Joe Jones und Sam Jones Aufsehen (Down Beats New Star Award). Weitere Trio-Partner waren damals gelegentlich Gerry Mulligan, Nat Adderley und Oscar Pettiford. 1959 holte ihn Miles Davis für sein legendäres Kind of Blue Album, auf dem nicht nur die Komposition „Blue in Green“ in Wirklichkeit von Evans stammte[1] sondern auch das Material für die „Flamenco Sketches“ (in „Peace Piece“ auf seinem Album „Everybody digs Bill Evans“).
1959 lehrte er an der Lenox School of Jazz und nahm an der Aufnahme von John Lewis' Filmmusik „Odds Against Tomorrow“ teil. Ein hervorragendes Trio fand sich 1959 bis 1961 mit dem Schlagzeuger Paul Motian und dem Bassisten Scott LaFaro, mit denen Evans Lieblingsstücke wie „Someday My Prince Will Come“, „Come Rain or Come Shine“, „Israel“, „Blue in Green“, „Waltz for Debby“ aufnahm (die letzten beiden Kompositionen sind von Evans, „Waltz for Debby“ spielt auf seine Nichte an). Dieser Höhepunkt seiner Karriere endete mit dem plötzlichen Tod von La Faro 1961 bei einem Autounfall nur zehn Tage nach den Village Vanguard-Aufnahmen des Trios.

Evans zog sich für den Rest des Jahres zurück und wurde erst 1962 von Orrin Keepnews überredet, wieder Musik aufzunehmen. 1962 nahm er im Duo ein Album mit dem Gitarristen Jim Hall auf,[2] dann wieder zwei Alben für Riverside, How My Heart Sings! und das Balladenalbum Moon Beams (mit dem Track „Re: Person I Knew“ als Anagramm auf Orrin Keepnews), mit seinem neuen Bassisten Chuck Israels. Den ersten von sieben Grammys erhielt er 1962 für „Conversation With Myself“, auf denen er dank Overdub-Aufnahmetechnik mit sich selbst spielt (von Lennie Tristano davor schon auf „Turkish Mambo“ benutzt). Dieses Album ist auch sein erstes Verve-Album nach dem Wechsel von Riverside. Bassist Israels wurde 1966 abgelöst von Eddie Gomez, mit dem er elf Jahre zusammenarbeitete (bis zu den Aufnahmen für You Must Believe in Spring 1977), wobei ein Höhepunkt die Live-Aufnahmen vom Montreux Jazz Festival 1968 waren. In seinen letzten Lebensjahren bildete er noch einmal mit Joe LaBarbera und Marc Johnson ein Trio, mit dem er Live-Mitschnitte in Paris 1979, von seinen letzten Auftritten im Village Vanguard („Turn Out the Stars“, 1980) und kurz vor seinem sich abzeichnenden Tod 1980 im Keystone Korner in San Francisco (The Last Waltz, Consecration) aufnahm.

Evans hatte zeitlebens eine schwache Gesundheit, was durch Drogenprobleme verstärkt wurde. In der Zeit bei Miles Davis entwickelte er eine Heroinsucht, die er zwar Anfang der 1970er Jahre in den Griff bekam, dann aber zu Kokain und anderen Drogen griff. Er starb schließlich an den kumulierten Folgen seiner Suchtvergangenheit - durchgebrochene Magengeschwüre, Leberzirrhose infolge jahrzehntelanger Hepatitis und Lungenentzündung.

1994 erhielt er posthum den Grammy Lifetime Achievement Award.

Seine Trio-Partner waren:

Bass: 1959 bis 1961 Scott La Faro, 1962-1965 Chuck Israels, 1963 Gary Peacock, 1966 bis 1977 Eddie Gomez, 1978 bis 1980 Marc Johnson

Schlagzeug: 1959 bis 1962 Paul Motian, 1963 bis 1965 Larry Bunker, 1967 Philly Joe Jones, 1968 Jack de Johnette, 1969 bis 1975 Marty Morrell, 1975 bis 1978 Eliot Zigmund, 1979/1980 Joe La Barbera.

Werk und Würdigung

Bill Evans erhielt eine klassische Musikausbildung als Pianist. Er brachte sein gesamtes pianistisches Können und harmonisches Wissen in die Jazzmusik ein: Damit bereicherte er den Jazz um wesentliche Elemente der klassisch-romantischen Musiktradition. Für sein Klavierspiel sind vor allem die romantische Komplexität, linear-gesangliche Melodieführung, harmonische Vielfalt und rhythmischer Variantenreichtum typisch. Sein pianistischer Anschlag erlaubte ihm die überaus subtile und differenzierte Gestaltung von Themen und Soli. Seine Harmonik integriert mühelos "schwarze" und "weiße" Idiome: den Blues mit innovativen, vom europäischen Impressionismus beeinflussten Blockakkorden, Bitonalität und Polychords. Sein Improvisationsstil ist äußerst gesanglich - selbst "orchestralen" Akkorden hört man immer die Melodie heraus - und lyrisch. Hinzu kam ein starker Formsinn, der auch seine Improvisationen nicht ausufern ließ, sondern in den vorgegebenen Rahmen eines Stückes integrierte.

Evans erweiterte die musikalische Ausdruckskraft des traditionellen Jazz und wirkte stilbildend, das heißt: Er beeinflusste eine ganze Generation von Pianisten wie Enrico Pieranunzi, Fred Hersch und vor allem Keith Jarrett. Auch wenn Evans in erster Linie als Interpret von Standards und als herausragender Improvisator gerühmt wird, so war er ebenfalls als Komponist produktiv und erfolgreich. Einige seiner Stücke gehören heute zu den Klassikern des Jazz wie Blue In Green, Very Early, Turn Out The Stars, Time remembered und Waltz for Debby.

Als Pianist im frühen Miles-Davis-Sextett wurde Evans erstmals einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Auf der legendären Platte Kind of Blue (1958; veröffentlicht 1959) ist er mit Ausnahme von "Freddie Freeloader" (Wynton Kelly) auf allen Stücken zu hören. Bemerkenswert ist hier nicht nur sein völlig eigener, neuer "Sound", der wesentlich zum unnachahmlichen Flair dieser berühmten Aufnahme beitrug, sondern auch seine Komposition "Blue in Green". Miles Davis behauptete später, das Stück geschrieben zu haben, aber zumindest die Akkordfolge und das Arrangement stammen von Bill Evans.

Er war zu dieser Zeit der einzige weiße Musiker, den Davis in seine Band aufnahm, und bekam bei Konzerten gelegentlich die Verachtung seiner schwarzen Mitmusiker zu spüren. Davis stellte sich oft direkt neben Evans und schaute ihm auf die Finger, wenn er solierte. Einmal soll Davis während des Auftritts zu Evans bemerkt haben: Das Klavier sei ein altmodisches, überholtes Instrument; man könne nichts Neues mehr darauf spielen. Tatsächlich aber hatte Davis Hochachtung vor der unangreifbaren musikalischen Kompetenz dieses schmalen, introvertierten und schüchternen Mannes.

Davis half Evans auch dabei, mit dessen ersten eigenen Trio in der New Yorker Jazzszene Fuß zu fassen und Auftritte zu bekommen. Er musste sich anfangs neben Benny Goodman behaupten, der gerade ein fulminantes Comeback feierte. Das Evans-Trio wurde als dessen "Vorgruppe" behandelt, so dass seine Mitmusiker reihenweise ausstiegen. Er verschliss in 14 Tagen 6 Bassisten und 4 Schlagzeuger, bis er herausfand, dass er am besten mit dem versierten Drummer Paul Motian und dem jungen Kontrabassisten Scott LaFaro harmonierte. Sie hatten wie er ein gemeinsames Ziel vor Augen, nämlich als Trio langfristig zusammenzuwachsen und ihre musikalischen Ideen zu verwirklichen. Dafür stellten sie andere Auftrittsmöglichkeiten zurück.

Aus dieser fruchtbaren Zusammenarbeit gingen eine Reihe bahnbrechender Aufnahmen hervor, deren Ausnahmecharakter noch dadurch unterstrichen wurde, dass LaFaro 1961 bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückte - im Alter von 25 Jahren, nur 2 Wochen nach seiner letzten Schallplattenaufnahme mit Evans, veröffentlicht als Sunday at the Village Vanguard und Waltz for Debby.

Die erste gemeinsame LP, Portrait in Jazz (1959), zeigt bereits ein damals neues Bandkonzept: Evans, LaFaro und Motian spielen schon während der Themen, nicht erst in den Soli, völlig gleichberechtigt neben- und miteinander. Der Kontrabass übernimmt Melodielinien im oberen Register, und das Schlagzeug hält diese mit "kommentierenden" Einwürfen zusammen. Das Piano wiederum spielt nicht selten "Schlagzeug" mit percussiven, rhythmischen Kaskaden und Arpeggios (gebrochenen Akkorden). Damit ist die übliche Aufteilung von Solostimme (Piano) und Begleitung (Bass, Schlagzeug) durchbrochen. An ihre Stelle tritt eine neue Art von "Polyphonie", die einen ganz eigenen, unverwechselbaren Gesamtsound des Trios hervorbringt.

Evans erreichte hier eine geradezu "telepathische" Kommunikation und Intimität zwischen den Musikern. Diese "kammermusikalische" Dichte wurde von nun an eins seiner Markenzeichen für die kommenden Jahrzehnte. Damit ließ er - ganz anders als er es zuvor erlebt hatte - seine Mitmusiker zur vollen Entfaltung kommen. Er entwickelte diese Trio-Form im Laufe seiner Karriere mit wechselnden Partnern zu einer Perfektion, die bis heute unübertroffen ist.

Posthum widmete ihm der amerikanische Gitarrist Pat Metheny mit den Musikern Lyle Mays und Nana Vasconcelos, ganz im Sinne der Evans'schen Kammermusik, mit dem Stück "September fifteenth" (seinem Todestag) auf dem Album "As falls Wichita, so falls Wichita falls" einen musikalischen Nachruf, in einer melodischen Art und Weise, die sehr seiner eigenen Vorstellung entsprochen haben mag.

Diskografie (Auswahl)

Neben Alben unter eigenem Namen und mit Miles Davis, Jim Hall spielte er auch u.a. mit Tony Scott, Oliver Nelson, Charles Mingus, Art Farmer, Herbie Mann (Nirvana) und dem Sänger Tony Bennett.

Literatur

  • Hanns E. Petrik: Bill Evans - Sein Leben, Seine Musik, Seine Schallplatten, OREOS Verlag, 1989
  • Peter Pettinger: Bill Evans - How My Heart Sings, Yale University Press, 1998

Weblinks


Anmerkungen

  1. Auf dem Album wird sie Davis zugeschrieben.
  2. Das Album erschien 1963 als Undercurrent bei United Artists, später bei Blue Note Records

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