AG der k.k. priv. Harlander Baumwollspinnerei und Zwirnfabrik

AG der k.k. priv. Harlander Baumwollspinnerei und Zwirnfabrik
Harlander Coats
Unternehmensform GmbH
Gründung 1859
Auflösungsdatum 1991
Auflösungsgrund Einsparungsmaßnahmen
Unternehmenssitz Harland
Mitarbeiter maximal 1.400
Branche Zwirnerzeugung

Die Harlander Coats (andere Namen siehe Kapitel Namen und Eigentümer) war eine Zwirnspinnerei mit Hauptsitz im St. Pöltner Stadtteil Harland. Der 1859 von Mathias Salcher gegründete Betrieb wurde vor allem für sein Eisengarn bekannt und war, vor allem in seinen Anfangszeiten, prägend für Harland und die umliegenden Ortschaften. Vor seiner Schließung 1991 waren Zeitweise 1.400 Personen in den Werken beschäftigt.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Aufstieg und Niedergang

Mitarbeiter Jahr
508 1878
1.050 1915
1.400 1918
820 1937
1.100 1948
550 1974
200 1986
Das Hauptgebäude 1883

Mathias Salcher senior, gelernter Weber, gründete 1828 in Wien eine Firma, die Bänder und Borten herstellte. Er erwarb 1858 von Friedrich Blödtl eine Furniersäge in Harland, die er mit dem gegenüberliegenden Grundstück bis 1859 zu einer Eisengarnfabrik erweiterte.[1] Dazu wurde die „Mathias Salcher & Söhne“ mit seinen vier Söhnen gegründet, Leiter dieser Fabrik war Josef Salcher senior. Für die Einführung des Eisengarns in Österreich wurde ihnen 1863 die Silbermedaille vom niederösterreichischem Gewerbeverein verliehen[2], 1873 folgte die Ernennung des Werks zur „k.k. privilegierten Fabrik“ und die Verleihung der Goldmedaille des niederösterreichischem Gewerbevereins.[3]

Teil einer verpackung von 1894 mit den Auszeichnungen „kais. königl. privilegirte Fabrik“ und „Grosse silberne Medaille“ vom niederösterreichischem Gewerbeverein

In Wagstadt eröffneten sie 1865 eine Knopffabrik mit angeschlossener Weberei. In den Jahren zwischen 1870 und 1890 erwarb die Firma alle Mühlen und Wasserrechte an den östlichen Mühlbächen der Traisen zwischen Wilhelmsburg und dem Lilienhof in Stattersdorf, um die Produktionskapazitäten zu steigern. 1875 wurde die ehemalige Stattersdorfer Schraubenfabrik erstanden und eine Spulerei eingerichtet.

Nach dem Tod Mathias Salchers 1879 übernahm sein Sohn Rudolf Sacher die Firmenleitung, Josef Salcher junior übernahm die Führung des Betriebes 1889. Unter seiner Führung wurde 1892 die Georgsspinnerei in Ochsenburg gebaut. 1894 stand die Firma kurz vor dem Konkurs, der Hauptgrund dafür war billigere Konkurrenz aus England und Deutschland. Da die Finanzreserven durch den Bau der Georgsspinnerei gebunden waren wurde eine Aktiengesellschaft gegründet. Hauptaktionär wurde Kenneth Mackenzie Clark aus Glasgow, Carl und Josef junior wurden Vorstandsmitglieder. Nach dem Jahrhundertwechsel wurde neben einigen Mühlbächen nebst Wasserkraftwerken vor allem das Werk in Ochsenburg massiv erweitert, 1913 folgte der Bau einer Zwirnerei in Brunn.[3]

Ein Teil der Firmenliegenschaft in Harland 1907, im Hintergrund ist die Schule zu erkennen

In der Zeit des ersten Weltkrieges wurden die Fabriken unter staatliche Aufsicht gestellt. In den ersten Kriegsjahren war ein starker Aufschwung zu spüren, sodass Anfang 1918 mit 1.400 der höchste Mitarbeiterstand erreicht wurde. In den folgenden Monaten wurden die Rohstoffe knapper und ein großteil der Arbeiter zogen in den Krieg sodass die Produktion gegen Kriegsende zum Erliegen kam. Erst 1920 konnte die Produktion wieder in eingeschränkter Form begonnen werden. Im selben Jahr wurde die Produktion in Stattersdorf aufgelassen und das Gebäude in Arbeiterwohnungen umgewandelt.[3]

Die Familie Salcher schied 1923 komplett aus dem Unternehmen aus, alleiniger Besitzer wurde die Firma J. & P. Coats Ltd.

Der zweite Weltkrieg brachte die nächste Verstaatlichung mit sich, das Unternehmen wurde unter NS-Verwaltung gestellt. Gegen Kriegsbeginn waren die Aufträge nahezu nicht zu bewältigen; als sich der Krieg dem Ende zuneigte, folgte das gleiche Schicksal wie schon im Krieg davor: Rohstoffmangel schränkte die Produktion immer mehr ein. Da die Betriebsanlagen das Bombardement nahezu unbeschädigt überstanden hatten und die russischen Besatzer die Firma relativ bald an den ursprünglichen Besitzer zurückgaben, konnte im August 1945 die Produktion wieder aufgenommen werden.

Nach 1970 änderte sich die Textilindustrie nachhaltig. Es wurden immer mehr Arbeiter entlassen, um die Produktion in Billiglohnländern fortzusetzen. Nachdem das Hauptwerk in Harland 1987 geschlossen worden war, folgte das letzte Werk in Ochsenburg 1991.

Die ehemaligen Fabriksgebäude finden heute unterschiedliche Verwendungen. Während das Gelände in Ochsenburg im Mai 2007 geschleift wurde[4], befinden sich im Werk Stattersdorf sowie in Teilen des Harlander Werkes noch immer Wohnungen. Der Rest der Harlander Anlage wurde an die Firma Wallner Holz verkauft, die dort ein Lager unterhält.[5]

Produktion und Produkte

Das Logo von 1890 mit dem heiligen Georg

Die Harlander Coats produzierten alle Arten von Garnen und Zwirnen aus Baumwolle. Als besondere Spezialität galt die Herstellung von „Eisengarn“.[3]

Die ersten Produkte der Firma Salcher wurden unter den Markenbezeichnungen „Gemse“, „Schwan“, „Löwe“ und „Waage“ vertrieben. Die Verpackungen waren mit einem Emblem des heiligen Georg versehen. 1884 wurden zusätzlich die Markennamen „Tref“, „Karo“, „Pik“ und „Herz“ eingeführt. Als die Firma in englischen Besitz überging erfolgte eine Vereinheitlichung der Markennamen. Die bekanntesten Erzeugnisse waren:[6]

  • Handarbeitsgarne, Marke „Anker“
  • Stopfgarne, Marke „Karo“
  • Nähfaden, Marke „Kette“
  • Nähmaschinenzwirn, Marke „Gemse“

Die Produktion verlief jedoch immer auf gleiche Art und Weise. In der Spinnerei wurde aus der Baumwolle ein Faden gewonnen. Nachdem die Rohbaumwolle zur Erlangung eines gleichmäßigen Rohstoffs gemischt wurde folgte eine Grobreinigung. Die Fasern wurden zur Ausrichtung der losen Fasern kardiert und danach gestreckt. Nach dem Kämmen, die kurzen Fasern wurden entfernt, begann das Vorspinnen auf einem Flyer. Das dadurch erzeugte Vorgarn wurde auf einer Ringspinnmaschine zum eigentlichen Faden.

Danach wurde in der Zwirnerei der Zwirn erzeugt. Nach dem Fachen, einer Vorstufe des Zwirnens, folgte das Zwirnen. Dem Zwirn wurden danach abstehende Fasterspitzen abgesengt (Gasieren). Nachdem die Zwirne merzerisiert und gefärbt waren wurden sie verpackt und sowohl an Textilerzeuger als auch an den Einzelhandel geliefert.[6]

Namen und Eigentümer der Harlander Coats

Die Harlander Coats hatten in ihrer 134-jährigen Bestehensgeschichte einige Besitzer. In der Bevölkerung liebevoll einfach die Harlander genannt, änderte sich der offizielle Name im Laufe der Zeit mehrmals, meist aufgrund Eigentümerwechsels. In der folgenden Tabelle werden die Eigentümer und Namen aufgeführt.

Namen und Eigentümer [3]
Zeitraum Name Eigentümer
1859 - 1894 Mathias Salcher & Söhne Familie Salcher
1894 - 1923 AG der k.k. priv. Harlander Baumwollspinnerei und Zwirnfabrik Josef und Carl Salcher, K. M. Clark, Franz Richter
1923 - 1940 AG der k.k. priv. Harlander Baumwollspinnerei und Zwirnfabrik J. & P. Coats Ltd.
1940 - 1945 Harlander Baumwollspinnerei und Zwirnfabrik AG St. Pölten-Harland Deutsches Reich
1945 - 1968 Harlander Baumwollspinnerei und Zwirnfabrik AG St. Pölten-Harland J. & P. Coats Ltd.
1968 - 1991 Harlander Coats GmbH J. & P. Coats Ltd.

Auswirkungen der Firma auf St. Pölten

Durch das Entstehen und Wachsen der Harlander Coats wurden vor allem die Stadtteile Harland, Ochsenburg und Stattersdorf entscheidend geprägt. Zu spüren waren die Auswirkungen aber auch in Brunn, Spratzern, St. Georgen und St. Pölten.

Kraftwerke
Luggau
Neumühle
Ochsenburg
Aufeld
Brunn
Stattersdorf
Theresienhof
Das „lange Haus“ in Ochsenburg, ein um 1900 errichtetes Wohnhaus

Bevor die Harlander Coats ihre Pforten öffnete, waren die drei heutigen Stadtteile vorwiegend landwirtschaftlich geprägt. Besonders gut veranschaulichen lässt sich dies am Beispiel Harland. Wo 1822 66 Personen in 8 Häusern lebten, arbeiteten 1878 über 500 Menschen, dazu müssen jedoch noch die Familien der Arbeiter hinzu gerechnet werden. Diese Entwicklung setzte sich bis zum ersten Weltkrieg fort. In ähnlicher Weise erging es Ochsenburg und Stattersdorf. Durch die explodierenden Einwohnerzahlen – die Arbeiter zogen aus der näheren Umgebung aber vor allem aus Südböhmen und Ungarn hierher – wurden vermehrt Wohnungen nötig. Diese wurden großteils durch die Firmenleitung errichtet, fast alle sind heute noch in Verwendung und prägen die Ortsbilder.[7][8]

Die Harlander Coats gründete und finanzierte aber auch Schulen und Kindergärten in den drei Stadtteilen. Die Schule und der Kindergarten Harland wurden 1883 eröffnet, die Schule in Stattersdorf 1870. In Ochsenburg wurde nur ein Kindergarten errichtet, da die Schule in St. Georgen nicht weit entfernt war. Weiters wurden drei Badehäuser errichtet, Betriebsärzte angestellt, es gab sogar ein eigenes kleines Krankenhaus. Weiters erwähnenswert sind auch die errichteten „Consum-Anstalten“ und die Arbeiterbibliothek, in der sich heute das Amthaus in Harland befindet.[9][8]

Als eine der wichtigsten Auswirkungen kann die Straßenbahn St. Pölten, die bis 1976 verkehrte, angesehen werden. Treibende Kraft für deren Gründung war Carl Salcher, zuerst vor allem zum Warentransport von und zur Westbahn. Erst im Laufe der Zeit stiegen die Fahrgastzahlen, sodass der Fahrplan ständig erweitert werden musste.[10][11]

Während des Ausbaus der Fabriksanlagen musste die Energieversorgung mitwachsen, zuerst in Form von Wasserrädern, später mit Turbinen zur Stromerzeugung. So sicherte sich die Familie Salcher alle Wassernutzungsrechte rechtsufrig der Traisen zwischen Wilhelmsburg und Stattersdorf. Dabei wurden nicht nur alte Mühlen erworben und umgerüstet, sondern auch neue Kraftwerke errichtet. Auch wurden zwei neue Mühlbäche, Mühlbach Ochsenburg und Luggauer Bach, ausgehoben und die bestehenden begradigt und ausgebaut.[11] So entstanden im Laufe der Zeit sieben Kraftwerke, die allesamt heute noch in Betrieb sind.[12]

Einzelnachweise

  1. Manfred Wieninger, 2002: St. Pöltner Straßennamen erzählen, ISBN 3-7066-2208-4: Eintrag zur Salcherstraße
  2. Wien, 1864: Verhandlungen und Mitteilungen des nieder-österreich. Gewerbe-Vereines, Seite 243. online bei Google Book Search
  3. a b c d e Phönix aus der Asche - Die Entwicklung der Stadtteile Harland, Altmannsdorf und Windpassing, Kapitel Von M. Salcher & Söhne zur Harlander Coats GmbH, Seiten 17-29
  4. Feuerwehr St. Pölten zur Sprengung des Schlots in Ochsenburg
  5. Geschichte der Firma Holz Wallner
  6. a b Phönix aus der Asche - Die Entwicklung der Stadtteile Harland, Altmannsdorf und Windpassing, Kapitel Produktion und Produkte, Seiten 31 und 32
  7. Phönix aus der Asche - Die Entwicklung der Stadtteile Harland, Altmannsdorf und Windpassing, Kapitel Geschichte, Seiten 7-12
  8. a b Ein Dorf in Stein und Ackerland - Zur Geschichte des Stadtteils St. Georgen - Ochsenburg, Kapitel Der Aufbruch der Wirtschaft, Seiten 24-29
  9. Phönix aus der Asche - Die Entwicklung der Stadtteile Harland, Altmannsdorf und Windpassing, Kapitel Wohnhäuser und Wohlfahrt, Seiten 43-47
  10. Aktivwochen Stattersdorf, Kapitel Die Straßenbahn St. Pölten - Harland, Seiten 46-48
  11. a b Phönix aus der Asche - Die Entwicklung der Stadtteile Harland, Altmannsdorf und Windpassing, Kapitel Infrastruktur, Seiten 33-36
  12. EVN: Wasserkraftwerke

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